Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 423



120 V 423

59. Urteil vom 10. August 1994 i.S. K. gegen Erziehungsdirektion des
Kantons Zürich und Regierungsrat des Kantons Zürich Regeste

    Art. 19 Abs. 1 und 2 IVG, Art. 26bis Abs. 1 IVG, Art. 8 ff.  IVV,
Art. 24 Abs. 1 und 3 IVV, Art. 1 ff. SZV, Art. 97, 98 lit. a-h, Art. 128
OG, Art. 5 VwVG.

    - Rechtsweg bei Ablehnung eines Instituts als Sonderschule im
Einzelfall (Erw. 1, 2).

    - Für die Zulassung eines privaten Instituts als Sonderschule
im Einzelfall erforderliche Voraussetzungen in personeller Hinsicht
(Erw. 3, 4).

Sachverhalt

    A.- Der 1977 geborene K. leidet an mehreren Geburtsgebrechen,
namentlich an Klumpfüssen und an einer peripher-motorischen Dyslalie
bei Moebius-Syndrom (Einwärtsschielen bei beidseitiger Abducens- und
Facialisparese). Die Invalidenversicherung kam für medizinische Massnahmen
auf, sprach Beiträge an pädagogisch-therapeutische Massnahmen zu und gab
diverse Hilfsmittel ab.

    Die ersten fünf Schuljahre verbrachte K. an der Volksschule; daneben
erhielt er ambulante logopädische und psychomotorische Betreuung. Seit dem
Schuljahr 1990/91 besucht er die Freie Evangelische Schule Zürich. Dort
legte er das sechste Schuljahr zurück, absolvierte sodann ein Jahr in
einer Übergangsklasse und ist seit Beginn des Schuljahres 1992/93 in einer
Oberstufenklasse unter heilpädagogischer Leitung. Am 18. Dezember 1991
stellte der Vater von K. der Invalidenversicherung ein Begehren um Beiträge
daran ab Schuljahr 1990/91. Nach Vornahme verschiedener Abklärungen liess
die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich die Freie Evangelische Schule
Zürich mit Verfügung vom 3. Februar 1993 als Sonderschule im Einzelfall
für die Schuljahre 1992/93 bis 1994/95 zu, lehnte jedoch mit Verfügungen
vom 6. und 20. April 1993 eine rückwirkende Zulassung für 1990/91 und
1991/92 ab.

    B.- Den gegen die beiden Verfügungen vom 6. und 20. April 1993
eingereichten Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 12. Januar 1994 ab.

    C.- Die Eltern von K. lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und
beantragen, die Freie Evangelische Schule Zürich sei als Sonderschule im
Einzelfall für die Schuljahre 1990/91 und 1991/92 zuzulassen.

    Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Auf die Begründungen wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden
Erwägungen eingegangen.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gesetz und Verordnung unterscheiden zwischen den materiellen
Anspruchsvoraussetzungen für Sonderschulbeiträge einerseits (Art.
19 IVG, Art. 8 f. IVV) und dem Erfordernis der formellen Zulassung
anderseits (Art. 26bis IVG, Art. 24 Abs. 1 IVV). Gestützt auf diese
Bestimmungen sieht die Verordnung über die Zulassung von Sonderschulen
in der Invalidenversicherung (SZV; SR 831.232.41) besondere
Zulassungsvoraussetzungen und ein spezielles Zulassungsverfahren
für Institutionen und Einzelpersonen vor, die im Rahmen der
Invalidenversicherung Minderjährige unterrichten. Der Sonderschulunterricht
ist durch IV-Beiträge nur zu subventionieren, wenn die betreffende Schule
zur Tätigkeit auf dem Gebiet der Invalidenversicherung zugelassen worden
ist. Weder die Invalidenversicherungs-Kommission (heute IV-Stelle) noch
die Ausgleichskasse (durch Verfügung), noch der Richter (auf Beschwerde
gegen die Kassenverfügung) sind im Rahmen des IV-rechtlichen Anmeldungs-
(Art. 46 IVG) oder darauffolgenden Leistungsstreitverfahrens (Art. 69
IVG in Verbindung mit Art. 84 AHVG) zuständig, über diese Zulassung zu
befinden oder Zulassungsverfahren einzuleiten (vgl. BGE 109 V 15 Erw. 2b;
ZAK 1982 S. 325). Dies ist nach Gesetz und Verordnung in allen Fällen Sache
des Bundesamtes für Sozialversicherung oder der zuständigen kantonalen
Amtsstelle. Ihnen obliegt es abzuklären, ob das Institut generell
oder bezogen auf einen einzelnen Schüler die Zulassungsvoraussetzungen
(Art. 2 ff. SZV) erfüllt (vgl. zum Ganzen MEYER-BLASER, Die Bedeutung
der Sonderschulzulassung für den Leistungsanspruch gegenüber der
Invalidenversicherung, in SZS 1986 S. 77 f., mit Hinweisen).

