Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 IV 353



121 IV 353

57. Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1995 i.S. Z. gegen
Erbengemeinschaft K. und L. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 169 StGB; Verfügung über mit Beschlag belegte Vermögenswerte.

    Die Verpflichtung des Schuldners, die mit Beschlag belegten Gegenstände
zu erhalten, begründet weder gegenüber dem Gläubiger noch gegenüber
den Betreibungs- und Konkursbehörden eine Garantenpflicht. Das blosse
Untätigbleiben stellt daher keine eigenmächtige Verfügung im Sinne von
Art. 169 StGB dar.

Sachverhalt

    A.- Der Gerichtspräsident VII von Bern sprach Z. mit Urteil vom
15. November 1994 von der Anschuldigung der Verfügung über amtlich
aufgezeichnete Sachen ohne Entschädigung frei. Auf eine Appellation der
Privatklägerin Erbengemeinschaft K. und L. hin erklärte das Obergericht
des Kantons Bern Z. mit Urteil vom 2. Mai 1995 der Verfügung über amtlich
aufgezeichnete Sachen schuldig und verurteilte ihn zu 10 Tagen Gefängnis,
unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer Probezeit von zwei
Jahren. Ferner hiess es die Zivilklage gut und verpflichtete Z. zur Zahlung
von Fr. 1'650.-- nebst 5% Zins ab 2. Mai 1995 an die Privatklägerin.

    Gegen dieses Urteil führt Z. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde,
mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache
zu seiner Freisprechung und zur Abweisung der Zivilklage an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Ferner ersucht er, der Beschwerde sei aufschiebende
Wirkung zu verleihen.

    Die Privatklägerin beantragt in ihrer Vernehmlassung die  Abweisung
der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Vorinstanz legte dem Beschwerdeführer zur Last, er habe in
seiner Funktion als Verwaltungsratspräsident der Firma G. und Z. im Rahmen
eines Mietzinsretentionsverfahrens zwei mit Beschlag belegte Gegenstände,
ein Fotokopiergerät sowie einen Metallschrank, beiseite geschafft und
dadurch seine Gläubiger im Umfang von ca. Fr. 1'650.-- geschädigt. Sie
stellte für den Kassationshof verbindlich (Art. 277bis Abs. 1 BStP) fest,
der Beschwerdeführer habe die fraglichen Gegenstände am 27. Oktober
1992 der Firma R. und Sohn verkauft. Der (noch weitere Gegenstände
umfassende) Kaufpreis von insgesamt Fr. 35'000.-- sei am 4. November
1992 bezahlt worden. Der Verkauf sei somit vor dem 22. Dezember 1992,
an welchem Tag die Retention erfolgt sei, abgewickelt worden. Die beiden
mit Beschlag belegten Gegenstände seien noch bis vor Weihnachten im Büro
des Beschwerdeführers zum Gebrauch stehen gelassen und sodann von R. nach
dem 22. Dezember 1992 in Abwesenheit des Beschwerdeführers abgeholt worden.

    Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, es sei ein gültiger
Retentionsbeschlag zustande gekommen. Daran ändere der Umstand nichts,
dass der Fotokopierer und der Metallschrank in das Eigentum der Firma
R. und Sohn übergegangen sei. Auch habe die Vermieterin nicht annehmen
müssen, die fraglichen Gegenstände hätten nicht der Mieterin gehört. Über
die Retention sei der Beschwerdeführer mindestens summarisch von seiner
Sekretärin in Kenntnis gesetzt worden. Er habe daher gewusst, dass alle
Sachen auf Geheiss des Betreibungsamtes im Büro zu verbleiben hätten. Im
übrigen habe die Übernahme der Gegenstände mit R. noch besprochen werden
müssen. Die Erfüllung des Kaufvertrages habe daher von ihm noch ein
Handeln verlangt. Ob diese Regelung vor dem Retentionsbeschlag oder
danach getroffen wurde, könne offengelassen werden. Auch wenn die
Abholung der Gegenstände zum Zeitpunkt der Retention bereits geregelt
gewesen wäre, wäre er noch in der Lage gewesen, durch entsprechende
Benachrichtigung des Vertragspartners die Inbesitznahme der retinierten
Sachen zu verhindern. Diese Pflicht zum Tätigwerden habe ihm von Gesetzes
wegen obgelegen, habe ihn doch aufgrund seiner Schuldnerstellung im
Retentionsverfahren gegenüber dem Betreibungsamt eine Garantenpflicht
getroffen.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe den Besitz an den
Gegenständen auf die Erwerberin übertragen, dieselben jedoch aufgrund
eines besonderen Rechtsverhältnisses zurückbehalten. Es fehle an der
nachträglichen, eigenmächtigen Verfügung über eine amtlich aufgezeichnete
Sache. Die Übertragung des Eigentums an den Sachen sei im Moment
der Retention längst erfolgt. Danach habe er nur noch als Entlehner
von den beiden geliehenen Gegenständen Gebrauch machen dürfen. Die
Abholung derselben habe nicht mehr von seinem Willen abgehangen, sondern
ausschliesslich von demjenigen des Verleihers. Er habe somit nach der
Retention vom 22. Dezember 1992 nicht mehr über die fraglichen Gegenstände
verfügen können. Zudem fehle es auch am subjektiven Tatbestand. Es sei
ihm bewusst gewesen, dass die Gegenstände bereits im Eigentum der Firma
R. und Sohn gestanden hätten. Die Behändigung derselben durch die Käufer
und Verleiher hätten daher nach seinem Dafürhalten keine Schädigung der
Gläubigerin bewirkt. Schliesslich sei er weder verpflichtet noch überhaupt
in der Lage gewesen, die Wegnahme der Gegenstände zu verhindern.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 169 aStGB wird mit Gefängnis bestraft, wer über
eine amtlich gepfändete oder mit Arrest belegte Sache oder über eine
Sache, die in einem Betreibungs-, Konkurs- oder Retentionsverfahren
amtlich aufgezeichnet ist, eigenmächtig zum Nachteile der Gläubiger
verfügt, oder eine solche Sache beschädigt, zerstört, entwertet oder
unbrauchbar macht. Im Zuge der Revision des Vermögensstrafrechts ist der
Tatbestand des sogenannten Verstrickungsbruchs neu gefasst worden. Art. 169
StGB nF (in Kraft seit 1. Januar 1995) bringt indes hinsichtlich der
Tathandlung materiell keine Änderungen; hinsichtlich des Tatobjekts ist
die Bestimmung insoweit weiter gefasst worden, als sie nun auch das durch
Liquidationsvergleich abgetretene Vermögen schützt.

