Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 IV 162



121 IV 162

28. Urteil des Kassationshofes vom 28. April 1995 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Basel-Landschaft gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 und Art. 184 Abs. 2 StGB; Geiselnahme,
Abgrenzung zur Lösegeldentführung, Sich-sonstwie-Bemächtigen,
Nötigungsabsicht.

    Dritter im Sinne des Tatbestands der Geiselnahme kann jede mit
dem Täter und der Geisel nicht identische Person sein, einschliesslich
Angehörige der Geisel (E. 1c; Bestätigung der Rechtsprechung).

    Der objektive Tatbestand der Geiselnahme ist gegeben, wenn sich der
Täter die Verfügungsgewalt über den Körper der Geisel verschafft hat. Dazu
genügt die Bedrohung mit einer Scheinwaffe (E. 1d).

    Für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands der Geiselnahme genügt
- nebst dem Vorsatz - die Absicht, einen Dritten zu einem Verhalten zu
nötigen. Der Täter braucht weder seine Forderung kundgetan noch Drohungen
in bezug auf das Schicksal der Geisel geäussert zu haben (E. 1e).

    Art. 66bis Abs. 1 StGB; Strafbefreiung oder Strafmilderung bei
Vorsatztaten.

    Eine Strafbefreiung oder Strafmilderung wegen schwerer Betroffenheit
durch die unmittelbaren Folgen der Tat kommt auch bei Vorsatzdelikten
in Betracht (E. 2e). Ermessensüberschreitung verneint bei einer
Strafminderung um 3 Monate im Fall eines Geiselnehmers, der bei der
Befreiung der Geisel schwer verletzt worden ist (E. 2f u. g).

Sachverhalt

    A.- Der in der Nordwestschweiz in sehr guten finanziellen Verhältnissen
aufgewachsene X. wurde im Jahre 1987 wegen einfachen und qualifizierten
Raubes (Banküberfälle) zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Dezember 1990
wurde er bedingt aus dem Strafvollzug entlassen. In der Folge gewährte
er dem E. M. ein Darlehen im Betrag von Fr. 500'000.--. Das Geschäft
wurde mehrheitlich über einen gewissen F. abgewickelt, der bis heute
unauffindbar geblieben ist. Nach dem Tod von E. M. geriet X. in Panik,
da er den das Darlehen betreffenden Schuldschein ohne Anfertigung einer
Kopie und ohne Quittung dem F. zur Erledigung der erbrechtlichen Fragen
mit dem Sohn von E. M., P. M., übergeben und von diesen dann nichts mehr
gehört hatte. X. entschloss sich, über P. M. an das ihm zustehende Geld
heranzukommen. Nach seinem Tatplan wollte er als St. Nikolaus verkleidet
und unkenntlich gemacht bei P. M. vorsprechen und ihm "Dampf machen". Da
er P. M. als sehr vermögend einstufte, glaubte er, er könne diesen zur
Zahlung der Fr. 500'000.-- veranlassen.

    Zur Ausführung der Tat beschaffte sich X. ein komplettes
St. Nikolaus-Kostüm. In einen als Sack verwendeten Duvet-Anzug legte er
eine entschärfte amerikanische Handgranate aus dem zweiten Weltkrieg,
ein abgesägtes Kleinkalibergewehr, Kal. 22 Magnum, mit 4 Patronen
im eingelegten Magazin, eine Schachtel Schokolade, einen Regenmantel
und eine schwarze Reisetasche. Ausserdem versorgte er sich mit einem
von entsprechenden schiesstauglichen Revolvermodellen äusserlich nicht
unterscheidbaren Schreckschussrevolver, welchen er, um den Eindruck der
Schussbereitschaft zu erwecken, mit 6 Knallpatronen lud. Handschuhe und
eine Sonnenbrille sowie eine Tränengas-Spraydose vervollständigten die
Ausrüstung.

    Am 24. Dezember 1992 begab sich X. mit den genannten Gegenständen in
seinem Personenwagen zu einem Parkhaus in Y./BL, wo er sein Auto abstellte
und ca. 1/4 Liter Gin zu sich nahm, um sich zu beruhigen und sich Mut
zu machen. Anschliessend zog er das St. Nikolaus-Kostüm samt weissem
Bart sowie die Handschuhe an und behändigte die weiteren vorbereiteten
Gegenstände. Beim Verlassen des Parkhauses auf ihn aufmerksam gewordenen
Passanten winkte er jeweils wortlos zu. Anschliessend begab er sich so
verkleidet und maskiert zur Villa der Familie P. und D. M. Dort klingelte
er, nachdem er sich noch die Sonnenbrille aufgesetzt hatte, um ca. 08.55
Uhr an der Eingangstüre, worauf ihm Frau M., die ihr 3 Monate altes
Kind auf den Armen trug, öffnete. Um seine Urheberschaft noch weiter
zu vertuschen, fragte X. Frau M. in gebrochenem Deutsch, wie es ihr
gehe. Nachdem Frau M. erfolglos versucht hatte, X., der ihr verdächtig
vorkam, abzuwimmeln, zog dieser den mitgeführten Schreckschussrevolver
hervor, zielte damit auf Frau M. und ihr Kleinkind und drängte sie
sowie das zweite, fünfjährige Kind der Familie, L., welches ebenfalls
an die Türe gekommen war, in das Haus hinein. Frau M., die wegen der
sichtlich verängstigten Kinder äusserlich die Ruhe zu bewahren versuchte,
bot X. angesichts der für sie massiven Bedrohung im Empfangsraum einen
Briefumschlag mit Fr. 910.-- Bargeld an. X. nahm diesen an sich und
steckte ihn in den Sack, wobei er Frau M. wiederum in gebrochenem Deutsch
erklärte, dass dies "nicht gut" sei. X. verlangte nach dem Ehemann. Als
Frau M. den X. wiederum abzuwimmeln versuchte, drängte er sie, immer unter
Waffendrohung, weiter und befahl ihr, ihn zu ihrem Mann zu bringen. In
der Folge führte Frau M. den X. zunächst in das Büro und anschliessend
in das Schlafzimmer. In der Zwischenzeit war es Herr M., der auf das
Geschehen rechtzeitig aufmerksam geworden war, gelungen, das Haus - noch
im Nachthemd - unbemerkt zu verlassen und bei einem Nachbarn die Polizei
zu verständigen. Als Herr M. auch im Schlafzimmer nicht vorgefunden werden
konnte, bedrohte X. Frau M. erneut massiv, indem er laut rief: "Noch drei
Minuten und du bist tot!". Da sich weiterhin nichts regte, dirigierte X.
Frau M. und ihre Tochter fast durch das ganze Haus. Als X. feststellen
musste, dass sich Herr M. offenbar tatsächlich nicht im Haus aufhielt,
befahl er Frau M., ihre Autoschlüssel an sich zu nehmen und mit ihm zur
Garage zu gehen. Zu diesem Zweck mussten alle das Haus durch die Haupttüre
verlassen, um über die Aussenstreppe zur Garage zu gelangen.

