Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 121 III 145



121 III 145

31. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. April 1995
i.S. S. R. und A. R. gegen Regierungsrat des Kantons Bern (Berufung)
Regeste

    Namensänderung bei einem Kind nicht verheirateter Eltern (Art. 30
Abs. 1 ZGB; Art. 270 Abs. 2 ZGB).

    Angesichts des in den letzten Jahren eingetretenen Sinneswandels in
der Beurteilung ausserehelicher Kindesverhältnisse lässt sich allein in
der Tatsache des stabilen Konkubinatsverhältnisses zwischen der Mutter
als Inhaberin der elterlichen Gewalt und dem Konkubinatspartner als
leiblichem Vater des in ihrer Hausgemeinschaft lebenden Kindes nicht mehr
ein wichtiger Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB erblicken. Vielmehr
muss vom Kind verlangt werden, dass es in seinem Gesuch konkret aufzeigt,
inwiefern ihm durch die von Gesetzes wegen vorgesehene Führung des Namens
seiner Mutter (Art. 270 Abs. 2 ZGB) soziale Nachteile erwachsen, welche
als wichtige Gründe für eine Namensänderung in Betracht gezogen werden
können (E. 2; Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- S. R., geb. 1982, und A. R., geb. 1988, sind Kinder aus
verschiedenen Verbindungen ihrer Mutter, C. R.. Während die Tochter,
S. R., einer früheren Ehe ihrer Mutter entstammt, ist A. R. Sohn von
K. S.. C. R. und K. S. leben seit 1985 in Lebensgemeinschaft. Beide
Kinder wachsen in dieser Gemeinschaft auf. K. S. ist immer noch mit
U. Sch. verheiratet. Aus dieser Ehe entspross eine Tochter namens F.,
geb. 1984, welche sich bei ihrer Mutter aufhält. Die Familien R./S. und
S.-Sch. leben nahe beieinander und pflegen enge familiäre Beziehungen
zueinander.

    C. R. ersuchte nach der Geburt des Sohnes A. R. um Änderung seines
Familiennamens R. in denjenigen des Vaters S. Dieses Begehren wurde
jedoch mit Verfügung der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern
vom 4. August 1989 abgewiesen. Diese Direktion wies auch eine Einsprache
von C. R. gegen den Entscheid kostenfällig ab.

    B.- Mit Eingabe vom 26. Januar 1993 liessen S. R. und A. R., vertreten
durch ihre Mutter als Inhaberin der elterlichen Gewalt, bei der Polizei-
und Militärdirektion das Gesuch stellen, es sei ihnen zu gestatten, den
Familiennamen S. zu tragen. Die Direktion und sodann, auf Beschwerde hin,
der Regierungsrat des Kantons Bern wiesen beide Gesuche kostenfällig ab.

    C.- Gegen den Entscheid des Regierungsrates vom 2. November 1994
haben S. R. und A. R. beim Bundesgericht unter anderem Berufung
eingereicht. Damit stellen sie den Antrag, es sei ihnen zu gestatten,
den Namen S. zu führen.

