Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 163



120 V 163

23. Urteil vom 3. März 1994 i.S. Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen
gegen M. und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Regeste

    Art. 10 AHVG, Art. 28 AHVV: Beitragspflicht von Nichterwerbstätigen.

    - Bestätigung der Rechtsprechung, wonach die Renteneinkommen eines
Nichterwerbstätigen kapitalisiert und dem Vermögen hinzugerechnet werden
(vgl. ZAK 1979 S. 558 f.; Erw. 4).

    - Die Renteneinkünfte aus einem befristeten Leibrentenvertrag sind zu
kapitalisieren, da diese keine realisierbaren Vermögenswerte darstellen.
Insbesondere lässt sich dann kein Höchstbetrag der Rentenleistungen
ermitteln, wenn diese wie im vorliegenden Fall mit einer variablen
Gewinnbeteiligung verknüpft sind (Erw. 4c).

Sachverhalt

    A.- M. (geb. 1927) wurde als Pilot der Balair vorzeitig pensioniert
und erhielt von seiner Pensionskasse per 31. Mai 1984 eine einmalige
Kapitalauszahlung von Fr. 572'319.25. Von diesem Betrag setzte er Fr.
200'000.-- ein, um bei der Schweizerischen Lebensversicherungs- und
Rentenanstalt, Zürich, durch einmalige Kapitaleinlage eine auf 13 Jahre
befristete Leibrente mit Überschussbeteiligung in der Höhe von monatlich
Fr. 1'537.10 (zuzüglich Überschussbeteiligung von anfänglich Fr. 170.85)
zu kaufen.

    Am 11. Mai 1987 meldete sich M. bei der Ausgleichskasse des Kantons St.
Gallen zur Abklärung der Beitragspflicht. Gestützt auf seine Angaben
erfasste ihn die Ausgleichskasse mit Verfügungen vom 22. Mai 1987 und
4. Februar 1988 als Nichterwerbstätigen und setzte die Beiträge für die
Jahre 1985-1989 aufgrund eines massgebenden Vermögens von Fr. 680'000.--
fest. Mit Nachtragsverfügung vom 10. November 1989 und Beitragsverfügung
vom 14. Februar 1990 setzte die Ausgleichskasse die Beiträge für die
Jahre 1989-1991 auf einem Vermögen von Fr. 40'000.-- fest.

    Gestützt auf Meldungen der kantonalen Steuerverwaltung erliess die
Ausgleichskasse in sinngemässer Wiedererwägung der früheren Verfügungen
am 26. Oktober 1990 und 2. November 1990 Nachtragsverfügungen für
die Beiträge pro 1985-1989. Als Berechnungsgrundlagen zog sie das ihr
nachträglich gemeldete jährliche Renteneinkommen von Fr. 20'484.-- bei, das
sie mit dem Faktor 30 (1985) bzw. 20 auf Fr. 614'520.-- bzw. Fr. 409'680.--
kapitalisierte und zur Bestimmung des Jahresbeitrages zum übrigen Vermögen
hinzurechnete.

    B.- Gegen die Nachtragsverfügungen vom 26. Oktober 1990 und 2. November
1990 reichte M. Beschwerde ein mit dem Antrag, als massgebendes Vermögen
sei anstelle des kapitalisierten Renteneinkommens das ursprünglich für
den Leibrentenvertrag eingesetzte Kapital von Fr. 200'000.-- zum übrigen
Vermögen hinzuzurechnen. Mit der Kapitalisierung sei aus diesem Betrag
unzulässigerweise ein beitragspflichtiges Vermögen von Fr. 409'680.--
bzw. von Fr. 614'520.-- für 1985 gemacht worden.

    Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen erwog,
die Kapitalisierung der Bezüge des M. aus dem selbst erworbenen
Leibrentenvertrag führe zu einem Ergebnis, das Sinn und Zweck der
Kapitalisierung von Renteneinkommen zur Beurteilung der sozialen
Verhältnisse kaum mehr entspreche, indem für die Beitragsbemessung der
der Rente zugrundeliegende und dafür unmittelbar vor Leistungsbeginn
eingesetzte Vermögensbetrag (Fr. 200'000.--) durch die Kapitalisierung mehr
als verdoppelt bzw. für 1985 mehr als verdreifacht werde. Daher sei der
Höchstbetrag der M. zustehenden Leistungen zu ermitteln und zu dem von
den Steuerbehörden gemeldeten Vermögen hinzuzurechnen. Dementsprechend
hiess das kantonale Gericht die Beschwerde teilweise gut und wies die
Sache zur Ermittlung des massgebenden Vermögens und zur Neufestsetzung
der Beiträge des M. für die Jahre 1985-1989 im Sinne der Erwägungen
sowie zu entsprechender neuer Verfügung an die Ausgleichskasse zurück
(Entscheid vom 18. Februar 1993).

    C.- Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Begehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die
Nachtragsverfügungen vom 26. Oktober 1990 und vom 2. November 1990 seien
zu bestätigen.

    M. und das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) haben auf
Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 AHVG bezahlen Nichterwerbstätige
je nach ihren sozialen Verhältnissen einen Beitrag von Fr. 168.--
(Mindestbeitrag bis 1985 Fr. 210.--, ab 1. Januar 1986 Fr. 300.-- und
ab 1. Januar 1988 Fr. 324.--, gemäss den einschlägigen Verordnungen
über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bei der AHV/IV) bis
Fr. 8'400.-- im Jahr. Der Bundesrat erlässt nähere Vorschriften u.a. über
die Bemessung der Beiträge (Abs. 3 Satz 1). Gestützt darauf hat er Art. 28
bis 30 AHVV über die Beiträge der Nichterwerbstätigen erlassen. In
Art. 28 Abs. 1 AHVV hat er den Begriff der "sozialen Verhältnisse"
dahingehend konkretisiert, dass die Beiträge aufgrund des Vermögens und
des mit 20 (bis 1985 mit 30) multiplizierten jährlichen Renteneinkommens
festzusetzen sind. Verfügt ein Nichterwerbstätiger gleichzeitig über
Vermögen und Renteneinkommen, so wird der mit 20 multiplizierte jährliche
Rentenbetrag zum Vermögen hinzugerechnet (Abs. 2). Die kantonalen
Steuerbehörden ermitteln das für die Beitragsberechnung Nichterwerbstätiger
massgebende Vermögen aufgrund der betreffenden rechtskräftigen kantonalen
Veranlagung; sie berücksichtigen dabei die Vorschriften über die direkte
Bundessteuer (Art. 29 Abs. 3 AHVV). Die Ausgleichskasse ermittelt das
Renteneinkommen; sie arbeitet dabei soweit möglich mit den Steuerbehörden
des Wohnsitzkantons zusammen (Abs. 5). Das Eidg. Versicherungsgericht
hat diese verordnungsmässige Regelung seit je als gesetzmässig erachtet
(BGE 105 V 243 Erw. 2 mit Hinweisen; ZAK 1986 S. 334, 1984 S. 485).

Erwägung 3

    3.- Vorliegend ist in grundsätzlicher Hinsicht unbestritten, dass
die Leibrente der Rentenanstalt bei der Bemessung der AHV-Beiträge
des Beschwerdegegners zu erfassen ist. Der Streit dreht sich um
die Frage, wie bzw. in welchem Masse die aus dem Leibrentenvertrag
fliessenden Leistungen in die Beitragsberechnung einzubeziehen sind. Die
Ausgleichskasse hat für diese Rentenzahlungen die in Art. 28 Abs. 1 AHVV
vorgeschriebene Kapitalisierung vorgenommen. Während der Beschwerdegegner
nur die für den Rentenkauf geleistete Einmalprämie von Fr. 200'000.-- als
anrechenbares Vermögen anerkennt, hat die Vorinstanz die Ausgleichskasse
verhalten, den Höchstbetrag der Rentenleistungen zu ermitteln und diesen
als Vermögen anzurechnen.

