Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 31



121 III 31

10. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 12.
Januar 1995 i.S. S. (Rekurs) Regeste

    Arrestierung einer Freizügigkeitsleistung; Anforderungen an das
Auszahlungsbegehren (Art. 275 SchKG, Art. 92 Ziff. 13 SchKG; Art. 11 OR).

    Stellt ein Arbeitnehmer, der die Schweiz endgültig verlässt, ein
ausdrückliches Begehren um Auszahlung seiner Freizügigkeitsleistung,
wird sein Guthaben fällig und kann in der Folge gepfändet und mit Arrest
belegt werden (E. 2b u. c).

    Das Auszahlungsbegehren unterliegt keinen gesetzlichen
Formvorschriften, so dass auch eine telefonische Erklärung die Fälligkeit
des Freizügigkeitsguthabens bewirkt (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Nachdem S. Ende November 1989 aus dem Dienst der Stadt Zürich
ausgetreten und definitiv nach Spanien zurückgekehrt war, ersuchte er
die Versicherungskasse der Stadt Zürich am 14. Mai 1990 telefonisch um
Barauszahlung seines Freizügigkeitsanspruchs.

    B.- Am 6. März 1992 erwirkte X. bei der Einzelrichterin im summarischen
Verfahren am Bezirksgericht Zürich gegen S. einen Arrestbefehl. Als
Arrestgegenstand wurde dessen Guthaben bei der Versicherungskasse der
Stadt Zürich bezeichnet. Das Betreibungsamt Zürich 4 vollzog den Arrest am
9. März 1992 bei der Versicherungskasse der Stadt Zürich und teilte ihr
mit, dass die Ansprüche von S. ihr gegenüber bis zum Betrag von Fr. -.--
mit Beschlag belegt seien und dass die Forderung, sofern und soweit sie
zur Zahlung fällig sei, dem Betreibungsamt Zürich 4 zu zahlen sei. In der
Folge teilte die Versicherungskasse der Stadt Zürich dem Betreibungsamt
Zürich 4 mit, dass die arrestierten Freizügigkeitsansprüche nicht fällig
seien. Gemäss Art. 92 Ziff. 13 SchKG seien sie nicht pfändbar und
demzufolge laut Art. 275 SchKG auch nicht verarrestierbar. Mit Schreiben
an die Versicherungskasse der Stadt Zürich vom 18. März 1992 erklärte
das Betreibungsamt Zürich 4, am Arrestvollzug festhalten zu wollen.

    C.- Nachdem die Arresturkunde am 1. April 1992 versandt worden
war, erhob die Versicherungskasse der Stadt Zürich beim Bezirksgericht
Zürich Beschwerde gegen den Arrestvollzug. Dieses wies die Beschwerde
mit Beschluss vom 20. Januar 1993 ab. Der dagegen erhobene Rekurs wurde
vom Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 3. November 1994
abgewiesen. Im gleichen Sinn entschied die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Rekurrentin macht geltend, dass die Freizügigkeitsleistung
des Versicherten zu Unrecht mit Arrest belegt worden sei. Beim
Arrestgegenstand handle es sich um einen Anspruch des Arrestschuldners
auf Vorsorgeleistungen, der gemäss Art. 92 Ziff. 13 SchKG vor der
Fälligkeit unpfändbar sei. Die Barauszahlung eines Vorsorgeguthabens
an einen Arbeitnehmer, der die Schweiz definitiv verlassen habe, setze
ein ausdrückliches Begehren voraus, an welches hohe Anforderungen
zu stellen seien. Ein Telefonanruf des Versicherten aus dem Ausland
genüge diesen strengen Anforderungen nicht und entfalte demnach keine
Rechtswirkungen. Daraus folge, dass der Vorsorgeanspruch nicht fällig
geworden sei und deshalb weder gepfändet noch mit Arrest belegt werden
könne.

    a) Die kantonale Aufsichtsbehörde hat für das Bundesgericht verbindlich
festgehalten (Art. 81 OG in Verbindung mit Art. 63 Abs. 2 OG), dass
der Versicherte die Schweiz endgültig verlassen und am 14. Mai 1990
telefonisch um die Barauszahlung der Freizügigkeitsleistung nachgesucht
hat. Ein schriftliches Auszahlungsbegehren liegt nicht vor.

