Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 310



121 III 310

64. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Juni 1995 i.S. T.
gegen Bank X. (Berufung) Regeste

    Geldüberweisung mit Hilfe des Bankenclearingsystems; vertraglicher
Direktanspruch des Überweisenden gegen die sich weisungswidrig verhaltende
Empfängerbank (Art. 32, 112, 127, 398 Abs. 3 OR).

    Im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr ist die Erstbank indirekte
Stellvertreterin des Überweisenden. Zwischen diesem und der Empfängerbank
bestehen deshalb keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen (E. 3).

    Gegen die im vorliegenden Fall als auftragsrechtliche Substitutin
der Erstbank handelnde Empfängerbank kann der Überweisende einen direkten
Schadenersatzanspruch geltend machen (E. 4), auf welchen die zehnjährige
Verjährungsfrist von Art. 127 OR anwendbar ist (E. 5a).

    Begriff des Sperrkontos (E. 5b).

Sachverhalt

    A.- W. und B. waren einzige Aktionäre der Firma M. AG. Ende 1987
vereinbarten sie, dass B. die Gesellschaft allein weiterführe und die
300 Namenaktien von W. erwerbe. Da B. nicht über die für den Aktienkauf
nötigen Mittel verfügte, stellte ihm der mit ihm befreundete T. ein
Darlehen von Fr. 300'000.-- in Aussicht und erklärte sich bereit, den
Betrag sogleich auf ein Sperrkonto bei der Bank Y. zu überweisen. B. sollte
auf diese Weise ermöglicht werden, sich in den Kaufverhandlungen über die
erforderlichen Mittel auszuweisen, über das Geld aber erst nach Abschluss
eines schriftlichen Darlehensvertrags mit T. verfügen können.

    Am 14. Dezember 1987 wies T. die Bank Z. AG mit Vergütungsauftrag
an, der Bank Y. Fr. 300'000.-- zu überweisen. Die Bank Z. AG führte den
Auftrag mittels des On-line-Bankenclearingsystems SIC (Swiss Interbank
Clearing) aus. In der SIC-Überweisung waren "B. & T. Sperrkonto" als
Begünstigte aufgeführt. Am 16. Dezember 1987 liess die Bank B. wissen,
die von T. überwiesenen Fr. 300'000.-- seien einem am gleichen Tag auf
seinen Namen eröffneten Konto gutgeschrieben worden. Dieses Konto trug
die bankinterne Bezeichnung "Sperrkonto B. & T.". Gegenüber T. erfolgte
von seiten der Bank keine Mitteilung.

    Entgegen den Abmachungen von T. mit B. kam in der Folge kein
schriftlicher Darlehensvertrag zwischen ihnen zustande.

    Am 18. März 1988 verkaufte W. seinen Aktienanteil an der Firma M. AG
zum Preis von Fr. 372'000.-- an B. Der Kaufpreis war mit Fr. 300'000.--
"in bar sofort" und darüber hinaus ab 1. April 1988 in monatlichen Raten
von Fr. 2'000.-- zu tilgen.

    Mit Vergütungsauftrag vom 29. März 1988 gab B. den von T. überwiesenen
Betrag von Fr. 300'000.-- zugunsten von W. gegen Aushändigung der
Namenaktien frei. Die Bank Y. verwendete ihn zur Verrechnung mit
Forderungen, die sie gegenüber W. hatte. T. wurden diese Vorgänge Mitte
1988 bekannt.

    Auf Anfrage von T. bestätigte die Bank Y. mit Schreiben vom
19. Januar 1989, "per 17. Dezember 1987 Fr. 300'000.-- auf Sperrkonto
B. & T. gutgeschrieben zu haben". Am 23. März 1989 teilte sie dem von
T. beauftragten Anwalt mit, das Geld sei für den Aktienkauf verwendet
worden. T. liess ihr darauf mit Schreiben vom 5. Mai 1989 mitteilen,
er mache vorsorglich Schadenersatzansprüche geltend.

    Zwischen Juli 1990 und November 1991 erwirkte T. von
B. mehrere Abzahlungen an die Darlehensschuld im Gesamtbetrag von
Fr. 39'640.--. Danach stellte B. seine Zahlungen ein.

