Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 448



121 III 448

87. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. November 1995
i.S. R. gegen Einwohnergemeinde Kriens (Berufung) Regeste

    Art. 58 OR. Haftung des Werkeigentümers.

    Für den mangelhaften Zustand eines Werks haftet grundsätzlich
dessen sachenrechtlicher Eigentümer. Voraussetzungen, unter denen es sich
rechtfertigt, ausnahmsweise auf die tatsächliche Sachherrschaft abzustellen
(E. 2 und 3).

Sachverhalt

    A.- R. ist Eigentümer einer Liegenschaft in Kriens. Im Jahre 1983 liess
dort die Einwohnergemeinde Kriens durch ihre Brunnenmeisterin, die Firma
W. AG, einen Abstellhahn, einen Wasserzähler und einen Entleerungshahn
installieren. Am Nachmittag des 23. Juni 1986 brach der Entleerungshahn,
und im Erdgeschoss des Gebäudes entstand eine Überschwemmung.

    Am 21. September 1987 klagte R. beim Amtsgericht Luzern-Land gegen die
Einwohnergemeinde Kriens auf Schadenersatz in der Höhe von Fr. 35'000.--
nebst Zins. Das Amtsgericht hiess mit Urteil vom 29. April 1993 die Klage
im Umfang von Fr. 16'751.45 gut.

    Die Beklagte appellierte, worauf das Obergericht des Kantons Luzern
die Klage am 23. Januar 1995 abwies.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung des Klägers teilweise gut und
weist die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger stützt seine Ansprüche gegen die Beklagte auf die
Werkeigentümerhaftung gemäss Art. 58 OR. Nach dieser Bestimmung hat
der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werks den Schaden
zu ersetzen, der infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder
mangelhaften Unterhalts des Werks entsteht (Abs. 1).

    Das Obergericht ist zum Schluss gelangt, dass der gebrochene
Entleerungshahn nicht im Eigentum der Beklagten, sondern in demjenigen des
Klägers steht. Es hat deshalb die Passivlegitimation der Beklagten verneint
und die Klage abgewiesen. Der Kläger stellt zwar nicht in Abrede, dass die
Beklagte nicht Eigentümerin des gebrochenen Entleerungshahns ist. Seiner
Auffassung nach muss aber die Haftung nach Art. 58 OR dennoch greifen.

Erwägung 2

    2.- a) Als Werke im Sinne von Art. 58 OR gelten Gebäude sowie bauliche
oder technische Anlagen, die mit dem Erdboden, sei es direkt oder indirekt,
fest verbunden sind. Dem entspricht, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes
für Mängel eines Werks in der Regel der Eigentümer des Grundstücks
haftet, auf dem es steht (BGE 106 II 201 E. 2a S. 203 mit Hinweisen). Der
Eigentümer darf nicht mit dem "Besitzer" eines Grundstücks (Art. 57
OR), dem "Halter" einer Sache (Art. 56 OR, Art. 58 SVG; SR 741.01), dem
"Inhaber" einer Anlage oder eines Betriebes (Art. 69 GSchG [SR 814.20],
Art. 1 EHG [SR 221.112.742]) oder ähnlichen Umschreibungen gleichgesetzt
werden. Fest steht insbesondere, dass im Bereich des Art. 58 OR für
Schaden nicht der Mieter oder Pächter, sondern der Eigentümer haftet,
wobei dieser jedoch gegebenenfalls auf jene zurückgreifen kann (BGE 106
II 201 E. 2b, S. 205, mit Hinweisen).

    Werkeigentümer im Sinne von Art. 58 OR ist grundsätzlich der
sachenrechtliche Eigentümer des Werkes. Die Rechtsprechung hat die Haftung
aus Werkeigentum aber hie und da auch auf andere Berechtigte ausgedehnt
(Übersicht bei BREHM, Berner Kommentar, N 14 zu Art. 58 OR). So wurde
etwa in BGE 91 II 281 ein über private Grundstücke führender öffentlicher
Fussweg dem haftpflichtrechtlichen Verantwortungsbereich der Gemeinde,
die daran dienstbarkeitsberechtigt war, zugeordnet mit der Begründung,
für die Bestimmung des haftenden Werkeigentümers sei nicht bloss auf
die Begriffe des Sachenrechtes abzustellen, sondern auf den Zweck, dem
die Werkanlage als Ganzes zu dienen habe (dazu MERZ, ZBJV 103/1967, 36
f.). Diese Aussage ist in BGE 106 II 201 (E. 2b S. 204) relativiert und
auf den Sondertatbestand der Haftung des Gemeinwesens für öffentliche
Strassen und Wege eingegrenzt worden. In einem unveröffentlichten Urteil
vom 5. Mai 1987 (zitiert bei REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht,
S. 216, Rz. 173, bei STARK, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl.,
1988, S. 156 Rz. 757 und bei BREHM, aaO, N 9 und 14 zu Art. 58 OR) hat das
Bundesgericht schliesslich die Haftung der Gemeinde als Erstellerin und
Betreiberin einer Seilbahn bejaht, ohne zu untersuchen, ob die Gemeinde
sachenrechtliche Eigentümerin der Seilbahn war.