    b) Gemäss Art. 275 SchKG wird der Arrest nach den in Art. 91-109
SchKG für die Pfändung aufgestellten Vorschriften vollzogen. Nach
Art. 92 Ziff. 13 SchKG sind Ansprüche auf Vorsorgeleistungen gegen
eine Personalvorsorgeeinrichtung vor Fälligkeit unpfändbar. Stellt
ein Versicherter, der die Schweiz endgültig verlässt, das Begehren
um Barauszahlung seines Vorsorgeguthabens (Art. 331c Abs. 4 lit. b
Ziff. 1 OR, Art. 30 Abs. 2 lit. a BVG [SR 831.40], Art. 7 Abs. 2 lit. b
Ziff. 1 der Verordnung über die Erhaltung des Vorsorgeschutzes und die
Freizügigkeit [SR 831.425] vgl. auch Art. 5 Abs. 1 lit. a des am 1. Januar
1995 in Kraft getretenen Freizügigkeitsgesetz [AS 1994, 2386]), wird die
Freizügigkeitsleistung fällig und kann in der Folge gepfändet und mit
Arrest belegt werden (BGE 120 III 75 E. 1a).

    c) Die Rekurrentin ist der Auffassung, dass angesichts des
Grundsatzes der Erhaltung des Vorsorgezwecks und des Ausnahmecharakters
der Barauszahlung an das diesbezügliche Begehren erhöhte Anforderungen
zu stellen seien. Ein aus dem Ausland telefonisch gestelltes Ersuchen
um Barauszahlung genüge den strengen Voraussetzungen nicht. Gemäss BGE
119 III 18 ist die Freizügigkeitsleistung eines Arbeitnehmers unpfändbar
und nicht verarrestierbar, solange nicht ein ausdrückliches Begehren auf
Barauszahlung gestellt worden ist. Die Fälligkeit des Vorsorgeguthabens
wird demnach nicht bereits durch den Umstand herbeigeführt, dass ein
Versicherter die Schweiz definitiv verlässt, sondern es bedarf zusätzlich
einer ausdrücklichen Erklärung. Als ausdrücklich gilt eine Erklärung durch
Worte, soweit der erklärte Wille aus den verwendeten Worten unmittelbar
hervorgeht (GAUCH/SCHLUEP, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner
Teil, Band I, 5. Aufl. 1991, N. 188). Der Arrestschuldner hat am 14. Mai
1990 telefonisch die Barauszahlung seines Freizügigkeitsguthabens
verlangt. Es ist demnach davon auszugehen, dass eine ausdrückliche
Erklärung abgegeben worden ist.

    Soweit sich die Rekurrentin darauf beruft, dass an die ausdrückliche
Erklärung erhöhte Anforderungen zu stellen seien, macht sie sinngemäss
geltend, dass für die Rechtswirksamkeit des Auszahlungsbegehrens die
Schriftform erforderlich sei. Nach dem Grundsatz der Formfreiheit bedürfen
Verträge zu ihrer Gültigkeit indessen nur dann einer besonderen Form,
wenn dies vom Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben wird (Art. 11 Abs. 1
OR). Was im OR über die Form der Verträge bestimmt wird, ist analog auf
einseitige Rechtsgeschäfte anzuwenden (VON TUHR/PETER, Das Schweizerische
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, Band I, 1974, S. 234, Fn. 4). Die
einschlägigen Gesetzesbestimmungen (Art. 331c Abs. 4 lit. b OR, Art. 30
Abs. 2 BVG, Art. 7 Abs. 2 lit. b der Verordnung über die Erhaltung des
Vorsorgeschutzes und Freizügigkeit) setzen keine Schriftform für das
Barauszahlungsbegehren voraus. Gemäss der verbindlichen Feststellung der
kantonalen Aufsichtsbehörden sieht auch Art. 28 Abs. 5 der Statuten der
Versicherungskasse für die Arbeitnehmer der Stadt Zürich vom 24. Oktober
1994 keine Schriftform vor. Da dem klaren Wortlaut der genannten
Bestimmungen kein Erfordernis der Schriftform entnommen werden kann,
erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den Hinweisen der Rekurrentin
auf die Materialien und die Literatur. Der klare Gesetzeswortlaut lässt
keinen Raum für eine Auslegung (117 III 44 E. 1).

Erwägung 3

    3.- Nachdem der Arrestschuldner die Schweiz definitiv verlassen und am
14. Mai 1990 telefonisch ausdrücklich den Bezug der Freizügigkeitsleistung
verlangt hat, ist der Barauszahlungstatbestand gemäss Art. 331c
Abs. 4 lit. b Ziff. 1 OR, Art. 30 Abs. 2 lit. a BVG sowie Art. 7 Abs.
2 lit. b Ziff. 1 der Verordnung über die Erhaltung des Vorsorgeschutzes
und die Freizügigkeit erfüllt. Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten
zutreffend erkannt, dass das Begehren um Barauszahlung nicht an die
Schriftform gebunden ist, sondern auch formfrei erfolgen kann. Ist jedoch
Schriftlichkeit nicht erforderlich, entfaltet auch eine formfrei abgegebene
Willenserklärung Rechtswirkung (Art. 11 Abs. 1 OR). Das Vorsorgeguthaben
konnte deshalb mit Arrest belegt werden.