Erwägung 4

    4.- a) Nach der Rechtsprechung des Eidg.  Versicherungsgerichts (BGE
101 V 179), letztmals bestätigt in ZAK 1979 S. 558 f., ist der Begriff der
Rente gemäss Art. 28 AHVV im weitesten Sinne zu verstehen. Andernfalls
entgingen oft bedeutende Leistungen, die in unterschiedlicher Höhe
und unregelmässig ausbezahlt werden, der Beitragspflicht, weil es sich
weder um eine Rente im strengen Sinne noch um massgebenden Lohn handeln
würde. Entscheidend ist nicht allein, ob die fraglichen Leistungen mehr
oder weniger die Merkmale einer Rente besitzen, sondern ob sie unabhängig
davon zum Lebensunterhalt des Versicherten beitragen, d.h., ob es sich
um Einkommensbestandteile handelt, welche die sozialen Verhältnisse eines
Nichterwerbstätigen beeinflussen. Ist dies der Fall, so sind die Einnahmen
gemäss Art. 10 AHVG bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigen (ZAK
1979 S. 559 Erw. 2a).

    Die Bezüge des Beschwerdegegners aus dem Leibrentenvertrag mit der
Rentenanstalt lassen sich ungeachtet ihrer zeitlichen Befristung ohne
weiteres als Renteneinkommen im Sinne dieser Rechtsprechung einstufen.

    b) Gemäss Praxis ist ein Vermögensertrag dann nicht als Renteneinkommen
zu behandeln und als solches zu kapitalisieren, wenn die Höhe des
Vermögens bekannt ist oder von der Ausgleichskasse festgestellt werden
kann (BGE 101 V 179; ZAK 1979 S. 559 Erw. 2b mit Hinweis). In der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht die Ausgleichskasse geltend, diese
Rechtsprechung trage dem in Art. 10 Abs. 1 AHVG verankerten Grundsatz der
Beitragsbemessung anhand der sozialen Verhältnisse nur schlecht Rechnung,
und regt zu einer anderen Interpretation des Art. 28 AHVV an. Danach
wäre der in Anwendung von Art. 28 Abs. 1 und 2 AHVV zu ermittelnde
Vermögensstand, ähnlich dem massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen
bei der Rentenberechnung, als mehr oder weniger hypothetische Zahl zu
betrachten, die einzig dazu dienen würde, in einer Beitragstabelle den
geschuldeten Beitrag abzulesen.

    Diese Ausführungen geben indessen keinen Anlass, die zitierte
Rechtsprechung in Frage zu stellen; insbesondere ist unklar, wie der
Vermögensstand aus den aktuellen Leistungszuflüssen bestimmt werden
soll. Der von der Ausgleichskasse erwähnte Vorschlag von Käser,
die Beiträge in Prozenten eines Renteneinkommens zu berechnen, wobei
Vermögen je nach Lebensalter in Leibrenten umzuwandeln wäre (HANSPETER
KÄSER, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, Bern
1989, Rz. 10.27, S. 192), kann nur de lege ferenda verstanden werden.
Beizufügen ist, dass das BSV zur Ermässigung des Kapitalisierungsfaktors
nach Art. 28 AHVV auf 1. Januar 1986 von 30 auf 20 erläuternd
ausführte, der Verwaltung gegenüber werde periodisch geltend gemacht,
die Beitragsbemessung bei Nichterwerbstätigen sei ungerecht, namentlich
würden (nach dem geltenden System) die Renteneinkommen von Invaliden
und vorzeitig Pensionierten im Verhältnis zu den Vermögen zu stark mit
Beiträgen belastet. Die scharfe Erfassung dieser Renteneinkommen vertrage
sich zudem schlecht mit den heutigen Bestrebungen zur Förderung der
beruflichen Vorsorge. Eine Korrektur dieser Verhältnisse sei über die
Anpassung des Kapitalisierungsfaktors möglich (ZAK 1985 S. 436).

    c) Da sich somit eine Praxisänderung nicht aufdrängt, ist nur zu
entscheiden, ob in Anwendung der bisherigen Rechtsprechung die Höhe des
den Leibrentenleistungen entsprechenden Vermögens feststellbar ist, wovon
die Vorinstanz ausgeht, oder ob eine Kapitalisierung der Renteneinkünfte
vorzunehmen ist, wie die Ausgleichskasse verfügt hat.