    b) Die Lehre hat die bundesgerichtliche Praxis unterschiedlich
aufgenommen. Verschiedene Autoren kritisieren sie mit der Begründung,
sie sei der Rechtssicherheit abträglich, weil sie den klaren und einfachen
Grundsatz verwässere, wonach der Haftpflichtige nach dem Eigentum zu
ermitteln sei (OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Band
II/1, 4. Aufl. 1987, S. 235 Rz. 106; STARK, aaO, S. 156 f. Rz. 758 f.;
GUHL/MERZ/KOLLER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl. 1991,
S. 195). Andere stimmen ihr jedoch zu (BREHM, aaO, N 9 ff., insbes. N 15
zu Art. 58 OR; REY, aaO, S. 215 Rz. 1071; wohl auch DESCHENAUX/TERCIER,
La responsabilité civile, 2. Aufl. 1982, S. 122 Rz. 18; zurückhaltend
A. KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Band I, 5. Aufl. 1993, S. 175 f.).

    c) Passivlegitimiert ist nach dem Wortlaut von Art. 58 OR der
Eigentümer eines mangelhaften Gebäudes oder eines andern mangelhaften
Werkes. Das Bundesgericht (BGE 69 II 394 E. 3, S. 398) und die einhellige
Lehre (BREHM, aaO, N 90 zu Art. 58 OR; REY, S. 205 RZ. 1024; KELLER, aaO
S. 171; DESCHENAUX/TERCIER, aaO, S. 120 Rz. 8; BECKER, Berner Kommentar,
N 2 zu Art. 58 OR; KELLER/GABI, Das schweizerische Schuldrecht, Bd. II,
2. Aufl. 1988, S. 183) sehen die Rechtfertigung der kausalen Haftung
des Werkeigentümers zwar grundsätzlich darin, dass der Eigentümer,
der die wirtschaftlichen Vorteile des Werkes geniesst, auch für die
Schäden einstehen soll, die dessen mangelhafter Zustand verursacht. Die
Haftung hängt indes im Einzelfall nicht davon ab, ob der Eigentümer
tatsächlich wirtschaftlichen Nutzen aus seinem Werk zieht oder ziehen
kann. Art. 58 OR lässt als Voraussetzung der Haftung das sachenrechtliche
Eigentum genügen. Der Eigentümer hat nicht nur unabhängig von eigenem
Verhaltensunrecht, sondern auch unabhängig von seinem konkreten Nutzen
an der Sache für Schäden einzustehen, die ein mangelhafter Zustand des
Werkes verursacht, wobei ihm gegebenenfalls der Rückgriff auf andere
Haftpflichtige vorbehalten bleibt (Art. 58 Abs. 2 OR).

    d) Das Subjekt der Haftung aus Werkeigentum ist also grundsätzlich
durch das Sacheigentum definiert. Die Rechtsprechung hat jedoch seit
jeher für bestimmte Sonderfälle Ausnahmen von diesem Grundsatz anerkannt
(E. a hiervor). Daran ist festzuhalten. Eine Ausdehnung der subjektiven
Haftbarkeit darf angesichts des klaren Gesetzeswortlautes und mit Rücksicht
auf die Rechtssicherheit allerdings nur mit Zurückhaltung angenommen
werden. Vom formellen Kriterium des Eigentums abzusehen, rechtfertigt
sich aber jedenfalls dann, wenn ein Gemeinwesen aufgrund seiner besonderen
Rechtsstellung eine mit privatem Sacheigentum vergleichbare Sachherrschaft
über das Werk ausübt. Diesfalls ist das Gemeinwesen aufgrund seiner - ganz
oder teilweise - im öffentlichen Recht begründeten Sachherrschaft unter
dem Gesichtspunkt von Art. 58 OR einem privatrechtlichen Werkeigentümer
gleichzustellen.

