Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 294



120 V 294

40. Urteil vom 26. Oktober 1994 i.S. Krankenkasse Helvetia gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich betreffend G. Regeste

    Art. 76 Abs. 1 lit. h, Art. 88ter und Art. 88quater IVV. Ist die
Invalidenversicherung ihrer Meldepflicht im Sinne von Art. 88ter IVV
nicht nachgekommen, kann sie der Krankenkasse nicht entgegenhalten,
diese habe das zuständige IV-Organ nicht gemäss Art. 88quater Abs. 1 IVV
informiert, weshalb kein Anspruch auf Verfügungszustellung nach dieser
Bestimmung bestehe.

Sachverhalt

    A.- G. (geb. 1965) erlitt am 24. März 1989 einen ischämischen Infarkt,
welcher ein motorisches Hemisyndrom links zur Folge hatte. Nach stationärer
und kurmässiger Behandlung unterzog sich G. im Rahmen der Rehabilitation
ergo- und physiotherapeutischen Massnahmen, für welche die Krankenkasse
Helvetia vorerst aufkam.

    Am 14. Juni 1989 meldete sich G. bei der Invalidenversicherung
namentlich zum Bezug von medizinischen Eingliederungsmassnahmen
an. Mit Verfügung vom 17. September 1992 lehnte die Ausgleichskasse
des Kantons Zürich den Anspruch auf Übernahme der Ergotherapie ab. Die
betreffende Verfügung wurde der Versicherten und den behandelnden Ärzten
sowie verschiedenen Durchführungsstellen zugestellt, nicht jedoch der
Krankenkasse Helvetia. Am 13. Juli 1993 erhielt die Krankenkasse durch
den behandelnden Arzt, Dr. med. W., Schaffhausen, von der ablehnenden
Verfügung Kenntnis.

    B.- Am 10. August 1993 erhob die Helvetia gegen die Ablehnungsverfügung
vom 17. September 1992 Beschwerde an die AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich. Zur Vernehmlassung aufgefordert, reichte die Ausgleichskasse
der Rekurskommission eine Vernehmlassung des Sozialversicherungsamtes
Schaffhausen ein, worin dieses die Beschwerde der Krankenkasse als
verspätet bezeichnete. Dieser Betrachtungsweise schloss sich die
Rekurskommission an, weshalb sie auf die Beschwerde mit Entscheid vom
20. Oktober 1993 nicht eintrat.

    C.- Die Helvetia wendet sich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
den kantonalen Rekursentscheid und beantragt, es sei die Vorinstanz
anzuweisen, auf ihre Beschwerde gegen die Ablehnungsverfügung betreffend
medizinische Massnahmen einzutreten.

    Ausgleichskasse, wiederum unter Einreichung einer Stellungnahme des
Sozialversicherungsamtes, und Bundesamt für Sozialversicherung verzichten
auf eine Vernehmlassung. Die als Mitinteressierte beigeladene G. lässt
sich nicht vernehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 75 Abs. 1 IVV in der seit 1. Juli 1992 gültigen
Fassung sind Verwaltungsakte, mit welchen über Rechte und Pflichten der
Versicherten befunden wird, vorbehältlich hier nicht interessierender
Ausnahmen, von der IV-Stelle als schriftliche Verfügung zu erlassen. Nach
Art. 76 Abs. 1 lit. h IVV ist die Verfügung u. a. der vom Bund anerkannten
Krankenkasse in den Fällen von Art. 88quater IVV zuzustellen.

    b) Im 6. Abschnitt "Das Verhältnis zur Krankenversicherung" enthält
Art. 88ter IVV (in der seit 1. Juli 1992 in Kraft stehenden Fassung)
unter der Marginalie "Meldungen an die Krankenkassen" folgende Regelung:

    Die zuständigen IV-Stellen haben die Mitglieder der vom Bund
anerkannten

    Krankenkassen (im folgenden Krankenkassen genannt), die Anspruch auf
   medizinische Massnahmen der Versicherung erheben, den betreffenden

    Krankenkassen oder einer Verbindungsstelle zu melden.