    Vorliegend sind die Voraussetzungen für den Verzicht auf
Kapitalisierung der Renteneinkünfte nicht erfüllt. Gleich wie im Fall
ZAK 1979 S. 558 f., in welchem der damalige Beschwerdeführer von zwei
Versicherungsgesellschaften zeitlich befristete Rückzahlungen aus einer
Kapitalplazierung mit zusätzlicher Gewinnbeteiligung bezog, stellen
die Ansprüche des Beschwerdegegners keine realisierbaren Vermögenswerte
dar. Insbesondere fehlt es auch hier an der Möglichkeit, sie zu beziffern;
einerseits werden die Leistungen im Falle des Todes des Versicherten vor
Ablauf von 13 Jahren ohne Prämienrückerstattung eingestellt; anderseits
lässt sich trotz Terminierung der Leibrente kein Höchstbetrag der
dem Beschwerdegegner zustehenden Leistungen ermitteln, weil diese mit
einer variablen Gewinnbeteiligung verknüpft sind. Bei dieser Sachlage
ist es nur folgerichtig, wenn auch im hier zu beurteilenden Fall das
dem Renteneinkommen entsprechende Vermögen nach Art. 28 Abs. 2 AHVV
kapitalisiert wird.

    Mit den Methoden der Versicherungsmathematik wird sich wohl immer
irgendein Höchstbetrag der einem Rentenbezüger zustehenden Leistungen
ermitteln lassen. Ob damit grössere Einzelfallgerechtigkeit zu
erreichen wäre, ist aber zu bezweifeln. Die Renteneinkünfte, welche
der Beschwerdegegner bezieht, beeinflussen seine sozialen Verhältnisse
nicht weniger als die jährlichen Rentenbetreffnisse, welche einem
andern Versicherten auf unbestimmte Zeit aufgrund eines überhaupt
nicht feststellbaren Kapitals anfallen. Wenn der Beschwerdegegner die
Beitragsfestsetzung auf der Grundlage der Einmalprämie verlangt, ist ihm
entgegenzuhalten, dass es nach Gesetz und Verordnung für die Bestimmung
der sozialen Verhältnisse auf die Höhe der Renteneinkünfte ankommt und
nicht darauf, was dafür aufgewendet werden musste. Der im kantonalen
Verfahren erhobene Einwand des Beschwerdegegners, die Kapitalisierung
könne nur bei einer lebenslänglichen Rente, nicht jedoch bei einer
Zeitrente vorgenommen werden, trifft nicht zu. Bei der Kapitalisierung
von periodischen Leistungen ist nämlich deren zukünftige Dauer nicht
zu berücksichtigen. Die von Art. 28 AHVV erfassten Renteneinkommen
stellen - im Gegensatz zu Zinsen auf einer bestimmten geliehenen oder
geschuldeten Kapitalsumme - Einkünfte aus einem nicht näher bestimmten
und bekannten Kapital dar. Die Multiplikation mit dem Faktor 20 bzw. 30
entspricht einer Kapitalisierung und hat allein den Zweck, das Kapital
zu berechnen, das - zu 5% bzw. 31/3% verzinst - das jährliche Einkommen,
welches der Versicherte in Form einer Rente bezieht, abwerfen würde
(nicht veröffentlichtes Urteil C. vom 30. März 1976, Erw. 2b).

    d) Aus dem Gesagten folgt, dass die Beitragsverfügungen der
Ausgleichskasse aus bundesrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden sind. Es
braucht daher nicht weiter geprüft zu werden, ob durch einen Systemwechsel
den sozialen Verhältnissen der Nichterwerbstätigen im Durchschnitt besser
Rechnung getragen werden könnte. Die verordnungsmässige Regelung mit den
beiden Elementen Vermögen und kapitalisiertes Renteneinkommen lässt der
Rechtsprechung zu wenig Spielraum, um dem Einzelfall besser gerecht zu
werden. Sollte das Beitragssystem für Nichterwerbstätige im Sinne der
Ausführungen von KÄSER (aaO, Rz. 10.25 ff., S. 191) strukturelle Mängel
aufweisen, wären diese durch Revision der Verordnung zu beheben.

Erwägung 5

    5.- (Hinweis auf die Möglichkeit der Herabsetzung der Beiträge nach
Art. 11 Abs. 1 AHVG)

Erwägung 6

    6.- (Kostenpunkt)

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid
des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 18. Februar 1993
aufgehoben.