Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 177



120 V 177

25. Urteil vom 18. Juli 1994 i.S. K. gegen Ausgleichskasse des Kantons
Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 25bis IVG, Art. 20ter Abs. 3 IVV: Besitzstandsgarantie.

    - Die Koordinationsregel des Art. 25bis IVG betrifft das
taggeldrechtliche Verhältnis zur Unfallversicherung und geht daher den
allgemeinen koordinationsrechtlichen Bestimmungen bei Zusammentreffen
von mehreren Leistungen der Invalidenversicherung vor. Namentlich bleibt
für eine Anwendung der IV-rechtlich internen Kürzungsregel des Art. 20ter
Abs. 3 Satz 2 IVV (in Verbindung mit Art. 43 Abs. 2 Satz 2 IVG) kein Raum.

    - Für die Besitzstandswahrung massgebend ist entgegen Rz. 1068.1 des
BSV-Kreisschreibens über die Taggelder der Invalidenversicherung (KSTG)
das allenfalls gekürzte UV-Taggeld (Art. 40 UVG).

Sachverhalt

    A.- Der 1966 geborene K., kaufmännischer Angestellter,
bezog als Folge eines am 8. Juli 1988 erlittenen Unfalles ein
Taggeld der Unfallversicherung (UV) sowie eine ganze Rente der
Invalidenversicherung (IV). Im Januar 1992 stellte der Unfallversicherer
(SUVA) aufgrund einer Überentschädigungsberechnung einen Überschuss
der Sozialversicherungsleistungen (Fr. 117.-- [Taggeld] + Fr. 48.55
[Invalidenrente/Tag]) gegenüber dem mutmasslichen Verdienst bei voller
Erwerbsfähigkeit (Fr. 146.25/Tag) fest. Dementsprechend kürzte die Anstalt
ab 1. Januar 1992 das UV-Taggeld um Fr. 19.30 von Fr. 117.-- auf Fr. 97.--
(Schreiben vom 24. Januar 1992).

    Vom 1. April bis 30. Juni 1992 liess die Invalidenversicherung die
Eingliederungs- und Arbeitsfähigkeit des Versicherten im Ausbildungszentrum
Brunau, Zürich, beruflich abklären. Mit Verfügung vom 11. Mai 1992
sprach die Ausgleichskasse des Kantons Zürich für diese Abklärungsphase
ein IV-Taggeld zu. Der Bemessung legte sie das gekürzte UV-Taggeld
von Fr. 97.-- zugrunde, wovon sie einen Dreissigstel des Betrages
der laufenden Invalidenrente (Fr. 49.20/Tag) und, für die Wochentage
Montag bis Freitag, einen Verpflegungskostenanteil von Fr. 6.60 (30%
von Fr. 22.--) abzog. Wiedererwägungsweise nahm die Ausgleichskasse eine
Korrektur dieser Taggeldberechnung vor, indem sie, bei sonst unveränderten
Berechnungsgrundlagen, nunmehr vom ungekürzten UV-Taggeld von Fr. 117.--
ausging, wodurch sich das IV-Taggeld auf Fr. 61.20 (Mo-Fr) und Fr. 67.80
(Sa, So, Feiertage) erhöhte (Verfügung vom 12. Juni 1992).

    B.- Hiegegen liess K. Beschwerde führen und beantragen, es seien
ihm "die gesetzlich geschuldeten Leistungen zu erbringen, insbesondere
das Taggeld entsprechend der Besitzstandsgarantie des SUVA-Taggeldes
zu erhöhen".

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies die Beschwerde, im
Sinne der ablehnenden Vernehmlassung der Ausgleichskasse, mit Entscheid
vom 23. November 1993 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K., bei im wesentlichen
gleicher Begründung, das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren
erneuern.

    Die Ausgleichskasse verzichtet, unter Verweis auf ihre Darstellung
im vorinstanzlichen Verfahren, auf eine Stellungnahme; das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) lässt sich nicht vernehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- Streitig und zu prüfen ist die Höhe des dem Beschwerdeführer
zustehenden IV-Taggeldes für die berufliche Abklärungsphase vom 1. April
bis 30. Juni 1992. Dabei stellt sich vorab die Frage nach der Tragweite
der UV-Taggeld-Besitzstandsgarantie nach Art. 25bis IVG im Verhältnis
zur Koordinationsregelung des Art. 20ter Abs. 3 IVV.

Erwägung 3

    3.- a) Art. 25bis IVG hat folgenden Wortlaut:

    "Hatte ein Versicherter bis zur Eingliederung Anspruch auf ein Taggeld
   nach dem Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung,
   so entspricht der Gesamtbetrag des Taggeldes mindestens dem bisher
   bezogenen

    Taggeld der Unfallversicherung."

    Diese mit dem UVG auf den 1. Januar 1984 in Kraft getretene -
entgegen ihrem Wortlaut auch auf noch nach dem KUVG festgesetzte Taggelder
anwendbare (BGE 112 V 171 Erw. 3) - Bestimmung regelt die Koordination mit
der Unfallversicherung im Sinne einer IV-rechtlichen Besitzstandsgarantie
(BGE 119 V 125 f. Erw. 2c). Sinn und Zweck des Art. 25bis IVG ist, ein
leistungsmässiges Absinken des bisherigen Bezügers von Taggeldern der
Unfallversicherung nach der Aufnahme einer von der Invalidenversicherung
übernommenen Eingliederung mit dementsprechend nach Massgabe der
IV-rechtlichen Regeln ermittelten Taggeldern zu verhindern (BGE 119 V
128 Erw. 4; Botschaft zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom
18. August 1976, BBl 1976 III S. 190 und 228).

