Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 IV 202



121 IV 202

33. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. September 1995
i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Strafzumessung bei Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz
(Art. 63 StGB, Art. 19 BetmG).

    Bedeutung der Betäubungsmittelmenge und der vom Täter innerhalb einer
Organisation geleisteten Tatbeiträge bei der Strafzumessung. Gewichtung
des Geständnisses, der Kooperationsbereitschaft und der Einsicht des
Täters. Fall einer Strafe, die unter Berücksichtigung der relevanten
Umstände sowie im Vergleich mit der gegen einen Mitangeklagten verhängten
Strafe als auffallend hoch erscheint (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Das Geschwornengericht des III. Bezirks des Kantons Bern sprach
X. am 3. Juni 1994 der mehrfachen, mengenmässig qualifizierten, banden-
und gewerbsmässigen Widerhandlung gegen das BetmG (SR 812.121) schuldig,
begangen zwischen Sommer 1991 und September 1992 unter anderem durch

    - Einfuhr von mehreren Kilogramm Heroingemisch zirka im Sommer 1991
aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz und Übergabe an A.,

    - Befördern- und Einführenlassen von 1 kg Kokaingemisch für B. durch
C. und Übernahme und Weitergabe dieses Kokaingemischs an B. im Sommer 1991,

    - Anstaltentreffen zur Einfuhr von 2 kg Heroingemisch im Sommer 1992
gemeinsam mit D.,

    - Beförderung und Einfuhr von 11,95 kg Heroingemisch (Reinheitsgrad
51,8%) aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Schweiz Mitte September 1992
gemeinsam mit B. und E.

    Das Geschwornengericht sprach X. zudem der mehrfachen Widerhandlung
gegen das Kriegsmaterialgesetz, der Geldwäscherei, der mehrfachen Fälschung
von Ausweisen und des mehrfachen Fahrens ohne Führerausweis schuldig.

    Es verurteilte X. deswegen zu zwölf Jahren Zuchthaus und zu fünfzehn
Jahren Landesverweisung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass er gleich
dem Mitangeklagten B. zu einer Zuchthausstrafe von zwölf Jahren
verurteilt worden ist. Darin liege eine "Ungleichbehandlung in der
Strafzumessung". Die Vorinstanz habe ausdrücklich festgehalten, dass
er von B. häufig zur Erledigung der schmutzigen Arbeiten eingesetzt
worden sei. Sie gehe damit zu Recht davon aus, dass er innerhalb des
Drogenhändlerringes eine im Vergleich zu B. untergeordnete Position
innegehabt habe. Zudem habe er ein umfassendes Geständnis abgelegt,
welches die Vorinstanz ausdrücklich "in erheblichem Masse strafmindernd"
berücksichtigt habe. Unter diesen Umständen hätte er zu einer milderen
Strafe als B. verurteilt werden müssen, auch wenn er wegen einer grösseren
Zahl von Straftaten (auch von Betäubungsmitteldelikten) als B. verurteilt
worden sei.

    Der Beschwerdeführer macht damit sinngemäss geltend, die gegen ihn
ausgesprochene Strafe von zwölf Jahren Zuchthaus sei angesichts seiner
vergleichsweise untergeordneten Stellung innerhalb des Drogenhändlerringes
und insbesondere unter Berücksichtigung des von ihm abgelegten umfassenden
Geständnisses gerade auch in Anbetracht der gegen den Mitangeklagten B.
verhängten Strafe unvertretbar hoch.

    d) Die vorinstanzlichen Erwägungen zur Strafzumessung sind über weite
Strecken nachvollziehbar und plausibel. Es bestehen indessen in bezug
auf einzelne wesentliche Strafzumessungsfaktoren Unklarheiten.

    aa) Mit Recht hat die Vorinstanz das Geständnis des Beschwerdeführers
aus den von ihr genannten Gründen "in erheblichem Masse strafmindernd"
angerechnet. Unklar ist aber, in welchem Masse sich dieses Geständnis
tatsächlich zu Gunsten des Beschwerdeführers strafmindernd ausgewirkt hat,
welche Strafe also ohne das Geständnis ausgesprochen worden wäre. Mit Recht
hat die Vorinstanz festgehalten, dass der Beschwerdeführer "sicher nicht
der ganz grosse Drogenhändler, sondern stets ein zudienender Mitstreiter
innerhalb der jeweiligen Organisation war", "der stets bereit war,
das grösste Risiko auf sich zu nehmen". Unklar ist aber, ob und in
welchem Masse die Vorinstanz diese relativ untergeordnete Position des
Beschwerdeführers, der in bezug auf den grössten Teil der Drogenmenge,
an deren Umsatz er beteiligt war, bloss als Transporteur fungierte,
bei der Strafzumessung berücksichtigt hat.