    b) Schulen, die invaliden Minderjährigen einen dem Gebrechen
angepassten regelmässigen Sonderschulunterricht im Sinne von Art. 8
Abs. 1 lit. a IVV erteilen wollen, bedürfen nach Art. 26bis Abs. 1
und 2 IVG einer Zulassung, um ihren Schülern Anspruch auf Beiträge
der Invalidenversicherung zu vermitteln. Der Bundesrat übertrug die
Zuständigkeit zum Erlass von Zulassungsvorschriften gemäss Art. 24 Abs. 1
IVV dem Eidg. Departement des Innern, das gestützt auf diese Delegation
am 11. September 1972 die SZV erlassen hat. Deren Art. 10 sieht vor, dass
für die Zulassung von Sonderschulen, die ständig mehr als vier Schüler mit
Anspruch auf den Sonderschulbeitrag der Invalidenversicherung unterrichten,
das Bundesamt für Sozialversicherung zuständig ist (Abs. 1); in den übrigen
Fällen liegt die Zuständigkeit für die Anerkennung als Sonderschule beim
Kanton, in dem sich das Institut befindet (Abs. 2).

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidg.
Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden
gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf
dem Gebiet der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffs der mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97 OG
auf Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen
der Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes
stützen (und im übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher
umschriebene Voraussetzungen erfüllen).

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach Art. 98 lit. g OG
zulässig gegen Verfügungen letzter kantonaler Instanzen, soweit nicht
das Bundesrecht zunächst die Beschwerde an eine Vorinstanz in Sinne der
lit. b-f desselben Artikels vorsieht.

    Der angefochtene Regierungsratsentscheid vom 12. Januar 1994
ist eine letztinstanzliche kantonale Verfügung auf dem Gebiet der
Sozialversicherung, gegen die das Bundesrecht keine Weiterzugsmöglichkeit
an eine andere Vorinstanz vorsieht. Es handelt sich um einen jener Fälle,
da eine andere Behörde als die nach Art. 85 AHVG in Verbindung mit
Art. 69 IVG vorgesehenen kantonalen Beschwerdeinstanzen auf dem Gebiet
der Invalidenversicherung den anfechtbaren Entscheid erlässt. Hiegegen
ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig. Ferner ist der Versicherte
(oder sein gesetzlicher Vertreter) im Hinblick darauf, dass die beantragten
Sonderschulbeiträge nur zugesprochen werden können, wenn das in Aussicht
genommene Institut als Sonderschule im Einzelfall zugelassen worden ist
(ZAK 1980 S. 273 f. Erw. 1b und Erw. 2 in fine), im Sinne von Art. 103
lit. a OG zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (MEYER-BLASER,
aaO). Auf diese ist somit einzutreten.

    b) Da es im vorliegenden Rechtsstreit um die Zulassung einer
Privatschule als Sonderschule im Einzelfall und damit nicht um die
Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen (Art. 132
OG) geht, hat das Eidg. Versicherungsgericht nur die Verletzung
von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, nicht aber die Angemessenheit zu prüfen; an die vorinstanzliche
Feststellung des Sachverhaltes ist das Gericht nicht gebunden (Art. 104
lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 1 OG).