    Auf dem Vorplatz der Liegenschaft befand sich zusammen mit Herr
M. dessen Nachbar H., der seinen Lieferwagen dort abgestellt hatte. Als
die fünfjährige L. ihren Vater erblickte, rannte sie, von X. ungehindert,
zu ihm. X. seinerseits zwang Frau M., auf den parkierten Lieferwagen
zuzugehen. Dort forderte H. den X. auf, sich zu demaskieren. X. bedrohte
darauf auch H. mit dem Revolver und verlangte von ihm die Schlüssel des
Lieferwagens. Dieser Aufforderung kam H. jedoch nicht nach, weshalb
X. Frau M. zwang, sich mit ihm zur Garage zu begeben. Als in diesem
Augenblick H. die hintere Türe seines Lieferwagens zuschlug, nahm
der dadurch verunsicherte X. Frau M. mit dem linken Arm von hinten in
den Würgegriff und bedrohte sie massiv mit dem Revolver, indem er ihr
diesen gegen den Kopf hielt. Nachdem X. den Griff wieder gelockert hatte,
versuchte Frau M., mit ihrem Baby die Flucht zu ergreifen, was aber nicht
gelang, da X. sie sogleich einholen und zurückreissen konnte. Immerhin
konnte H. der Frau M. das Kleinkind aus den Armen nehmen und es so
in Sicherheit bringen. Anschliessend zwang X. Frau M. erneut mittels
Würgegriff und massiver Waffendrohung, sich mit ihm in Richtung Garage
zu begeben, die sie dann auch betraten. Während Frau M. auf Verlangen
von X. das elektrische Garagentor öffnete, traf auch die herbeigerufene
Polizei am Tatort ein. Als die Beamten sich mit gezogener Dienstwaffe der
Garage näherten, bedrohte X. auch sie mit seinem Revolver. Auch für die
Polizeibeamten war nicht erkennbar, dass es sich dabei lediglich um einen
Schreckschussrevolver handelte. Da X. Frau M. wieder in den Würgegriff
nahm und mit ihrer Erschiessung drohte, falls sich nicht alle entfernten,
zogen sich die Beamten zurück. Als ein weiterer Polizeibeamter X. zur
Aufgabe aufforderte, hielt dieser Frau M. demonstrativ die Waffe gegen
den Hals und zog sein Opfer in die Garage hinein, wo sich Frau M. an das
Steuer ihres Personenwagens setzen musste. X. seinerseits nahm auf dem
Beifahrersitz Platz, wobei er seinen Revolver weiterhin gegen den Körper
von Frau M. richtete.

    X. zwang Frau M. sodann wegzufahren, wobei die Polizei noch nicht
eingriff, sondern dem Fluchtwagen in angemessener Distanz folgte. Dabei
hielt X. der Frau M. erneut demonstrativ den Revolver gegen den Kopf,
um die Polizeibeamten mit dieser Todesdrohung von einem Eingreifen
abzuhalten. In der Folge zwang X. Frau M., Richtung Basel zu fahren,
wobei er ihr - nach wie vor in gebrochenem Deutsch - mit dem Tod drohte,
falls sie die hinter ihnen fahrenden Polizeifahrzeuge nicht abhängen
sollte. Nachdem X. durch sichtbare Todesdrohung gegenüber Frau M. die
Aufhebung einer Strassenblockade durch die Polizei erzwungen hatte, nahm
Frau M. mittels Autotelefon Kontakt mit dem Polizeiposten Y. auf und teilte
die Forderung von X. mit, dass die Polizei zu verschwinden habe. Darauf
wurden alle angeschriebenen Polizeifahrzeuge abgezogen. Jedoch folgten
Polizeibeamte in Zivil und mit Zivilfahrzeugen weiterhin dem Personenwagen
von Frau M.

    Auf dem Z.-Areal musste Frau M. nach rechts in die G.-Strasse
einbiegen, wo aber bereits von der Basler Polizei mit einem quergestellten
Polizeifahrzeug eine Strassensperre errichtet worden war, die nicht mehr
rechtzeitig entfernt werden konnte. Dadurch wurden X. und Frau M. an der
Weiterfahrt gehindert.