    bb) Es besteht gerade auch unter Berücksichtigung der von der
Vorinstanz gegen den Mitangeklagten B. ausgefällten Strafe von ebenfalls
zwölf Jahren Zuchthaus Anlass zur Annahme, dass die Vorinstanz bei der
Strafzumessung die zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände
möglicherweise nicht in ausreichendem Masse berücksichtigt und/oder
der Betäubungsmittelmenge zu Lasten des Beschwerdeführers allzu grosses
Gewicht beigelegt hat.

    Die Vorinstanz geht in bezug auf den Beschwerdeführer von einer
Drogenmenge von "weit über 17 Kilogramm Heroingemisch und 1 Kilogramm
Kokaingemisch" aus. In bezug auf den Mitangeklagten B. geht sie
von einer Drogenmenge von "rund 16 Kilogramm Heroingemisch und 1
kg Kokaingemisch" aus; sie hält ausdrücklich fest, das von B. damit
geschaffene Gefährdungspotential sei "nur unwesentlich kleiner" als das
beim Beschwerdeführer festgestellte. Unter diesen Umständen ist nicht
nachvollziehbar, weshalb die Vorinstanz den Beschwerdeführer gleich dem
Mitangeklagten B. zu einer Zuchthausstrafe von zwölf Jahren verurteilte.
Denn erstens hat B. die ihm zur Last gelegten Widerhandlungen bestritten,
also im Unterschied zum Beschwerdeführer weder ein umfassendes
Geständnis abgelegt noch Einsicht und Reue gezeigt. Zweitens waren
bei B., der ebenfalls nie drogenabhängig gewesen ist, keine schwierige
Kindheit und Jugendzeit strafmindernd zu berücksichtigen. Drittens kam
B. eine im Vergleich zum Beschwerdeführer übergeordnete Stellung zu;
er hielt sich, obwohl meist massgeblicher Initiant und Organisator,
im Hintergrund und liess die gefährlichen Transporte meistens von
andern durchführen. Zwar hat der Beschwerdeführer zahlenmässig mehr
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz begangen als B.; das
ergibt sich indessen ohne weiteres aus der untergeordneten Stellung des
Beschwerdeführers als "zudienender Mitstreiter" und kann daher nicht
stark ins Gewicht fallen. Zudem war bezüglich verschiedener dieser
Widerhandlungen ein Schuldspruch vor allem dank des Geständnisses des
Beschwerdeführers möglich. Allerdings wurde der Beschwerdeführer im
Unterschied zu B. insbesondere auch noch wegen Widerhandlungen gegen
das Kriegsmaterialgesetz verurteilt; diese weiteren Straftaten, denen
vergleichsweise untergeordnete Bedeutung zukommt, wiegen aber die zu
Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände nicht auf.

    Die gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochene Strafe von zwölf
Jahren Zuchthaus ist demnach im Vergleich zu der gegen den Mitangeklagten
B. verhängten Strafe von ebenfalls zwölf Jahren Zuchthaus auffallend
hoch. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie unvertretbar hoch sei. Die
Vorinstanz hätte unter den gegebenen Umständen jedoch darlegen müssen,
weshalb sie den Beschwerdeführer gleich dem Mitangeklagten B. zu einer
Zuchthausstrafe von zwölf Jahren verurteilte, obschon einerseits die
Betäubungsmitteldelikte der beiden Angeklagten insgesamt ungefähr die
gleiche Drogenmenge betreffen, andererseits aber verschiedene strafmindernd
zu berücksichtigende Faktoren einzig beim Beschwerdeführer gegeben sind.

    cc) Die gegenüber dem Beschwerdeführer ausgefällte Strafe von zwölf
Jahren Zuchthaus ist aber auch ohne Berücksichtigung der Strafe, zu
welcher der Mitangeklagte B. verurteilt worden ist, auffallend hoch.

