Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 20



121 III 20

7. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 29.
März 1995 i.S. X. Regeste

    Einkommenspfändung (Art. 93 SchKG).

    Der Grundsatz, dass bei der Berechnung des Existenzminimums nur
tatsächlich bezahlte Beträge berücksichtigt werden können, gilt auch
für Wohnungsmietzinse und Krankenkassenprämien. Der Schuldner kann eine
Revision der Einkommenspfändung verlangen in dem Moment, wo er nachweist,
dass er einen Mietvertrag bzw. einen Versicherungsvertrag abgeschlossen
hat und dass er die vereinbarten Mietzinse bzw. Versicherungsprämien auch
tatsächlich bezahlt.

Sachverhalt

    A.- Nachdem das Obergericht des Kantons Zürich als obere
kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs das
Existenzminimum der Schuldnerin - unter Berücksichtigung von Wohnkosten
und Krankenversicherungsprämien - von Fr. 1'604.-- auf Fr. 2'514.--
heraufgesetzt hatte, rekurrierte eine Gläubigerin gegen diesen Beschluss
an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts. Sie
beantragte im wesentlichen, dass das Existenzminimum wieder auf
Fr. 1'604.-- festgesetzt werde.

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer hiess den Rekurs gut aus
den folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das Obergericht des Kantons Zürich geht in tatbeständlicher
Hinsicht davon aus, dass die Schuldnerin weder die Krankenkassenprämien
noch die Mietzinse bezahlt hat und dass ihr die Wohnung offenbar bereits
gekündigt worden sei; und es ist sich der Rechtsprechung bewusst, wonach
bei der Berechnung des Existenzminimums nur tatsächlich bezahlte Auslagen
berücksichtigt werden dürfen.

    Indessen gibt das Obergericht zu bedenken, dass die Nichtzahlung
des dem Vermieter vertraglich geschuldeten Mietzinses einen Schuldner
in die Gefahr bringt, aus der Mietwohnung ausgewiesen zu werden und
so in eine Notlage zu geraten. Ebenso schwere Folgen könne für ihn das
Fehlen einer Krankenversicherung im Krankheitsfall haben. Auch wenn die
Schuldnerin im Zeitpunkt der Pfändung mit der Bezahlung der Mietzinse
und Krankenkassenprämien in Verzug gewesen sei und bereits keinen
Krankenversicherungsschutz mehr genossen habe, sei es deshalb mit dem
hinter der gesetzlichen Pfändungsbeschränkung des Art. 93 SchKG stehenden
Schutzgedanken nicht vereinbar, die von der Beschwerdeführerin geschuldeten
Mietzinse und die von ihr für die Krankenkasse benötigten Mittel aus
ihrem Existenzminimum auszuschliessen, zumal keine Anhaltspunkte dafür
beständen, dass der Beschwerdeführerin die Mietzinse erlassen worden
seien und dass sie die Krankenkassenprämie nicht bezahlt habe, weil sie
auf den Versicherungsschutz verzichten wollte.

    b) Das Betreibungsamt betont in seiner Vernehmlassung, dass diese
Rechtsauffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde gegen Art. 93 SchKG und
die feste Bundesgerichtspraxis verstosse.

Erwägung 3

    3.- a) Fast alle Fälle, in denen das Bundesgericht erklärt hat, bei der
Berechnung des Existenzminimums könnten nur jene Beträge berücksichtigt
werden, welche der Schuldner auch tatsächlich benötigt und bezahlt,
beziehen sich auf Unterhaltsbeiträge an Familienmitglieder (BGE 84 III 29,
S. 31; 89 III 65 E. 1, S. 67; 107 III 75 E. 1, S. 77; 109 III 53 E. 2c, S.
56; 111 III 13 E. 4, S. 15; 120 III 16 E. 2c, S. 17 f.). In dem zuletzt
zitierten Entscheid ist gesagt worden, es würde dem Grundsatz von Treu
und Glauben widersprechen, wenn dem Schuldner Auslagen für den Unterhalt
von Kindern zugestanden würden, obwohl ihm die Obhut über die Kinder
gerichtlich gar nicht zugesprochen worden ist.

