Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 IV 29



121 IV 29

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Januar
1995 i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell
A.Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 292 StGB (Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen); Subsidiarität
gegenüber anderen Ungehorsamstatbeständen.

    Kann der Strafrichter im Verfahren wegen Ungehorsams gegen amtliche
Verfügungen eine vom Zivilrichter erlassene vorsorgliche Verfügung auf
ihre Rechtmässigkeit prüfen? (E. 2a).

    Der Ungehorsam erfüllt auch dann den Tatbestand von Art. 292 StGB,
wenn das durch die Verfügung untersagte Verhalten ohnehin schon, etwa als
Ehrverletzung oder als unlauterer Wettbewerb, strafbar ist; anders, wenn
die Missachtung der Verfügung als solche einen besonderen Straftatbestand
des eidgenössischen oder kantonalen Rechts erfüllt (Subsidiarität von
Art. 292 StGB gegenüber anderen Ungehorsamstatbeständen) (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Mit Amtsbefehl vom 8. September 1992 erliess der Präsident
des Kantonsgerichts von Appenzell A.Rh. gestützt auf Art. 224 und 231
ZPO/AR und Art. 28c ff. ZGB im Rahmen eines Zivilprozesses zwischen
einer Bank und X. wegen Persönlichkeitsverletzung für die Dauer des
hängigen Feststellungs- und Unterlassungsverfahrens eine vorsorgliche
Verfügung. Darin wurde X. unter Androhung von Haft oder Busse nach Art. 292
StGB verboten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptverfahrens die
in einer 54 Punkte umfassenden Liste aufgeführten Äusserungen über die
Bank sowie die Angestellten und die Beauftragten der Bank in irgendeiner
Form gegenüber Dritten zu machen.

    X. focht den Amtsbefehl innert der fünftägigen Rechtsmittelfrist
nicht an.

    In einem Schreiben, das er an sämtliche Mitglieder des Kantonsrates
von Appenzell Ausserrhoden versandte, bezeichnete X. insbesondere die
Angehörigen des Kaders der Bank als Bank-Gangster, Ganoven, Gauner und
kaufmännische Nullen. In einem zweiten Schreiben an A. und B. betitelte
er diese beiden Kaderleute der Bank u.a. als ausgemachte Ganoven;
von diesem Schreiben liess er dem Verhöramt von Appenzell A.Rh. eine
Orientierungskopie zukommen.

    B.- Das Kantonsgericht von Appenzell A.Rh. sprach X. am 28. Oktober
1993 des mehrfachen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung (Art. 292
StGB) schuldig. Es bestrafte ihn deswegen (und wegen einer hier nicht
interessierenden Beschimpfung) mit 10 Tagen Haft, bedingt vollziehbar
bei einer Probezeit von zwei Jahren, und mit 1'500 Franken Busse.

    Das Obergericht von Appenzell A.Rh. bestätigte auf Appellation
des Verurteilten hin die erstinstanzlichen Schuldsprüche und bestrafte
X. deswegen mit einer Busse von 1'500 Franken, bedingt vorzeitig löschbar
bei einer Probezeit von einem Jahr.

    C.- Der Gebüsste führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur
neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Bundesgericht
weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 292 StGB wird wegen Ungehorsams gegen amtliche
Verfügungen mit Haft oder mit Busse bestraft, wer der von einer zuständigen
Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung
dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet.