    Am 22. Juni 1992 erhob T. beim Bezirksgericht Aarau Klage gegen die
Bank X. als Rechtsnachfolgerin der Bank Y. Er stellte den Antrag, die
Beklagte zur Zahlung von Fr. 270'000.-- nebst 8 1/4% Zins seit 1. Oktober
1991 sowie von Fr. 568.75 rückständiger Zinsen zu verpflichten. Das
Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 21. April 1993 ab.

    Der Kläger appellierte an das Obergericht des Kantons Aargau, das
sein Rechtsmittel mit Urteil vom 18. März 1994 abwies. Wie bereits das
Bezirksgericht verneinte auch das Obergericht mangels Vertragsbeziehungen
einen vertraglichen Schadenersatzanspruch des Klägers. Es bejahte dagegen
grundsätzlich eine Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung im Sinne
von Art. 41 OR, kam indessen zum Ergebnis, die entsprechende Forderung
des Klägers sei verjährt.

    Der Kläger hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten,
die vom Bundesgericht teilweise gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, ob sich nicht aus den Abläufen im Zusammenhang
mit der Ausführung des Vergütungsauftrags durch die beiden Banken
vertragliche Ansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten ergeben
können. Zu erörtern ist zunächst die rechtliche Bedeutung des von den
Banken verwendeten Clearingsystems.

    a) Das Bankenclearingsystem SIC steht als Girosystem im Dienste des
mehrgliedrigen Überweisungsverkehrs (vgl. zur Ausgestaltung des Systems:
EMCH/RENZ/BÖSCH, Das Schweizerische Bankgeschäft, 4. Aufl., S. 552
ff.). Das System ermöglicht eine zentral gesteuerte und damit schnelle
Abwicklung von Kettenüberweisungen, die ihren Grund darin haben, dass
der Überweisungsempfänger sein Konto nicht bei der gleichen Kontostelle
unterhält wie der Überweisende.

    Im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr handeln die zwischengeschalteten
Banken in eigenem Namen, aber auf fremde Rechnung, somit als indirekte
Stellvertreterinnen. Eine dergestalt vorgenommene Überweisung wird
mittels mehrerer, kettenartig verbundener Verträge abgewickelt, an
denen unterschiedliche Parteien beteiligt sind, wobei die Relativität
der jeweiligen Rechtsbeziehungen zu beachten ist. So besteht zwischen
dem Überweisenden und der Erstbank ein Girovertrag, auf den die
Regeln des Auftragsrechts Anwendung finden. Der in diesem Rahmen
erfolgende Vergütungsauftrag ist eine an die Erstbank gerichtete Weisung
(Art. 397 OR) des Inhalts, mit der kontoführenden Bank des Empfängers
ein Anweisungsverhältnis im Sinne von Art. 466 ff. OR einzugehen. Die
beteiligten Banken sind sodann unter sich durch selbständige Giroverträge
verbunden, auf die ebenfalls die Regeln des Auftragsrechts anwendbar
sind. Aus alldem ergibt sich, dass zwischen dem Überweisenden und der
Empfängerbank grundsätzlich keine unmittelbaren Vertragsbeziehungen
bestehen (vgl. GUGGENHEIM, Die Verträge der schweizerischen Bankpraxis,
3. Auflage, S. 234 und 238 ff.; CLAUS HELBIG, Die Giroüberweisung, deren
Widerruf und Anfechtung nach deutschem und schweizerischem Recht, Diss.
Genf 1970, S. 60 ff.; CdJ GE in SJ 105/1983 78 mit Hinweisen; zum deutschen
Recht: CANARIS, in Grosskomm. HGB, 4. Auflage, Bankvertragsrecht,
Erster Teil, Rz. 392; zum österreichischen: AVANCINI/IRO/KOZIOL,
Österreichisches Bankvertragsrecht, Band I, Rz. 6/21; zum französischen:
RIVES-LANGE/CONTAMINE-RAYNAUD, Droit bancaire, 6. Auflage, Rz. 296 ff.).

