Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 279



121 III 279

56. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Mai 1995
i.S. Actron Security AG gegen George Jay Lichtblau und Checkpoint Systems
Inc. (Berufung) Regeste

    Patentnichtigkeitsklage; Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung
des Patentgegenstands (Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis und 27 Abs. 1 PatG).

    Ein solcher Nichtigkeitsgrund führt nicht zwangsläufig zur
Vollnichtigkeit des Patents. Der Richter hat vielmehr die Möglichkeit,
bei gegebenen Voraussetzungen die Teilnichtigkeit des Patents festzustellen
und es entsprechend einzuschränken (E. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte rügt eine Verletzung von Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis
PatG (SR 232.14). Nach ihrer Auffassung muss eine unzulässige Erweiterung
des Gegenstands des Patents im Sinne dieser Bestimmung, wie sie von der
Vorinstanz bejaht wurde, zwingend zur Vollnichtigkeit führen und ist eine
blosse Einschränkung des Patents durch den Richter wegen Teilnichtigkeit
(Art. 27 PatG) ausgeschlossen. Die Beklagte macht zudem geltend, der vom
Handelsgericht neugefasste Patentanspruch 1 sei ebenfalls nichtig, weil
mit dem Weglassen des Merkmals der "Bogenentladung" der Gegenstand des
Patents im Sinne von Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis PatG unzulässig erweitert
worden sei.

    a) Ein Patent ist nach Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis PatG vom Richter
als nichtig festzustellen, wenn dessen Gegenstand über den Inhalt
des Patentgesuchs in der für das Anmeldedatum massgebenden Fassung
hinausgeht. Der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen nachträglichen
Erweiterung des anspruchsgemässen Patentgegenstands ist Art. 138 Abs. 1
lit. c EPÜ entnommen und mit dem Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976
(AS 1977 1997 ff.) in das nationale Recht überführt worden (im Rahmen
der sog. Harmonisierung; vgl. BGE 120 II 71 E. 2 S. 73). Die Bestimmung
knüpft an die gleichzeitig neugefassten Art. 56 Abs. 1 PatG (Erfordernis
ausformulierter Patentansprüche im Zeitpunkt der Einreichung des
Patentgesuchs) sowie Art. 58 Abs. 2 PatG (Änderung der technischen
Unterlagen über den Offenbarungsgehalt) an und entspricht sachlich,
das heisst bezüglich Gegenstand und Schutzbereich des Patents, dem
Teilverzichtstatbestand von Art. 24 Abs. 1 lit. c PatG (vgl. Botschaft
des Bundesrats vom 24. März 1976, BBl 1976 II 1 ff., 76 f.).

    Betrifft ein Nichtigkeitsgrund nur einen Teil der patentierten
Erfindung, so ist das Patent durch den Richter entsprechend einzuschränken
(Art. 27 Abs. 1 PatG). Das Handelsgericht wendet die Bestimmung auch auf
den Nichtigkeitsgrund von Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis PatG an. Die Beklagte
hält dieses Vorgehen für bundesrechtswidrig.

    Nach der Gesetzessystematik und dem Wortlaut erfasst Art. 27 PatG
sämtliche Nichtigkeitsgründe von Art. 26 Abs. 1 PatG. In der Literatur
wird denn auch die Auffassung vertreten, die Gründe, derentwegen
eine Teilnichtigkeit ausgesprochen werden könne, seien die in Art. 26
Abs. 1 PatG aufgezählten (RETO M. HILTY, Der Schutzbereich des Patents,
S. 280). Dieser Meinung ist zuzustimmen. Entgegen dem Einwand der Beklagten
wird sie nicht dadurch in Frage gestellt, dass Art. 27 PatG älteren Datums
ist als Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis PatG, denn die Grundsätze, dass die
jüngere der älteren und die spezielle der allgemeinen Norm vorgeht, kommen
nicht zur Anwendung, da die entsprechenden Voraussetzungen fehlen. Zum
einen ist weder unter systematischem noch teleologischem Gesichtspunkt
ein Widerspruch zwischen den beiden Gesetzesvorschriften erkennbar. Zum
andern stehen sie nicht im Verhältnis von allgemeiner zu spezieller Norm.

    Rechtsvergleichend ist sodann festzuhalten, dass das EPÜ in
Art. 138 Abs. 2 die Teilnichtigkeit mit Beschränkungsmöglichkeit für
alle im vorangehenden Absatz des Artikels genannten Nichtigkeitsgründe
vorsieht (vgl. SINGER, N. 5 zu Art. 138 EPÜ). Sodann gilt im -
ebenfalls harmonisierten - deutschen und französischen Recht, dass
sämtliche Nichtigkeitsgründe mit der milderen Massnahme der blossen
Patentbeschränkung beseitigt werden können, wozu auch der Fall der
unzulässigen Erweiterung des Patentgegenstands gehört (BENKARD/ROGGE,
9. Aufl., N. 18 ff. zu § 21 DPatG sowie N. 48 und 56 ff. zu § 22 DPatG;
MATHÉLY, Le nouveau droit français des brevets d'invention, S. 387
f.). In der deutschen Literatur wird im übrigen darauf hingewiesen,
dass die unzulässige Erweiterung des Patentgegenstands für sich
allein in aller Regel lediglich eine Teilnichtigkeit zur Folge habe,
welcher durch Beschränkung des Patents Rechnung zu tragen sei (BALLHAUS,
Folgen der Erweiterung der Patentanmeldung, GRUR 1983, S. 1 ff., S. 6;
BENKARD/ROGGE, N. 48 zu § 22 DPatG). Für das schweizerische Recht ergibt
sich nichts anderes.

