Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 163



121 III 163

35. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. Juni 1995 i.S. E.
gegen B. (Berufung) Regeste

    Herabsetzung des Mietzinses (Art. 270a OR).

    Einem relativ berechtigten Herabsetzungsbegehren kann der Vermieter
die Einrede entgegenhalten, der bisherige Mietzins sei trotz veränderter
Berechnungsgrundlagen nicht missbräuchlich, da er ihm keinen übersetzten
Mietertrag verschaffe (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).

Sachverhalt

    A.- Der Beklagte ersteigerte am 27. Mai 1992 für Fr.  210'000.--
eine Liegenschaft in L. Mit Vertrag vom 15. August 1992 vermietete er
der Klägerin eine sich in diesem Haus befindende 3 1/2-Zimmer-Wohnung
mit Mietbeginn per 1. September 1992 zu einem monatlichen Mietzins von
Fr. 1'485.-- zuzüglich Nebenkosten.

    B.- Die Klägerin verlangte ab 1. April 1994 eine Mietzinsreduktion
entsprechend der Herabsetzung des Hypothekarzinssatzes von ursprünglich
7% auf 5,5%. Der Präsident des Bezirksgerichts Kreuzlingen senkte
mit Entscheid vom 1. Juni 1994 den Mietzins per 1. April 1994 um 8,5%
(Mietzinsreduktion von 11,5% abzüglich 1,79% Teuerung und 1,21% allgemeine
Kostensteigerung) auf Fr. 1'359.--. Einen dagegen gerichteten Rekurs des
Beklagten wies die Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau
am 25. Juli 1994 ab.

    C.- Mit seiner Berufung beantragt der Beklagte dem Bundesgericht
die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung des
Herabsetzungsbegehrens unter Beibehaltung des bisherigen Mietzinses von Fr.
1'485.-- zuzüglich Nebenkosten, eventuell die Rückweisung der Streitsache
an die Vorinstanz.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung des Beklagten gut, hebt das
angefochtene Urteil auf und weist die Streitsache zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 270a Abs. 1 OR kann der Mieter den Mietzins als
missbräuchlich anfechten und die Herabsetzung auf den nächstmöglichen
Kündigungstermin verlangen, wenn er Grund zur Annahme hat, dass der
Vermieter wegen einer wesentlichen Änderung der Berechnungsgrundlagen,
vor allem wegen einer Kostensenkung, einen nach den Art. 269 und Art. 269a
OR übersetzten Ertrag aus der Mietsache erzielt.

    b) Der zulässige Mietzins wird einerseits markt- oder kostenmässig
ermittelt, anderseits absolut oder relativ. Die absolute Berechnungsmethode
bestimmt den für ein Objekt allgemein zulässigen Mietzins, die relative
die Zulässigkeit einer einseitig beanspruchten Vertragsänderung. Beide
Methoden gründen auf den für das Mietobjekt massgebenden markt-
oder kostenmässigen Kriterien, die relative aber zusätzlich auf der
vorangegangenen Preisgestaltung. Mit der absoluten Methode wird ein Zins
unabhängig von früheren vertraglichen Gegebenheiten kontrolliert, mit
der relativen dagegen die Zulässigkeit einer Vertragsänderung im Lichte
des Vertrauensgrundsatzes (BGE 120 II 240 E. 2, 302 E. 6). Mit andern
Worten hat die absolute Methode allein das Ergebnis der Zinsgestaltung
zum Gegenstand, die relative zusätzlich das Vorgehen.