Erwägung 3

    3.- a) Entsprechend dem angefochtenen negativen Zulassungsentscheid
des Regierungsrates ist vorliegend einzig zu prüfen, ob die Freie
Evangelische Schule Zürich den Anforderungen der einschlägigen gesetzlichen
Vorschriften, insbesondere der SZV, und der Rechtsprechung (vgl. hiezu BGE
109 V 14 ff., Erw. 2a und 3) für eine derartige Zulassung im Einzelfall
genügt. Nicht zu prüfen und im übrigen auch nicht umstritten ist dagegen
die Frage, ob der Beschwerdeführer sonderschulunterrichtsbedürftig ist.

    Nach Art. 1 SZV gelten Institutionen und Einzelpersonen, die im
Rahmen der Invalidenversicherung invalide Minderjährige unterrichten,
als Sonderschulen und bedürfen einer Zulassung. Sie haben zudem den
kantonalen Vorschriften zu genügen (Art. 2 SZV).

    Die Leitung und die Personen, die mit der Schulung, Erziehung sowie der
Durchführung pädagogisch-therapeutischer Massnahmen betraut sind, müssen
über die für ihre Tätigkeit erforderliche Ausbildung und Eignung verfügen
(Art. 3 Abs. 1 SZV). Personen ohne ausreichende Ausbildung dürfen für die
Durchführung der in Abs. 1 genannten Massnahmen nur eingesetzt werden,
wenn sie unter der Leitung und Verantwortung einer voll ausgebildeten
Fachperson arbeiten und sich verpflichten, die fehlende Ausbildung zu
erwerben (Abs. 3). Der Unterricht muss den Gebrechen der Schüler angepasst
sein und den therapeutischen Erfordernissen Rechnung tragen (Art. 4
SZV). Erfordert das Gebrechen der Schüler besondere Pflege und Behandlung,
muss eine fachgemässe Durchführung sichergestellt sein (Art. 7 SZV).

    b) Der Regierungsrat hat die Zulassung der Freien Evangelischen
Schule Zürich als Sonderschule im Einzelfall für den Beschwerdeführer
für die Schuljahre 1990/91 und 1991/92 im wesentlichen mit der Begründung
abgelehnt, die Lehrer, welche in jenen Jahren den Versicherten unterrichtet
hätten, seien nicht im Besitz der erforderlichen Spezialausbildung
gewesen. Ferner seien nicht Kleinklassen im Sinne der Sonderschulung,
sondern relativ kleine Normalklassen mit 10 bis 16 Schülern geführt
worden. In der Oberstufe hingegen erhalte der Beschwerdeführer Unterricht
und Betreuung von einer heilpädagogisch geschulten Lehrkraft, weshalb
die Zulassung zu Recht erst ab dem Schuljahr 1992/93 erfolgt sei.

    Demgegenüber lässt der Beschwerdeführer geltend machen, gemäss
einer Bestätigung des Lehrers M. hätte er seiner Behinderungen wegen
keine Volksschule besuchen können. Nur dank der Sonderschulung habe er
die Prüfungen für den Übertritt in die Sekundarschule bestanden. Sowohl
der Lehrer der 6. Klasse wie die Lehrerin der Übergangsklasse hätten
über eine sonderpädagogische Spezialausbildung verfügt. Die 6. Klasse
habe sodann 9, die Übergangsklasse 15 Schüler umfasst. Damit seien die
Voraussetzungen für eine Zulassung erfüllt gewesen.

Erwägung 4

    4.- a) Gemäss einem Schreiben des Rektors der Freien Evangelischen
Schule Zürich an die kantonale Erziehungsdirektion vom 3. Februar 1993
haben im 6. Schuljahr Frau W. und Herr S., in der Übergangsklasse
Frau J. den Beschwerdeführer unterrichtet. Frau W. hat gemäss
einer vom Rechtsvertreter des Versicherten erstellten Liste ausser dem
Primarlehrerpatent keine weitere Ausbildung erworben. Herr S. besitzt neben
einem solchen Patent Abschlüsse in Theologie und in Erwachsenenbildung. Er
hat zudem Kurse in verschiedenen Institutionen über sonderpädagogische
und allgemeine psychologische Fragen besucht, ohne in diesen Gebieten über
ein Abschlussdiplom zu verfügen. Einige dieser Kurse hat er offenbar erst
nach den hier streitigen Schuljahren absolviert. Frau J. schliesslich ist
ausser Primar- und Mittelstufenlehrerin ausgebildete Legasthenietherapeutin
und hat eine Reihe von Kursen aus verschiedenen Fachgebieten besucht.

