Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 II 454



121 II 454

59. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
Dezember 1995 i.S. Schweizerische Genossenschaft für Schlachtvieh- und
Fleischversorgung gegen SRG und Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio
und Fernsehen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 103 lit. c OG und Art. 63 Abs. 2 RTVG; Zulässigkeit der
Behördenbeschwerde der Schweizerischen Genossenschaft für Schlachtvieh-
und Fleischversorgung.

    Der Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen, auf eine Beschwerde mangels Legitimation nicht einzutreten,
ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar (E. 1).

    Der Begriff der Behörde in Art. 63 Abs. 2 RTVG ist weit zu verstehen;
er umfasst auch Träger öffentlichrechtlicher Aufgaben ausserhalb der
Verwaltung, denen hoheitliche Verfügungsbefugnisse zukommen (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Das Fernsehen DRS strahlte unter dem Titel "Die Kinder von
Magnitogorsk" am 27. Oktober 1994 in der Sendung "10 vor 10" einen
Beitrag über Hilfslieferungen nach Osteuropa aus. Hiergegen gelangte die
Schweizerische Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung an
die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (im weitern: UBI
bzw. Unabhängige Beschwerdeinstanz). Sie machte im wesentlichen geltend,
sie habe im Rahmen der freiwilligen Überschussverwertung im Winter 1991/92
nach den Weisungen des Bundesamts für Landwirtschaft 500 Tonnen Fleisch in
die Krisengebiete Osteuropas und dabei unter anderem auch 100 Tonnen nach
Magnitogorsk verschenkt. Dieses Fleisch sei kontrolliert und durch einen
Beamten des Eidgenössischen Veterinäramts begleitet worden. Gemäss dem
beanstandeten Beitrag habe eine Beamtin des Sozialamts von Magnitogorsk
jedoch erklärt, bis zu 25% des Fleischs sei ungeniessbar gewesen. Diese
"abschätzige Beurteilung" sei in der Sendung unwidersprochen geblieben,
was beim Zuschauer den falschen Eindruck erweckt habe, es sei ungeniessbare
Ware verschenkt worden.

    Die Unabhängige Beschwerdeinstanz trat am 8. Februar 1995 auf
die Beschwerde nicht ein, da nach dem Bundesgesetz vom 21. Juni 1991
über Radio und Fernsehen (Radio- und Fernsehgesetz, RTVG; SR 784.40)
juristische Personen nicht beschwerdebefugt seien. Die Schweizerische
Genossenschaft für Schlachtvieh- und Fleischversorgung hat hiergegen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht, die das Bundesgericht gutheisst.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Entscheide der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für
Radio und Fernsehen über Beschwerden betreffend die Verletzung
von Programmbestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes,
seiner Ausführungsbestimmungen oder der Konzession können mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden
(Art. 65 Abs. 2 RTVG). Die Beschwerdebefugnis richtet sich dabei
ausschliesslich nach Art. 103 OG und ergibt sich nicht bereits aus der
Beteiligung am Verfahren vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz (BGE 121
II 359 E. 1a S. 361).

