Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 II 430



121 II 430

56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
Dezember 1995 i.S. Politische Gemeinde Niederhasli gegen Regierungsrat
und Kantonsrat des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 6 ff. und Art. 34 Abs. 3 RPG; Art. 31 Abs. 4 USG; Art.
16 f. TVA; Art. 84 ff. und 97 ff. OG; Anfechtung der Festsetzung
eines Deponiestandortes im Zürcher Richtplan, zulässiges Rechtsmittel,
Gemeindeautonomie.

    Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit eines Richtplans mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Verletzung von Umweltschutzrecht des
Bundes (vorliegend nicht erfüllt; E. 1c).

    Zeitlicher Planungshorizont für die richtplanerische Festlegung von
Deponiestandorten im Hinblick auf ihre Funktion (E. 6).

Sachverhalt

    A.- Mit Beschluss vom 31. Januar 1995 setzte der Kantonsrat des
Kantons Zürich den gesamthaft überarbeiteten Richtplan für den Kanton
Zürich fest (Publikation im Zürcher Amtsblatt am 17. März 1995). Dieser
sieht im Gebiet Feldmoos in der Gemeinde Niederhasli einen Standort für
eine Abfalldeponie vor, welcher bereits im alten Gesamtplan vom 10. Juli
1978 als Reservestandort für die neunziger Jahre figurierte. Die Deponie
soll ein Auffüllvolumen von 4 Mio. m3 auf einer Fläche von 21,6 Hektaren
(Gestaltungsplanperimeter 33 Hektaren) aufweisen und je ein Kompartiment
für Inertstoffe, Reststoffe sowie Reaktorstoffe umfassen.

    Die Politische Gemeinde Niederhasli reichte gegen die richtplanerische
Standortfestlegung mit Eingabe vom 27. April 1995 staatsrechtliche
Beschwerde ein. Sie rügt eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie und
beantragt, die Festlegung des Standortes Feldmoos für eine Deponie
ersatzlos aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- c) Die Anfechtbarkeit von Plänen mittels staatsrechtlicher
Beschwerde gilt nach dem eidgenössischen Raumplanungsgesetz auch für
sogenannte Rahmen- und Sondernutzungspläne im Sinne von Art. 14 ff. des
Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raumplanungsgesetz,
RPG; SR 700). Nach Art. 34 RPG können solche von privater Seite wegen
Verletzung verfassungsmässiger Rechte angefochten werden; Gemeinden
sind befugt, gegen die Nichtgenehmigung ihrer Nutzungsplanung bzw. gegen
kantonale Nutzungspläne Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie
zu erheben (BGE 119 Ia 285 E. 3c S. 290).

    In Anwendung der allgemeinen Regeln der Bundesverwaltungsrechtspflege
hat das Bundesgericht in neuester Zeit allerdings die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch gegen Nutzungspläne zugelassen,
soweit darin enthaltene Anordnungen angefochten werden, die sich auf
Bundesverwaltungsrecht stützen oder hätten stützen sollen und kein
Ausschlussgrund nach Art. 99 ff. OG gegeben ist (BGE 121 II 72 E. 1b
S. 75 f., 39 E. 2b S. 42 f., 8 E. 1 S. 11 f., 120 Ib 287 E. 3a S. 292,
119 Ia 285 E. 3c S. 290 f., 118 Ib 66 E. 1c S. 70 f.; unveröffentlichtes
Bundesgerichtsurteil vom 12. Mai 1995 i.S. EG Neudorf, E. 1a). Gleiches
gilt grundsätzlich auch für kantonale Richtpläne im Sinne von
Art. 6 ff. RPG, soweit sie solche Anordnungen enthalten. Das trifft im
vorliegenden Fall allerdings nicht zu. Die hier umstrittene Planfestsetzung
wirkt inhaltlich einzig gegenüber der Gemeinde; diese darf im Gebiet
Feldmoos keine bau- und planungsrechtlichen Anordnungen treffen, welche der
Erstellung der im Richtplan vorgesehenen Abfalldeponie widersprechen. Die
angefochtene Festsetzung räumt keine konkreten Berechtigungen für das
weitere Vorgehen ein. Die Standortfestlegung ist somit ein unter dem
Vorbehalt nachfolgender Planungs- und Baubewilligungsverfahren stehender
planerisch/politischer Akt des übergeordneten Planungsträgers gegenüber
dem untergeordneten. Damit überwiegen die Aspekte der kantonalrechtlichen
Planung diejenigen einer konkreten bundesumweltschutzrechtlichen Prüfung
des Vorhabens (vgl. BGE 119 Ia 285 E. 3c-e S. 290 ff.).

    Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, der angefochtene
Richtplanbeschluss enthalte konkrete, für jedermann verbindliche
bundesrechtliche Anordnungen. Daran vermag insbesondere der Umstand
nichts zu ändern, dass bereits im Richtplanverfahren und bei dessen
Vorbereitung von konkreten Projektvorstellungen ausgegangen worden ist
und zahlreiche Überlegungen etwa zum Umweltschutzrecht des Bundes mit
einbezogen worden sind. Nachfolgende Planungs- und Bewilligungsverfahren
bleiben vollumfänglich vorbehalten. Sollte sich dabei zeigen, dass
z.B. umweltschutzrechtliche Gründe einem konkreten Deponieprojekt im
Gebiet Feldmoos in Niederhasli entgegenstehen, so könnte dieses trotz
der richtplanerischen Standortfestsetzung nicht verwirklicht werden.

Erwägung 6

    6.- a) Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die Bestimmung
von Art. 16 Abs. 2 lit. e der Technischen Verordnung über Abfälle vom
10. Dezember 1990 (TVA; SR 814.015), wonach die Abfallplanung den Bedarf an
Deponievolumen für die nächsten zwanzig Jahre zu umfassen habe, statuiere
einen maximalen bundesrechtlichen Planungshorizont. Sie macht geltend, der
Kantonsrat habe diesen Planungshorizont willkürlich überschritten, indem
er im Richtplantext ausdrücklich erklärt habe, dass die Festlegungen von
Deponiestandorten über den in der TVA vorgeschriebenen Planungshorizont
von zwanzig Jahren hinaus erfolgten. Der Ansatz der Deponieplanung des
Kantons Zürich, Deponieraum über einen Zeitabschnitt von zwanzig Jahren
hinaus festzulegen, um hinreichende Deponiekapazitäten sicherzustellen,
sei unzulässig; die Sicherung von Überkapazitäten würde insbesondere der
prioritären Zielsetzung des kantonalen Abfallkonzeptes zuwiderlaufen,
welches in erster Linie vom Vermeiden, Vermindern und Verwerten von
Abfällen ausgehe.