    In der Folge umringten zahlreiche Polizeibeamte aus den Kantonen
Basel-Stadt und Basel-Landschaft mit vorgehaltenen Waffen unverzüglich das
Fahrzeug und forderten X. zur Aufgabe auf. Als dieser keine entsprechende
Reaktion zeigte und die Türen wegen der automatischen Türverriegelung
nicht geöffnet werden konnten, wurden zum Zwecke der Geiselbefreiung und
Anhaltung von X. die Seitenfenster des Fluchtfahrzeuges eingeschlagen. Da
im Verlaufe des nachfolgenden Handgemenges X. den Eindruck erweckte,
er wolle von seiner Schusswaffe Gebrauch machen, gab ein Polizeibeamter
einen ersten gezielten Schuss auf X. ab. Da vermutlich dabei ein anderer
Polizeibeamter, der den X. ergriffen hatte, am Arm getroffen wurde und für
andere Polizeibeamte dadurch und durch die sekundenschnelle Abfolge der
Ereignisse der Eindruck entstand, X. habe mit seiner Waffe auf den ihn
ergreifenden Polizeibeamten geschossen und diesen auch getroffen, gaben
zwei weitere Polizeibeamte mehrere gezielte Schüsse auf X. ab, welcher
dadurch so schwer verletzt wurde, dass er ohne weitere Gegenwehr dingfest
gemacht werden konnte. Frau M. konnte im Verlaufe der Befreiungsaktion
unverletzt in Sicherheit gebracht werden.

    B.- Am 3. Dezember 1993 befand das Strafgericht Basel-Landschaft
X. schuldig der mehrfachen qualifizierten Geiselnahme, der mehrfachen
vollendeten und versuchten Nötigung sowie der Drohung gegen Beamte und
verurteilte ihn zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus. Von der Anklage des vollendeten
und versuchten Raubes sprach es ihn frei. Bei der Strafzumessung
berücksichtigte es gestützt auf Art. 11 StGB eine leichte Verminderung
der Zurechnungsfähigkeit. Zudem wandte es Art. 66bis StGB an, ohne
allerdings zu beziffern, in welchem Ausmass es die Strafe milderte. Es
ordnete eine ambulante Psychotherapie während des Strafvollzuges an.

    C.- Dagegen appellierten sowohl der Staatsanwalt als auch X. Am
22. November 1994 wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft
die Appellation des Staatsanwaltes ab und jene von X. teilweise gut. Es
erklärte X. schuldig der qualifizierten Geiselnahme, der vollendeten und
versuchten Nötigung sowie der Drohung gegen Beamte und verurteilte ihn
zu 3 1/2 Jahren Zuchthaus. Vom Vorwurf des vollendeten und versuchten
Raubes sowie vom Vorwurf der mehrfachen qualifizierten Geiselnahme und
vom Vorwurf der mehrfachen vollendeten Nötigung sprach es ihn frei. Im
übrigen bestätigte es das Urteil des Strafgerichtes.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft erhebt
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichtes aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Sie macht geltend, das Obergericht habe zu Unrecht in der
ersten Phase des Geschehens den Tatbestand der qualifizierten Geiselnahme
verneint; überdies verletze die Anwendung von Art. 66bis StGB Bundesrecht.

    E.- Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. X. beantragt
Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Vorinstanz unterteilte das Geschehen in zwei Phasen. In
bezug auf die Phase 1, in der der Beschwerdegegner die Villa betrat, Frau
M. mit dem Schreckschussrevolver bedrohte und nach Herrn M. verlangte,
nahm sie abweichend vom Strafgericht, das auf qualifizierte Geiselnahme
(Art. 185 Ziff. 2 StGB) erkannt hatte, eine Nötigung gemäss Art. 181
StGB zum Nachteil von Frau M. an.

    aa) Das Strafgericht hatte dazu erwogen, der Beschwerdegegner
habe, nachdem die Suche nach Herrn M. ergebnislos verlaufen sei,
Frau M. zugerufen: "Noch drei Minuten und du bist tot". Damit habe der
Beschwerdegegner, der ständig eine Waffe in der Hand gehalten habe, Herrn
M. dazu bewegen wollen, aus seinem Versteck zu kommen. Er habe sich also
der Frau M. bemächtigt, um einen Dritten zu einer Handlung (nämlich Herrn
M. zum Erscheinen) zu nötigen. Zusätzlich erblickte das Strafgericht darin,
dass der Beschwerdegegner Frau M. unter Androhung ernstlicher Nachteile
genötigt habe, ihn durch das Haus zu führen und ihren Mann zu suchen,
eine Nötigung zum Nachteil von Frau M. Die Verteidigung wandte dagegen
ein, der Tatbestand der qualifizierten Geiselnahme sei nicht erfüllt,
da Herr M. im Zeitpunkt der Tathandlung bereits ausser Haus gewesen sei.