    b) Zu beachten ist allerdings, dass nach Art. 32 Abs. 2 OR eine direkte
Stellvertretung auch dann gegeben sein kann, wenn sich der Vertreter
beim Vertragsabschluss nicht als solcher zu erkennen gibt. Die Anwendung
dieser Bestimmung liesse sich im Fall von mehrgliedrigen Überweisungen
damit begründen, dass sich die mitwirkenden Banken des gegenseitigen
Handelns auf fremde Rechnung bewusst sind und es ihnen gleichgültig
sein kann, mit wem sie den Vertrag schliessen. Letzteres trifft indessen
nicht zu. Es ist offensichtlich, dass den am Clearingverkehr beteiligten
Banken nicht gleichgültig sein kann, ob sie nur unter sich oder auch mit
einer möglicherweise unbestimmten Anzahl fremder Bankkunden vertraglich
verbunden sind, ergäben sich in der Geschäftsabwicklung doch erhebliche
Unsicherheiten, wenn sie sich auch um die internen Beziehungen zwischen
ihren Clearingpartnern und deren Kunden kümmern müssten. Aus Art. 32
Abs. 2 OR abgeleitete vertragliche Bindungen der Prozessparteien fallen
somit ausser Betracht.

Erwägung 4

    4.- Zu berücksichtigen und von entscheidender Bedeutung ist indessen,
dass die Erstbank vom Kläger mit der Ausführung eines Auftrags betraut
worden ist, den sie nur mit Hilfe der Empfängerbank erfüllen konnte.
Art. 398 Abs. 3 OR sieht als Ausnahme von der Regel der persönlichen
Auftragsbesorgung jene Fälle vor, in welchen der Beauftragte ermächtigt
oder durch die Umstände genötigt ist, einen Dritten mit der Besorgung
des Geschäfts zu betrauen, oder wenn dies übungsgemäss als zulässig
betrachtet wird. Als "übungsgemäss zulässig" gilt die Übertragung der
Geschäftsbesorgung auf einen Dritten auch dann, wenn der Auftraggeber von
vornherein weiss, dass der Erstbeauftragte zur persönlichen Ausführung
ausserstande ist (FELLMANN, Berner Kommentar, N. 580 zu Art. 398 OR).

    Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Erstbank erhielt vom Kläger den
Auftrag, den Begünstigten "B. & T." Fr. 300'000.-- auf ein "Sperrkonto" bei
der Bank Y. zu überweisen. Der Kläger durfte nach dem Vertrauensprinzip
erwarten, dass auch der Vollzug der Gutschrift auf dem "Sperrkonto" zum
Vertragsinhalt gehörte. Die Erstbank war deshalb gegenüber dem Kläger
nicht nur dazu verpflichtet, der Empfängerbank seine Zahlungsbereitschaft
anzuzeigen, sondern auch, die Gutschrift auf dem angegebenen Konto zu
veranlassen. Die Gutschrift konnte sie aus rechtlichen Gründen nicht
selbst vornehmen, sondern sie musste die kontoführende Empfängerbank
damit beauftragen; zur Erreichung des Vertragsziels und Erfüllung
eines Teils des Vertrages somit im Interesse des Auftraggebers eine am
Vertrag nicht beteiligte Drittpartei beiziehen. Unter diesen Umständen
ist die Empfängerbank als Substitutin im auftragsrechtlichen Sinn zu
betrachten (vgl. BGE 110 II 183 E. 2 S. 196; FELLMANN, Berner Kommentar,
N. 535 ff. zu Art. 398 und N. 35 ff. zu Art. 399 OR; GAUCH/SCHLUEP,
Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band II, 5. Auflage,
Rz. 2842 ff.; HONSELL, Obligationenrecht, Besonderer Teil, S. 274; BUCHER,
Obligationenrecht, Besonderer Teil, 3. Auflage, S. 232).

    a) Gemäss Art. 399 Abs. 3 OR kann der Auftraggeber die Ansprüche,
welche dem Beauftragten gegenüber dem Substituten zustehen, unmittelbar
gegen diesen geltend machen. Als Vorbild für diese Bestimmung diente
Art. 1994 Abs. 2 des französischen Code Civil, welcher den Auftraggeber
ohne Einschränkung berechtigt, direkt gegen den Substituten vorzugehen
("Dans tous les cas, le mandant peut agir directement contre la personne
que le mandataire s'est substituée". Vgl. dazu FELLMANN, Berner Kommentar,
N. 3 und 5 zu Art. 399 OR). Nach einem Teil der Lehre soll die Regelung
von Art. 399 Abs. 3 OR einen Ausgleich schaffen für das Haftungsprivileg
des Beauftragten im Falle befugter Substitution (Art. 399 Abs. 2 OR:
Beschränkung auf die Haftung für gehörige Sorgfalt bei der Wahl und
Instruktion des Substituten; HOFSTETTER, in Schweiz. Privatrecht, Bd.
VII/2, S. 75; FELLMANN, Berner Kommentar, N. 93 zu Art. 399 OR mit
Hinweisen).

