Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 IV 138



121 IV 138

24. Urteil des Kassationshofes vom 15. Juni 1995 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau gegen C. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 27 und 106 Abs. 1 SVG; Art. 20 Abs. 2, 64 Abs. 5 und 115
Abs. 2 SSV; Weisung des EJPD vom 26. August 1993 über die Normierung von
Signalen, Markierungen und Leiteinrichtungen im Strassenverkehr sowie von
Strassenreklamen bei Tankstellen, Zusatztafel für Fahrzeugkombinationen
zum Signal "Höchstgewicht".

    Die Zusatztafel zum Signal "Höchstgewicht" erlaubt für die auf ihr
abgebildeten Lastwagen mit Anhänger ein bestimmtes höheres Gewicht; sie ist
gesetzmässig. Sie gilt nicht für Sattelschlepper mit Sattelanhänger (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Am 27. April 1994 fuhr C. mit einem Sattelschlepper samt
Sattelanhänger mit einem Betriebsgewicht von 24,200 t über die Reussbrücke
in Sins/AG. Vor der Holzbrücke ist das Signal "Höchstgewicht 20 t" (Signal
2.16) angebracht. Unter dem Signal befindet sich eine Zusatztafel, auf
welcher ein (zweiachsiger) Lastwagen mit einem (zweiachsigen) Anhänger
über dem Vermerk "bis 28 t gestattet" abgebildet ist.

    B.- Das Bezirksgericht Muri büsste C. am 19. September 1994 wegen
Nichtbeachtens des Signals "Höchstgewicht 20 t" in Anwendung von Art. 90
Ziff. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG (SR 741.01) mit 50 Franken.

    Das Obergericht des Kantons Aargau sprach C. auf dessen Berufung
hin am 24. Januar 1995 vom Vorwurf des Nichtbeachtens des Signals
"Höchstgewicht 20 t" frei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Obergerichts
sei aufzuheben und die Sache zur Verurteilung von C. wegen Nichtbeachtens
des Signals "Höchstgewicht 20 t" an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    C. beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Ansicht der ersten Instanz betrifft die Zusatztafel "bis
28 t gestattet" gemäss dem darauf abgebildeten Piktogramm nur Lastwagen
mit Anhänger, somit nicht auch Sattelschlepper mit Sattelanhänger,
und gilt daher für letztere gemäss dem Signal ein Höchstgewicht
von 20 Tonnen. Dieses Signal habe der Beschwerdegegner mit seinem
Sattelschlepper samt Sattelanhänger mit 24,200 t Betriebsgewicht
missachtet. Die Vorinstanz weist demgegenüber darauf hin, dass die
Signalisationsverordnung für Signale und Zusatztafeln als Piktogramme
nur Lastwagen und Gesellschaftswagen, aber weder Anhängerzüge noch
Sattelschlepper vorsehe. Dem Beschwerdegegner könne "folglich kein Vorwurf
daraus erwachsen, dass er davon ausging, für sein Fahrzeug gelte die
Gewichtslimite von 28 t, weil es sich um einen Anhängerzug handle". "Daher"
sei festzustellen, dass für eine Verurteilung des Beschwerdegegners
gestützt auf Art. 27 Abs. 1 SVG "die gesetzliche Grundlage fehlt" und
er deshalb in Gutheissung seiner Berufung vom Vorwurf der Missachtung
von Signalen gemäss Art. 27 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG
freizusprechen ist.