    bb) Die Vorinstanz führt aus, bis zum Moment, als der Beschwerdegegner
nach der ergebnislosen Suche nach Herrn M. gerufen habe, "noch drei
Minuten und du bist tot", sei keinerlei Drittnötigungsabsicht vorhanden
gewesen, so dass bis zu jenem Ausruf eine Geiselnahme von vornherein ausser
Betracht falle. Der Beschwerdegegner habe von der an der Haustüre statt
des erwarteten Herrn M. erschienen Frau M. verlangt, ihren Ehemann zu
sprechen. Das Kleinkind auf dem Arm von Frau M. wolle der Beschwerdegegner
wegen der Sonnenbrille und des Barts nicht gesehen haben. Dieses Detail
sei unwesentlich. Frau M. habe angegeben, sie sei, um Zeit zu gewinnen,
zuerst ins Zimmer gegangen, wo der Weihnachtsbaum gestanden sei, dann ins
Atelier, damit der Beschwerdegegner sehe, dass ihr Ehemann Künstler sei,
und schliesslich ins Schlafzimmer. Dort habe sich Herr M. aber längst
nicht mehr befunden. Frau M. sei in dieser Phase mit vorgehaltenem
Schreckschussrevolver, der wie ein echter ausgesehen habe, genötigt worden,
ihren Mann zu suchen. Damit habe der Beschwerdegegner den Tatbestand der
Nötigung zum Nachteil von Frau M. erfüllt. Demgegenüber sei der Tatbestand
der Freiheitsberaubung gemäss Art. 183 StGB nicht gegeben. Denn Frau
M. sei lediglich genötigt worden, ihren Ehemann zu suchen. Zu diesem
Zweck habe sie sich durchs Haus begeben. Sie sei dabei nicht festgehalten
worden. Ihre Bewegungsfreiheit sei nicht vollumfänglich aufgehoben worden,
wie das für die Annahme einer Freiheitsberaubung nötig sei. Sie habe die
Route durch das Haus selbst gewählt. Eine über die Nötigung hinausgehende
Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit habe nicht bestanden. Zu Recht
verlange deshalb die Anklage keine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung.

    Nach einem Teil der Lehre falle hier eine Geiselnahme von vornherein
ausser Betracht. Diese Lehrmeinung erblicke das besondere Unrecht
der Geiselnahme darin, dass die Opfer Unbeteiligte seien, die mit den
Personen oder Institutionen, von denen ihr Schicksal abhängen soll, wenig
oder nichts zu tun hätten. Danach sei Dritter im Sinne von Art. 185 StGB
nur jemand, der als beliebig herausgegriffen erscheine. Folge man dieser
Auffassung, sei eine Geiselnahme zu verneinen, da das Opfer (Frau M.) mit
dem Dritten (Herrn M.), der nach dem Willen des Beschwerdegegners zum
Erscheinen genötigt werden sollte, verheiratet war. Nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes komme jedoch auch in einer solchen Konstellation
Geiselnahme in Betracht.

    In der Phase 1 habe der Beschwerdegegner Frau M. weder der Freiheit
beraubt noch sie entführt. Zu prüfen sei, ob er eine Geiselnahme durch
die Tatbestandsalternative des Sich-sonstwie-Bemächtigens erfüllt habe,
indem er Frau M. mit vorgehaltenem Schreckschussrevolver zugerufen habe:
"Noch drei Minuten und du bist tot". Da der Revolver wie ein echter
ausgesehen habe, könnte man annehmen, der Beschwerdegegner habe im Sinne
dieser Auffangklausel sich der Frau M. bemächtigt. Allerdings habe diese
Form des Sichbemächtigens schon vorher bestanden, weshalb darin auch nur
eine Fortsetzung der zuvor begonnenen Nötigung erblickt werden könnte. Wie
es sich damit verhalte, könne jedoch offenbleiben, da der Tatbestand aus
einem andern Grund entfalle.

    Der Beschwerdegegner habe den fraglichen Satz erst ausgerufen,
als Herr M. nirgends auffindbar gewesen sei. Er habe den Satz an
Frau M. gerichtet (".... und du bist tot"). Der Beschwerdegegner
gebe zu, er habe damit erreichen wollen, dass Herr M. vielleicht doch
noch erscheine. Nach der Lehre müsse die Drohung (hier: das Opfer zu
töten) dem Dritten gegenüber, der genötigt werden soll, ausgesprochen
werden. Denn aus diesem zusätzlichen Druck auf die Entscheidungsfreiheit
des Dritten, aus dessen ausserordentlicher Zwangslage, erkläre sich die
Strafschärfung. Herr M. sei jedoch gleich zu Beginn des Geschehens im
Nachthemd durch das Schlafzimmerfenster geflüchtet und zum Zeitpunkt der
Todesdrohung nicht mehr im Haus und ausser Hörweite gewesen. Die Drohung
sei somit nicht ihm gegenüber geäussert worden. Herr M. sei nicht in eine
Zwangslage versetzt worden. Damit fehle es an der Tatbestandsmässigkeit.
Schliesslich spreche auch eine Gesamtbetrachtung des Geschehens gegen
die Annahme einer qualifizierten Geiselnahme. Frau M. habe ausgesagt, sie
habe im Schlafzimmer - also dort, wo die Geiselnahme in Betracht komme -
das Kleinkind, welches zu weinen begonnen habe, an die Brust genommen
und gestillt. Das sei eine für eine Geiselnahme atypische Situation. Vor
allem aber sei das Sichbemächtigen zweifelhaft, und es fehle an der
Voraussetzung, dass der Täter die Drohung, das Opfer zu töten, gegenüber
einem Dritten geäussert habe.

    b) Gemäss Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird mit Zuchthaus bestraft,
wer jemanden der Freiheit beraubt, entführt oder sich seiner sonstwie
bemächtigt, um einen Dritten zu einer Handlung, Unterlassung oder
Duldung zu nötigen. Die Strafe ist Zuchthaus nicht unter drei Jahren,
wenn der Täter droht, das Opfer zu töten, körperlich schwer zu verletzen
oder grausam zu behandeln (Art. 185 Ziff. 2 StGB). In besonders schweren
Fällen, namentlich wenn die Tat viele Menschen betrifft, kann der Täter
mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden (Art. 185 Ziff. 3 StGB).

    c) Umstritten ist, wie der Tatbestand der Geiselnahme nach Art. 185
StGB abzugrenzen sei von Art. 184 Abs. 2 StGB, wonach Freiheitsberaubung
und Entführung mit Zuchthaus bestraft werden, wenn der Täter ein Lösegeld
zu erlangen sucht.

    aa) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist Dritter im Sinne
von Art. 185 Ziff. 1 Abs. 1 StGB jede mit dem Täter und der Geisel nicht
identische Person, einschliesslich Angehörige der Geisel, und es ist als
Geiselnehmer auch der Täter strafbar, der sich der Geisel in der Absicht
bemächtigt, einen Dritten zur Leistung eines Lösegeldes zu nötigen (BGE
111 IV 144 E. 2d).

