Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 98



120 IV 98

18. Urteil des Kassationshofes vom 1. März 1994 i.S. Generalprokurator
des Kantons Bern gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Eidgenössisches Recht (Art. 269 Abs. 1 BStP).

    Der Freispruch vom Vorwurf der kantonalrechtlichen Editionsverweigerung
mit der Begründung, die Editionsaufforderung sei angesichts der
abzuwägenden Rechtsgüter unverhältnismässig, betrifft, auch wenn dadurch
die den Kantonen obliegende Strafverfolgung in Bundesstrafsachen im
konkreten Fall erheblich erschwert wurde, nicht eidgenössisches Recht und
kann daher nicht mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde angefochten
werden (E. 1).

    Art. 268, 273 Abs. 1 lit. b, Art. 277bis BStP. Erschöpfung des
kantonalen Instanzenzuges; neue Anträge.

    Kann die Staatsanwaltschaft in der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde erstmals eine völlig neue Rechtsfrage aufwerfen
(E. 2a und b)?

    Art. 305 StGB. Begünstigung (durch Unterlassen).

    Die Editionspflicht begründet als solche keine Garantenpflicht. Die
Editionsverweigerung erfüllt daher nicht den Tatbestand der Begünstigung
(E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Am 9. Januar 1992 fand auf dem Bundesplatz in Bern eine grosse
Bauerndemonstration statt. Einige Demonstrationsteilnehmer hoben in deren
Verlauf die Abschrankung zwischen dem Bundesplatz und dem Bundeshaus
aus der Verankerung, drückten sie zu Boden, drangen zum Bundeshaus vor
und richteten an dessen Hauptportal mittels Feuer, Wurfgegenständen und
Schlagwerkzeugen Sachschaden an; auch die Fassade des Bundeshauses wurde
durch Wurfgeschosse in Mitleidenschaft gezogen. Es entstand Sachschaden
von insgesamt ca. Fr. 20'000.--. Die Ordnungskräfte konnten durch Einsatz
von Wasser und Tränengas eine Eskalation verhindern.

    Im Rahmen einer gegen unbekannte Täterschaft eröffneten
Strafuntersuchung forderte die Untersuchungsrichterin 7 von Bern
mit Schreiben vom 10. Januar 1992 die Schweizerische Radio- und
Fernsehgesellschaft (SRG) auf, alle an der Bauerndemonstration
aufgenommenen (veröffentlichten und nicht veröffentlichten)
Fernsehaufzeichnungen der Stadtpolizei Bern herauszugeben. Es
wurde auf die Herausgabepflicht gemäss Art. 169 f. StrV/BE und die
Strafandrohung im Unterlassungsfall hingewiesen. Die SRG reichte
hierauf dem Untersuchungsrichteramt Bern ein Videoband ein, welches die
Untersuchungsrichterin 7 mit Beschluss vom 26. Februar 1992 gestützt
auf Art. 171a StrV/BE beschlagnahmte.

    Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland zog aus verschiedenen
Pressemitteilungen den Schluss, dass das beschlagnahmte Band möglicherweise
nicht alle Aufzeichnungen enthalte, die anlässlich der Demonstration vom 9.
Januar 1992 gemacht worden waren. Die Untersuchungsrichterin erliess
daher am 26. März 1992 eine zweite Editionsaufforderung an die SRG. Diese
verweigerte die Herausgabe von weiterem Bildmaterial mit der Begründung,
die Editionsaufforderung sei unverhältnismässig. Die SRG habe im übrigen
wohl, den Gesetzen des Mediums gehorchend, gerade auch die Krawallszenen
ausgestrahlt, also diejenigen Bilder, welche für die Strafuntersuchung von
Interesse seien. Auf die dritte Editionsaufforderung vom 9. April 1992
hin hielt die SRG an ihrem Entscheid fest, kein ungesendetes Material
herauszugeben. Auf die vierte Editionsaufforderung vom 1. Mai 1992, die
erstmals direkt an den Generaldirektor der SRG adressiert war, antwortete
dieser, er sei zur Herausgabe der - im übrigen bei einem Notar hinterlegten
- weiteren Bildaufnahmen nach wie vor nicht bereit. Er ersuchte um eine
Rechtsmittelbelehrung. Die fünfte Editionsaufforderung vom 19. Mai 1992
wurde mit der Mitteilung verbunden, dass dagegen allein die Beschwerde
an die Anklagekammer des bernischen Obergerichts zulässig sei. Die von
der SRG hierauf erhobene Beschwerde gegen die Editionsaufforderung wurde
von der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern mit Beschluss
vom 14. September 1992 abgewiesen. Auf die sechste Editionsaufforderung
vom 18. September 1992 blieb jegliche Reaktion von seiten der SRG aus.