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, zwar enthalte die
Signalisationsverordnung und deren Anhang 2 selber keine Piktogramme
beispielsweise für Anhängerzüge sowie für Sattelschlepper. Solche
Piktogramme seien aber in Ziff. 4 der Schweizer Norm SN 640 819a der
Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute von 1989 vorgesehen. Die
Schweizer Norm SN 640 819a bilde einen integrierten Bestandteil der Weisung
des EJPD vom 26. August 1993 über die Normung von Signalen, Markierungen
und Leiteinrichtungen im Strassenverkehr sowie von Strassenreklamen
bei Tankstellen. Es handle sich dabei um eine Subdelegation der
Rechtssetzungsbefugnis durch den Bundesrat an ein Departement. Eine
solche Subdelegation sei nach Lehre und Rechtsprechung zulässig, zumal
die genannte Schweizer Norm SN 640 819a rein technischer Natur sei. Sie
habe ihre gesetzliche Grundlage unter anderem in Art. 115 Abs. 2 SSV
(SR 741.21) sowie in Art. 2 SVG. Die Beschwerdeführerin weist darauf
hin, dass in der erwähnten Schweizer Norm klar zwischen den Symbolen
"Lastwagen mit Anhänger" einerseits (Z.8) und "Sattelschlepper"
andererseits (Z.9) unterschieden werde. Aufgrund dieser klaren
Unterscheidung sei eine Verwechslung zwischen den beiden Symbolen nicht
möglich. Die Ausnahmeregelung auf der Zusatztafel bei der Reussbrücke
in Sins - Höchstgewicht 28 t statt 20 t gemäss dem Vorschriftssignal -
gelte daher nur für Lastwagen mit Anhänger, nicht für Sattelschlepper
mit Sattelanhänger, welche eine ganz andere Gewichtsverteilung auf
den Achsen aufwiesen. Der Beschwerdegegner habe sich demnach durch
das Befahren der Brücke mit einem Sattelschlepper samt Sattelanhänger
mit einem Betriebsgewicht von 24,200 t des Nichtbeachtens des Signals
"Höchstgewicht 20 t" strafbar gemacht.

    Der Beschwerdegegner macht geltend, die Signalisationsverordnung
enthalte lediglich die Symbole für Lastwagen und Gesellschaftswagen
und sehe keine Zusatztafel "Lastwagen mit Anhänger" vor. Die Weisung
des EJPD vom 26. August 1993, welche die Anwendung einer Norm befehle,
die von einer privatrechtlichen Vereinigung aufgestellt worden sei,
könne keine gültige Rechtsgrundlage für eine Bestrafung bilden. Er
sei mit guten Gründen davon ausgegangen, dass sein Sattelschlepper mit
Sattelanhänger angesichts derselben Achsenzahl dem auf der fraglichen
Zusatztafel abgebildeten Lastwagen mit Anhänger gleichzustellen sei.
Für den Fall, dass das Legalitätsprinzip wider Erwarten nicht verletzt
sein sollte, berufe er sich auf Rechtsirrtum.

Erwägung 2

    2.- Die Holzbrücke über die Reuss in Sins darf gemäss dem dort
angebrachten Vorschriftssignal 2.16 (Art. 20 SSV) grundsätzlich nur
von Fahrzeugen mit einem Betriebsgewicht von höchstens 20 t befahren
werden. Sie darf gemäss der Zusatztafel von bestimmten Fahrzeugen mit
einem Betriebsgewicht von höchstens 28 t benützt werden. Zu prüfen ist,
ob die fragliche Zusatztafel mit dem darin enthaltenen Piktogramm eines
Lastwagens mit Anhänger gültig ist und ob sie sich gegebenenfalls auch
auf Sattelschlepper mit Sattelanhänger bezieht.

    a) Eine Zusatztafel mit Fahrzeugsymbolen zeigt gemäss Art. 64 Abs. 5
SSV an, dass das Signal, dem die Tafel beigefügt ist, nur für die
auf ihr dargestellten Fahrzeugarten gilt (z.B. "Schwere Motorwagen";
5.08). Die Zusatztafel 5.08 gemäss Anhang 2 der SSV enthält die
Piktogramme eines (zweiachsigen) Lastwagens bzw. eines (zweiachsigen)
Gesellschaftswagens. Daraus kann indessen entgegen der Auffassung
der Vorinstanz und der Ansicht des Beschwerdegegners nicht der Schluss
gezogen werden, dass Zusatztafeln beispielsweise mit dem Piktogramm eines
Lastwagens mit Anhänger in der SSV nicht vorgesehen seien.