    Diese Auffassung wird in der Literatur überwiegend geteilt
(REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6. Aufl., S. 352; SCHUBARTH, Kommentar
zum schweizerischen Strafrecht, 3. Band, Art. 185 N. 7; SCHULTZ, ZStrR
101/1984, S. 130; SCHULTZ, ZBJV 123/1987, S. 45/6; NOLL, Schweizerisches
Strafrecht, Besonderer Teil I, S. 81; HANS-PETER EGLI, Freiheitsberaubung,
Entführung und Geiselnahme, Diss. Zürich 1986, S. 160; ANDREAS KOCH,
Zur Abgrenzung von Raub, Erpressung und Geiselnahme, Diss. Zürich 1994,
S. 118 ff.).

    Ein Teil der Lehre lehnt die vom Bundesgericht vertretene Auffassung
hingegen ab. Das besondere Unrecht der Geiselnahme bestehe darin, dass
die Opfer Unbeteiligte seien, die mit den Personen oder Institutionen,
von denen ihr Schicksal abhängen soll, wenig oder nichts zu tun hätten. Es
gehe nicht um die Ausnützung der familiären oder persönlichen Verbundenheit
zwischen den Betroffenen. Als Dritten dürfe man deshalb nur solche Personen
ansehen, die als beliebig herausgegriffenes Opfer erscheinen (STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl., § 5 N. 54;
STRATENWERTH, Zur Abgrenzung von Lösegeldentführung und Geiselnahme,
ZStrR 103/1986, S. 312 ff.; vgl. auch TRECHSEL, Schweizerisches
Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Art. 185 N. 1). Würde man - in Änderung
der Rechtsprechung - dieser Auffassung folgen, wäre die Beschwerde in
diesem Punkt schon deshalb unbegründet, weil Herr M. offensichtlich kein
beliebig herausgegriffenes Opfer im Sinne dieser Lehrmeinung war.

    STRATENWERTH beruft sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte
des Tatbestandes der Geiselnahme. Dieser sei geschaffen worden, um eine
qualitativ neue Form der Kriminalität zu treffen. Demgegenüber sei der
Tatbestand der Entführung zum Zwecke der Erpressung eines Lösegeldes
bereits dem früheren Recht bekannt gewesen, allerdings mit der sachwidrigen
Beschränkung auf die Entführung eines Kindes unter 16 Jahren. Zweck der
Revision sei es gewesen, diesen Entführungstatbestand auszuweiten auf
jeden Menschenraub zum Zwecke der Erlangung von Lösegeld, ohne an der
Natur des Deliktstatbestandes prinzipielle Änderungen vorzunehmen. Mit
der Schaffung des Tatbestandes der Geiselnahme sei also nicht bezweckt
worden, die klassische Lösegeldentführung anders einzustufen als
früher. Bei der Geiselnahme gehe es darum, dass völlig "Unschuldige",
Menschen, die mit dem in Frage stehenden Konflikt nichts zu tun gehabt
hätten, als Geiseln genommen würden, um die Durchsetzung irgendwelcher
Forderungen zu erzwingen. Entsprechend sei der Begriff der Geisel im
Kriegsvölkerrecht gebräuchlich gewesen. Im übrigen finde sich schon
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch im Begriff der Geisel das Moment,
dass der Zufall entscheide, wer der Betroffene sei. STRATENWERTH beruft
sich auch auf die systematische Interpretation, weil nach der anderen
Auffassung die Lösegeldentführung praktisch nur noch in Betracht käme im
Falle der Entführung eines erwachsenen Mannes, der noch entscheiden könne,
ob Lösegeld gezahlt werde. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb es ein
wesentlicher Unterschied sein solle, ob der Besitzer eines grösseren
Vermögens selbst oder einer seiner Angehörigen entführt werde (ZStrR
103/1986, S. 313 ff.).

    bb) An der bisherigen Rechtsprechung ist mit der herrschenden Lehre
trotz diesen Einwänden festzuhalten. Auch wenn die Expertenkommission
von einem engeren Begriff der Geiselnahme ausgegangen sein sollte, hat
dies im Gesetzestext keinen Ausdruck gefunden. Entscheidend ist vor allem
die folgende Überlegung: Aufgrund des engeren Begriffs der Geiselnahme
wäre die Bedrohung mit dem Tode im Rahmen einer Lösegeldentführung
nach Art. 184 StGB nicht qualifiziert. Wird also das Kind eines reichen
Industriellen entführt und wird es mit dem Tode bedroht, um der Forderung
Nachachtung zu verschaffen, könnte die Qualifikation gemäss Art. 185
Ziff. 2 StGB nicht zur Anwendung gelangen. Ebenso käme bei der engeren
Auslegung die Qualifikation nach Art. 185 Ziff. 3 StGB nicht in Frage,
wenn beispielsweise alle zahlreichen Kinder des Industriellen entführt
werden. Lehnt man eine Geiselnahme hier ab, bleibt es auch in diesem Fall
bei einer Lösegeldentführung.