    Nach dem Wortlaut von Art. 399 Abs. 3 OR kann der Auftraggeber nur
solche Ansprüche geltend machen, welche dem Beauftragten gegenüber
dem Substituten zustehen. In der Lehre besteht indessen Einigkeit,
dass diese Bestimmung, falls sie nach ihrem Wortlaut ausgelegt wird,
insbesondere unter Berücksichtigung des erwähnten Haftungsprivilegs
des Beauftragten zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Wäre nämlich
auf den Wortlaut abzustellen, so könnte sich der Hauptauftraggeber für
den Ersatz von Schaden, der aus nicht gehöriger Auftragsausführung durch
den Substituten entstanden ist, meistens nicht gegen diesen wenden, denn
der Schaden tritt in solchen Fällen regelmässig nicht beim Beauftragten,
sondern beim Auftraggeber ein (vgl. zum Ganzen FELLMANN, Berner Kommentar,
N. 600 ff. zu Art. 398 OR). Aus diesen Gründen wird in der Literatur
durchwegs befürwortet, den direkten Anspruch des Auftraggebers gegen den
Substituten nicht davon abhängig zu machen, ob dieser den Beauftragten
durch sein Verhalten geschädigt hat. Die rechtliche Grundlage für
den Direktanspruch des Auftraggebers sieht die Mehrheit der Lehre
in solchen Fällen allerdings nicht in Art. 399 Abs. 3 OR, sondern im
Vertragsverhältnis zwischen dem Beauftragten und dem Substituten. Dieses
wird teils als Vertrag zugunsten eines Dritten, des Hauptauftraggebers, im
Sinne von Art. 112 OR qualifiziert (GAUTSCHI, Berner Kommentar, N. 10a zu
Art. 399 OR; BUCHER, aaO, S. 232; WEBER, in Kommentar zum Schweizerischen
Privatrecht, Basel, N. 6 zu Art. 399; HOFSTETTER, aaO, S. 75; vgl. auch BGE
110 II 183 E. 2b S. 186). Teils wird im Substitutionsauftrag ein Vertrag
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gesehen (FELLMANN, N. 615 ff. zu
Art. 398 OR und N. 102 zu Art. 399 OR). Vereinzelt wird schliesslich
die Auffassung vertreten, der Direktanspruch lasse sich unmittelbar
aus Art. 399 Abs. 3 OR ableiten, weil diese Bestimmung als gesetzlich
geregelter Fall der Drittschadensliquidation zu deuten sei (HONSELL,
aaO, S. 275). Im Ergebnis stimmen diese Auffassungen mit dem bereits
zitierten Bundesgerichtsentscheid überein, wo festgehalten wurde, der
Hauptauftraggeber sei gegenüber dem Substituten weisungsberechtigt, und
dieser werde schadenersatzpflichtig, wenn er eine solche Weisung nicht
befolge (BGE 110 II 183 E. 2b S. 186 f.).

    b) Ein Vergleich mit dem Recht und der Rechtsprechung der
Nachbarländer zeigt, dass ein Direktanspruch des Hauptauftraggebers
gegenüber dem Substituten insbesondere auch für den Fall der mehrgliedrigen
Banküberweisung allgemein anerkannt ist.

    Wie bereits festgehalten, gibt Art. 1994 Abs. 2 des französischen
Code civil (CC) dem Auftraggeber das Recht, direkt gegen den Substituten
vorzugehen. Nach französischer Lehrmeinung ist die Empfängerbank im
mehrgliedrigen Überweisungsverkehr Substitutin der erstbeauftragten
Bank. Unterlaufen ihr bei der Auftragsausführung Fehler, so kann der
Hauptauftraggeber den ihm daraus entstandenen Schaden gestützt auf
Art. 1994 Abs. 2 CC gegen sie einklagen (RIVES-LANGE/CONTAMINE-RAYNAUD,
aaO, Rz. 297; Encyclopédie juridique DALLOZ, Droit commercial, Rz. 73
f. zum Stichwort "virement").

