Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 69



121 III 69

19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. März 1995
i.S. Firma X. AG gegen Bank Y. (Berufung) Regeste

    Art. 1112 OR. Grobfahrlässige Entgegennahme eines Checks vom
Nichtberechtigten.

    Begriff des Abhandenkommens im Sinne von Art. 1112 OR (E. 3a).

    Ansprüche des Berechtigten gegen die Bank, die bösgläubig oder
grobfahrlässig einen Check vom Nichtberechtigten entgegengenommen hat
(E. 3b).

    Prüfungs- und Erkundigungspflichten der Bank bei der Entgegennahme
von Checks; Begriff der groben Fahrlässigkeit im Sinne von Art. 1112 OR
(E. 3c).

    Prüfungspflicht bei der Kontoeröffnung (E. 3d).

    Berücksichtigung von Umständen, für die der Berechtigte einzustehen
hat (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 29. April 1988 liess F., der Geschäftsleiter und nachmalige
Verwaltungsratsdelegierte der Firma X. AG, bei der Bank Y. ein
Kontokorrent mit der Bezeichnung "Firma X. Datensysteme F." eröffnen,
das er ab 27. März 1990 unter der Bezeichnung "Firma X. Datensysteme AG"
weiterführen liess. Diesem Konto liess F. Checks von Kunden der Firma
X. AG gutschreiben. Zu Lasten des Kontos bezahlte er private Rechnungen
und tätigte er Barbezüge. Da F. die Bankpost an seine Privatadresse
senden liess und die Kundenzahlungen bei der Firma X. AG nicht verbuchte,
entdeckte diese seine betrügerischen Machenschaften erst anfangs September
1990.

    B.- Die Firma X. AG wirft der Bank Y. vor, Sorgfaltspflichten verletzt
zu haben, und belangt sie für ihren Schaden. Am 24. Februar 1994 hiess
das Handelsgericht des Kantons Aargau die Klage der Firma X. AG teilweise
gut und verpflichtete die Bank Y., der Klägerin Fr. 27'631.30 nebst Zins
zu 8 3/4% seit 31. März 1990 zu bezahlen.

    C.- Gegen das handelsgerichtliche Urteil hat die Klägerin Berufung,
die Beklagte Anschlussberufung eingelegt.

    Das Bundesgericht heisst beide Rechtsmittel teilweise gut und weist
die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, ob die Beklagte zu Schadenersatz verpflichtet
ist, weil sie Checks von Kunden der Klägerin, die F. veruntreut hatte,
entgegengenommen und dem von diesem eröffneten Konto gutgeschrieben
hat. In Frage stehen zwei Checks der Firma Z. AG über Fr. 24'474.90 und
Fr. 6'199.20 sowie ein Check der Firma C. über Fr. 3'718.80, die alle an
die Order der Klägerin lauteten. Die entsprechenden Gutschriften erfolgten
am 20. April 1988, am 5. Mai 1988 und am 23. Mai 1990.

    Auszugehen ist von der Vorschrift von Art. 1112 OR. Danach ist der
Erwerber eines "irgendwie abhanden gekommenen" Checks zu dessen Herausgabe
nur verpflichtet, wenn er ihn in bösem Glauben erworben hat oder ihm beim
Erwerb eine grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

    a) Der Begriff des Abhandenkommens im Sinne von Art. 1112 OR ist weiter
als jener des Art. 935 ZGB und umfasst alle Fälle, in denen ein Check
ohne rechtswirksamen Begebungsvertrag in fremde Hände gelangt (ZIMMERMANN,
Kommentar des Schweizerischen Scheckrechts, N. 22 zu Art. 1112; OR-WIDMER,
N. 5 zu Art. 1112). Abhanden kommt ein Check deshalb auch, wenn er -
wie im vorliegenden Fall - von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht
veräussert wird (BAUMBACH/HEFERMEHL, Wechselgesetz und Scheckgesetz,
18. Aufl. 1993, N. 3 zu Art. 21).

    b) Die Bank, die einen Check bösgläubig oder grobfahrlässig vom
Nichtberechtigten entgegennimmt, hat ihn, wie Art. 1112 bestimmt, dem
Berechtigten herauszugeben, wird diesem aber in analoger Anwendung von
Art. 940 Abs. 1 ZGB auch für Schaden ersatzpflichtig. Das gilt insbesondere
auch für die Erwerbseinbusse, die dem Berechtigten aus dem Checkverlust
entsteht, wenn die Bank - wovon im vorliegenden Fall auszugehen ist -
zufolge Weiterveräusserung des Checks zu dessen Herausgabe gar nicht mehr
in der Lage ist (OR-WIDMER, N. 9 zu Art. 1112; ZIMMERMANN, aaO, N. 7 ff. zu
Art. 1112 OR; JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, Wertpapierrecht, S. 288 Anm. 13;
vgl. auch BGE 84 II 253 E. 2 S. 260). Sollte die Beklagte bösgläubig
gewesen oder grobfahrlässig gehandelt haben, so hat sie der Klägerin
demnach die Checksummen zu ersetzen.