    Zu beachten ist auch folgender Gesichtspunkt: Die Lösegeldentführung
nach Art. 184 StGB ist qualifizierter Tatbestand von Freiheitsberaubung und
Entführung; sie setzt also voraus, dass entweder eine Freiheitsberaubung
oder eine Entführung im Sinne von Art. 183 StGB gegeben ist. Demgegenüber
findet sich im Tatbestand der Geiselnahme eine Auffangklausel, die über
Freiheitsberaubung und Entführung hinausgeht: die Tatbestandsvariante
des Sich-sonstwie-Bemächtigens. Ist also die Freiheitsbeeinträchtigung
nur in der Form dieser letzten Variante gegeben, käme, folgt man der
engeren Auslegung der Geiselnahme, nicht einmal eine Lösegeldentführung
in Betracht. Eine ähnliche Lücke besteht, wenn der Täter nicht Lösegeld
zu erlangen, sondern dem Dritten ein anderes Verhalten abzunötigen
sucht. Wird etwa der Sohn eines Gefängnisdirektors entführt, damit der
Gefängnisdirektor einen Gefangenen freilasse, käme, folgt man der engeren
Auslegung der Geiselnahme, weder die Anwendung von Art. 185 noch von
Art. 184 Abs. 2 StGB in Betracht.

    d) Der objektive Tatbestand der Geiselnahme ist erfüllt, wenn
sich der Täter durch Freiheitsberaubung, Entführung oder sonstwie des
Opfers bemächtigt. Die Vorinstanz hat nicht abschliessend geprüft, ob
diese letztere Voraussetzung hier gegeben ist. Nach der Rechtsprechung
ist der Tatbestand in der Form des Sichbemächtigens erfüllt, wenn der
Täter das Opfer vorübergehend derart mit einer Pistole bedroht hat,
dass dieses bewegungslos stehen bleibt, nicht in das Geschehen eingreift
und auch keinen Fluchtversuch unternimmt (BGE 113 IV 63 E. 2b). Der
Tatbestandsalternative des Sichbemächtigens kommt Auffangfunktion zu,
indem sie klarstellen soll, dass jedes Vorgehen, welches dem Täter die
Verfügungsmacht über das Opfer verschafft, den Tatbestand erfüllt, ob er
nun das Opfer eigentlich entführt oder auch nur festhält, wo es sich gerade
befindet (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches
vom 10. Dezember 1979, BBl 1980 I S. 1261; SCHUBARTH, aaO, Art. 185 N. 2;
SCHULTZ, ZStrR 101/1984, S. 125). Der Tatbestand ist erfüllt, wenn sich der
Täter die Verfügungsgewalt über den Körper der Geisel verschafft hat (vgl.
RUDOLF RENGIER, Goltdammer's Archiv für Strafrecht 1985, S. 316). Dazu
genügt die Bedrohung mit einer Scheinwaffe (RENGIER, aaO, S. 320).

    Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Bedenken der Vorinstanz,
im Verhalten des Beschwerdegegners könne auch nur eine Fortsetzung
der zuvor begonnenen Nötigung zum Nachteil von Frau M. erblickt
werden, überzeugen nicht. Denn im fraglichen Zeitpunkt ging es dem
Beschwerdegegner nicht mehr darum, Frau M. zu zwingen, ihren Mann zu suchen
oder herbeizuholen. Nachdem sich dies als erfolglos herausgestellt hatte,
bemächtigte sich der Beschwerdegegner vielmehr der Frau M., um auf diese
Art ihren Mann zu zwingen, sich zu zeigen. Da Frau M. annahm, es handle
sich um einen echten Revolver, hatte sie praktisch keine Möglichkeit,
sich wegzubegeben. Dies genügt für ein Sichbemächtigen im Sinne von
Art. 185 StGB.

    e) In subjektiver Hinsicht ist für die Erfüllung des Tatbestands
der Geiselnahme - nebst dem Vorsatz - die Absicht erforderlich, einen
Dritten zu einem Verhalten zu nötigen. Insoweit genügt die Absicht. Die
Tat ist bereits damit vollendet, dass der in Nötigungsabsicht handelnde
Täter die Verfügungsgewalt über die Geisel erlangt. Er braucht also weder
seine Forderung kundgetan noch Drohungen in bezug auf das Schicksal der
Geisel geäussert zu haben (REHBERG/SCHMID, aaO, S. 352). Der Täter kann die
Drittnötigungsabsicht bereits im Zeitpunkt des Sichbemächtigens haben. Dann
ist der Tatbestand schon mit dem Sichbemächtigen vollendet. Die Absicht
kann aber auch erst später hinzukommen. Diesfalls ist der Tatbestand
vollendet, sobald die Absicht manifest wird.

    Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdegegner den Satz "noch
drei Minuten und du bist tot" ausgesprochen hat, um damit zu erreichen,
dass Herr M. vielleicht doch noch erscheine. Damit ist klargestellt, dass
er zu diesem Zeitpunkt Frau M. mit dem Revolver bedrohte, um Herrn M. zum
Erscheinen zu veranlassen. Das genügt nach dem Gesagten für die Erfüllung
des Tatbestandes. Entgegen der Vorinstanz ist es nicht erforderlich, dass
der Dritte die Nötigung zur Kenntnis nimmt. Es ist deshalb unerheblich,
dass Herr M., der zu Beginn des Geschehens aus dem Haus geflüchtet war,
die Drohung gar nicht wahrnehmen konnte.

    f) Zusammenfassend hat der Beschwerdegegner somit am Ende der Phase 1
den Tatbestand der Geiselnahme jedenfalls in der Form des Grundtatbestandes
erfüllt. Die Beschwerde ist insoweit begründet.