    Am 26. Oktober 1992 lud die Untersuchungsrichterin den Generaldirektor
der SRG zur Einvernahme als Editionsverpflichteten respektive als
Angeschuldigten (wegen Editionsverweigerung) vor. An der Hauptverhandlung
vor dem Gerichtspräsidenten XII von Bern vom 26. Januar 1993 lehnte
dieser sowohl die Herausgabe des weiteren Filmmaterials als auch den
Vorschlag des Präsidenten zur Herausgabe bloss derjenigen Sequenzen,
in welchen Straftaten festgehalten waren, ab.

    B.- Der Gerichtspräsident XII von Bern sprach den Generaldirektor der
SRG am 26. Januar 1993 der unberechtigten Editionsverweigerung im Sinne von
Art. 169 und 170 in Verbindung mit Art. 142 StrV/BE schuldig und bestrafte
ihn deswegen mit einer (nicht umwandelbaren) Busse von Fr. 300.--.

    Gegen diesen Entscheid erklärten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch
der Gebüsste vollumfänglich die Appellation. Der Gebüsste beantragte vor
Obergericht, er sei freizusprechen. Der a.o. Generalprokurator stellte die
Anträge, der Angeschuldigte sei der unberechtigten Editionsverweigerung
schuldig zu erklären und deswegen zu einer bedingten Haftstrafe von 5
Tagen sowie zu einer Busse von Fr. 300.-- zu verurteilen.

    Das Obergericht des Kantons Bern sprach den Angeschuldigten am
3. September 1993 vom Vorwurf der unberechtigten Editionsverweigerung,
angeblich begangen ab dem 2. Juni 1992 in Bern, frei.

    C.- Der Generalprokurator des Kantons Bern führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts
sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung und Verurteilung
des Beschwerdegegners wegen ungerechtfertigter Editionsverweigerung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. In der Beschwerdebegründung führt der
Generalprokurator aus, dass überdies Art. 305 StGB hätte Anwendung finden
müssen; denn das Verhalten des Beschwerdegegners stelle nicht nur eine
(kantonalrechtliche) Editionsverweigerung, sondern auch eine Begünstigung
im Sinne von Art. 305 Abs. 1 StGB dar.

    Der Beschwerdegegner beantragt in seiner Vernehmlassung, die
Nichtigkeitsbeschwerde sei zurückzuweisen, eventuell abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 169 StrV/BE sind Gegenstände, die als Beweismittel
für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sicherzustellen und,
wenn nötig, in Verwahrung zu nehmen (Abs. 1). Der Richter fordert den
mutmasslichen Inhaber dieser Gegenstände auf, sie herauszugeben. Die
Aufforderung erfolgt schriftlich, unter möglichst genauer Bezeichnung
der herausverlangten Gegenstände und Fristansetzung zur Herausgabe
(Abs. 2). Nach Art. 170 StrV/BE ist jeder Inhaber dieser Gegenstände
verpflichtet, sie auf die erfolgte Aufforderung hin dem Gericht zur
Verfügung zu stellen; leistet er der Aufforderung keine Folge, so ist er
wie ein widerspenstiger Zeuge zu behandeln (Abs. 1). Diese Straffolge ist
in der Aufforderung zu erwähnen (Abs. 2). Wer berechtigt ist, das Zeugnis
zu verweigern, kann nicht gezwungen werden, Gegenstände herauszugeben,
die mit der Tat in Verbindung stehen, worüber er das Zeugnis verweigern
könnte (Abs. 3). Gemäss Art. 142 Abs. 2 StrV/BE ist der Zeuge, der die
Aussage unberechtigt verweigert, durch Strafurteil des abhörenden Richters
zu Haft von 5 bis zu 20 Tagen oder zu Geldbusse von Fr. 30.-- bis 300.--
und zu den Staatskosten zu verurteilen. Beide Strafen können miteinander
verbunden werden.

    a) Die Vorinstanz hat den Beschwerdegegner von der Anschuldigung
der Editionsverweigerung im Sinne von Art. 169 und 170 in Verbindung
mit Art. 142 StrV/BE mit der Begründung freigesprochen, dass die
Editionsaufforderung der Untersuchungsrichterin unverhältnismässig und
daher rechtswidrig gewesen und die Missachtung dieser Aufforderung demnach
nicht tatbestandsmässig sei. Bei der Beantwortung der Frage, wann welche
prozessualen Zwangsmassnahmen zulässig seien, sei der Verfassungsgrundsatz
der Verhältnismässigkeit zu beachten. Demnach sei auch beim Erlass einer
Editionsaufforderung eine Rechtsgüterabwägung vorzunehmen.

