Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 375



120 V 375

51. Auszug aus dem Urteil vom 23. November 1994 i.S. S.,
Beschwerdeführerin, gegen Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit,
Zürich, und Rekurskommission für die Arbeitslosenversicherung des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 8 Abs. 2 AVIG, Art. 15 Abs. 1 AVIG, Art. 14 Abs. 2 AVIV.
Voraussetzungen, unter denen arbeitslos gewordene Heimarbeitnehmer ihre
Stellensuche auf den Heimarbeitsmarkt beschränken dürfen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- (...) Indessen scheinen sowohl die Verwaltung wie auch die
Rekurskommission den Umstand nicht ausreichend beachtet zu haben, dass
die Beschwerdeführerin vor der Arbeitslosigkeit bei der Krankenkasse X
vom 1. Juli 1988 bis Ende 1991 Heimarbeit verrichtet hat. Es stellt sich
deshalb noch die Frage, ob Art. 14 Abs. 2 AVIV auf den vorliegenden Fall
anwendbar ist.

    a) Gemäss dieser Bestimmung gelten Versicherte, die vor ihrer
Arbeitslosigkeit als Heimarbeitnehmer beschäftigt waren, nur dann als
vermittlungsfähig, wenn sie bereit sind, auch ausserhäusliche Arbeit
anzunehmen, es sei denn, sie wiesen nach, dass sie dazu aufgrund ihrer
persönlichen Verhältnisse nicht in der Lage sind.

    Im unveröffentlichten Urteil K. vom 8. Juli 1993 hat das Eidg.
Versicherungsgericht festgehalten, zu den persönlichen Verhältnissen gemäss
Art. 14 Abs. 2 AVIV gehöre zweifellos auch die familiäre Situation. Es
hat jedoch die Frage offengelassen, unter welchen Umständen gestützt auf
die genannte Vorschrift Vermittlungsfähigkeit vorliegt.

    b) Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels hat sich das BIGA
eingehend zur Tragweite dieser Vorschrift geäussert. Im wesentlichen
führte es aus, da sich aufgrund der Materialien nur wenige Rückschlüsse
gewinnen liessen, sei auf eine zeitgemäss-teleologische Auslegung
abzustellen. Demnach hätten grundsätzlich auch die Heimarbeiter den
Anforderungen an die Vermittlungsfähigkeit gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG
zu genügen. Nur wenn sie ausnahmsweise aufgrund ihrer persönlichen
Verhältnisse objektiv zu ausserhäuslicher Tätigkeit nicht in der Lage
seien, dürften sie sich ausschliesslich dem Heimarbeitsmarkt zur Verfügung
stellen. Als persönliche Verhältnisse in diesem Sinne könnten nur zwei
Sachverhaltskonstellationen in Frage kommen: einerseits gesundheitliche
Gründe, welche eine ausserhäusliche Tätigkeit objektiv verunmöglichten,
oder familiäre Ursachen wie beispielsweise die Betreuung eines schwer
pflegebedürftigen Familienangehörigen. Mütter mit Erziehungsaufgaben fielen
erst dann unter die Ausnahmebestimmung des Art. 14 Abs. 2 AVIV, wenn eine
Kindsbetreuung durch Drittpersonen bei objektiver Betrachtungsweise auch
potentiell nicht in Frage komme. Bei weniger strengen Anforderungen würden
heimarbeitende Mütter gegenüber ausserhäuslich tätigen in unzulässiger
Weise bevorteilt, da sich diese oft aufgrund ihrer familiären Situation
Vermittlungsunfähigkeit entgegenhalten lassen müssten. Es habe jeweils
eine gesamtheitliche Beurteilung und Gewichtung im konkreten Einzelfall
zu erfolgen, um mittels einer wertenden Abwägung zu bestimmen, ob
ein Heimarbeitnehmer aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse seine
Vermittlungsfähigkeit durch Arbeitssuche ausschliesslich auf dem
Heimarbeitsmarkt einschränken dürfe.

    Die Beschwerdeführerin könne vorliegend nichts zu ihren Gunsten
ableiten. Sie habe während ihrer Arbeitslosigkeit immer wieder
Möglichkeiten gefunden, ihr Kind unterzubringen. So habe sie beispielsweise
einen Kurs besuchen können, der bedeutend zeitaufwendiger gewesen sei als
die von ihr angebotenen 12 Stunden Arbeitszeit in der Woche. Demnach sei
bei ihr eine Drittbetreuung des Kindes nicht potentiell unmöglich gewesen.

    c) Die grundsätzlichen Überlegungen des BIGA vermögen zu
überzeugen. Soweit zumutbar, muss in der Tat von einem in Heimarbeit
tätig gewesenen Versicherten erwartet werden können, dass er sich auch für
ausserhäusliche Arbeit zur Verfügung stellt. Es liefe auf eine stossende
Bevorzugung der Heimarbeit hinaus, wenn sich Versicherte nur deshalb auf
den Heimarbeitsmarkt beschränken dürften, weil sie unmittelbar vor der
Arbeitslosigkeit zufälligerweise eine Heimarbeit verrichtet hatten.

    d) Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die
Beschwerdeführerin, soweit es ihr objektiverweise zuzumuten ist, sich
auch um ausserhäusliche Arbeit zu bemühen hat.

    Den Akten ist zu entnehmen, dass die Versicherte während mehrerer
Monate einen Zwischenverdienst erzielt hat. Dabei dauerte die Arbeitszeit
an drei Vormittagen in der Woche je von 08.00 bis 12.00 Uhr. Während dieser
Zeit hat sie offenbar Wege gefunden, ihr Kind unterzubringen. Sodann hat
sie vom 13. April bis 18. Mai 1992, also während mehr als einem Monat,
einen ganztägigen Kurs besucht. Auch in diesem Fall liess sich eine
Lösung für ihr Kind finden. Anlässlich der telefonischen Befragung durch
den Sekretär der Vorinstanz am 7. April 1993 hat die Beschwerdeführerin
angegeben, sie hätte sich für ihre Tochter "gewiss was einfallen lassen",
wenn sie kurzfristig eine Halbtagesstelle gefunden hätte.

    Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass auch in der hier streitigen
Periode für die Unterbringung der Tochter durchaus Lösungen zu finden
waren. Von einer objektiven, potentiellen Unmöglichkeit kann nicht
gesprochen werden. Demzufolge kann sich die Beschwerdeführerin vorliegend
nicht auf die Ausnahmeregelung des Art. 14 Abs. 2 AVIV berufen.

    Im weiteren hat sich die Versicherte, soweit aus den Akten erkennbar,
nur bei ausserhäuslichen Arbeitsstellen beworben. Sie gibt zwar an,
sich auch für Heimarbeit zur Verfügung gestellt zu haben. Dass sie sich
konkret um eine solche bemüht hätte, ist jedoch nicht nachgewiesen.

    e) Nach dem Gesagten steht fest, dass in der streitigen Zeit keine
Vermittlungsfähigkeit vorgelegen hat. Dem angefochtenen Entscheid ist
somit im Ergebnis beizupflichten.