Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 IV 38



121 IV 38

9. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 22. Februar 1995 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Staatsanwaltschaft des
Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 346 StGB. Bestimmung des Gerichtsstandes bei verschiedenen
Ausführungsorten.

    Mit der Weiterleitung der Strafanzeige durch den nichtzuständigen
Kanton an einen möglicherweise zuständigen Kanton ist die Untersuchung
noch nicht im Sinne von Art. 346 Abs. 2 StGB "angehoben" (E. 2c).

    Ist die Untersuchung noch in keinem der Kantone, in denen
Ausführungshandlungen erfolgten, angehoben worden, stellt die Anklagekammer
auf jene Handlungen ab, mit denen die strafbare Tätigkeit zu Ende geführt
wird (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Die Behörden des Kantons Zug führen seit dem 14. Mai 1992
(Strafanzeige) eine Strafuntersuchung gegen K., F. und H. wegen
Betruges, eventuell Veruntreuung im Zusammenhang mit dem Abschluss eines
Darlehensvertrages.

    Am 16. Juli 1992 übermittelte das Verhöramt des Kantons Zug der
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen die Strafanzeige und die
Strafakten und ersuchte diese um Übernahme des Verfahrens. Das Ersuchen
wurde damit begründet, dass der Vertrag in St. Gallen abgeschlossen und
auch der Darlehensbetrag dort übergeben worden sei.

    Am 27. Juli 1992 sandte das Untersuchungsrichteramt des Bezirks
St. Gallen die Akten an das Verhöramt des Kantons Zug zurück mit der
Begründung, sämtliche Vertragsverhandlungen hätten in Basel stattgefunden.

    Ein weiteres Übernahmeersuchen vom 9. Februar 1994 lehnte das
Untersuchungsrichteramt am 18. März 1994 ebenfalls ab.

    Auf Ersuchen der Verhöramtes Zug übernahm schliesslich die
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt das Verfahren bis zur Festlegung
des Gerichtsstandes, da die Zuständigkeit des Kantons Zug mangels örtlichem
Anknüpfungspunkt offensichtlich nicht in Frage kam.

    Ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 9. September 1994
um Übernahme des Verfahrens lehnte das Untersuchungsrichteramt St. Gallen
am 19. September 1994 ab.

    B.- Mit Gesuch vom 23. Januar 1995 beantragt die Staatsanwaltschaft
Basel-Stadt der Anklagekammer des Bundesgerichts, die Behörden des Kantons
St. Gallen berechtigt und verpflichtet zu erklären, die K., F. und H. zur
Last gelegten strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.

    Nachdem der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, die sich bis
dahin zur Frage des Gerichtsstandes noch nicht geäussert hatte, die Frist
zur Stellungnahme zum Gesuch antragsgemäss verlängert worden war, beantragt
diese, die Behörden des Kantons Basel-Stadt zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass den
Beschuldigten im Zusammenhang mit dem erwähnten Darlehensvertrag ein
Betrug zur Last zu legen ist. Da dies zumindest in Frage kommt, ist für
die Beurteilung des vorliegenden Falles davon auszugehen.

    b) Die Beschuldigten haben die Handlungen, in welchen die Parteien
einen Betrug erblicken, teils in Basel (Vertragsverhandlungen), teils in
St. Gallen (Unterzeichnung, Entgegennahme des Checks) ausgeführt.

    Gemäss Art. 346 Abs. 2 StGB sind in einem solchen Fall die Behörden
des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde. Wo die
wichtigeren der verschiedenen Ausführungshandlungen vorgenommen worden
sind, ist grundsätzlich unerheblich; das Argument der Gesuchsgegnerin, im
Kanton Basel-Stadt seien die wesentlichen Täuschungshandlungen ausgeführt
worden und die Unterzeichnung des Darlehensvertrages durch den Geschädigten
erfolgt, ist deshalb unbehelflich (vgl. BGE 71 IV 55 E. 2; SCHWERI,
Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, Bern 1987, N. 82).

    c) Ein nichtzuständiger Kanton - im vorliegenden Fall der Kanton
Zug - kann indessen nicht dadurch, dass er die Strafanzeige an einen
der möglicherweise zuständigen Kantone weiterleitet, verbindlich dessen
Gerichtsstand bestimmen (SCHWERI, aaO, N. 142). Wird die Strafanzeige in
einem unzuständigen Kanton eingereicht, so versagt der Gerichtsstand der
Prävention, da damit die allenfalls zuständigen Kantone, wenn sie sich
wie hier auf die Abklärung der Frage des Gerichtsstandes beschränken, die
Untersuchung nicht im Sinne von Art. 346 Abs. 2 StGB "angehoben" haben.

    d) In solchen Fällen stellt die Anklagekammer auf jene
Ausführungshandlungen ab, mit denen in aller Regel die strafbare Tätigkeit
zu Ende geführt wird, bzw. auf die letzte Ausführungshandlung, die nach
dem Dafürhalten des Täters zum Eintritt des Erfolges führen sollte. Da
seitens der Beschuldigten nach der Unterzeichnung des Darlehensvertrages
durch sie in St. Gallen keine weiteren Vorkehren erforderlich waren, um die
Auszahlung des Darlehens zu erlangen, war die Ausführung der Tat mit diesem
Schritt für die Beschuldigten beendet; im übrigen wurde der allfällige
Betrug auch im Kanton St. Gallen vollendet, indem die Beschuldigten dort
den Check entgegennahmen (vgl. BGE 115 IV 270 E. 2c in fine). Entgegen
der Auffassung der Gesuchsgegnerin war der Betrug mit der Unterzeichnung
des Vertrages durch den Geschädigten noch nicht vollendet, denn dieser
ordnete die Auszahlung erst an, nachdem ihm der von den Beschuldigten
unterzeichnete Darlehensvertrag wiederum per Fax übermittelt worden
war. Auch der Erfolg, auf den die Anklagekammer subsidiär abstellt,
sofern der Ausführungsort als gerichtsstandsbegründendes Merkmal versagt
(vgl. SCHWERI, aaO, N. 95), trat somit im Kanton St. Gallen ein.