    Die "schweren Motorwagen" gemäss der Zusatztafel 5.08 nach dem Anhang
2 der SSV sind, wie sich schon aus Art. 64 Abs. 5 SSV ("z.B.") ergibt,
nur ein Beispiel für Fahrzeugarten, die auf einer Zusatztafel mit
Fahrzeugsymbolen abgebildet werden können. Auf einer solchen Zusatztafel
im Sinne von Art. 64 Abs. 5 SSV dürfen mithin auch andere Fahrzeugarten
abgebildet werden. Dabei kommen nicht nur diejenigen Fahrzeugsymbole
in Betracht, welche in den Vorschriftssignalen gemäss Anhang 2 der SSV
(Signale Nrn. 2.03 ff.) enthalten sind (anderer Auffassung offenbar
BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, 1984, Bem. zu
Art. 64 SSV). Das ergibt sich deutlich aus Art. 20 SSV. Nach dieser
Bestimmung schliesst das Signal "Höchstgewicht" (2.16) Fahrzeuge und
Fahrzeugkombinationen aus, deren Betriebsgewicht den angegebenen
Wert übersteigt (Abs. 1 Satz 1). Wird für Fahrzeugkombinationen
auf beigefügter Zusatztafel zum Signal "Höchstgewicht" ein höheres
Gewicht erlaubt, dürfen die einzelnen Fahrzeuge der Kombination
den im Signal angegebenen Wert nicht übersteigen (Abs. 2). Die SSV
sieht mithin gerade für das Vorschriftssignal "Höchstgewicht" spezielle
Zusatztafeln für Fahrzeugkombinationen vor. Es liegt auf der Hand, dass die
Fahrzeugkombination, für welche die Ausnahme vom Vorschriftssignal gelten
soll, auf der Zusatztafel nicht nur in Worten beschrieben, sondern in
Form eines Symbols dargestellt wird. Symbole für Fahrzeugkombinationen in
einer Zusatztafel zum Signal "Höchstgewicht" finden somit ihre Grundlage in
Art. 20 Abs. 2 SSV. Sie sind daher im Prinzip zulässig, auch wenn im Anhang
2 der SSV keine Symbole für Fahrzeugkombinationen abgebildet sind. Zwar
wäre es denkbar, auf der Zusatztafel im Sinne von Art. 20 Abs. 2 SSV
bloss das Symbol eines Anhängers abzubilden, welches im Vorschriftssignal
2.09 ("Verbot für Anhänger"; Art. 19 SSV) enthalten ist. Eine solche
Signalisation, auf welcher nicht die ganze Fahrzeugkombination, sondern
nur der Anhänger abgebildet ist, könnte aber Verwirrung stiften.

    b) Gemäss Art. 106 Abs. 1 SVG erlässt der Bundesrat die zum Vollzug
dieses Gesetzes notwendigen Vorschriften. Er kann die Departemente
ermächtigen, technische Einzelheiten, namentlich der Strassensignalisation
sowie des Baus und der Ausrüstung der Strassenfahrzeuge, zu regeln. Nach
Art. 115 Abs. 2 SSV kann das EJPD für die Ausführung, Ausgestaltung
und Anbringung von Signalen, Markierungen, Leiteinrichtungen,
Strassenreklamen und dergleichen Weisungen erlassen sowie technische
Normen als rechtsverbindlich erklären. Die Weisung des EJPD vom 26. August
1993 über die Normung von Signalen, Markierungen und Leiteinrichtungen im
Strassenverkehr sowie von Strassenreklamen bei Tankstellen (publiziert in
BBl 1993 III 370) bestimmt, dass für Zusatztafeln das Normblatt SN 640 819a
(Fassung vom Februar 1989) anzuwenden ist. Die Schweizer Norm SN 640 819a
der Vereinigung Schweizerischer Strassenfachleute unterscheidet in Ziff. 4
zwischen den deutlich verschiedenen Symbolen für "Lastwagen mit Anhänger"
und für "Sattelschlepper".