    b) Art. 31 Abs. 4 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom
7. Oktober 1983 (Umweltschutzgesetz, USG; SR 814.01) verlangt von
den Kantonen, dass sie ihren künftigen Bedarf an Deponien und anderen
Entsorgungsanlagen ermitteln und die dafür nötigen Standorte bestimmen,
ohne den Zeitraum zu nennen, für welchen die Planung zu erfolgen hat. Nach
Art. 17 TVA, welcher den Einbezug der Abfallplanung in die Richtplanung
verlangt, wäre es zwar denkbar, die maximalen Planungsperioden von zehn
Jahren für die Überprüfung und Überarbeitung der Richtpläne (Art. 9 Abs. 3
RPG), eventuell diejenige von fünfzehn Jahren für die Ausscheidung von
Bauzonen (Art. 15 lit. b RPG) zu übernehmen und den Planungshorizont für
die Entsorgungsplanung daran anzulehnen (vgl. ANDREAS TRÖSCH, Kommentar zum
USG, N. 48 zu Art. 31 USG). Indessen unterscheidet sich die Interessenlage
bei der richtplanerischen Festsetzung von Deponiestandorten grundlegend
von derjenigen, welche diesen Bestimmungen zugrunde liegt: Der relativ
kurze Planungshorizont von Art. 9 Abs. 3 RPG soll sicherstellen, dass die
Richtpläne rechtzeitig an veränderte Verhältnisse angepasst werden und
den Bezug zur Wirklichkeit nicht verlieren (DANIEL VOGEL, Pflicht zur
räumlichen Planung von Abfalldeponien gemäss Art. 31 Abs. 4 USG unter
besonderer Berücksichtigung des Zürcher Rechts, Zürich/Entlebuch 1990,
S. 58). Mit der Bestimmung von Art. 15 lit. b RPG, welche die Bauzonen
auf weitgehend überbautes oder innert fünfzehn Jahren zur Überbauung
benötigtes Land begrenzt, soll im Interesse einer haushälterischen
Bodennutzung, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen, der
Sicherung einer ausreichenden Versorgungsbasis des Landes und der
Erhaltung genügender Flächen geeigneten Landwirtschaftslandes (Art. 1
und 3 RPG) die Entstehung und Belassung überdimensionierter Bauzonen
verhindert werden (BGE 117 Ia 302 E. 4b S. 307). Davon ausgehend,
dass Deponien zur Abfallbeseitigung trotz aller Anstrengungen zur
Abfallvermeidung unerlässlich sind, zielen hingegen Art. 31 Abs. 4
USG und die Spezialbestimmung von Art. 16 Abs. 2 lit. e TVA darauf
ab, dass im Sinne der Vorsorge bereits heute ausreichend Deponieraum
für die künftigen Bedürfnisse ausgeschieden wird (vgl. BBl 1979 III
S. 810; DANIEL VOGEL, aaO, S. 45; ANDREAS TRÖSCH, aaO, N. 48 zu Art. 31
USG). Zur Sicherstellung des künftigen Bedarfs an Deponievolumen und zur
Verhinderung eines künftigen Deponienotstandes rechtfertigt es sich danach,
die wenigen für Deponien geeigneten Räume, welche zur Verfügung stehen,
vorsorglich und in grosszügigen Dimensionen für Materialablagerungen zu
reservieren. Insofern kommt der richtplanerischen Festlegung gewissermassen
die Bedeutung einer vorsorglichen Massnahme zum Schutze der Umwelt zu
(DANIEL VOGEL, aaO, S. 45). Mit einer relativ grosszügigen Ausscheidung
von Deponiegebieten schaffen sich die Planungsträger zudem eine gewisse
planerische Anpassungsfähigkeit, was sie jedoch nicht davon entbindet,
in erster Linie dafür besorgt zu sein, die zu deponierende Abfallmenge
möglichst gering zu halten (vgl. Art. 16 Abs. 3 TVA; DANIEL VOGEL, aaO,
S. 58). Art. 16 Abs. 2 lit. e TVA verlangt im Interesse einer möglichst
vorausschauenden Abfallplanung, dass der Bedarf an Deponievolumen für die
nächsten zwanzig Jahre ausgewiesen wird (vgl. ANDREAS TRÖSCH, aaO, N. 48 zu
Art. 31 USG). Der in dieser Spezialregelung genannte Zeitraum von zwanzig
Jahren kann angesichts der Interessenlage bei der Deponieplanung einzig als
Mindestplanungshorizont verstanden werden. Die Rüge, der Kantonsrat habe
den Planungshorizont unzulässigerweise überschritten, indem er ihn über
zwanzig Jahre hinaus ausgedehnt habe, erweist sich damit als unbegründet.

    Eine Beschränkung des maximalen Planungshorizonts für die Festlegung
von Deponiestandorten könnte sich gegebenenfalls aus dem Erfordernis
eines genügenden öffentlichen Interesses an der Planungsmassnahme
ergeben, insbesondere wenn damit eine Eigentumsbeschränkung verbunden ist
(vgl. DANIEL VOGEL, aaO, S. 58 f.). Die Beschwerdeführerin macht indessen
nicht geltend, die Standortfestsetzung stelle einen unzulässigen Eingriff
in ihr Eigentum dar oder verstosse gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip,
weshalb dieser Frage nicht weiter nachzugehen ist (Art. 90 Abs. 1
lit. b OG).