    In Konkretisierung des Art. 25bis IVG hat das BSV in Rz. 1068.1 des
Kreisschreibens über die Taggelder [KSTG], in der seit 1. Januar 1989
geltenden Fassung, festgeschrieben, dass für die Besitzstandswahrung der
ungekürzte Betrag des UV-Taggeldes massgebend sei. Mit anderen Worten
kommt Art. 40 UVG, wonach ein UV-Taggeld bei gleichzeitigem Bezug einer
IV-Rente soweit gekürzt wird, als sie den mutmasslich entgangenen Gewinn
übersteigen, nicht zur Anwendung.

    b) Dem Bezüger einer Invalidenrente wird diese während Abklärungs- oder
Eingliederungsmassnahmen weiter gewährt, und zwar längstens bis zum dritten
vollen Kalendermonat, der dem Beginn der Massnahmen folgt. Zusätzlich
wird ihm das Taggeld ausgerichtet. Dieses wird jedoch während der Dauer
des Doppelanspruchs um einen Dreissigstel des Rentenbetrages gekürzt
(Art. 20ter Abs. 3 IVV).

    Diese Verordnungsbestimmung lässt sich, wie die kantonale
Rekurskommission zutreffend festhält, auf die Delegationsnorm des Art. 43
Abs. 2 IVG stützen. Im Rahmen dieser Bestimmung über das Zusammenfallen
von Leistungen der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung wird
der Bundesrat in Satz 2 befugt erklärt, Ausnahmen zu Satz 1 (Priorität
u.a. des Taggeldes vor der Rente) vorzusehen und Bestimmungen über die
Ablösung des Taggeldes durch eine Rente zu erlassen. Das betrifft genau
den Anwendungsbereich der Verordnungsnorm des Art. 20ter Abs. 3 IVV.

Erwägung 4

    4.- a) Ausgleichskasse und kantonale Rekurskommission haben das
koordinationsrechtliche Problem der Ablösung des UV-Taggeldes durch
jenes der Invalidenversicherung während der Eingliederungsphase in der
Weise gelöst, dass sie gemäss Rz. 1068.1 KSTG vom ungekürzten Betrag
des UV-Taggeldes (Fr. 117.--) ausgehen und dieses der IV-rechtlich
internen Koordinationsregel des Art. 20ter Abs. 3 IVV, namentlich der
in Satz 3 vorgesehenen Kürzung um einen Dreissigstel des Rentenbetrages
(Fr. 49.20), unterwerfen. Das führt hier zu IV-Taggeldern von Fr. 67.80
ohne bzw. Fr. 61.20 mit Verpflegungskosten-Abzug (Fr. 6.60), welche
Beträge das UV-Taggeld von Fr. 117.-- (ungekürzt) und von Fr. 97.--
(gekürzt) erheblich unterschreiten.

    Demgegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, er dürfe
während der Eingliederungsmassnahme nicht schlechter gestellt werden, als
wenn keine solchen Massnahmen durchgeführt würden. Massgebend sei daher das
wegen Überversicherung gemäss Art. 40 UVG gekürzte UV-Taggeld (Fr. 97.--),
welcher Betrag der IV-rechtlich internen Kürzungsregel des Art. 20ter
Abs. 3 Satz 2 IVV nicht unterliege, weil sonst die Besitzstandsgarantie
gemäss Art. 25bis IVG unterlaufen werde.

    b) Mit dem klaren Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Art. 25bis
IVG, ein leistungsmässiges Absinken zu verhindern, wenn sich
ein UV-Taggeldbezüger in eine IV-Abklärung oder Eingliederung begibt
(Erw. 3a), ist unvereinbar, wenn an dem formellgesetzlich garantierten
Taggeld Abzüge vorgenommen werden, welche sich aufgrund IV-rechtlich
interner Koordinationsnormen ergeben. Art. 25bis IVG ist eine nachträglich
ins Gesetz eingefügte Koordinationsregel, welche das taggeldrechtliche
Verhältnis zur Unfallversicherung betrifft und damit den allgemeinen
koordinationsrechtlichen Bestimmungen bei Zusammentreffen von mehreren
Leistungen der Invalidenversicherung vorgeht. Durch die Anwendung
von Art. 40 UVG ist sichergestellt, dass der laufende IV-Rentenbezug
bei der Festsetzung des UV-Taggeldes berücksichtigt wird. Wenn aber
das koordinationsrechtliche Problem, herrührend aus dem Weiterlaufen
der IV-Rente, schon im Rahmen der dem UV-Taggeld zugrunde liegenden
Überversicherungsrechnung berücksichtigt wird, besteht kein Raum,
diesen Schritt rückgängig zu machen und auf das gemäss Rz. 1068.1 KSTG
ungekürzte UV-Taggeld die IV-rechtlich interne Kürzungsregelung nach
Art. 20ter Abs. 3 IVV anzuwenden. Damit wird zwar im Ergebnis auch
die Koordination IV-Taggeld/IV-Rente erreicht, indessen in bezug auf
das davon zu unterscheidende, hier massgebende koordinationsrechtliche
Problem UV-Taggeld/IV-Taggeld in einer Weise, welche die Besitzstandsnorm
des Art. 25bis IVG nach Wortlaut und Rechtssinn verletzt.