Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 II 166



121 II 166

28. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 11. August 1995 i.S. D. gegen Militärpflichtersatzverwaltung
und Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 4 MPG, Art. 81 Ziff. 2 MStG; Befreiung vom
Militärpflichtersatz.

    Dienstverweigerung aus Gewissensgründen. Verpflichtung zu einer
Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse (Art. 81 Ziff. 2 MStG).

    Anerkennung der Arbeitsleistung als dem Militärdienst gleichwertige
Dienstleistung?

    - Voraussetzungen der Abgabepflicht (E. 1).

    - Rechtsnatur der Arbeitsleistung (E. 2 u. 4).

    - Verhältnis zum künftigen Zivildienst (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 4. Mai 1992 sprach das Militärappellationsgericht 2A D. unter
Zubilligung einer schweren Gewissensnot der Dienstverweigerung schuldig,
verpflichtete ihn zu einer Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse
und verurteilte ihn zum Ausschluss aus der Armee (Art. 81 Ziff. 2 des
Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 1927 [MStG, SR 321.0] in der Fassung
vom 5. Oktober 1990).

    Mit Verfügung vom 19. März 1993 wurde D. zum Militärpflichtersatz für
das Jahr 1992 herangezogen. Gegen diese Verfügung erhob er Einsprache
und beantragte, die Ersatzabgabe sei aufzuheben. Zur Begründung
führte er aus, er stehe im Arbeitsdienst und sehe nicht ein, weshalb
er Militärpflichtersatz zu bezahlen habe. Sinngemäss forderte er die
Anerkennung der Arbeitsleistung im Sinne von Art. 81 Ziff. 2 MStG als
dem Militärdienst gleichwertige Dienstleistung.

    Gegen den abweisenden Einspracheentscheid der
Militärpflichtersatzverwaltung des Kantons St. Gallen führte der
Ersatzpflichtige erfolglos Beschwerde bei der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen.

    Die gegen das Urteil der Verwaltungsrekurskommission des Kantons
St. Gallen erhobene verwaltungsgerichtliche Beschwerde wird vom
Bundesgericht abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BV statuiert die allgemeine
Wehrpflicht. Diese ist durch persönliche Dienstleistung (Militärdienst)
in den Heeresklassen zu erfüllen (Art. 1 Abs. 3 des Bundesgesetzes
vom 12. April 1907 über die Militärorganisation [MO; SR 510.10] in der
Fassung vom 22. Juni 1990). Wer die Wehrpflicht nicht durch persönliche
Dienstleistung erfüllt, hat einen Militärpflichtersatz zu bezahlen (Art. 18
Abs. 4 BV; Art. 2 Abs. 1 MO). Das Nähere regelt das Bundesgesetz vom
12. Juni 1959 über den Militärpflichtersatz (MPG; SR 661). Ersatzpflichtig
sind danach die Wehrpflichtigen mit Wohnsitz im In- oder Ausland, die in
einem Kalenderjahr (dem Ersatzjahr) während mehr als sechs Monaten nicht
in einer Formation der Armee eingeteilt sind oder als Dienstpflichtige
ihren Militärdienst versäumen (Art. 2 Abs. 1 MPG). Ausnahmen von der
Ersatzpflicht sieht Art. 4 MPG vor. Nach dieser Vorschrift ist von der
Ersatzpflicht u.a. befreit, wer wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen
sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet (Abs. 1 lit. a) oder wer
dienstuntauglich erklärt oder vom Militärdienst dispensiert wird, weil
seine Gesundheit durch den Militärdienst geschädigt wurde (Abs. 1 lit. b).

