Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 196



120 V 196

29. Urteil vom 13. Juni 1994 i.S. Schweizerische Grütli, Bern, gegen
H. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 KUVG, Art. 12 Abs. 4 KUVG. Beim
Anspruch auf ambulante Krankenpflege einerseits und jenem auf
stationäre Krankenpflege anderseits handelt es sich um zwei verschiedene
gesetzlich(-statutarische) Leistungsberechtigungen (Erw. 2b). Es ist
daher möglich, dass jemand während eines stationären Aufenthalts in einer
Heilanstalt Anspruch auf ambulante Krankenpflege begründet (Erw. 2c). Ist
dies der Fall, kann einem Versicherten die ausschliesslich für stationäre
Krankenpflege (und Badekuren) geltende zeitliche Leistungslimitierung in
Art. 12 Abs. 4 KUVG nicht entgegengehalten werden (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- H., geboren 1900, lebt nach unfallbedingten Spital- und
Rehabilitationsaufenthalten seit 3. Mai 1989 im Alters- und Pflegeheim
X. Mit Verfügung vom 14. Oktober 1992 eröffnete ihre Krankenkasse, die
Schweizerische Grütli (Grütli), der Tochter, dass die Leistungsdauer
für die in stationärer Behandlung stehende Mutter erschöpft und sie
deswegen nicht gewillt sei, zwei eingereichte ambulante Arzt- und
Apothekerrechnungen in der Höhe von gesamthaft Fr. 797.70 zu bezahlen.

    B.- H. liess Beschwerde erheben mit dem Antrag, die Grütli
sei anzuhalten, die Rechnungen für Arzt und Medikamente weiterhin zu
bezahlen, da es dabei nicht um Aufwendungen für stationäre, sondern für
ambulante Kosten gehe, welche reglementsgemäss während unbeschränkter
Dauer gewährt werden müssten. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
hiess diese Beschwerde nach zweifachem Schriftenwechsel gut und wies die
Grütli an, die versicherten Leistungen im Sinne der Erwägungen weiterhin
auszurichten. Das Gericht stützte sich dabei auf die Überlegung, die
Erschöpfung der Leistungsberechtigung setze den Aufenthalt in einer
Heilanstalt voraus, welche Qualifikation dem Alters- und Pflegeheim X
nicht zukomme (Entscheid vom 4. September 1993).

    C.- Die Grütli erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt
Aufhebung des kantonalen Entscheides. Sie bestreitet im wesentlichen die
Sichtweise der Vorinstanz, dass es sich beim Alters- und Pflegeheim X nicht
um eine Heilanstalt handle, welche, bei entsprechend langem Aufenthalt,
geeignet sei, Erschöpfungsfolgen für die Leistungsberechtigung zu zeitigen.

    Während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Stellungnahme
verzichtet, schliesst H. in ihrer Vernehmlassung mit dem Begehren auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- a) Der vorliegende Prozess entspannte sich über der Frage, ob
die beschwerdeführende Krankenkasse für ambulante Behandlungen Rechnungen
des Dr. med. S. und der Apotheke im S. zu übernehmen habe oder nicht. In
diesem Zusammenhang zerstritten sich die Parteien darüber, ob das Alters-
und Pflegeheim X, in welchem sich die Beschwerdegegnerin seit 3. Mai 1989
aufhält, eine Heilanstalt im Sinne des Pflichtleistungsrechts darstelle.
Dies zufolge der Annahme der Kasse, ein (stationärer) Aufenthalt in einer
solchen Heilanstalt vermöge die Leistungsberechtigung reglementsgemäss
(Art. 18 Abs. 2 Leistungsreglement Grütli) und gesetzeskonform (Art. 12
Abs. 4 KUVG) auf 720 Tage innerhalb von 900 aufeinanderfolgenden Tagen
zu beschränken, was bei der Beschwerdegegnerin (am 18. März 1991)
eingetreten sei.

    b) Hiezu ist zu bemerken, dass einerseits Art. 12 Abs. 2
Ziff. 1 KUVG und Art. 18 Abs. 1 Leistungsreglement den Anspruch
auf ambulante Krankenpflege beschlagen, anderseits Art. 12 Abs. 2
Ziff. 2 KUVG und Art. 18 Abs. 2 Leistungsreglement denjenigen auf
stationäre Krankenpflege. Indem sie die Leistungsberechtigung bzw. deren
Andauern allein von der Charakterisierung der Aufenthaltseinrichtung der
Versicherten als Heilanstalt im Sinne des Pflichtleistungsrechts abhängig
machen, übersehen sowohl die Parteien als auch die Vorinstanz, dass es
sich bei ambulanter und stationärer Krankenpflege um zwei verschiedene
gesetzlich-statutarische Leistungsberechtigungen handelt, die nicht
miteinander vermengt werden dürfen.

    c) Selbst wenn man mit der beschwerdeführenden Krankenkasse
annehmen wollte, das Alters- und Pflegeheim X sei eine Heilanstalt im
Sinne des KUVG, würde dies nichts daran ändern, dass die Leistungen,
welche die Beschwerdegegnerin von der Grütli verlangt, die ambulante
Krankenpflege betreffen. Denn nicht jede ärztliche Verabreichung oder
Therapie, die einem Versicherten zuteil wird, während er sich in einer
Heilanstalt aufhält, stellt eine Leistung aus stationärer Krankenpflege
dar. Das ergibt sich ohne weiteres aus der ständigen Rechtsprechung zu
Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG, wonach der Umstand allein, dass sich der
Versicherte in einem Spital im Sinne des KUVG befindet, noch nicht den
Anspruch auf Leistungen im Hospitalisationsfalle begründet; vielmehr
muss der Versicherte an einer Krankheit leiden, welche die spitalmässige
Infrastruktur notwendig macht (RKUV 1994 Nr. K 929 S. 19 f. Erw. 2b mit
Hinweisen). Es ist daher nach der gesetzlichen Leistungssystematik durchaus
möglich, dass ein Versicherter (auf eigene Kosten) in einer Institution
liegt, die als Heilanstalt im Sinne des KUVG gilt, und während dieses
(stationären) Aufenthalts ambulanter Krankenpflegeleistungen bedarf, die
nicht Hospitalisationsbedürftigkeit und daher nicht den dafür vorgesehenen
gesetzlich-statutarischen Leistungsanspruch begründen, wohl aber denjenigen
auf ambulante Krankenpflege.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall darf aufgrund der Ausführungen der
Versicherten und der - unbestritten gebliebenen - vorinstanzlichen
Feststellungen über die Krankengeschichte und den Verlauf der
Unfälle gefolgert werden, dass die Beschwerdegegnerin sich nicht
wegen ihrer seit 1980 bestehenden Zuckerkrankheit, wegen welcher sie
von Dr. med. S. behandelt wird, im Alters- und Pflegeheim X aufhält,
sondern wegen ihrer, durch die verschiedenen Unfälle wohl verstärkten,
Hilflosigkeit (für welche sie denn ja auch eine Hilflosenentschädigung
der AHV bezieht). Wenn die Beschwerdegegnerin von ihrer Krankenkasse die
Insulinbehandlung vergütet haben will, macht sie demnach einen zeitlich
unbefristeten Anspruch aus ambulanter Krankenpflege nach Art. 18 Abs. 1
Leistungsreglement geltend, und nicht einen solchen aus Krankenpflege im
Heilanstaltsfall, weshalb man ihr, wie die Vorinstanz im Ergebnis richtig
entschieden hat, die ausschliesslich für letzten massgebliche zeitliche
Limitierung in Art. 18 Abs. 2 Leistungsreglement nicht entgegenhalten kann.