    c) Da nur grobe Fahrlässigkeit den gutgläubigen Checkerwerb
ausschliesst, braucht die Bank, der ein Check zur Einlösung eingereicht
wird, der Berechtigung des Einreichers grundsätzlich nicht näher
nachzugehen. Der Umfang ihrer Prüfungspflicht ergibt sich bei Orderchecks
zunächst aus Art. 1110 OR. Nach dieser Bestimmung gilt als rechtmässiger
Inhaber eines Orderchecks, wer sein Recht durch eine ununterbrochene Reihe
von Indossamenten nachweisen kann. Die Bank hat deshalb zunächst nur zu
prüfen, ob der Check ordnungsgemäss an den Veräusserer indossiert worden
ist. Diese Prüfung braucht sich dabei weder auf die Echtheit der einzelnen
Unterschriften noch auf die Rechtsgültigkeit der früheren Begebungsakte,
sondern nur auf das äussere Bild einer geschlossenen Indossamentenkette
zu beziehen (ZIMMERMANN, aaO, N. 7 zu Art. 1110; vgl. auch Art. 1121 OR;
ferner BGE 99 Ia 1 E. 1, S. 3; OR-GRÜNINGER/HUNZIKER/NOTTER, N. 4 zu
Art. 1006; ZK-JÄGGI, N. 175 zu Art. 967 OR).

    Eine weitergehende Erkundigungspflicht trifft die Bank nur,
soweit besondere Umstände den Verdacht fehlender Berechtigung des
Einreichers nahelegen. Angesichts des Massenverkehrs mit Checks hat
die Bank von vornherein nur begrenzte Prüfungsmöglichkeiten. Es darf ihr
deshalb nicht zugemutet werden, sämtliche Checkeinlösungen eingehend zu
prüfen. Verdachtsmomente, die jedem sorgfältigen Bankier hätten auffallen
müssen, darf die Bank aber nicht übergehen. Liegen sie vor, sind vielmehr
entsprechende Abklärungen zu treffen, will sich die Bank nicht dem Vorwurf
grober Fahrlässigkeit aussetzen (JÄGGI/DRUEY/VON GREYERZ, aaO, S. 287;
OR-WIDMER, N. 6 zu Art. 1112). Ob und welche Abklärungen erforderlich
sind, entscheidet sich nicht allgemein, sondern hängt von den Umständen
des Einzelfalls ab. Massgebend ist, was der Bank bekannt ist oder bekannt
sein sollte.

    Ein Verdachtsgrund, der näherer Abklärung ruft, ergibt sich
insbesondere, wenn die Bank weiss oder wissen müsste, dass der
Checkeinreicher Kundenchecks seiner Arbeitgeberin auf einem Konto
gutschreiben lässt, das ersichtlich Privatzwecken dient. Die Bank
kann diesfalls nicht, ohne dass ihr grobes Verschulden zur Last fällt,
vom Einverständnis der Arbeitgeberin ausgehen, dass ihr Angestellter
Kundenchecks zu seinen Gunsten einziehen lässt (BAUMBACH/HEFERMEHL, aaO,
N. 15).

    d) Um eine missbräuchliche Benutzung von Bankkonten zu verhindern,
ist die Bank verpflichtet, bei der Eröffnung eines Kontos die Identität
des Kunden zu überprüfen und sich, wenn die Umstände darauf hinweisen, zu
erkundigen, ob der Kunde für einen Dritten als wirtschaftlich Berechtigten
handelt (Art. 2 und 3 VSB; URS ZULAUF, Gläubigerschutz und Vertrauensschutz
- zur Sorgfaltspflicht der Bank im öffentlichen Recht der Schweiz, ZSR
128/1994 II, S. 474 ff.). Diese zunächst öffentlichrechtliche Pflicht
hat Rückwirkungen auf das Privatrecht (ZULAUF, aaO, S. 410 f.; NOBEL,
Bemerkungen zum Verhältnis von Zivil- und Aufsichtsrecht im Bankbereich,
in FS Engel 1989, S. 252). Pflichtwidrigkeiten bei der Kontoeröffnung
können dazu führen, dass der Bank Umstände unbekannt bleiben, die ihr die
Einreichung von Checks als verdächtig hätten erscheinen lassen müssen
(BAUMBACH/HEFERMEHL, aaO, N. 18). Besondere Sorgfalt drängt sich dann
auf, wenn der Kunde gleichzeitig mit der Kontoeröffnung einen Check
einreicht und den gutzuschreibenden Betrag sogleich bar wieder abhebt
(vgl. BAUMBACH/HEFERMEHL aaO, N. 13 und 18).