Erwägung 3

    3.- a) Die Beklagte wird als Trägerin der öffentlichen
Wasserversorgung in Anspruch genommen. Der Kläger hat gemäss den
tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil am 16. Januar 1984
mit der Beklagten einen Wasserlieferungsvertrag geschlossen, worin er
dieser unter anderem das Recht zur Erstellung, Belassung, Auswechslung und
Reparatur von Haupt- und Zuleitungen einräumte und sie zur Eintragung einer
entsprechenden Dienstbarkeit im Grundbuch ermächtigte. Die Beklagte hat in
der Folge jedoch keinen solchen Eintrag veranlasst. Das Obergericht hat
weiter festgestellt, dass der gebrochene Entleerungshahn zu den allein
von der Beklagten genutzten Installationen gehört. Der Hahn dient der
Entleerung der Zuleitung zum Wasserzähler und ermöglicht dessen periodische
Auswechslung. Mit den Privatinstallationen des Klägers steht er nicht
in Zusammenhang; diese weisen eine eigene Entleerungsvorrichtung
auf. In Ergänzung der vorinstanzlichen Feststellungen (Art. 64
Abs. 2 OG) ist überdies davon auszugehen, dass sich die Beklagte im
Wasserlieferungsvertrag vom 16. Januar 1984 das ausschliessliche und
ungehinderte Verfügungsrecht über die Wasserzuleitung zum Haus des Klägers
vorbehalten und sich auch für deren Unterhalt als zuständig erklärt hat.

    b) Nach Art. 671 Abs. 1 ZGB gilt alles, was mit einem Grundstück
fest und dauernd verbunden wird, als dessen Bestandteil und fällt daher
in das Eigentum des Grundeigentümers (Art. 641 Abs. 1 ZGB). Von diesem
sogenannten Akzessionsprinzip sieht das Gesetz jedoch verschiedene
Ausnahmen vor (Art. 674-676 und 704 ZGB). Nach Art. 676 ZGB bleiben
Leitungen für Wasser, Gas, elektrische Kraft und dergleichen Zugehör des
Werks, von dem sie ausgehen, und damit Eigentum von dessen Eigentümer
(Abs. 1; BGE 97 II 37 E. 3 S. 39 ff., 326 E. 3 S. 330), wenn das fremde
Grundstück mit einer entsprechenden Dienstbarkeit belastet wird (Abs. 2),
was bei äusserlich nicht wahrnehmbaren Leitungen einen Eintrag im Grundbuch
voraussetzt (Abs. 3). Die Bestimmung bezieht sich zwar zunächst nur auf
Transitleitungen, doch kann verabredet werden, dass auch das Eigentum an
Hausanschlussleitungen und zugehörigen Apparaten dem Eigentümer des Werks,
dessen Erzeugnis über das Leitungsnetz verteilt wird, vorbehalten bleiben
soll (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N 11 f. zu Art. 676 ZGB).

    Die Parteien haben im Vertrag vom 16. Januar 1984 hinsichtlich der
Wasserzuleitung zur Liegenschaft des Klägers ein derartiges dingliches
Leitungsrecht vereinbart. Die Anschlussleitung und die zugehörigen
Apparate sind im Haus des Klägers zwar über Putz verlegt und insofern
vom Innern des Gebäudes aus sichtbar. Da die Leitung im übrigen jedoch
unterirdisch verläuft, ist sie nicht äusserlich wahrnehmbar im Sinne
von Art. 676 Abs. 3 ZGB (MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N 27 zu Art. 676
ZGB). Die Beklagte hätte deshalb nur dann, wie im Wasserlieferungsvertrag
vorgesehen, sachenrechtliche Eigentümerin der Leitung bleiben können,
wenn das Leitungsrecht im Grundbuch eingetragen worden wäre. Daran fehlt
es indessen.

    c) Auch ohne Grundbucheintrag besitzt die Beklagte aber in
bezug auf die mangelhafte Anschlussleitung eine Sachherrschaft,
die derjenigen eines privaten Eigentümers vergleichbar ist. Als
Trägerin eines Versorgungsbetriebes, der in Monopolstellung Wasser
und damit ein lebensnotwendiges Gut liefert, läuft die Beklagte im
Unterschied zu Privaten (vgl. BGE 97 III 89 E. 5 S. 99 ff.) im Falle einer
Zwangsversteigerung der Liegenschaft auch ohne Grundbucheintrag nicht die
Gefahr, ihre Sachherrschaft über die Anschlussleitung mit Wasserzähler
zu verlieren. Die Leitung und die zugehörigen Installationen sind von der
Beklagten erstellt worden und stehen nach dem Wasserlieferungsvertrag in
ihrer alleinigen Verfügungsgewalt. Der Kläger hat weder die Pflicht noch
auch nur das Recht, Mängel der Anlage zu beseitigen. Unter diesen Umständen
kann sich die Beklagte ihrer Haftung nicht mit dem Einwand entziehen, der
Kläger sei selbst Eigentümer des gebrochenen Entleerungshahns. Dieser Hahn
gehört unter dem Gesichtspunkt von Art. 58 OR vielmehr zum Leitungsnetz
der Beklagten, befindet sich mithin haftpflichtrechtlich in deren
Verantwortungsbereich.