    Der Regierungsrat des Kantons Bern lässt Abweisung dieses Rechtsmittels
beantragen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 30 Abs. 1 ZGB kann die Regierung des Wohnsitzkantons
einer Person die Änderung des Namens bewilligen, wenn wichtige Gründe
vorliegen. Bezüglich der Änderung des Familiennamens unmündiger
Kinder hat das Bundesgericht sowohl unter dem alten, nur unter dem
Gesichtspunkt der Willkür überprüfbaren Recht, als auch unter der
revidierten Gesetzesbestimmung, deren Verletzung nunmehr mit Berufung
gerügt werden kann, eine relativ grosszügige Praxis zur Auslegung des
wichtigen Grundes entwickelt. So hat es insbesondere eine Namensänderung
gestattet, wenn das Kind bei einer Person mit anderem Namen aufwächst, die
faktisch die Elternstelle versieht, die Übereinstimmung des Namens nicht
oder nicht ohne weiteres durch Standesänderung herbeigeführt werden kann
und die Namensänderung tatsächlich im Interesse dieses Kindes liegt. In
diesem Sinne wurde eine Änderung des Namens regelmässig insbesondere
für Kinder bewilligt, welche nach der Scheidung ihrer Eltern mit der
Mutter zusammenleben, die ihren früheren Namen wieder angenommen hat
(BGE 109 II 177 E. 3 und 4 S. 179; 110 II 433). Einer Namensänderung ist
sodann in der Regel auch zugestimmt worden, wenn die Kinder mit Mutter und
Stiefvater zusammenleben (BGE 99 Ia 561); in bezug auf diesen Fall hat das
Bundesgericht indes - wenn auch in einem unveröffentlichten Entscheid -
hervorgehoben, allein im allgemeinen Hinweis des Kindes, es entspreche
seinem Wohl, in Namenseinheit mit seiner Mutter und dem Stiefvater zu
leben, sei kein wichtiger Grund für die Änderung des Familiennamens zu
erblicken (nicht veröffentlichter Entscheid i.S. M. vom 12. August 1993,
E. 2c). Bis in die neuere Zeit hinein wurden überdies auch Änderungen
des Namens gestattet für Kinder, die zusammen mit ihrer Mutter und deren
Konkubinatspartner wohnen, sofern dieser der leibliche Vater der Kinder
ist und das Konkubinatsverhältnis dauerhaft und stabil erscheint. Dabei
liess sich das Bundesgericht vom Gedanken leiten, dass einem Kind nicht
miteinander verheirateter Eltern gesellschaftliche Nachteile erwachsen,
wenn aufgrund seines Namens seine aussereheliche Geburt erkennbar
werde (BGE 105 II 241, 247; 107 II 289, 119 II 307 E. 3c S. 309 mit
Hinweisen). Dem Kind wurde daher regelmässig ein legitimes Interesse
daran zugestanden, seinen Namen mit demjenigen seiner sozialen Familie in
Einklang zu bringen (vgl. nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts
i.S. J. & T./T. vom 8. November 1990, E. 3c). In einem weiteren Entscheid
hat das Bundesgericht schliesslich präzisiert, wichtige Gründe für eine
Namensänderung eines ausserehelichen Kindes lägen nicht vor, wenn seine
nicht verheirateten Eltern nicht zusammenleben (BGE 117 II 6).

    b) Die grosszügige Rechtsprechung des Bundesgerichts zur
Namensänderungspraxis im Konkubinat lebender Kinder ist von der Lehre
teils begrüsst (BERNARD SCHNEIDER, Situation juridique des enfants
de concubins, in: Zeitschrift für Vormundschaftswesen (ZVW) 36/1981,
S. 131/132 und Anm. 23), grösstenteils aber kritisiert worden (GUINAND,
L'évolution de la jurisprudence en matière de changement de nom, in:
Zeitschrift für Zivilstandswesen (ZZW) 48/1980, S. 358-361; LIVER, Die
privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1979, in:
ZBJV 117/1981, S. 67; DENISE MANGOLD, Familiennamensänderungen im Kanton
Basel-Stadt unter Berücksichtigung von Fällen aus dem Bereiche des IPR,
Diss. Basel 1981, S. 116; ANDREAS BRAUCHLI, Das Kindeswohl als Maxime des
Rechts, Diss. ZH 1982, S. 89 ff.; STETTLER, Le nom, le droit de cité et
le domicile de l'enfant à la suite de diverses réformes législatives,
in: ZVW 42/1987, S. 85 f., HEGNAUER, N. 88 f. zu Art. 270; GEISER,
Die neuere Namensänderungspraxis des schweizerischen Bundesgerichts, in:
ZZW 61/1993, S. 379 und 382).

    c) Mit Blick auf die zahlreichen Eineltern- oder Konkubinatsfamilien
und die damit bzw. mit der Revision des Kindesrechts erfolgte
gesellschaftliche Änderung in der Beurteilung ausserehelicher
Kindesverhältnisse lässt sich nicht mehr damit argumentieren, die
Übernahme des väterlichen Namens vermöge generell den sozialen Nachteilen
zu begegnen, welche diese Kinder wegen des Namensunterschieds in Kauf zu
nehmen hätten. Solche Nachteile müssten zudem ernsthafter Natur sein. Zudem
lässt sich mit der Übernahme des väterlichen Namens durch das Kind die
angestrebte Einheit des Familiennamens ohne Standesänderung ohnehin nicht
erreichen. Angesichts des bereits seit einigen Jahren in der sozialen
Umwelt eingetretenen Sinneswandels lässt sich somit allein in der Tatsache
des stabilen Konkubinatsverhältnisses zwischen der Mutter als Inhaberin
der elterlichen Gewalt und dem Konkubinatspartner als leiblichem Vater
des in ihrer Hausgemeinschaft lebenden Kindes nicht mehr ein wichtiger
Grund im Sinne von Art. 30 Abs. 1 ZGB erblicken. Vielmehr muss vom Kind
verlangt werden, dass es in seinem Gesuch konkret aufzeigt, inwiefern ihm
durch die von Gesetzes wegen vorgesehene Führung des Namens seiner Mutter
(Art. 270 Abs. 2 ZGB) ernsthafte soziale Nachteile erwachsen, welche als
wichtige Gründe für eine Namensänderung in Betracht gezogen werden können.