    e) Entscheidend ist demnach insbesondere, ob die Beklagte wusste
oder bei pflichtgemässer Identifizierung ihres Kunden anlässlich der
Kontoeröffnung hätte wissen müssen, dass F. Checks von Kunden seiner
Arbeitgeberin einlöste. Dazu fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen im
angefochtenen Urteil ebenso wie zu weiteren Umständen, die im Hinblick auf
die Prüfungspflicht der Beklagten von Bedeutung sind. Das Handelsgericht
stellt lediglich fest, dass die Beklagte zu wiederholten Malen Checks,
die ausdrücklich zugunsten der "Firma X. Datensysteme AG, 8953 Dietikon"
lauteten, dem Konto "Firma X. Datensysteme F." mit Adresse in Ennetbaden
bzw. Spreitenbach gutgeschrieben hat, trotz Firmenstempels der Klägerin
auf der Rückseite der Checks. Das Bundesgericht verfügt daher nicht über
hinreichende tatbeständliche Grundlagen, um beurteilen zu können, ob
die Beklagte bei der Entgegennahme der Checks grob fahrlässig gehandelt
hat. Das führt dazu, dass die Streitsache gestützt auf Art. 64 Abs. 1 OG
zur Ergänzung des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen ist.

Erwägung 4

    4.- Der Schadenersatzanspruch gemäss Art. 1112 OR in Verbindung mit
Art. 940 Abs. 1 ZGB kann in Anwendung von Art. 44 Abs. 1 OR herabgesetzt
werden, wenn Umstände zur Schadensverursachung beigetragen haben, für
die der Geschädigte einzustehen hat (vgl. BGE 84 II 263 E. 5 S. 264;
ZK-HOMBERGER, N. 9 zu Art. 940 ZGB; BK-STARK, N. 15a zu Art. 940
ZGB). Sollte die Beklagte wegen grobfahrlässiger Entgegennahme der drei
von F. vorgelegten Checks haften, so muss sich die Klägerin daher eine
Herabsetzung ihres Schadenersatzanspruchs gefallen lassen, wenn und soweit
sie den Schaden mitzuverantworten hat.

    a) Das Handelsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Klägerin im
Rahmen von Art. 44 Abs. 1 OR auch für das Verhalten von F. einzustehen
hat, auf dessen Straftaten ihr Schaden in erster Linie zurückzuführen ist
(vgl. BGE 61 II 184 E. 3 S. 187 f.). Ob sich dies, wie die Vorinstanz
annimmt, auf eine Organhaftung der Klägerin im Sinne von Art. 55
ZGB stützen lässt, erscheint allerdings als zweifelhaft. Eine solche
Haftung würde voraussetzen, dass F. bei der Einlösung der Checks als
Organ der Klägerin und nicht bloss als Privatperson aufgetreten ist
(BGE 101 Ib 422 E. 5b S. 436 f. mit Hinweisen). Wie es sich damit
verhalten hat, wird jedoch - jedenfalls hinsichtlich der Checks, die
vor der "Umschreibung" des Kontos auf die Klägerin eingelöst worden
sind - aus den Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht klar. Eine
Berücksichtigung des Verhaltens von F. zu Lasten der Klägerin rechtfertigt
sich aber auch, wenn die Voraussetzungen einer Organhaftung nicht gegeben
sein sollten. Eine juristische Person hat die Gefahr, dass die von ihr
bestellten Organpersonen ihr Schaden zufügen, grundsätzlich selbst zu
tragen, und zwar auch insoweit, als sie diese Gefahr nicht schuldhaft
herbeigeführt oder erhöht hat (vgl. BK-BREHM, N. 43 ff. zu Art. 44 OR).

    b) Wieweit zusätzlich ein Selbstverschulden der Klägerin wegen
mangelhafter Organisation ihrer Firma und ungenügender Überwachung
ihres Verwaltungsratsdelegierten F. ins Gewicht fällt (vgl. dazu
BAUMBACH/HEFERMEHL, aaO, N. 7), lässt sich aufgrund des angefochtenen
Urteils nicht abschliessend beurteilen. Die Feststellungen der Vorinstanz
zu den massgeblichen Umständen erscheinen als unvollständig. Im weitern
ist zu beachten, dass für die Bemessung des Schadenersatzes im Rahmen von
Art. 44 Abs. 1 OR auch das Verschulden der Beklagten, soweit es zu bejahen
sein sollte (E. 3 hievor), von Bedeutung ist. Wie dieses Verschulden zu
gewichten ist, steht aber ebenfalls noch nicht fest. Die Streitsache ist
deshalb auch hinsichtlich der Frage, wieweit der Schadenersatzanspruch der
Klägerin nach Art. 44 Abs. 1 OR herabzusetzen ist, zur Vervollständigung
des Sachverhalts und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen
(Art. 64 Abs. 1 OG).