    Zu beachten ist allerdings, dass die Einschränkung des teilnichtigen
Patents durch Einfügen zusätzlicher Merkmale, soll sie nicht ihrerseits
zu einer Erweiterung führen, nur mit Elementen zulässig ist, die
in der erteilten Fassung des Patents in ihrer Bedeutung für die
technische Lehre bereits offenbart wurden (BENKARD/ROGGE, N. 36 zu §
22 DPatG; BERNHARDT/KRASSER, Lehrbuch des Patentsrechts, S. 437 f.). Zu
berücksichtigen ist zudem, dass einer unzulässigen Erweiterung, die
im Nachbringen eines ursprünglich nicht offenbarten und nicht bloss
wahlweise aufgeführten Merkmals bestand, wegen der damit verbundenen
Erweiterung des Schutzbereichs mit Rücksicht auf die Interessen Dritter
im allgemeinen nicht mit einer Anspruchsänderung durch Streichung dieses
Merkmals Rechnung getragen werden kann (BERNHARDT/KRASSER, aaO, S. 438;
BENKARD/ROGGE, N. 57 zu § 22 DPatG; a.A. BALLHAUS, aaO, S. 7). Das
angefochtene Urteil stimmt mit diesen Grundsätzen überein. Eine Verletzung
von Bundesrecht durch das Handelsgericht ist insoweit nicht erkennbar.

    b) Das Handelsgericht stellt übereinstimmend mit den Äusserungen
des gerichtlichen Gutachters fest, in den ursprünglich eingereichten
Unterlagen sei eine Resonanzetikette beschrieben worden, die ein flaches
Substrat aus dielektrischem Material aufweise, auf dessen entgegengesetzten
Oberflächen ein Paar aufeinander ausgerichteter und einen Kondensator des
Schwingkreises der Etikette bildender leitender Bereich angeordnet sei,
wobei an die beiden Kondensatorplatten Leiterbahnen anschlössen. Aus
diesen Unterlagen gehe zudem hervor, dass zwischen bestimmten Stellen
auf beiden Kondensatorplatten oder zwischen einer bestimmten Stelle auf
einer Kondensatorplatte und der anderen Kondensatorplatte oder zwischen
einer Kondensatorplatte und einer gegenüberliegenden Stelle der an die
andere Kondensatorplatte anschliessenden Leiterbahn ein geringerer Abstand
bestehe als zwischen den übrigen Teilen der leitenden Bereiche, so dass an
diesen Stellen ein Pfad quer durch das dielektrische Substrat und zwischen
den leitenden Bereichen definiert sei, entlang dem bei hinreichender
Energiezufuhr ein Durchschlag nach Art einer Bogenentladung erfolge.

    Das Handelsgericht ist zum Ergebnis gekommen, dass das Patent in der
erteilten Fassung durch das Weglassen des Merkmals des flachen Substrats
aus dielektrischem Material einerseits und des Merkmals der Anordnung
gegenseitig ausgerichteter leitender Bereiche auf gegenüberliegenden
Oberflächen des Substrats zur Bildung eines Kondensators anderseits
unzulässig erweitert worden sei. Nicht als Erweiterung betrachtete das
Handelsgericht dagegen das Weglassen des Merkmals der "Bogenentladung". Mit
der Berufung wird demgegenüber geltend gemacht, auch das Weglassen dieses
Merkmals sei als unzulässige Erweiterung im Sinne von Art. 26 Ziff. 3bis
PatG zu beurteilen.

    Nach Meinung des gerichtlichen Gutachters, der sich das Handelsgericht
angeschlossen hat, ist das Weglassen des Merkmals der "Bogenentladung"
deshalb unbedenklich, weil das - in der erteilten Fassung aufgeführte -
Merkmal der "Bildung eines Pfads verminderten Widerstands" dem Fachmann
den eindeutigen Hinweis liefere, dass hier ein Durchschlag durch das
Dielektrikum erfolge. Die Beklagte wendet mit der Berufung ein, in
der ursprünglichen Fassung sei dem Fachmann nur eine ausschliessliche
Ausführungsform offenbart worden, wogegen die erteilte Fassung offener sei,
indem namentlich auch die Möglichkeit bestehe, den "Pfad verminderten
Widerstands" durch Laserlicht zu bilden. Der Einwand geht indessen an
der Sache vorbei. Nach dem objektiven Verständnis des massgebenden
Patentanspruchs lokalisiert der "Pfad verminderten Widerstands"
den zu erwartenden Durchschlag und dient die ursprünglich erwähnte
"Bogenentladung" nicht ihrerseits der Bildung dieses Pfades. Einzelheiten
aber, welche der Fachmann aus der Beschreibung der Erfindung aufgrund
seines Fachwissens ohne weiteres erkennen kann, bedürfen der Offenbarung
nicht, und ihr Weglassen stellt deshalb keine unzulässige Erweiterung des
Patentgegenstands dar. So verhält es sich mit der insoweit unbeanstandet
gebliebenen fachtechnischen Auffassung des gerichtlichen Experten im
vorliegenden Fall hinsichtlich des Merkmals der "Bogenentladung". Die
Rüge einer Verletzung von Art. 26 Abs. 1 Ziff. 3bis PatG erweist sich
daher auch insoweit als unbegründet.