    Nach mehrheitlicher deutscher Lehre liegt beim mehrgliedrigen
Überweisungsverkehr der Fall eines zwischen den Banken geschlossenen
Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte vor. Der Hauptauftraggeber kann
als "geschützter Dritter" vertragliche Schadenersatzansprüche direkt
gegen die Empfängerbank geltend machen (MünchKomm/GOTTWALD, N. 120 zu §
328 BGB; LARENZ, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, 14. Auflage, S. 228
Fn. 28; CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 21 ff. und 395; VON GABLENZ,
Die Haftung der Banken bei Einschaltung Dritter, S. 225). Begründet wird
die Schutzwürdigkeit des Hauptauftraggebers mit dem Hinweis darauf,
dass in den Massengeschäften des bankenmässigen Zahlungsverkehrs der
Publikumsschutz als Korrelat der mit der Verfahrensstandardisierung
erzielten Kostenvorteile zu betrachten sei (ESSER/SCHMIDT, Schuldrecht,
Band I/2, 7. Auflage, S. 253). Als weiteres Argument wird zudem
vorgebracht, der Schutz des Hauptauftraggebers könne nicht von
der Zufälligkeit der Zwischenschaltung einer weiteren Bank abhängen,
wenn diese einen haftungsbegründenden Fehler gemacht habe (CANARIS,
Schutzwirkungen zugunsten Dritter bei "Gegenläufigkeit" der Interessen,
JZ 1995, S. 441 ff., S. 443).

    In der österreichischen Literatur wird ebenfalls die Auffassung
vertreten, das Verhältnis zwischen der Bank des Auftraggebers und
der Empfängerbank könne als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des
Auftraggebers angesehen werden. Bei Einschaltung weiterer Banken liege
eine Kette von Verträgen vor, die mit Schutzwirkung zugunsten des
Auftraggebers ausgestattet seien. Zu bedenken sei jedoch, dass die dem
Auftraggeber entstehenden Nachteile stets blosse Vermögensschäden seien
und diese in der Regel nicht in den Schutzbereich einbezogen seien. Eine
Ausnahme von diesem Grundsatz werde allerdings dann anerkannt, wenn die
Hauptleistung ersichtlich gerade dem geschädigten Dritten zukommen solle,
was insbesondere bei Verträgen zugunsten Dritter oder bei mittelbarer
Stellvertretung der Fall sei. Diese Voraussetzung könne bei der Überweisung
wohl als gegeben angesehen werden, da die Hauptleistung in der Zahlung
für den Überweisenden liege und die Bank des Überweisenden - erkennbar -
als dessen mittelbarer Stellvertreter agiere (AVANCINI/IRO/KOZIOL, aaO,
Band I, Rz. 6/24; vgl. auch Band II, Rz. 3/142 mit Hinweisen).

    c) Zu berücksichtigen ist schliesslich, dass sich die Anerkennung
eines Direktanspruchs auch aufgrund von - zum Teil bereits erwähnten -
Überlegungen aufdrängt, die unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit
von Art. 399 Abs. 3 OR unmittelbar auf die rechtliche Wertung
der Interessen der am Überweisungsverhältnis beteiligten Parteien
abstellen. Als Ausgangspunkt dient der Umstand, dass die indirekten
Vertretungsverhältnisse im mehrgliedrigen Überweisungsverkehr regelmässig
offenliegen, weil keine der beteiligten Banken davon ausgehen darf, die
andere handle ausschliesslich auf eigene Rechnung. Das Drittinteresse ist
dem bankeninternen Giroverkehr immanent und allseits erkennbar, ebenso das
Schutzbedürfnis des Überweisenden gegenüber Fehlleistungen der Banken. Der
bankeninterne Giroverkehr steht im Dienste der Überweisungspartner und
soll die Geschäftsabwicklung zwischen den Banken erleichtern. Die mit
dieser Erleichterung einhergehenden Risiken von Fehlleistungen aber müssen
sachgerecht die Banken und nicht die Überweisungspartner tragen. Diese
dürfen nicht allein wegen der Zwischenschaltung einer weiteren Bank
schutzlos bleiben, obwohl die Voraussetzungen einer Pflichtverletzung an
sich vorliegen. Es geht letztlich darum, zu verhindern, dass aufgrund rein
zahlungstechnischer oder organisatorischer Zufälligkeiten Schutzansprüche
wegfallen bzw. Pflichten leerlaufen, die "eigentlich", das heisst abgesehen
von der Vertragsgläubigerstellung des Geschädigten, gegeben sind (CANARIS,
JZ 1995, S. 443).