    b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, ihr sei durch den
Nichteintretensentscheid das gemäss Art. 63 Abs. 2 RTVG gewährte
Beschwerderecht der Behörden verweigert worden. Zu dieser Rüge ist
sie berechtigt (Art. 103 lit. c OG in Verbindung mit Art. 63 Abs. 2
RTVG): Losgelöst vom Rechtsschutzinteresse in der Sache selber hat das
Bundesgericht die Legitimation des von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz
ausgeschlossenen Beschwerdeführers bejaht, weil dieser ein schutzwürdiges
Interesse an der Prüfung der Frage hat, ob ihm die Parteistellung zu
Recht verweigert worden ist (unveröffentlichtes Urteil vom 12. Juli
1991 i.S. G. K., E. 2d). In BGE 114 Ib 202 E. 2a war dementsprechend zu
prüfen, ob der Beschwerdeführerin vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz
Parteistellung hätte zukommen sollen, weil sie von der Sendung in
schutzwürdigen Interessen betroffen war. Schon vor Inkrafttreten
des Bundesbeschlusses vom 7. Oktober 1983 über die Unabhängige
Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (BB/UBI, AS 1984 153) hatte
das Bundesgericht die Legitimation eines Beschwerdeführers bejaht,
der geltend gemacht hatte, seine gegen die Schweizerische Radio- und
Fernsehgesellschaft erhobene Beschwerde hätte richtigerweise als förmliche
Verwaltungs- und nicht als Aufsichtsbeschwerde behandelt werden müssen (BGE
104 Ib 242 E. 3). Auch die Frage, ob es sich bei einer Organisation um eine
beschwerdebefugte Behörde im Sinne des Radio- und Fernsehgesetzes handelt
und die Unabhängige Beschwerdeinstanz zu Unrecht auf ihre Eingabe nicht
eingetreten ist, kann dem Bundesgericht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
unterbreitet werden. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Eingabe
ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführerin geht zu Recht nicht davon aus, sie
sei bereits als juristische Person zur Beschwerde an die Unabhängige
Beschwerdeinstanz legitimiert. Nach Art. 14 lit. c BB/UBI waren neben
Behörden zwar auch "Vereinigungen" beschwerdebefugt, die eine enge
Beziehung zum Gegenstand einer oder mehrerer beanstandeter Sendungen
nachwiesen. Dieses Beschwerderecht ist mit dem Radio- und Fernsehgesetz
indessen dahingefallen (LEO SCHÜRMANN/PETER NOBEL, Medienrecht, 2. Aufl.,
Bern 1993, S. 204; zum alten Recht: MARTIN DUMERMUTH, Die Programmaufsicht
bei Radio und Fernsehen in der Schweiz, Basel und Frankfurt a.M. 1992,
S. 214 ff.). Nach dessen Art. 63 ist zur Beschwerde heute noch befugt, wer
im Beanstandungsverfahren vor der Ombudsstelle beteiligt war, mindestens
18 Jahre alt ist, über das Schweizerbürgerrecht oder als Ausländer über
eine Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung verfügt und entweder eine
Beschwerde einreicht, die von mindestens weiteren 20 Personen unterzeichnet
ist, die ebenfalls legitimiert wären, wenn sie selber an die Ombudsstelle
gelangt wären (Abs. 1 lit. a), oder aber eine enge Beziehung zum Gegenstand
einer oder mehrerer Sendungen nachweist (Abs. 1 lit. b). Diese Regelung
ist auf natürliche Personen zugeschnitten. Daneben sind alle Behörden
beschwerdeberechtigt, soweit sie in ihrem Tätigkeitsbereich betroffen
sind, sowie - voraussetzungslos - das Eidgenössische Verkehrs- und
Energiewirtschaftsdepartement (Art. 63 Abs. 2 RTVG).

    b) aa) Der Begriff der Behörde hat keinen festen Inhalt. Es werden
darunter regelmässig die Organe des Gemeinwesens verstanden, welche die
Staats- und Verwaltungsorganisation gegen aussen repräsentieren (so FRITZ
GYGI, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 65). Neben den gesetzgebenden und
gerichtlichen Staatsorganen fallen darunter primär die Repräsentanten der
Zentralverwaltung, doch kann der Begriff auch andere Verwaltungsträger
erfassen. Bei einer formalen Betrachtungsweise gelten jene Instanzen als
Behörden, die hoheitlich zu verfügen befugt sind (THOMAS FLEINER-GERSTER,
Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Verwaltungsrechts,
2. Aufl., Zürich 1980, S. 449). In diesem Sinne werden - auf Bundesebene
- in Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG auch Organisationen ausserhalb der
Bundesverwaltung als Behörden bezeichnet, soweit sie in Erfüllung ihnen
übertragener öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes verfügen. Auch
der Behördenbegriff in Art. 103 lit. c OG ist nicht auf die Träger der
Zentralverwaltung beschränkt. So hat das Bundesgericht beispielsweise die
Beschwerdebefugnis des Zentralverbands Schweizerischer Milchproduzenten,
der öffentliche Aufgaben auf dem Gebiet der Konsummilchversorgung versieht,
aber privatrechtlich organisiert ist, nach dieser Bestimmung und nicht
nach dem auf Private zugeschnittenen Art. 103 lit. a OG beurteilt (BGE
113 Ib 363 E. 1 S. 364, 112 Ib 128 E. 2a S. 130).