    Diese Ordnung in der Verfassung und im Gesetz ist für das Bundesgericht
verbindlich (Art. 114bis Abs. 3 BV). Nach der gesetzlichen Regelung
kann aber unter der persönlichen Dienstleistung nur der Militärdienst,
d.h. die Dienstleistung in der Armee, verstanden werden (Art. 1
Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 MO, Art. 1 MPG). Aus der Armee ausgeschlossene
Wehrpflichtige schulden demnach die Ersatzabgabe. Vorbehalten bleiben die
Ersatzbefreiungsgründe des Art. 4 MPG, doch fällt die Dienstverweigerung
aus Gewissensgründen nicht darunter. Der Beschwerdeführer kann nicht
wegen seiner Gewissensnot vom Militärpflichtersatz befreit werden.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer beruft sich auf den besonderen Charakter
der Arbeitsdienstleistung im Sinne von Art. 81 Ziff. 2 MStG und macht
geltend, diese müsse als dem Militärdienst gleichwertige Dienstleistung
anerkannt werden, weshalb er für die Dauer der Arbeitsleistung keinen
Militärpflichtersatz schulde.

    Diese Auffassung beruht auf einer Verkennung der verfassungsmässigen
und gesetzlichen Ordnung. Nach Art. 81 Ziff. 2 MStG in der Fassung vom
5. Oktober 1990 werden Dienstverweigerer, die unter Berufung auf ethische
Grundwerte glaubhaft darlegen, dass sie den Militärdienst mit ihrem
Gewissen nicht vereinbaren können, seit dem 15. Juli 1991 nicht mehr
zu Gefängnis verurteilt, sondern sie werden zu einer Arbeitsleistung
verpflichtet, die im öffentlichen Interesse liegt. Die Änderung von
Art. 81 Ziff. 2 MStG wurde im Jahre 1990 in das Militärstrafgesetz
eingeführt, um die Dienstverweigerung teilweise zu entkriminalisieren;
die Verpflichtung zur Arbeitsleistung wird denn auch nicht in die
Strafregister eingetragen (Art. 226 MStG in der Fassung vom 5. Oktober
1990). Sie stellt jedoch keinen Ersatz für den Militärdienst dar,
sondern wird anstelle von Gefängnis angeordnet. Es handelt sich um eine
Ersatzmassnahme zur Gefängnisstrafe, die ihren Strafcharakter beibehalten
hat, auch wenn sie durch die zivilen Behörden vollzogen wird (Botschaft des
Bundesrates vom 27. Mai 1987 über die Änderung des Militärstrafgesetzes,
BBl 1987 II 1317). Alle anderen Militärdienstverweigerer werden nach
wie vor zu Gefängnisstrafen verurteilt. Handelt es sich aber bei der
Arbeitsdienstleistung nicht um eine Form der Erfüllung der persönlichen
Dienstpflicht, sondern um eine Sanktion für deren Verletzung, so
kann sie auch ersatzrechtlich nicht dem Militärdienst gleichgestellt
werden. Wenn daher im Zuge der Revision des Militärstrafgesetzes im
Jahre 1990 die Militärpflichtersatzabgabe keiner Änderung unterzogen
wurde, so liegt darin kein Versehen des Gesetzgebers, keine Lücke des
Gesetzes, wie der Beschwerdeführer geltend macht. Der Wehrpflichtige,
der aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigert, schuldet deshalb
den Militärpflichtersatz auch für den Zeitraum, da er zur Arbeitsleistung
herangezogen wird.

    Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aufgrund der Dauer
der Arbeitsdienstverpflichtung. Die Arbeitsleistung wird in der Regel auf
das Anderthalbfache des verweigerten Dienstes festgelegt (Art. 81 Ziff. 2
Abs. 2 MStG). Diese Dauer des Arbeitsdienstes bildet indessen nicht den
Ausgleich zur persönlichen Dienstleistung, sondern die Sanktion dafür, dass
der Dienstverweigerer die persönliche Dienstleistung nicht erfüllt. Schon
nach der bisherigen Rechtsprechung trugen die Militärgerichte bei der
Bemessung der Gefängnisstrafe der Dauer des insgesamt verweigerten
Dienstes Rechnung. Nicht anders verhält es sich bei der Bemessung der
Dauer des Arbeitsdienstes.