    g) Ob sich der Beschwerdegegner bereits in der Phase 1 der
qualifizierten Geiselnahme nach Art. 185 Ziff. 2 StGB schuldig gemacht hat,
kann dahingestellt bleiben. Denn die Vorinstanz hat die Qualifikation
für die folgende Phase rechtskräftig bejaht. Es bleibt damit in jedem
Fall beim Schuldspruch wegen qualifizierter Geiselnahme. Dass sich die
Bejahung der Qualifikation schon in der Phase 1 entscheidend auf die
Strafzumessung auswirken könnte, ist nicht ersichtlich.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz hat die Strafe in Anwendung von Art.
66bis StGB gemildert, weil in Anbetracht der schweren Betroffenheit des
Beschwerdegegners die volle Einsatzstrafe nicht angemessen wäre. Die
Vorinstanz hält dafür, an sich müsste hier in Berücksichtigung der
leichten Verminderung der Zurechnungsfähigkeit eine Zuchthausstrafe von
3 3/4 Jahren ausgesprochen werden. Im Hinblick auf die unmittelbaren
Tatfolgen rechtfertige sich jedoch eine Milderung um drei Monate. Die
Ausgleichsfunktion der Strafe sei in diesem Ausmass durch die vom
Beschwerdegegner erlittenen unmittelbaren Folgen der Tat bereits erfüllt.

    b) Die Beschwerdeführerin wendet sich dagegen mit der Begründung,
eine Strafmilderung sollte nicht vorgenommen werden bei einem
sehr schwerwiegenden vorsätzlichen Gewaltdelikt mit sehr schwerem
Verschulden. Die Anwendung von Art. 66bis StGB sei verfehlt in einem
Fall, wo ein besonders skrupelloser und bis zuletzt in keiner Weise
zur Aufgabe bereiter Geiselnehmer durch seine Hartnäckigkeit auch sein
Opfer in höchste Gefahr gebracht habe. Unerträglich sei die Anwendung
dieser Bestimmung und das damit verbundene Zugeständnis eines "Bonus"
auch, wenn man die Folgen bedenke: Aus Gründen der Rechtsgleichheit
müsste dann auch im Falle absolut profimässiger Geiselnahmen, etwa bei
Banküberfällen oder bei terroristischen Handlungen, in Zukunft mindestens
die Strafmilderung des Art. 66bis StGB immer zur Anwendung gebracht werden,
wenn die - grundsätzlich nicht zur Aufgabe bereiten und damit besonders
gefährlichen - Täter bei einem Schusswechsel mit der Polizei erheblich
verletzt würden. Art. 66bis StGB dürfe bei Vorsatztaten nur ausnahmsweise
angewendet werden, nämlich dann, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung von
einem relativ geringfügigen Verschulden auszugehen sei, dem eine schwere
Betroffenheit des Täters gegenüberstehe.

    Eventualiter macht die Beschwerdeführerin geltend, Art. 66bis
StGB dürfe bei schwerem Verschulden des Vorsatztäters nur zur Anwendung
kommen, wenn der Täter auf Dauer von den schweren Folgen belastet sei. Der
Beschwerdegegner sei zwar lebensgefährlich verletzt worden, es liege jedoch
keine schwerwiegende Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität auf
Dauer vor.

    c) Zunächst ist klarzustellen, dass die Vorinstanz, auch wenn sie
grundsätzlich eine Strafmilderung nach freiem Ermessen für zulässig hält,
der Sache nach die Strafe im Rahmen des ordentlichen Strafrahmens um 3
Monate gemindert hat, was auch in Anwendung von Art. 63 StGB möglich
wäre. Zu prüfen ist also einzig, ob unter den Voraussetzungen des
vorliegenden Falles in Anwendung von Art. 66bis StGB überhaupt eine
Minderung der Strafe vorgenommen werden durfte.

    d) Gemäss Art. 66bis Abs. 1 StGB sieht die zuständige Behörde von
der Strafverfolgung, der Überweisung an das Gericht oder der Bestrafung
ab, wenn der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer
betroffen worden ist, dass eine Strafe unangemessen wäre.

    Nach der Rechtsprechung ist diese Bestimmung jedenfalls dann verletzt,
wenn sie in einem Falle nicht Anwendung findet, wo ein leichtes Verschulden
sehr schwere direkte Folgen für den Täter nach sich zieht, bzw. dort
angewendet wird, wo ein schweres Verschulden lediglich zu einer leichten
Betroffenheit des Täters geführt hat (BGE 119 IV 280 E. 1a). Zwischen
diesen beiden Extremen hat der Richter nach Prüfung der konkreten Umstände
des Einzelfalles zu entscheiden, wobei er über ein weites Ermessen verfügt
(BGE aaO; 117 IV 245 E. 2a). Ist daher aufgrund der Tatfolgen die Anwendung
von Art. 66bis StGB nicht zum vornherein ausgeschlossen, hat der Richter
zunächst die Strafe ohne Berücksichtigung der Auswirkungen der Tat für den
Täter zuzumessen, um diese Einsatzstrafe sodann gegen die eine unmittelbare
Folge seiner Tat darstellende Betroffenheit des Täters abzuwägen (BGE 119
IV 280 E. 1a; 117 IV 245 E. 2b). Bei dieser Abwägung kann sich zeigen,
dass eine gänzliche Strafbefreiung nicht in Frage kommt, aber angesichts
der grossen Betroffenheit des Täters als unmittelbare Folge seiner Tat nur
eine niedrigere Strafe als die Einsatzstrafe und gegebenenfalls auch als
die innerhalb des ordentlichen Strafrahmens zulässige niedrigste Strafe
angemessen erscheint (BGE 119 IV 280 E. 1a). Art. 66bis StGB kommt nur
zur Anwendung, wenn der Täter durch die Folgen der Tat schwer betroffen
ist (BGE 119 IV 280 E. 1b).

    e) In der bisherigen Rechtsprechung findet sich keine ausdrückliche
Stellungnahme dazu, ob Art. 66bis StGB auch bei Vorsatztaten angewendet
werden kann.

