Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 II 105



121 II 105

17. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
9. Mai 1995 i.S. Fehmi gegen Fremdenpolizei und Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft.

    Beim Übergang von Vorbereitungs- zu Ausschaffungshaft ist die
Haft spätestens 96 Stunden nach Eröffnung des erstinstanzlichen
Wegweisungsentscheids durch die richterliche Behörde aufgrund einer
mündlichen Verhandlung zu überprüfen (E. 2a, b).

    Die Verletzung von für die Wahrung der Rechte des Betroffenen
wesentlichen Verfahrensvorschriften führt zur Haftentlassung, sofern
nicht gewichtige Indizien bestehen, dass der Ausländer die öffentliche
Sicherheit gefährdet (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Mahmoudi Fehmi reiste am 12. Oktober 1994 mit dem Zug von
Italien kommend ohne Visum und Ausweispapiere in die Schweiz ein; den
Reisepass will er im Zug verloren haben. Am 6. Januar 1995 wurde er in
Emmenbrücke von der Kantonspolizei kontrolliert; gleichentags belegte ihn
das Amtsstatthalteramt Hochdorf wegen illegaler Einreise und illegalen
Aufenthalts mit einer bedingten Gefängnisstrafe von 10 Tagen. Die
Fremdenpolizei des Kantons Luzern ordnete die Ausschaffungshaft an,
und das Verwaltungsgericht verlängerte diese entsprechend der damaligen
gesetzlichen Regelung bis auf längstens 30 Tage.

    Nach seiner Entlassung machte die Fremdenpolizei des Kantons Luzern
Mahmoudi Fehmi die Auflage, sich am 9. Februar 1995 bei ihr zu melden
und sich über seine Bemühungen zur Beschaffung von Reisepapieren
auszuweisen. Mahmoudi Fehmi sprach zwar am genannten Termin bei der
Fremdenpolizei vor, allerdings mit einer Verspätung von zwei Stunden,
weshalb eine Befragung aus terminlichen Gründen nicht möglich war. Er
wurde angewiesen, sich am folgenden Tag noch einmal zu melden. Dieser
Meldepflicht leistete er keine Folge.

    Am 14. Februar 1995 wurde Mahmoudi Fehmi erneut verhaftet und der
Fremdenpolizei des Kantons Luzern zugeführt. Anlässlich der Befragung
vom 15. Februar 1995 stellte er ein Asylgesuch, welches an das Bundesamt
für Flüchtlinge weitergeleitet wurde. Die Fremdenpolizei verfügte
gleichentags gestützt auf Art. 13a lit. a ANAG die Vorbereitungshaft für
die Dauer von drei Monaten. Mit Entscheid vom 17. Februar 1995 bestätigte
das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Einzelrichter) die von der
Fremdenpolizei verfügte Vorbereitungshaft bis längstens 14. Mai 1995.

    Auf eine gegen diesen Entscheid am 13. März 1995 erhobene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil vom
3. April 1995 nicht ein. Dem bundesgerichtlichen Urteil ist zu entnehmen,
dass das Bundesamt für Flüchtlinge bereits am 1. März 1995 das Asylgesuch
entschieden und die Wegweisung des Gesuchstellers verfügt hatte, womit es
schon zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerde am aktuellen praktischen
Interesse an der Überprüfung der Vorbereitungshaft gefehlt habe, welche
nach der gesetzlichen Regelung nur bis zur Eröffnung des erstinstanzlichen
Wegweisungsentscheids dauern könne.

    Die Fremdenpolizei des Kantons Luzern hatte in der Zwischenzeit (nach
Eröffnung des Wegweisungsentscheids durch das Bundesamt für Flüchtlinge)
am 23. März 1995 angeordnet, die Vorbereitungshaft werde bis zum 14. Mai
1995 in die Ausschaffungshaft umgewandelt. Diese Verfügung wurde vom
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern (Einzelrichter) mit Entscheid vom
27. März 1995 bestätigt.

    Mit Eingabe vom 21. April 1995 hat Mahmoudi Fehmi beim Bundesgericht
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts
vom 27. März 1995 erhoben.

    Die Fremdenpolizei des Kantons Luzern beantragt die Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Verwaltungsgericht
auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement (Bundesamt für Flüchtlinge) schliesst in seiner
Vernehmlassung auf Gutheissung der Beschwerde; es begründet diesen
Antrag damit, dass die richterliche Haftprüfung verspätet und zudem ohne
Verhandlung durchgeführt worden sei. Der Beschwerdeführer hat von der
Möglichkeit einer ergänzenden Stellungnahme mit Eingabe vom 1. Mai 1995
Gebrauch gemacht.

    Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und
ordnet die Haftentlassung des Beschwerdeführers an

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Mit dem Bundesgesetz vom 18. März 1994 über Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht (AS 1995 151), welches am 1. Februar 1995 in Kraft trat,
sind u.a. die im Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer (ANAG, SR 142.20) vorgesehenen Bestimmungen über den Vollzug
ausländerrechtlicher Massnahmen grundlegend geändert worden. In Art. 13a
ANAG (neue Fassung) sind die Voraussetzungen der Vorbereitungshaft,
in Art. 13b ANAG jene für die Ausschaffungshaft geregelt.