    Art. 88quater IVV (in der seit 1. Juli 1992 gültigen Fassung)
bestimmt unter der Marginalie "Zustellung von Verfügungen der IV-Stelle
und Beschwerderecht der Krankenkassen" folgendes:

    1

    Hat eine Krankenkasse der zuständigen IV-Stelle mitgeteilt, dass sie
   für einen ihr gemeldeten Versicherten Kostengutsprache oder Zahlung
   geleistet habe, so ist der Krankenkasse die Verfügung über die
   Zusprechung oder Ablehnung medizinischer Massnahmen zuzustellen.

    2

    Lehnt die Versicherung medizinische Massnahmen ganz oder teilweise
ab und
   würde deswegen die Krankenkasse leistungspflichtig, so kann diese die
   entsprechende Verfügung der IV-Stelle selbständig mit den in Artikel
   69 IVG vorgesehenen Rechtsmitteln anfechten.

    c) Die auf den 1. Juli 1992 in Kraft getretenen Neufassungen der
Art. 88ter und Art. 88quater IVV haben gegenüber den vorher gültig
gewesenen Verordnungsbestimmungen keine materielle Änderung erfahren. Es
ging lediglich darum, das neugeschaffene Organ der Invalidenversicherung,
die IV-Stelle, einzubeziehen, dies anstelle des für solche Belange bisher
zuständig gewesenen Sekretariats der Invalidenversicherungs-Kommission.

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hat sich bei der Begründung ihres
Nichteintretensentscheids auf die an sich unbestrittene Feststellung
beschränkt, dass die beschwerdeführende Krankenkasse dem zuständigen
Organ der Invalidenversicherung keine Meldung im Sinne von Art. 88quater
Abs. 1 IVV erstattet habe. Deshalb sei das IV-Organ nach dieser Bestimmung
auch nicht verpflichtet gewesen, der Helvetia die Ablehnungsverfügung vom
17. September 1992 betreffend medizinische Massnahmen zuzustellen. Könne
sich die Krankenkasse aber nicht auf Art. 88quater Abs. 1 IVV berufen,
sei ihre erst im August 1993 eingereichte Beschwerde verspätet.

    In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird demgegenüber vorgebracht,
die Invalidenversicherung habe es unterlassen, die Helvetia im Sinne von
Art. 88ter IVV zu orientieren. Die Krankenkasse habe deshalb das zuständige
IV-Organ nicht nach Art. 88quater Abs. 1 IVV informieren können. Dies
wiederum sei der Grund dafür, dass die Helvetia erst nachträglich am
13. Juli 1993 von der Ablehnungsverfügung Kenntnis erhalten habe. Es dränge
sich deshalb auf, die 30tägige Rechtsmittelfrist ab jenem Zeitpunkt laufen
zu lassen.

Erwägung 3

    3.- a) Die Helvetia weist zu Recht darauf hin, dass es insbesondere bei
grösseren Geschäftsstellen aufgrund der beträchtlichen Anzahl eingehender
Rechnungen und Gesuche um Kostengutsprache für Physio- und Ergotherapie
nicht möglich sei, die Leistungspflicht sofort definitiv festzulegen. Mit
Blick auf solche administrativen Schwierigkeiten statuierte der
Verordnungsgeber in Art. 88ter IVV zu Lasten der IV-Sekretariate bzw. der
seit 1. Juli 1992 bereits bestehenden IV-Stellen eine Informationspflicht,
wonach jene Kassenmitglieder, welche Anspruch auf medizinische Massnahmen
der Invalidenversicherung erheben, den betreffenden Krankenkassen zu
melden sind.