    Unter Berücksichtigung der Pressefreiheit und des Demonstrationsrechts
einerseits und des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung sowie
des Interesses der Geschädigten an der Ermittlung der Täter anderseits
sei die Editionsaufforderung unverhältnismässig, da Gegenstand des ihr
zugrunde liegenden Strafverfahrens allein Sachbeschädigungen im Sinne von
Art. 145 Abs. 1bis StGB im Deliktsbetrag von höchstens 20'000 Franken,
nicht auch weitere Straftaten, etwa Landfriedensbruch gemäss Art. 260
StGB, bildeten.

    b) Der Generalprokurator macht geltend, der angefochtene Entscheid
verstosse insofern gegen Bundesrecht, als die Vorinstanz das Verhalten des
Beschwerdegegners lediglich am Interesse der Aufklärung einer angeblich
einfachen Sachbeschädigung gemessen habe. Die Vorinstanz verletze
das bundesrechtliche Legalitäts- und Offizialprinzip und verstosse
gegen Art. 343 StGB, der die Kantone verpflichtet, die unter das StGB
fallenden strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen. Neben der
Sachbeschädigung im Sinne von Art. 145 Abs. 1bis StGB dürfte die unbekannte
Täterschaft, deren Identität mit der Visionierung der fraglichen Aufnahmen
der SRG hätte abgeklärt werden sollen, zumindest auch den Tatbestand
des Landfriedensbruchs (Art. 260 StGB) erfüllt haben. Zudem sei am
Bundeshaus offenbar auch Feuer gelegt worden. Es lägen mithin entgegen
den Unterstellungen im angefochtenen Entscheid nicht nur strafbare
Handlungen gegen das Eigentum vor, sondern auch Straftaten gegen die
öffentliche Friedensordnung, eventuell auch gemeingefährliche Verbrechen
oder Vergehen. Es sei unerheblich, dass erstens in der polizeilichen
Strafanzeige vom 3. Februar 1992 lediglich von Sachbeschädigungen die
Rede war und zweitens die Untersuchungsrichterin im Zeitpunkt, als sie
den Beschwerdegegner zur Herausgabe des Bildmaterials aufforderte, die
Untersuchungen noch nicht in allen Fällen auf die vorerwähnten Tatbestände
ausgedehnt hatte. Bundesrechtliche Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden
sei es eben gerade, in der Untersuchung (unter anderem durch die
Visionierung des verlangten Bildmaterials) abzuklären, welchen Personen
welche Straftaten angelastet werden müssen. Diese Aufgabe werde aber durch
das Verhalten des Beschwerdegegners verunmöglicht, und wenn die Vorinstanz
es über eine Auslegung von kantonalem Prozessrecht für zulässig erkläre,
verletze sie Bundesrecht.

    c) Gemäss Art. 269 Abs. 1 BStP kann mit der Nichtigkeitsbeschwerde nur
geltend gemacht werden, dass der angefochtene Entscheid eidgenössisches
Recht verletze.

    Es muss sich also, wie sich auch aus Art. 12 BStP und der Überschrift
des 3. Teils dieses Gesetzes ergibt, um eine Bundesstrafsache
handeln. Eine solche liegt vor, wenn die positive Anwendung von
Bundesstrafrecht den Hauptgegenstand des angefochtenen Urteils bildet,
wenn zu Unrecht kantonales statt Bundesrecht angewendet worden ist,
ferner wenn zu entscheiden ist, ob ein bestimmter Tatbestand infolge
qualifizierten Schweigens des eidgenössischen Rechts auch nicht nach
kantonalem Übertretungsstrafrecht geahndet werden soll, und schliesslich
wenn es sich um eine an sich nach kantonalem Recht zu beurteilende
Sache handelt, die Anwendung dieses Rechts aber durch die Entscheidung
einer Vorfrage des eidgenössischen Strafrechts autoritativ bestimmt wird
(BGE 104 IV 107 E. 2 mit Hinweisen; REHBERG, Der Anfechtungsgrund bei der
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts, ZSR 94/1975
II 353 ff., 364 ff.). Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt.