    Das Geständnis des Beschwerdeführers ist aus den im angefochtenen
Urteil genannten Gründen, nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz
"in erheblichem Masse strafmindernd" zu berücksichtigen.

    Wird angenommen, dass wegen des kooperativen Verhaltens des
Beschwerdeführers bei der Aufklärung der Straftaten sowie dessen
Einsicht und Reue eine Strafreduktion im Bereich von einem Fünftel
bis zu einem Drittel als angemessen erscheint, dann wäre ohne
das Geständnis eine Zuchthausstrafe im Bereich von fünfzehn bis zu
achtzehn Jahren ausgesprochen worden. Eine Strafe in diesem Bereich
ist aber bei der möglichen Höchststrafe von zwanzig Jahren Zuchthaus
auch bei einer Drogenmenge von insgesamt rund 17 kg Heroingemisch und
1 kg Kokaingemisch unvertretbar hoch, wenn berücksichtigt wird, dass
der grösste Teil dieser Betäubungsmittelmenge auf zwei Transaktionen
entfällt, an denen der Beschwerdeführer lediglich als Transporteur
mitwirkte. Die Betäubungsmittelmenge ist zwar, wie sich schon aus
Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG ergibt, ein wichtiger Strafzumessungsfaktor,
aber keineswegs von vorrangiger Bedeutung (siehe BGE 118 IV 342 E. 2c
S. 348). Massgebend ist das Verschulden, und dieses hängt wesentlich
auch davon ab, in welcher Funktion der Täter am Betäubungsmittelhandel
mitwirkte. Wohl ist das Befördern von Betäubungsmitteln nach Art. 19 BetmG
wie der Verkauf und der Erwerb von Betäubungsmitteln ein selbständiger
Straftatbestand. Dennoch trifft den Transporteur einer bestimmten
Betäubungsmittelmenge grundsätzlich ein geringeres Verschulden als
denjenigen, der diese Betäubungsmittelmenge verkauft oder zum Zwecke der
Weiterveräusserung erwirbt. Zudem verliert die Betäubungsmittelmenge als
Strafzumessungskriterium an Bedeutung, wenn, wie im vorliegenden Fall,
mehrere Qualifikationsgründe gemäss Art. 19 Ziff. 2 BetmG gegeben sind,
und wird die Betäubungsmittelmenge umso weniger wichtig, je deutlicher
der Grenzwert im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG überschritten ist
(siehe BGE 121 IV 196 E. 2b/aa).

    Wird dagegen angenommen, dass ohne das Geständnis des Beschwerdeführers
eine noch vertretbare Zuchthausstrafe von jedenfalls unter fünfzehn
Jahren ausgesprochen worden wäre, dann hätte die Vorinstanz mit der
Ausfällung einer Zuchthausstrafe von zwölf Jahren dem Geständnis nicht
ausreichend Rechnung getragen. Denn dieses Geständnis ist, um es noch
einmal festzuhalten, ein besonderes. Der Beschwerdeführer hat gemäss
den Ausführungen im angefochtenen Entscheid die Straftaten von sich aus
gestanden, ohne grösseren Vorhalten ausgesetzt gewesen zu sein. Er hat
Straftaten offengelegt, die ihm und anderen Delinquenten nicht hätten
nachgewiesen werden können. Er ist trotz massiven Drohungen gegen sich
und seine Familie bei seinen Aussagen geblieben. Er hat deutlich Einsicht
und Reue gezeigt und den Eindruck eines Menschen gemacht, der eine klare
Kehrtwende vollzogen hat.

    dd) Auch wenn somit einiges dafür spricht, dass die von der
Vorinstanz ausgefällte Strafe von zwölf Jahren Zuchthaus unter der
gebotenen Gewichtung aller relevanten Umstände unvertretbar hoch ist,
wird die Sache insoweit in teilweiser Gutheissung der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Ausfällung einer bestimmten, milderen
Strafe, sondern lediglich zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die
Vorinstanz bei der Bemessung der Strafe, insbesondere etwa auch bei
der Bewertung des Geständnisses und der Stellung des Beschwerdeführers
innerhalb des Drogenhändlerringes, Umstände berücksichtigt hat, welche in
der Urteilsbegründung nicht deutlich genug zum Ausdruck kommen und bei
deren zulässiger Berücksichtigung eine Zuchthausstrafe von zwölf Jahren
noch vertretbar sein könnte.