    a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann der Strafrichter
in einem Verfahren wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen gemäss
Art. 292 StGB die Rechtmässigkeit der Verwaltungsverfügung frei prüfen,
wenn dagegen keine Beschwerde an das Verwaltungsgericht möglich war. Die
Kognition des Strafrichters ist auf offensichtliche Rechtsverletzung
und Ermessensmissbrauch beschränkt, wenn eine Beschwerde an das
Verwaltungsgericht zwar möglich war, von dieser Möglichkeit aber nicht
Gebrauch gemacht wurde oder der Entscheid des Verwaltungsgerichts
noch aussteht. Ist die Rechtmässigkeit der Verfügung von einem
Verwaltungsgericht bejaht worden, so kann der Strafrichter sie nicht
mehr überprüfen (zum Ganzen BGE 98 IV 106; TRECHSEL, Kurzkommentar,
Art. 292 StGB N. 7 mit Hinweisen). Verfügungen mit der Androhung von
Strafen gemäss Art. 292 StGB im Falle des Ungehorsams können nicht nur im
Verwaltungsverfahren, sondern auch in andern Verfahren getroffen werden,
etwa im Rahmen eines Zivilprozesses. Das Bundesgericht hat in BGE 98 IV
106 E. 3e (S. 111) offengelassen, ob der Strafrichter in einem Verfahren
wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen im Sinne von Art. 292 StGB
eine Verfügung des Zivilrichters auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen könne,
aber immerhin darauf hingewiesen, dass die Berechtigung und Notwendigkeit
der Überprüfung von solchen richterlichen Anordnungen weniger offenkundig
sei als bei Verwaltungsverfügungen (siehe dazu auch MAX KUMMER, Die
Vollstreckung des Unterlassungsurteils durch Strafzwang, ZStrR 94/1977
[Festgabe Schultz] S. 377 ff., 389). In BGE 90 IV 206 ff. hat es geprüft,
ob der Zivilrichter im Rahmen eines Eheschutzverfahrens den Ehemann
durch eine Verfügung unter Androhung von Strafe gemäss Art. 292 StGB zum
Verlassen der ehelichen Wohnung verpflichten dürfe; das Bundesgericht hat
dies bejaht und dabei u.a. erkannt, dass Art. 186 StGB (Hausfriedensbruch)
den Erlass einer solchen Verfügung nicht hindere.

    Es kann hier offenbleiben, ob der Strafrichter in einem Verfahren
wegen Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen gemäss Art. 292 StGB die
Verfügung eines Zivilrichters auf ihre Rechtmässigkeit überprüfen kann
und welche Kognition ihm dabei gegebenenfalls zusteht, wenn die Verfügung
des Zivilrichters mit einem Rechtsmittel hätte angefochten werden können,
dies aber, wie im vorliegenden Fall, unterblieben ist. Der Beschwerdeführer
legt nicht dar, inwieweit der Amtsbefehl selber unrechtmässig sein soll,
und dies ist auch nicht ersichtlich.

    b) aa) Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre gilt Art. 292 StGB
als Auffangtatbestand, der nur subsidiär eingreift, wenn der Ungehorsam
als solcher keinen speziellen Straftatbestand des eidgenössischen oder
kantonalen Rechts erfüllt (BGE 106 IV 279 E. 2, 90 IV 206 E. 3, je mit
Hinweisen; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Bes. Teil II, § 51 N. 12;
PETER STADLER, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen [Art. 292 StGB],
Diss. ZH 1990, S. 25 ff., mit Hinweisen). Art. 292 StGB ist allerdings
nicht nur im Sinne der Konkurrenzlehre subsidiär zu den besonderen
Ungehorsamstatbeständen. Vielmehr ist die in einer Verfügung enthaltene
behördliche Androhung der Ungehorsamsstrafe gemäss Art. 292 StGB gar nicht
wirksam und daher unbeachtlich, wenn der Ungehorsam gegen diese Verfügung
bereits in einer besonderen Bestimmung des eidgenössischen oder kantonalen
Rechts mit Strafe bedroht wird, und es fällt dann schon aus diesem Grunde
eine Verurteilung gemäss Art. 292 StGB ausser Betracht.