    c) Geht es um Mietzinserhöhungen, so schützt die relative
Berechnungsmethode das Vertrauen des Mieters in das bisherige
rechtsgeschäftliche Verhalten seines Vertragspartners. Namentlich darf er
davon ausgehen, der vertraglich vereinbarte oder nachträglich angepasste
Mietzins verschaffe dem Vermieter einen zulässigen und genügenden Ertrag,
sofern dessen Ungenügen nicht durch eine hinreichende Vorbehaltserklärung
zum Ausdruck gebracht wurde (Art. 18 VMWG, SR 221.213.11; BGE 118
II 124 und 130). Ausserhalb eines ausdrücklichen Vorbehalts sind
daher im Anwendungsbereich der relativen Berechnungsmethode einseitige
Mietzinserhöhungen nur soweit zulässig, als die Verhältnisse sich seit der
letzten Festsetzung verändert haben (BGE 118 II 130 E. 3a). Die relative
Methode geht damit der absoluten insoweit vor, als sie der Erzielung
selbst eines absolut nicht missbräuchlichen Ertrags entgegensteht, wenn die
Forderung gegen erwecktes Vertrauen verstösst. Anderseits hat die absolute
Methode wiederum Vorrang, wenn eine relativ an sich zulässige Forderung
einen absolut missbräuchlichen Ertrag ergäbe. Hier greift unmittelbar
der gesetzliche Missbrauchsbegriff und ist die Zinsgestaltung auf das
Mass des absolut Zulässigen begrenzt (BGE 114 II 361 E. 5).

    d) Geht es um Mietzinsherabsetzungen, beschränkt die relative
Methode die Forderung des Mieters insofern, als von vornherein nur
solche Änderungen der Berechnungsgrundlagen in Anschlag gebracht werden
dürfen, die sich seit der letzten Mietzinsfestsetzung verwirklicht
haben. Im Verhältnis zur absoluten Methode stellt sich sodann die
Frage, ob einem relativ berechtigten Herabsetzungsbegehren die Einrede
entgegengehalten werden kann, der bisherige Mietzins sei trotz veränderter
Berechnungsgrundlagen weiterhin nicht missbräuchlich, da er dem Vermieter
keinen übersetzten Ertrag aus der Mietsache verschaffe. Unter der Geltung
des BMM gestand das Bundesgericht dem Vermieter diese Einrede zu (BGE
116 II 73 und 594 E. 6a). In seiner Rechtsprechung zum neuen Mietrecht
hat es verschiedentlich darauf verwiesen (BGE 120 II 240 E. 2 und 302
E. 6b). In BGE 120 II 240 E. 2 hat es zudem klargestellt, dass die absolute
Berechnungsmethode sowohl bei der konsensualen Festsetzung des Mietzinses
(insbesondere der Anfangsmiete) wie bei der einseitigen Mietzinsanpassung
(Erhöhung oder Herabsetzung) Anwendung finde, die relative dagegen bloss
bei der einseitig beanspruchten Vertragsänderung.

    An dieser Rechtsprechung ist unter dem geltenden Recht festzuhalten:

    aa) Das Bundesgericht hat die Zulässigkeit der Einrede des nicht
missbräuchlichen Ertrags im Herabsetzungsverfahren namentlich mit der
Gleichbehandlung von Mieter und Vermieter begründet (BGE 116 II 73
E. 2a). Da der Mieter gegenüber einem Erhöhungsbegehren des Vermieters
einwenden könne, dieser würde mit dem relativ an sich zulässigen Mietzins
einen übersetzten und damit absolut unzulässigen Ertrag erzielen, müsse
dem Vermieter im Herabsetzungsverfahren auch gestattet sein nachzuweisen,
der bisherige Mietzins verschaffe ihm keinen absolut missbräuchlichen
Ertrag. Art. 14 BMM (heute Art. 269 OR) trete hier als Korrektiv
ein. Diese Rechtsprechung fand in der Lehre grundsätzlich Zustimmung
(LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1992, S. 189
Ziff. 4.3.5; ZIHLMANN, Das neue Mietrecht, S. 173 f.; ZIHLMANN gemäss mp
1994, S. 149; insoweit auch PHILIPPE RICHARD, Articles 269 CO et 269a
CO; méthodes absolue et relative; rapport entre les articles 269 CO et
269a CO; état de la question, Cahiers du bail 1992, S. 65 ff., S. 76 f.;
GMÜR/THANEI, Rechtsprechung des Bundesgerichtes zur Mietzinserhöhung,
Fachheft Mietrecht Nr. 3, Zürich 1993, S. 40; in diesem Sinn wohl auch
HABERMACHER-DROZ, Die neuere Rechtsprechung zum Thema Mietzins, mp 1992,
S. 155 ff., S. 184; insoweit zustimmend BEAT ROHRER, Die sogenannte
"relative Methode" als Beschränkung der Mietzinsgestaltungsrechte des
Vermieters nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichts, SJZ 90/1994,
S. 153 ff., S. 154 f. und S. 158, welcher Autor allerdings die relative
Methode grundsätzlich in Frage stellt; Kritik hiezu in SJZ 90/1994,
S. 207; vgl. ferner Cahiers du bail 1994, S. 118 f.).

