Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 149



121 III 149

32. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Juni 1995
i.S. Y. U. gegen U. (Berufung) Regeste

    Art. 142 Abs. 1 ZGB; Scheidung einer Scheinehe.

    Eine Scheinehe liegt vor, wenn die Ehegatten von allem Anfang an keine
eheliche Lebensgemeinschaft führen wollen, sondern die Ehe dazu benützen,
um ein zweckfremdes Ziel, namentlich die Umgehung ausländerrechtlicher
Vorschriften, zu erreichen.

    Der allgemeine Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung gemäss Art. 142
Abs. 1 ZGB kann nicht angerufen werden, um eine Scheinehe aufzulösen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht des Kantons Zürich hat die von der Klägerin
gestützt auf Art. 142 ZGB erhobene Scheidungsklage im wesentlichen mit
der Begründung abgewiesen, bei der Ehe handle es sich um eine Scheinehe,
die nur gestützt auf die Art. 137-139 sowie 141 ZGB, nicht aber gemäss
Art. 140 und 142 ZGB geschieden werden könne. Die Klägerin hält diesen
Entscheid für bundesrechtswidrig. Das Obergericht sei zwar zutreffend
davon ausgegangen, dass es sich vorliegend um eine Scheinehe handle, doch
sei die Auffassung der Vorinstanz verfehlt, eine solche Ehe sei nur noch
gestützt auf absolute Scheidungsgründe, nicht jedoch auf den allgemeinen
Scheidungsgrund der tiefen Zerrüttung gemäss Art. 142 ZGB scheidbar.

    a) Von einer Scheinehe ist dann die Rede, wenn die Ehegatten
von allem Anfang an keine eheliche Lebensgemeinschaft führen wollen,
sondern das Institut der Ehe dazu benützen, ein zweckfremdes Ziel zu
erreichen. Eine Scheinehe liegt etwa bei einer Ausländerrechtsehe vor,
mit der die Ehegatten bezwecken, einem Ehepartner mit Wohnsitz im Ausland
aufgrund des Eheschlusses mit einem in der Schweiz wohnhaften Ausländer
zu einer Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG (SR 142.20) zu
verhelfen (KOTTUSCH, Scheinehen aus fremdenpolizeilicher Sicht, ZBl. 1983,
S. 430 f.; KELLER, Die zweckwidrige Verwendung von Rechtsinstituten
des Familienrechts, Diss. Zürich 1986, S. 61; HINDERLING/STECK, Das
schweizerische Ehescheidungsrecht, 4. Auflage, Zürich 1995, S. 7
Fn. 13; DESCHENAUX/TERCIER, Le mariage et le divorce, 3. Auflage,
1985, N. 267). Das Obergericht des Kantons Zürich hat gestützt auf die
Ausführungen der Klägerin für das Bundesgericht verbindlich festgestellt
(Art. 63 Abs. 2 OG), dass die vorliegende Ehe nur eingegangen worden sei,
damit der Beklagte in der Schweiz bleiben könne. Die Ehe wurde von der
Vorinstanz daher zutreffend als Scheinehe qualifiziert.

    b) Eine Scheinehe ist eine gültige Ehe mit allen gesetzlich
vorgesehenen Rechtswirkungen (BGE 97 II 7 E. 3; DESCHENAUX/TERCIER,
aaO, N. 268). Wie jede Ehe kann daher grundsätzlich auch eine Scheinehe
geschieden werden. Die Klägerin beruft sich bei ihrer Scheidungsklage
auf den Scheidungsgrund der tiefen und unheilbaren Zerrüttung. Gemäss
Art. 142 Abs. 1 ZGB kann jeder Ehegatte auf Scheidung klagen, wenn eine
so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses eingetreten ist, dass den
Ehegatten die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden
darf. Nach dem Gesetzeswortlaut ist der Tatbestand dieser Bestimmung nur
darauf ausgerichtet, die Auflösung der Ehe zu ermöglichen, wenn im Verlauf
ihrer Dauer eine tiefe Zerrüttung eingetreten ist. Noch deutlicher
bringt dies der französische Gesetzestext zum Ausdruck, wonach eine
Scheidung gemäss Art. 142 Abs. 1 ZGB auszusprechen ist, "lorsque le
lien conjugal est si profondément atteint que la vie commune est devenue
insupportable". Daraus wird in der Rechtsprechung und Literatur abgeleitet,
dass der allgemeine Scheidungsgrund gemäss Art. 142 ZGB zur Auflösung einer
Scheinehe nicht angerufen werden kann (BGE 70 II 1; SJ 67, 1944, S. 93
ff. = SJZ 41, 1945, S. 105; ZR 43, 1944, Nr. 116; BÜHLER/SPÜHLER, N. 40
zu Einleitung und N. 9 zu Art. 140; EGGER, N. 3 a.E. zu Art. 123 ZGB).