    Der Ungehorsam gegen richterliche Amtsbefehle im Sinne der
Zivilprozessordnung des Kantons Appenzell A.Rh. wird weder durch eine
besondere Bestimmung des Bundesrechts noch durch eine spezielle Vorschrift
des kantonalen Rechts mit Strafe bedroht; im Gegenteil bestimmt Art. 232
Abs. 2 ZPO/AR, dass in den Amtsbefehlen unter anderem "die Bestrafung
wegen Ungehorsams gemäss Art. 292 StGB anzudrohen" ist. Art. 173 ff. StGB
betreffend Ehrverletzungen sind keine Bestimmungen, die den Ungehorsam
gegen eine amtliche Verfügung als solchen mit Strafe bedrohen.

    Was der Beschwerdeführer dazu im einzelnen vorbringt, ist unbegründet.

    bb) Der durch eine bestimmte Handlung Verletzte kann frei wählen,
ob er gegen den Täter zivilrechtlich oder strafrechtlich vorgehe oder
ob er beide Wege beschreite. Wählt er den Zivilweg, so kann er, soweit
dies im einschlägigen Gesetz vorgesehen ist, beim Richter beantragen,
dass dieser dem Beklagten durch vorsorgliche Massnahmen eine drohende
weitere Verletzung verbiete (siehe z.B. Art. 28c ZGB, Art. 14 UWG
[SR 241]). Der Zivilrichter wird eine entsprechende Verfügung erlassen,
wenn die gesetzlichen Voraussetzungen hiefür erfüllt sind. Fehlt es an
einer speziellen Bestimmung, welche die Missachtung dieser Verfügung mit
Strafe bedroht, so kann der Richter unter Hinweis auf Art. 292 StGB für
den Ungehorsam gegen die von ihm erlassene Verfügung die in Art. 292 StGB
vorgesehenen Strafen androhen.

    Art. 292 StGB ist mithin in dem Sinne "subsidiär", als er nur dann
zur Anwendung gelangen kann, wenn keine andere Strafbestimmung den
Ungehorsam an sich bestraft (BGE 90 IV 206). Die behördliche Androhung
von Strafe gemäss Art. 292 StGB bei Ungehorsam gegen die von der Behörde
erlassene Verfügung und eine Verurteilung nach Art. 292 StGB sind mit
anderen Worten nur dann unwirksam resp. bundesrechtswidrig, wenn die
Tathandlung der Missachtung der Verfügung schon den Tatbestand einer
andern Strafbestimmung des eidgenössischen oder kantonalen Rechts erfüllt.

    Die Subsidiarität von Art. 292 StGB bedeutet demnach nicht, dass die
behördliche Androhung von Strafe gemäss Art. 292 StGB bei Ungehorsam gegen
die von der Behörde erlassene Verfügung und eine Verurteilung nach Art. 292
StGB auch dann unwirksam resp. bundesrechtswidrig seien, wenn das durch
die Verfügung untersagte Verhalten ohnehin schon, etwa als Ehrverletzung
oder als Widerhandlung gegen das UWG, strafbar ist. Das ergibt sich schon
daraus, dass etwa der Zivilrichter in einem Zivilprozess weder prüfen
muss noch prüfen kann, ob das Verhalten, welches er durch eine Verfügung
verbietet, strafbar sei. Der Richter hat vor dem Erlass der Verfügung unter
Androhung der Ungehorsamsstrafe nach Art. 292 StGB lediglich zu prüfen,
ob die im einschlägigen Gesetz genannten Voraussetzungen für das fragliche
Verbot oder Gebot erfüllt seien und ob der Ungehorsam gegen diese Verfügung
nicht schon durch eine besondere Bestimmung des eidgenössischen oder
kantonalen Rechts (etwa des Prozessstrafrechts) mit Strafe bedroht wird.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit unbegründet, soweit der
Beschwerdeführer darin seine Verurteilung gemäss Art. 292 StGB mit dem
Argument anficht, dass der richterliche Amtsbefehl vom 8. September 1992
jedenfalls insoweit unrechtmässig sei, als ihm darin unter Androhung der
Ungehorsamsstrafe ehrverletzende Äusserungen im Sinne von Art. 173 ff. StGB
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Zivilprozesses verboten wurden.