    Als sich G. am 14. Juni 1989 bei der Invalidenversicherung namentlich
zum Bezug von medizinischen Massnahmen anmeldete, führte sie ausdrücklich
die Helvetia, Sektion Winterthur, als ihre Krankenversicherung an. Trotz
dieser Angaben unterliess es das IV-Sekretariat Schaffhausen, der Helvetia
Meldung zu erstatten. Die Vorinstanz übersieht, dass diese Verletzung der
Informationspflicht bei der Beurteilung der Frage, ob die Krankenkasse
das zuständige Organ der Invalidenversicherung über die von ihr erbrachten
Leistungen hätte orientieren müssen, nicht unbeachtlich bleiben kann. Denn
die Bestimmung von Art. 88quater Abs. 1 IVV geht nach ihrem klaren Wortlaut
("für einen ihr gemeldeten Versicherten", "pour un assuré qui lui avait
été annoncé", "per un assicurato annunciatole") und der systematischen
Einordnung von der Erfüllung der Informationspflicht durch die Organe der
Invalidenversicherung nach Art. 88ter IVV aus. Dass die Orientierung der
Krankenkasse durch die IV-Stelle (Art. 88ter IVV) und die Mitteilung der
Krankenkasse an das IV-Organ (Art. 88quater IVV) einander zugeordnet sind,
ergibt sich auch aus dem normspezifischen Zweck dieser beiden Bestimmungen,
welcher namentlich darin besteht, mittels gegenseitiger Amtshilfe eine
möglichst wirkungsvolle und lückenlose Koordination zwischen Invaliden-
und Krankenversicherung zu gewährleisten. Dies entspricht auch der
Regelungsabsicht des Verordnungsgebers, wie sie in ZAK 1968 S. 44
f. umschrieben worden ist:

    "Um das Rückerstattungsverfahren zwischen IV und Krankenkassen
tunlichst
   zu vermeiden, legt die neue Regelung das Schwergewicht auf die
   vorläufige

    Kostengutsprache; Zahlungen sollen die Ausnahme sein. Die Krankenkassen
   müssen infolgedessen orientiert werden, dass ein Mitglied medizinische

    Massnahmen der IV beansprucht. Das Sekretariat der IV-Kommission
kann diese

    Meldung anhand der Anmeldeformulare erstatten; das Formular enthält
eine
   entsprechende Frage.

    ... Krankenkassen, die Kostengutsprache oder Zahlung geleistet haben,
   müssen ihrerseits der IV-Kommission davon Mitteilung machen. Gestützt
   darauf wird ihnen zu gegebener Zeit ein Doppel der Verfügung der

    Ausgleichskasse, mit der über die Ansprüche des Versicherten
gegenüber der

    IV befunden wird, zugestellt. Dies ist Voraussetzung dafür, dass die

    Krankenkasse das Beschwerderecht ausüben kann."

    b) Ist die Invalidenversicherung ihrer Meldepflicht im Sinne von
Art. 88ter IVV nicht nachgekommen, kann sie der Krankenkasse nach dem
Gesagten nicht entgegenhalten, diese habe das zuständige IV-Organ nicht
gemäss Art. 88quater Abs. 1 IVV informiert, weshalb kein Anspruch
auf Verfügungszustellung nach dieser Bestimmung bestehe. Wenn das
Sozialversicherungsamt Schaffhausen meint, die Helvetia sei nicht
berechtigt, unter Hinweis auf erbrachte Leistungen gegen eine längst
rechtskräftige Verfügung Beschwerde zu führen, ist darauf hinzuweisen,
dass das Amt selber durch die unterbliebene Meldung im Sinne von Art. 88ter
IVV die Beschwerdemöglichkeit der Krankenkasse vereitelte. Nachdem die
Helvetia erst durch das Schreiben des Dr. med. W. vom 13. Juli 1993 von
der Ablehnungsverfügung Kenntnis erhalten hat, erweist sich die Beschwerde
vom 10. August 1993 als rechtzeitig.

Erwägung 4

    4.- Die Sache ist demzufolge an die kantonale Rekurskommission
zurückzuweisen, damit sie die Beschwerde der Helvetia an die Hand nehme.