    Indem das EJPD Zusatztafeln mit diesen beiden Symbolen für
Fahrzeugkombinationen einführte, hat es entgegen den Einwänden des
Beschwerdegegners jedenfalls insoweit im Rahmen seiner Kompetenzen
(Art. 106 Abs. 1 Satz 2 SVG, Art. 115 SSV) gehandelt, als diese
Zusatztafeln gemäss Art. 20 Abs. 2 SSV als Zusatztafeln zum Signal
"Höchstgewicht" verwendet werden. Jedenfalls insoweit stellt mit
andern Worten die Weisung des EJPD vom 26. August 1993 (BBl 1993
III 370) eine zulässige Ausführung bzw. Ausgestaltung im Sinne von
Art. 115 Abs. 2 SSV der in Art. 20 Abs. 2 SSV vorgesehenen Zusatztafel
für Fahrzeugkombinationen dar. Ob Zusatztafeln mit den Symbolen für
"Lastwagen mit Anhänger" bzw. für "Sattelschlepper" auch anderweitig
verwendet werden dürften, ist hier nicht zu entscheiden.

    c) Die unterschiedliche Behandlung von Lastwagen mit Anhänger
einerseits und Sattelschleppern mit Sattelanhänger andererseits bei der
Regelung von Ausnahmen vom Signal "Höchstgewicht" in einer Zusatztafel
im Sinne von Art. 20 Abs. 2 SSV ist auch bei identischer Achsenzahl etwa
angesichts der unterschiedlichen Verteilung der Achsenbelastung jedenfalls
nicht derart sinnlos, dass sie als gesetzwidrig erscheint.

    d) Das Piktogramm auf der Zusatztafel zum Signal "Höchstgewicht 20 t"
bei der Reussbrücke in Sins entspricht dem in der Schweizer Norm SN 640
819a abgebildeten Symbol Z.8 für Lastwagen mit Anhänger. Diese Zusatztafel
ist gemäss den vorstehenden Erwägungen gesetzmässig und erfasst nicht
auch Sattelschlepper mit Sattelanhänger. Indem die Vorinstanz den
Beschwerdegegner vom Vorwurf des Nichtbeachtens von Signalen mit der
Begründung freisprach, dass die SSV keine Symbole für Lastwagen mit
Anhänger bzw. für Sattelschlepper mit Sattelanhänger vorsehe, verletzte
sie Bundesrecht.

    Die vorinstanzliche Argumentation ist im übrigen ohnehin nicht
schlüssig. Wenn die SSV entsprechend der Meinung der Vorinstanz das
Piktogramm eines Lastwagens mit Anhänger nicht vorsähe, dann läge an sich
der Schluss auf Ungültigkeit der Zusatztafel nahe, mit der Folge, dass für
sämtliche Fahrzeuge das signalisierte Höchstgewicht von 20 Tonnen gälte.

    Der Beschwerdegegner erfüllte durch das inkriminierte Verhalten
demnach jedenfalls den objektiven Tatbestand der Missachtung von Signalen
im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG.

Erwägung 3

    3.- Die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil reichen
nicht aus, um zu entscheiden, ob der Beschwerdegegner schuldhaft, d.h.
vorsätzlich oder fahrlässig, gehandelt habe, ob ihm allenfalls ein Irrtum
(Art. 19, 20 StGB) zuzubilligen sei oder ob ein besonders leichter Fall
im Sinne von Art. 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG vorliege. Die Vorinstanz wird
sich im neuen Verfahren mit diesen Fragen befassen. Immerhin ist darauf
hinzuweisen, dass der Beschwerdegegner als Berufschauffeur wissen sollte,
dass eine Zusatztafel mit dem Piktogramm eines Lastwagens mit Anhänger
nur für solche Fahrzeugkombinationen und nicht ohne weiteres auch für
Sattelschlepper mit Sattelanhänger gilt, für welche besondere Piktogramme
in Zusatztafeln bestehen.

Erwägung 4

    4.- ("Kostenfolgen")