    b) Tathandlung des Verstrickungsbruchs ist die eigenmächtige
Verfügung, Beschädigung, Zerstörung, Entwertung oder das
Unbrauchbarmachen. Eigenmächtig ist die Verfügung, wenn sie ohne
betreibungsrechtliche oder behördliche Ermächtigung getroffen wird
(BGE 100 IV 227 E. 2). Erfasst werden nicht bloss rechtsgeschäftliche,
sondern auch rein tatsächliche Verfügungen (BGE 75 IV 62 E. 3; ALBRECHT,
Kommentar Strafrecht, Bes. Teil, 2. Band, Art. 169 N. 25; STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl. 1995, § 23 N. 41).

    Art. 268 OR räumt den Vermietern von Geschäftsräumen zur Sicherung
ihrer Zinsforderungen ein Retentionsrecht an den beweglichen Sachen ein,
die sich in den vermieteten Räumen befinden und zu deren Einrichtung
oder Benutzung gehören (für die Pacht vgl. Art. 299c OR). Auf Gesuch des
Retentionsgläubigers nimmt das Betreibungsamt ein Retentionsverzeichnis
auf (Art. 283 SchKG). Die Aufnahme in das Verzeichnis begründet den
Retentionsbeschlag. Die Schutzwirkung des Verzeichnisses besteht darin,
dass der Schuldner die aufgezeichneten Gegenstände zwar gebrauchen,
nicht aber über sie verfügen darf, sofern er nicht als Ersatz
anderweitig Sicherheit leistet (AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 5. Aufl. 1993, § 34 N. 21; FRITZSCHE/WALDER,
Schuldbetreibungs- und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. II, §
63 N. 22 und 24).

    Die Vorinstanz liess offen, ob der Beschwerdeführer noch nach
dem Retentionsbeschlag im Hinblick auf die Abholung der retinierten
Gegenstände durch die Käuferin tätig geworden sei; jedenfalls habe er
es unterlassen, dies zu verhindern. Entgegen ihrer Auffassung genügt
indessen eine blosse Unterlassung als Tathandlung der eigenmächtigen
Verfügung nicht. Der Schuldner hat gegenüber seinen Gläubigern, hier
der Vermieterin von Geschäftsräumen, keine Garantenstellung (ALBRECHT,
aaO, Art. 169 N. 26; STRATENWERTH, aaO, § 23 N. 6). Das Verbot, über die
aufgezeichneten Gegenstände zu verfügen, schafft keine besondere Obhuts-
oder Sorgepflicht und keine gesteigerte Verantwortung des Schuldners
gegenüber dem Gläubiger. Sie genügt daher nicht zur Begründung
einer strafrechtlich relevanten besonderen Pflicht, zum Schutz der
Vermögensinteressen des Gläubigers tätig zu werden (ALBRECHT, aaO, Art.
169 N. 26, vgl. auch Art. 163 N. 33). Dasselbe gilt für das Verhältnis des
Schuldners zu den Betreibungs- und Konkursbehörden, auch wenn Art. 169 StGB
neben den Gläubigerinteressen zusätzlich die staatliche Autorität schützt
(REHBERG, Strafrecht III, 6. Aufl. 1994, S. 265; vgl. ALBRECHT, aaO,
Art. 169 N. 2). Das blosse Untätigbleiben stellt daher jedenfalls keine
eigenmächtige Verfügung im Sinne von Art. 169 Abs. 1 StGB dar. Wie es sich
bei den Tatbestandsalternativen des Beschädigens, Zerstörens, Entwertens
oder des Unbrauchbarmachens verhält, kann hier offenbleiben. Indem der
Beschwerdeführer gegen die Abholung der mit Beschlag belegten Gegenstände
durch den Vertreter der Käuferin und neuen Eigentümerin derselben nichts
unternommen hat, hat er den Tatbestand des Verstrickungsbruchs nicht
erfüllt. Der Schuldspruch der Vorinstanz verletzt somit Bundesrecht.

    c) Zum Vorsatz betreffend die Eigenmächtigkeit äusserte sich
die Vorinstanz nicht. Sie prüfte auch nicht im einzelnen, ob der
Beschwerdeführer mit dem Willen der Gläubigerbenachteiligung gehandelt,
d.h. in Kauf genommen hat, die Beschwerdegegnerin zu schädigen, indem
er nichts dagegen unternommen hat, dass die Käuferin, deren Eigentum
an den Gegenständen nicht in Frage gestellt wurde, dieselben abholte
(vgl. dazu BGE 119 IV 134 E. 2b). Dies kann hier jedoch offenbleiben,
da die Vorinstanz das tatbestandsmässige Verhalten zu Unrecht in einer
Unterlassung erblickt hat.

Erwägung 3

    3.- (Kostenfolgen).