Erwägung 5

    5.- a) Der Direktanspruch des Hauptauftraggebers ist vertraglicher
Natur. Das gilt unabhängig davon, ob er unmittelbar aus Art. 399 Abs. 3
OR abgeleitet oder seine Grundlage in einem Vertrag zugunsten Dritter im
Sinne von Art. 112 OR gesehen wird. Anwendbar ist somit die zehnjährige
Verjährungsfrist von Art. 127 OR, die mit der Klageeinreichung im Juni
1992 offensichtlich eingehalten worden ist.

    b) Das Obergericht wirft der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin
vor, sie hätte dem Vermerk auf dem Formular der SIC-Überweisung
entnehmen müssen, dass der Kläger mit aller Wahrscheinlichkeit das
Geld nicht B. allein, sondern ihm und einer weiteren Person, "T.",
habe gutschreiben wollen, wobei aber unklar gewesen sei, ob diese
zwei Personen an den Fr. 300'000.-- als Solidargläubiger oder als
Gläubigergemeinschaft hätten berechtigt sein sollen. Diese Zweifel
hätten die Bank Y. veranlassen müssen, die Absenderbank oder den in der
SIC-Überweisungsanzeige aufgeführten Absender aufzufordern, das begünstigte
Konto bzw. die begünstigten Personen eindeutig zu bezeichnen, oder "das
Geld zu retournieren".

    Dem Obergericht ist zuzustimmen, dass der Vermerk, Begünstigte
seien "B. & T. Sperrkonto" unter den gegebenen Umständen zwar keine
eindeutige Bedeutung hatte, von der Adressatin aber jedenfalls nicht
als Weisung verstanden werden durfte, den Betrag von Fr. 300'000.--
einem Konto gutzuschreiben, über das B. allein verfügen konnte. Nach
der hier massgebenden Fachsprache liegt das entscheidende Kriterium des
Sperrkontos nicht in einer Mehrzahl von Inhabern, sondern allgemeiner
darin, dass die Verfügungsmacht des Kontoinhabers über das Guthaben
besonderen Einschränkungen, namentlich der Zustimmung eines Dritten,
unterstellt ist (CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 250; AVANCINI/IRO/KOZIOL,
aaO, Rz. 4/201). Beim sogenannten Und-Konto, auf welches das Obergericht
offenbar Bezug nimmt, handelt es sich um eine besondere Ausgestaltung
des Sperrkontos mit mehreren Inhabern, die nur gemeinsam - als
Gläubigergemeinschaft - darüber verfügen können (GUGGENHEIM, aaO,
S. 212; CANARIS, in Grosskomm. HGB, Rz. 230 und 251). Die Beklagte
bzw. ihre Rechtsvorgängerin handelte somit weisungswidrig, das heisst in
Verletzung des im Überweisungsverhältnis eingegangenen Girovertrags, indem
sie den vom Kläger überwiesenen Betrag dem Konto von B. gutschrieb. Diese
Vertragsverletzung bildet nach den vorangehenden Ausführungen die Grundlage
des Direktanspruchs des Klägers gegenüber der Beklagten.

    c) Das Obergericht hat sich - entsprechend seiner Rechtsauffassung -
zu den übrigen Voraussetzungen einer vertraglichen Schadenersatzpflicht
der Beklagten noch nicht geäussert. Dabei handelt es sich insbesondere
um die Fragen der Kausalität der Vertragsverletzung für den geltend
gemachten Schaden, des Verschuldens der Beklagten und des Ausmasses ihrer
Ersatzpflicht. In Gutheissung des Eventualbegehrens der Berufung ist daher
die Streitsache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.