Erwägung 3

    3.- Zu Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer auch auf den
Zivildienst, wie er im Entwurf zu einem Bundesgesetz über den zivilen
Ersatzdienst (Zivildienstgesetz; ZDG) vorgesehen ist. Mit Volksabstimmung
vom 17. Mai 1992 wurde Art. 18 Abs. 1 BV durch den Satz ergänzt: "Das
Gesetz sieht einen zivilen Ersatzdienst vor." Nach dem Wortlaut ist der
Zivildienst ein Ersatzdienst, wobei sich der Ersatzcharakter auf den
Militärdienst und nicht auf die Wehrpflicht als solche bezieht. Beim
vorgesehenen Zivildienst handelt es sich deshalb um eine Form der
Erfüllung der Wehrpflicht (Botschaft des Bundesrates vom 22. Juni
1994 zum Zivildienstgesetz, BBl 1994 III 1626 ff., Ziff. 141 und
142). Zivildienstpflichtige Personen, die ihren Dienst nicht oder nur
teilweise persönlich leisten, müssen denn auch künftig eine Ersatzabgabe
bezahlen (Art. 15 Entwurf ZDG; Botschaft, aaO, S. 1666).

    Daraus kann indessen nicht geschlossen werden, die Verpflichtung zur
Arbeitsleistung im öffentlichen Interesse nach Art. 81 Ziff. 2 MStG bilde
ebenfalls eine Form der Erfüllung der Wehrpflicht. Am 26. Februar 1984
hatten Volk und Stände zum zweitenmal innert sechs Jahren die Einführung
eines Zivildienstes abgelehnt. Mit der Revision des Militärstrafgesetzes
im Jahre 1990 wurde daher nur bezweckt, "im Rahmen der Bundesverfassung
einen Beitrag zur Entschärfung des Dienstverweigererproblemes zu leisten"
und den Strafvollzug für Dienstverweigerer aus Gewissensgründen zu
entkriminalisieren. Nach dem erklärten Willen des Bundesrates sollte mit
der Änderung von Art. 81 MStG die Einführung eines Zivildienstes nicht
vorweggenommen werden. Allenfalls sollten damit Erfahrungen gesammelt
werden, um später dem Souverän eine neue Vorlage zur Einführung eines
Zivildienstes auf Verfassungsstufe unterbreiten zu können (Botschaft
des Bundesrates vom 27. Mai 1987, BBl 1987 II S. 1313 Ziff. 11 f.), was
inzwischen auch erfolgt ist. Aus der Regelung des Zivildienstes, wie sie
im Entwurf zu einem Bundesgesetz vorgesehen ist, lässt sich daher nicht
ableiten, beim Arbeitsdienst nach Art. 81 Ziff. 2 MStG handle es sich
ebenfalls um einen Ersatzdienst zum Militärdienst.

Erwägung 4

    4.- Unbegründet ist schliesslich auch der Einwand des
Beschwerdeführers, er werde doppelt bestraft, weil er einerseits zum
Arbeitsdienst verpflichtet werde und andererseits den Militärpflichtersatz
zu bezahlen habe. Der Militärpflichtersatz ist keine Strafe. Er ist
die Ersatzleistung, die der Schweizer Bürger zu bezahlen hat, der
seine Wehrpflicht - aus welchen Gründen immer - nicht oder nicht im
gesetzlichen Umfang durch persönliche Dienstleistung erfüllt. Die Abgabe
ist an sich geschuldet, weil der Wehrpflichtige von seiner ihm gegenüber
dem Gemeinwesen obliegenden öffentlichrechtlichen Pflicht zur Leistung
von Militärdienst befreit ist (Botschaft des Bundesrates vom 11. Juli
1958 über die Neuordnung des Militärpflichtersatzes, BBl 1958 II 340;
BGE 113 Ib 206 E. 3a). Dass es beim Militärpflichtersatz nicht um eine
Strafe geht, zeigt sich auch etwa darin, dass derjenige, der rechtmässig
im Ausland weilt und aus diesem Grund den Militärdienst nicht leisten
kann, die Ersatzabgabe zu bezahlen hat (Art. 2 Abs. 1 lit. c MPG). Der
Beschwerdeführer wird dadurch, dass er sowohl zur Arbeitsdienstleistung
als auch zur Ersatzabgabe herangezogen wird, nicht doppelt bestraft.