    Hingegen geht es in dem sowohl von der Vorinstanz als auch
von der Rekurrentin zitierten BGE 112 III 19 E. 4, S. 22 f. um die
Berücksichtigung von Wohnkosten, welche der Schuldner geltend machte. Dort
ist festgestellt worden, dass dem Rekurrenten bei seinen Eltern ein Zimmer
zur Verfügung stehe, für dessen Benützung er keine Miete zu entrichten
brauche. Bezüglich eines Mietzinses, den der Schuldner angeblich seiner
Freundin entrichte, fehlte es an entsprechenden Feststellungen der
kantonalen Aufsichtsbehörde. Dem Schuldner wurden bei der Ermittlung des
Notbedarfs deshalb keine Wohnkosten zugestanden.

    b) Der vorliegende Fall kann, was die Berücksichtigung des Mietzinses
bei der Ermittlung des Existenzminimums betrifft, weder mit BGE 112 III
19 E. 4 noch mit den anderen zitierten Entscheiden unmittelbar verglichen
werden. Man könnte im Gegenteil argumentieren, dass aufgrund des Alters
und der Lebensumstände der Schuldnerin davon auszugehen sei, dass sie auf
eine eigene Unterkunft angewiesen sei und ihr angemessene Auslagen hiefür
bei der Berechnung des Notbedarfs auf jeden Fall zuzugestehen seien; denn
es gehe - ähnlich wie dies in BGE 105 III 48, S. 49 erkannt worden ist -
nicht an, die Schuldnerin in eine absolut unhaltbare Lage zu versetzen.

    Dem ist nun aber doch entgegenzuhalten, dass es stossend wäre,
der Schuldnerin Wohnkosten zuzugestehen, derweil sie mit dem bei der
Ermittlung des Existenzminimums berücksichtigten Betrag nicht dem Vermieter
den Mietzins bezahlt, sondern das Geld anderweitig ausgibt. Nicht ganz zu
Unrecht meint daher das Betreibungsamt in seiner Vernehmlassung, dass es
sich dem Vorwurf aussetzen würde, Beihilfe zur widerrechtlichen Verfügung
über gepfändetes Einkommen zu leisten, wenn es der Schuldnerin den von ihr
geforderten Betrag überliesse. Bei der Berechnung des Existenzminimums
muss den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden und kann
nicht auf behauptete, aber nicht erfüllte vertragliche Verpflichtungen
des Schuldners abgestellt werden.

    Der nicht bezahlte Mietzins kann daher bei der Berechnung des
Existenzminimums nicht berücksichtigt werden. Die Schuldnerin hat jedoch
die Möglichkeit, die Revision der Einkommenspfändung zu verlangen von dem
Augenblick an, wo sie sich über den Abschluss eines Mietvertrags ausweist
und darüber, dass sie den darin vereinbarten Mietzins (wie auch allenfalls
geltend gemachte Nebenkosten) tatsächlich bezahlt. Das lässt sich mit
der gesetzlichen Regelung besser vereinbaren als das von der kantonalen
Aufsichtsbehörde gewählte Vorgehen, wonach der Schuldnerin zwar der Betrag
für den Mietzins (und die Krankenkassenprämien) belassen worden wäre,
sie aber zugleich zur regelmässigen Zahlung verpflichtet worden wäre unter
der Androhung, dass andernfalls die Einkommenspfändung revidiert würde.

    c) Grundsätzlich dieselben Überlegungen gelten hinsichtlich der
Prämien für die Krankenversicherung, welche bei der Berechnung des
Existenzminimums ebenfalls nur unter der Voraussetzung berücksichtigt
werden können, dass sie von der Schuldnerin tatsächlich bezahlt
werden. Auch diesbezüglich steht der Schuldnerin die Möglichkeit offen,
die Revision der Lohnpfändung zu verlangen, sofern sie sich über den
Abschluss eines Versicherungsvertrags und die Bezahlung der damit
vereinbarten Prämien ausweist.

    Dem mag beigefügt werden, dass die von der kantonalen Aufsichtsbehörde
gewählte Lösung insofern widersprüchlich wäre, als Einkommen der
Schuldnerin der Befriedigung verfallener und betriebener Prämien entzogen
würde, die Schuldnerin aber anderseits verpflichtet würde, neu eingehende
Prämienrechnungen ungesäumt zu bezahlen.