    In einem Teil der Literatur zum geltenden Recht wird demgegenüber
unter Berufung auf das Vertrauensprinzip, welches für das gesamte
Mietrecht gelte, und dessen Stellung in der jüngeren Rechtsprechung
eher verstärkt worden sei, dem Vermieter die Einrede des nicht
missbräuchlichen Ertrags versagt, sofern er nicht einen entsprechenden
Vorbehalt angebracht habe. Zwar wird grundsätzlich anerkannt, dass
der Vermieter im Herabsetzungsverfahren die Vermutung des übersetzten
Mietzinses umstossen könne, weil er trotz veränderter Berechnungsgrundlagen
mit den Mietzinseinnahmen keinen übersetzten Ertrag erziele, jedoch die
Auffassung vertreten, die relative Methode habe als allgemeiner Grundsatz
für das gesamte Mietrecht Bedeutung, so dass die daraus abgeleitete
Annahme, der bisherige Mietzins verschaffe dem Vermieter einen sowohl
zulässigen als auch genügenden Ertrag, ebenfalls im Herabsetzungsverfahren
gelte. Die Einrede des unverändert nicht missbräuchlichen Ertrags sei
unter vertrauensrechtlichen Prinzipien nicht ohne weiteres zulässig,
weshalb sich der Vermieter darauf nur berufen könne, wenn er diesen
Umstand dem Mieter durch einen gültigen Vorbehalt bekannt gegeben habe.
Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben könne sich der Mieter darauf
verlassen, die Basis des Mietverhältnisses sei oder bleibe so, wie sie bei
Mietbeginn oder bei einer späteren Mietzinsanpassung festgelegt worden sei;
stillschweigende Vorbehalte dürften ihm nicht entgegengehalten werden. Der
Vertrauensgrundsatz gelte für Vermieter und Mieter gleichermassen
(BRUNNER/STOLL, Die Mietzinsherabsetzung, mp 1993, S. 99 ff., S. 112 und
S. 118 ff., insbesondere S. 120). Dieser Auffassung haben sich einzelne
kantonale Gerichte angeschlossen (Bezirksgericht Arlesheim in mp 1994,
S. 103 ff.; Mietgericht Affoltern und Obergericht Zürich in mp 1994,
S. 144 ff.; Obergericht Basel-Landschaft in mp 1994, S. 204 ff.). Zum
Teil wird dabei allerdings die Einrede des unzureichenden Ertrags für
besondere Umstände, namentlich im langjährigen Mietverhältnis, vorbehalten
(mp 1994, S. 204 ff. E. 5 und 6). Demgegenüber lässt das Bezirksgericht
Meilen die Einrede des unzureichenden Ertrags weiterhin allgemein zu (mp
1994, S. 99 ff. E. 4), ebenso das Kantonsgericht der Waadt (Cahiers du
bail 1994, S. 118 f.).

    bb) Das geltende Recht hat zur zulässigen Mietzinsgestaltung das
frühere im wesentlichen übernommen, so dass sich allein die Frage einer
Änderung der im Jahre 1990 begründeten Praxis stellt. Sie müsste sich
auf sachliche und ernsthafte Gründe stützen können (BGE 114 II 131 E. 1d,
111 II 308 E. 2).