    Art. 13a ANAG sieht vor, dass der Ausländer, der keine Aufenthalts-
oder Niederlassungsbewilligung besitzt, während der Vorbereitung des
Entscheides über seine Aufenthaltsberechtigung für höchstens drei Monate in
Haft genommen werden kann, um die Durchführung eines Wegweisungsverfahrens
sicherzustellen, sofern einer der fünf in dieser Bestimmung genannten
Haftgründe (lit. a-e) gegeben ist. Nach Eröffnung eines erstinstanzlichen
Weg- oder Ausweisungsentscheids kann die zuständige kantonale Behörde den
Ausländer gemäss Art. 13b ANAG zur Sicherstellung des Vollzugs in Haft
belassen, wenn er sich gestützt auf Art. 13a ANAG bereits in Haft befindet
(lit. a), und sie kann ihn ferner in Haft nehmen, wenn bestimmte weitere
Gründe (lit. b und c) gegeben sind.

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorbereitungshaft kann zwar nahtlos, d.h. ohne
dass der Ausländer zwischenzeitlich freigelassen werden müsste,
in die Ausschaffungshaft überführt werden, wenn der erstinstanzliche
Wegweisungsentscheid ergangen ist. Das darf aber nicht formlos geschehen.
Vielmehr ist die Ausschaffungshaft förmlich anzuordnen, und es hat auch
eine richterliche Haftprüfung stattzufinden. Dies hat das Bundesgericht
bereits im Urteil vom 3. April 1995 festgehalten, mit welchem auf die
vom Beschwerdeführer gegen die Anordnung der Vorbereitungshaft gerichtete
Beschwerde mangels aktuellem Interesse nicht eingetreten wurde. Nach der
gesetzlichen Regelung ist die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der
Haft jeweils spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde
aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen (Art. 13c Abs. 2
ANAG). Ausgangspunkt für die Bemessung der Frist von 96 Stunden ist in
der Regel die Inhaftierung; wenn sich der betroffene Ausländer bereits in
Vorbereitungshaft befindet, ist es die Eröffnung des erstinstanzlichen
Wegweisungsentscheids, mit welchem die Vorbereitungshaft ihre Grundlage
verliert.

    b) Im vorliegenden Fall datiert die erstinstanzliche Verfügung
des Bundesamtes für Flüchtlinge, mit welcher auf das Asylgesuch nicht
eingetreten und der Gesuchsteller aus der Schweiz weggewiesen wurde, vom
1. März 1995. Diese Verfügung ging bei der Fremdenpolizei des Kantons
Luzern am 3. März 1995 ein, während sie dem Beschwerdeführer selbst (durch
Vermittlung der Fremdenpolizei) am 14. März 1995 eröffnet wurde. Erst am
23. März 1995 ordnete die Fremdenpolizei die Ausschaffungshaft an. Die
Haftüberprüfung durch das Verwaltungsgericht, allerdings ohne Durchführung
einer mündlichen Verhandlung, erfolgte am 27. März 1995.

    Aus welchen Gründen die Eröffnung der Wegweisungsverfügung erst
am 14. März 1995 erfolgte, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn
darüber hinweggesehen wird, ist festzustellen, dass die formellen
Haftvoraussetzungen im vorliegenden Fall in schwerwiegender Weise
missachtet wurden. Nicht nur blieb der Beschwerdeführer ohne richterliche
Haftprüfung während längerer Zeit in Haft, sondern das Verwaltungsgericht
führte entgegen der klaren Vorschrift des Gesetzes auch keine mündliche
Verhandlung durch. Die Begründung des Verwaltungsgerichts, der Sachverhalt
sei seit der richterlichen Überprüfung der Vorbereitungshaft unverändert
geblieben, geht das Problem von der verkehrten Seite an; erst aufgrund
der mündlichen Verhandlung ergibt sich, ob der Sachverhalt der gleiche
geblieben ist. Das Verwaltungsgericht hatte im übrigen um so weniger
Anlass, von einer Verhandlung abzusehen, als es die Ausschaffungshaft
auch auf den Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG (Gefahr des
Untertauchens) stützt, der nur für die Ausschaffungshaft massgebend ist
und bei der Vorbereitungshaft noch nicht zur Anwendung kommen konnte.

    c) Nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften führt zur
Haftentlassung. Es kommt vielmehr einerseits darauf an, welche Bedeutung
den verletzten Vorschriften für die Wahrung der Rechte des Betroffenen
zukommt. Einer Haftentlassung kann anderseits das Interesse an einer
reibungslosen Durchsetzung der Ausschaffung entgegenstehen. Dieses
hat besonderes Gewicht und vermag unter Umständen selbst erhebliche
Verfahrensfehler aufzuwiegen, wenn der Ausländer die öffentliche Sicherheit
und Ordnung gefährdet.

    Die Bestimmung von Art. 13c Abs. 2 ANAG, wonach von Amtes wegen
spätestens nach 96 Stunden eine richterliche Überprüfung der Haft
aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu erfolgen hat, stellt die
zentrale prozessuale Garantie dar, welche vor willkürlichem Entzug
der Freiheit schützen soll. Diese Garantie ist im vorliegenden Fall
in gravierender Weise missachtet worden. Die gesetzliche Frist wurde
erheblich, und ohne dass die Fremdenpolizei hiefür einen Grund nennen
würde, überschritten. Eine mündliche Verhandlung wurde überhaupt
nicht durchgeführt. Es rechtfertigt sich daher, den Beschwerdeführer
aus der Haft zu entlassen, zumal nach der Aktenlage nicht gewichtige
Indizien dafür vorliegen, dass er die öffentliche Sicherheit gefährden
würde. Den kantonalen Behörden ist damit nicht verwehrt, die nötigen
Vorkehren für die Ausschaffung zu treffen. So steht nichts entgegen,
dem Beschwerdeführer aufzuerlegen, sich den Behörden für Abklärungen zur
Verfügung zu halten. Sollte er untertauchen, läge ein neuer Sachverhalt
vor, der Grundlage dafür sein könnte, dass er wieder inhaftiert wird.