    bb) Dementsprechend ist der Begriff der Behörde in Art. 63 Abs. 2 RTVG
ebenfalls weit zu fassen (MARTIN DUMERMUTH, aaO, S. 215; vgl. auch FRITZ
GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 173). Es
besteht keine Veranlassung, ausserhalb der Verwaltung stehende Träger
öffentlichrechtlicher Aufgaben davon auszunehmen. Der Gesetzgeber wollte
mit der Beschwerdemöglichkeit an die Unabhängige Beschwerdeinstanz
dem Gemeinwesen bzw. dessen Organen ein Mittel in die Hand geben,
sich gegen unsachliche Berichterstattungen in Radio und Fernsehen zu
wehren, die der Erfüllung der ihnen obliegenden öffentlichen Aufgaben
abträglich sein könnten (vgl. FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege,
S. 173). Überträgt das Gemeinwesen öffentliche Aufgaben an Organisationen
ausserhalb der Verwaltung, steht deshalb auch diesen die Befugnis zu,
Sendungen, die den ihnen übertragenen Bereich betreffen, im öffentlichen
Interesse zu beanstanden.

    c) Die beschwerdeführende Schweizerische Genossenschaft für
Schlachtvieh- und Fleischversorgung wird in der Doktrin teils als
privatrechtliche Genossenschaft gemäss Art. 828 ff. OR bezeichnet
(LEO SCHÜRMANN, Wirtschaftsverwaltungsrecht, 3. Aufl., Bern 1994,
S. 210; eher skeptisch FRITZ GYGI, Verwaltungsrecht, S. 58), teils
als Genossenschaft des öffentlichen Rechts (ANDRÉ GRISEL, Traité de
droit administratif, Neuenburg 1984, Bd. I, S. 279). Wie es sich damit
verhält, kann dahingestellt bleiben: Die Beschwerdeführerin wirkt auf
jeden Fall gemäss Art. 93 Abs. 1 der Verordnung vom 22. März 1989 über den
Schlachtviehmarkt und die Fleischversorgung (Schlachtviehverordnung, SV;
SR 916.341) als gemeinsame Dachorganisation der an der Schlachtvieh-
und Fleischversorgung interessierten Kreise beim Vollzug dieser
Verordnung mit und erfüllt insoweit öffentliche Aufgaben (vgl. Art. 94
SV). Sie hat mit ihren Mitgliedern insbesondere die Marktabräumung
und die Überschussverwertung zu organisieren (Art. 94 Abs. 1 lit. d
in Verbindung mit Art. 63 und Art. 64 ff. SV). Die Geschäfts- und
Rechnungsführung für ihre öffentlichen Aufgaben steht unter der Aufsicht
des Bundesrats, dem sie ihre Statuten zur Genehmigung zu unterbreiten hat;
die Verantwortlichkeit ihrer Organe und ihres Personals richtet sich nach
dem Verantwortlichkeitsgesetz (Art. 96 SV). Im Rahmen der ihr übertragenen
Aufgaben kann die Beschwerdeführerin schliesslich auch Verfügungen
erlassen (vgl. Art. 98 Abs. 2 SV). Sind ihr somit öffentliche Aufgaben
übertragen und kommen ihr hierbei hoheitliche Befugnisse zu, ist sie eine
Behörde im Sinne von Art. 63 Abs. 2 RTVG. Da sie durch den beanstandeten
Beitrag, in dem über eine von ihr durchgeführte Massnahme im Bereich
der Fleischverwertung berichtet wurde, überdies unbestrittenermassen
in ihrem (öffentlichen) Tätigkeitsbereich betroffen ist, hätte ihr
die Vorinstanz die Beschwerdeberechtigung nicht absprechen dürfen. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit gutzuheissen, der angefochtene
Entscheid aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.