    Die grammatikalische Auslegung des Gesetzes indiziert eine
Praxisänderung nicht. Der Wortlaut von Art. 270a Abs. 1 OR verlangt für
eine Herabsetzung kumulativ eine Änderung der Berechnungsgrundlagen
und einen übersetzten Ertrag, wobei er ausdrücklich auf Art. 269 OR
mitverweist (vgl. BRUNNER/STOLL, aaO, S. 112 Fn. 49). Danach stehen dem
Vermieter nicht nur Einwände aus der relativen Methode, sondern ebenfalls
der Nachweis des nicht übersetzten Mietertrags offen.

    In teleologischer Hinsicht stellt sich namentlich die Frage nach
der Tragweite des Vertrauensschutzes. Die Rechtsprechung versteht
den Grundsatz in dem Sinne, dass der Mieter Vertragsänderungen nicht
hinzunehmen hat, mit denen er aus dem Verhalten des Vermieters nach
Treu und Glauben nicht rechnen musste. Darauf gründet die im geltenden
Recht in Art. 18 VMWG übernommene Rechtsprechung zum Erfordernis eines
Vorbehalts bei ungenügendem Ertrag (BGE 118 II 124 E. 4b, 422 E. 3 und
117 II 161 E. 3). Ihrem Wesen nach schützt die Vorbehaltsobliegenheit
vor bestimmten Vertragsänderungen, nicht aber vor einer inhaltlich
unveränderten Weitergeltung des Vertrags. Mit andern Worten hat
der so begründete Vertrauensgrundsatz blosse Abwehrfunktion, vermag
dagegen den Vertragsinhalt nicht positiv zu gestalten. Beharrt daher
der Vermieter auf dem bisherigen, absolut berechnet weiterhin nicht
missbräuchlichen Mietzins, kann ihm nicht vorgeworfen werden, sich
eine stille Mietzinserhöhung vorbehalten zu haben. Auch nach Sinn und
Zweck des Gesetzes sind demzufolge für die Herabsetzung des Mietzinses
eine wesentliche Veränderung der Berechnungsgrundlagen und zusätzlich
ein missbräuchlicher Ertrag aus der Mietsache gefordert. Somit
unterliegt ein Herabsetzungsbegehren weiterhin einer doppelten
Schranke. Einerseits wird es insoweit durch die relative Methode
beschränkt, als nur solche Kostenänderungen zu berücksichtigen sind,
die seit der letzten Mietzinsfestsetzung eingetreten sind, anderseits
muss der angegriffene Mietzins absolut missbräuchlich sein. Mit andern
Worten ist einem Herabsetzungsbegehren gegen den Willen des Vermieters
nur stattzugeben, wenn sich der Ertrag aus der Mietsache wegen der
Änderung der Berechnungsgrundlagen seit der letzten Mietzinsfestsetzung
als missbräuchlich erweist. Anders gestaltet die Rechtslage sich
vertrauenstheoretisch nur, wenn der Mieter aus dem Verhalten des Vermieters
weitergehend darauf vertrauen durfte, der Mietzins werde unbesehen der
Ertragslage bei nächster Gelegenheit veränderten Berechnungsgrundlagen
angepasst.

    Damit gilt weiterhin, dass die absolute Methode der relativen in
jedem Fall einer einseitig beanspruchten Mietzinsanpassung Schranken
zu setzen vermag, sei es, dass eine relativ berechtigte Erhöhung sich
am Einwand des übersetzten Ertrags bricht, sei es, dass eine relativ
berechtigte Herabsetzung nicht durchzusetzen ist, weil der angegriffene
Mietzins absolut berechnet nicht missbräuchlich ist. In diesem Sinne ist
das Prinzip der Gleichbehandlung von Mieter und Vermieter (BGE 116 II 73)
auch unter dem geltenden Recht zu beachten. Daran ändert nichts, dass
im allgemeinen bloss der Vermieter die konkrete Ertragslage kennt. Dies
wirkt sich nach dem Gesagten allein in der Vorbehaltsobliegenheit aus,
welcher indessen ausschliesslich eine Abwehrfunktion zukommt. Dagegen
würde die durchgreifende Anwendung der relativen Methode zu einem
Anpassungsautomatismus führen, welcher der Regelungsabsicht des
Gesetzgebers nicht entspricht, auch nicht in der einseitigen Form eines
Senkungsmechanismus.