    Die Frage ist zu bejahen. Art. 66bis Abs. 1 StGB spricht von den
unmittelbaren Folgen der Tat schlechthin, nicht nur von den unmittelbaren
Folgen der fahrlässigen Tat. Eine Strafbefreiung ist also nach dem
Gesetzeswortlaut auch bei vorsätzlichen Taten möglich. Das gleiche
ergibt sich aus den Materialien. Nach der Botschaft über die Änderung
des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 26. Juni 1985 kommt eine
Strafbefreiung auch bei Vorsatztaten in Betracht. Selbst bei einer
vorsätzlichen Tötung wird Art. 66bis StGB nicht ausgeschlossen, so beim
Mitnahmeselbstmord einer Mutter, bei dem der Selbstmord scheitert, das in
den Tod "mitgenommene" Kind aber stirbt (BBl 1985 II S. 1018 f.). Auch in
der parlamentarischen Beratung wurde angenommen, eine Strafbefreiung nach
Art. 66bis StGB sei bei Vorsatztaten möglich. Erwähnt wurde insbesondere
der Fall des Einbrechers, der bei einer Fassadenkletterei abstürzt und
sich dabei schwer verletzt (Amtl.Bull. 1987 S 364 [Votum Arnold], 366
[Votum Jagmetti]; Amtl.Bull. 1989 N 678 [Voten Cotti und Bonny]). Die
Lehre ist ebenfalls einhellig der Auffassung, Art. 66bis StGB sei
bei Vorsatztaten grundsätzlich anwendbar (TRECHSEL, aaO, Art. 66bis
N. 1; SCHULTZ, ZStrR 108/1991, S. 398/9; ARZT, ZBJV 127/1991, S. 447;
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I und II,
Teilrevisionen 1987 bis 1990, § 1 N. 5 und 9).

    Zu beachten ist dabei, dass sowohl in den Materialien wie im
Schrifttum die Frage der Anwendbarkeit von Art. 66bis StGB durchwegs
unter dem Gesichtspunkt des völligen Strafausschlusses erörtert wird. Wie
dargelegt, führt nach der Rechtsprechung die Anwendung von Art. 66bis StGB
jedoch nicht zwingend zur Strafbefreiung. Der Richter kann die Strafe
vielmehr auch nach freiem Ermessen oder gegebenenfalls im Rahmen der
ordentlichen Strafzumessung mildern. Erst recht ist deshalb der Rückgriff
auf Art. 66bis StGB bei Vorsatztaten grundsätzlich zulässig. Das gilt
selbst bei schwerwiegenden Delikten. Auch hier kann der Täter durch die
unmittelbaren Folgen der Tat teilweise, gegebenenfalls sogar vollständig,
als bestraft erscheinen. Wieweit die Strafe zu mildern sei, entscheidet der
Richter in Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze der Rechtsprechung
nach pflichtgemässem Ermessen.

    f) Nach den Feststellungen der Vorinstanz wurde der Beschwerdegegner
durch die Schüsse der Polizei lebensgefährlich verletzt. Vom 24. Dezember
1992 bis zum 25. Januar 1993 war er hospitalisiert und musste
verschiedenen Operationen unterzogen werden. Er benötigte unter anderem
eine intensive Atemtherapie und Schmerzmitteleingabe. Er erlitt zahlreiche
Schussverletzungen, unter anderem einen zweifachen Lungendurchschuss,
einen einmaligen Zwerchfelldurchschuss und einen Leberdurchschuss. Die
postoperativ durchgeführten Kontrollen zeigten von seiten der Leber
nur eine geringfügige Funktionseinschränkung. Von seiten der Lunge ist
ein bleibender Funktionsverlust mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht
zu erwarten. Im Bereich des rechten Zeigefingers kam es aufgrund einer
Schussverletzung zu einer irreversiblen Zertrümmerung eines Gelenkes,
worauf eine Versteifung des Grund- und Mittelgliedes durchgeführt werden
musste. Diese Einsteifung wird zu einer gewissen Funktionseinbusse
der rechten Hand führen. Im Zusammenhang mit den Verletzungen an den
Vorderarmen ist der Beschwerdegegner dauernd behindert, weil er keine
schweren Lasten tragen kann, was ihn insbesondere bei der Ausübung
seines Berufs als Möbelhändler beeinträchtigen wird. Im weiteren musste
er sich als Folge der Schussverletzungen im Sommer 1994 die Gallenblase
entfernen lassen.

    g) Bei dieser Sachlage hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt,
wenn sie in Anwendung von Art. 66bis StGB die Strafe um 3 Monate gemindert
hat. Zwar wiegt das Verschulden des Beschwerdegegners schwer. Die
unmittelbaren Folgen der Tat waren für ihn aber ebenfalls schwer. Dadurch
erscheint er bis zu einem gewissen Grad bereits als bestraft. Dem durfte
die Vorinstanz Rechnung tragen. Die vorgenommene Strafminderung liegt
im Ermessensbereich.

    Die Beschwerde ist somit insoweit unbegründet.

Erwägung 3

    3.- (Kostenfolgen)