    Es besteht kein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der
klare Gesetzeswortlaut, der an den "Eintritt der Zerrüttung" anknüpft,
verbietet eine Scheidung einer Ehe gestützt auf den allgemeinen
Scheidungsgrund von Art. 142 Abs. 1 ZGB, wenn die Ehe als Scheinehe
von Anfang an gar nie von einem gemeinsamen Ehewillen der Ehegatten
getragen war. Wo gar nie ein Wille zu einer ehelichen Lebensgemeinschaft
vorhanden war, kann logischerweise auch keine Zerrüttung der ehelichen
Verhältnisse eintreten. Die Argumente, welche die Klägerin gegen dieses
Gesetzesverständnis vorbringt, sind nicht stichhaltig. Einerseits macht
die Klägerin geltend, das Gesetz weise eine echte Lücke auf, wenn der
allgemeine Scheidungsgrund gemäss Art. 142 ZGB nicht angerufen werden
könne. Entgegen ihrer Auffassung erweist sich das Gesetz in diesem
Bereich indessen keineswegs als unvollständig und ergänzungsbedürftig. Sie
übersieht nämlich, dass die Scheinehe, die sie angeblich nur unter dem
Druck ihres Vaters eingegangen war, im Vergleich zu einer wirklich
gewollten Ehe durchaus unter erleichterten Voraussetzungen hätte
aufgelöst werden können, wenn dies durch Anfechtung gemäss Art. 123
ff. ZGB rechtzeitig geltend gemacht worden wäre. Anderseits kann der
Klägerin auch insofern nicht gefolgt werden, als sie auf Lehrmeinungen
hinweist, die eine Scheidung einer Scheinehe gestützt auf Art. 142 ZGB
befürworten. Tatsächlich wird in der Literatur lediglich die Auffassung
vertreten, dass bei Scheinehen die Ehegatten nicht unter Berufung darauf,
dass ihr Scheidungsbegehren rechtsmissbräuchlich sei, gegen ihren Willen
in einer inhaltslosen Ehe festgehalten werden sollen (HINDERLING/STECK,
aaO, S. 15; MERZ, Berner Kommentar, N. 292 ff. zu Art. 2 ZGB). Das
Obergericht des Kantons Zürich hat die Scheidungsklage indessen nicht
wegen Rechtsmissbrauchs der Klägerin abgewiesen, sondern weil die
Tatbestandsvoraussetzungen des angerufenen allgemeinen Scheidungsgrundes
nicht erfüllt sind.

    c) Unter diesen Umständen ist daran festzuhalten, dass eine Scheinehe
angesichts des Gesetzeswortlautes nicht nach Art. 142 ZGB geschieden werden
kann. Ob die weiteren Rügen, welche die Klägerin im Zusammenhang mit der
von ihr behaupteten Zerrüttung erhebt, zutreffend sind, kann dahingestellt
bleiben. Weil der Scheidungsgrund der tiefen und unheilbaren Zerrüttung
nicht angerufen werden kann, ist diese Frage gar nicht zu prüfen. Die
Berufung erweist sich deshalb als unbegründet und ist daher abzuweisen.