    b) Aus diesen Unterlagen ergibt sich, dass Frau W. offensichtlich
die Voraussetzungen für die Anerkennung des von ihr erteilten
Unterrichts als Sonderunterricht im Einzelfall nicht erfüllt. Herr
S. dürfte aufgrund der von ihm besuchten Kurse über gewisse hilfreiche
Kenntnisse verfügen. Eine eigentliche heilpädagogische Ausbildung mit
entsprechendem Abschluss liegt jedoch nicht vor. Frau J. ist sodann
wohl ausgebildete Legasthenietherapeutin; dies ist jedoch keine
Ausbildung zur Führung einer Sonderklasse oder Sonderschule. Die
Erziehungsdirektion des Kantons Zürich weist in ihrer Vernehmlassung
ans Eidg. Versicherungsgericht darauf hin, dass Legasthenietherapeuten,
die heilpädagogische Funktionen auszuüben wünschen, eine Ausbildung für
Sonderklassen- und Sonderschullehrer nachzuholen und sich darüber mit
einem Diplom auszuweisen haben. Im weiteren leidet der Beschwerdeführer
nicht in erster Linie an Legasthenieproblemen, sondern an körperlichen
Behinderungen und an Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung und
Verarbeitung von Informationen. Er hat denn auch vor allem logopädische
und psychomotorische Therapien erhalten.

    c) Demnach ist festzustellen, dass die Lehrkräfte, welche den
Beschwerdeführer in den hier streitigen Schuljahren unterrichtet
haben, den Anforderungen für die Zulassung der Freien Evangelischen
Schule Zürich als Sonderschule im Einzelfall nicht genügt haben. Keine
erfüllt die Voraussetzung einer fachlichen Ausbildung im Sinne von Art. 3
Abs. 1 SZV in genügendem Ausmass. Sie haben ihren Unterricht auch nicht
unter Aufsicht einer voll ausgebildeten Person nach Art. 3 Abs. 3 SZV
erteilt. Dass die betreffenden Personen sich verpflichtet hätten, eine
entsprechende Ausbildung mit Diplomabschluss nachzuholen, ist sodann
nirgends ausgewiesen und wird auch nicht geltend gemacht. Unter diesen
Umständen hat der Regierungsrat die Schule für den Beschwerdeführer zu
Recht erst ab der Oberstufe als Sonderschule im Einzelfall zugelassen,
da dieser Unterricht unter der Leitung eines ausgebildeten Heilpädagogen
steht.

    d) Bei diesem Ergebnis braucht nicht mehr näher geprüft zu werden,
ob eine Zulassung auch wegen der Klassengrösse nicht in Betracht gekommen
wäre. Immerhin weist die Erziehungsdirektion in der Vernehmlassung
vor dem Eidg. Versicherungsgericht nicht ohne Grund darauf hin,
dass zumindest die Klasse von 16 Schülern (oder deren 15, wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptet wird) im Übergangsschuljahr
die gemäss den einschlägigen kantonalen Vorschriften bestehenden
Höchstschülerzahlen für eine Zulassung überstiegen hätte. Nach Art. 2
SZV haben Sonderschulen auch den kantonalen Vorschriften zu genügen.

    Ebenso erübrigen sich nähere Ausführungen zur Frage, ob und in
welchem Umfang in Fällen wie dem vorliegenden, da die Eltern erst
nach Ablauf von mehr als einem Schuljahr um Kostengutsprache durch die
Invalidenversicherung ersuchen, eine rückwirkende Zulassung möglich ist.

Erwägung 5

    5.- (Kostenpunkt)