    aa) Die Editionsverweigerung im Sinne von Art. 169 und 170
i.V.m. Art. 142 StrV/BE ist ein kantonalrechtlicher Straftatbestand. Die
Frage der Verhältnismässigkeit der Editionsaufforderung ist nicht
eine Vorfrage des eidgenössischen Strafrechts, sondern eine solche
des Verfassungsrechts. Es ist auch keine Vorfrage des eidgenössischen
Strafrechts, ob die Vorinstanz bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit
der Editionsaufforderung zu Recht einzig die Straftaten (Sachbeschädigungen
im Sinne von Art. 145 Abs. 1bis StGB) berücksichtigte, die Gegenstand
des der Aufforderung zugrunde liegenden Verfahrens bildeten, oder ob
sie insoweit richtigerweise hätte in Betracht ziehen müssen, dass
an der Demonstration möglicherweise noch weitere Straftaten, etwa
Landfriedensbruch im Sinne von Art. 260 StGB, verübt worden seien.

    bb) Die Vorinstanz hatte bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit
der Editionsaufforderung und der dazu erforderlichen Rechtsgüterabwägung zu
berücksichtigen, dass der Staat gemäss dem bundesrechtlichen Legalitäts-
und Offizialprinzip zur Verfolgung von strafbaren Handlungen verpflichtet
ist, und sie hat dies tatsächlich auch berücksichtigt. Wenn sie dabei
annahm, dass insoweit nur die Straftaten relevant seien, die Gegenstand
des der Editionsaufforderung zugrunde liegenden Verfahrens bildeten, dann
hat sie nicht die genannten bundesrechtlichen Prinzipien verletzt. Die
Erschwerung der Strafverfolgung ist bloss eine tatsächliche Folge des von
der Vorinstanz getroffenen Entscheides. Durch das angefochtene Urteil wird
die Anwendung und Durchsetzung von Bundesrecht nicht prinzipiell vereitelt,
sondern die Strafverfolgung in einem konkreten Fall faktisch erschwert
oder gar verunmöglicht, weil das fragliche Filmmaterial möglicherweise
das einzige taugliche Beweismittel ist.

    Auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist daher nicht
einzutreten, soweit sie sich gegen den Freispruch von der Anschuldigung
der unberechtigten Editionsverweigerung richtet.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, das dem Beschwerdegegner
zur Last gelegte Verhalten stelle nicht nur eine Editionsverweigerung
gemäss dem kantonalen Prozessstrafrecht, sondern zudem eine Begünstigung
im Sinne von Art. 305 StGB dar; es seien zu Unrecht nur die Bestimmungen
des bernischen Strafverfahrens angewendet worden. Indem die Vorinstanz
das Vorgehen des Beschwerdegegners für rechtmässig erkläre, sanktioniere
sie ein Verhalten, das gemäss Bundesstrafrecht tatbestandsmässig sei. Den
Kantonen könne aber nicht das Recht zustehen, über den Weg der Auslegung
von kantonalem Prozessrecht geltendes Bundesstrafrecht aus den Angeln zu
heben und zu derogieren.

    Es ist nicht restlos klar, worauf diese Ausführungen in der
Beschwerdeschrift zielen, zumal im Beschwerdeantrag einzig die Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur Verurteilung des Beschwerdegegners
wegen ungerechtfertigter Editionsverweigerung, nicht (auch) zu dessen
Verurteilung wegen Begünstigung verlangt wird.

    a) Im kantonalen Verfahren ist nicht geltend gemacht worden, dass das
inkriminierte Verhalten auch den Tatbestand der Begünstigung erfülle.
Gegenstand der erstinstanzlichen Verhandlung vom 26. Januar 1993
bildete die unberechtigte Verweigerung der Herausgabe von Beweismitteln
im Sinne von Art. 170 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 142 Abs. 2
StrV/BE. Im schriftlichen Parteivortrag vor Obergericht beantragte der
a.o. Generalprokurator, der Beschwerdegegner sei der unberechtigten
Editionsverweigerung schuldig zu erklären und deswegen zu einer
bedingten Haftstrafe von 5 Tagen und zu einer Busse von Fr. 300.-- zu
verurteilen. Von Begünstigung war auch im Appellationsverfahren nicht die
Rede. Das angefochtene Urteil befasst sich, wie schon der erstinstanzliche
Entscheid, mit der Frage der Begünstigung überhaupt nicht.

    Der Generalprokurator bringt somit in seiner eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde erstmals vor, das Verhalten des Beschwerdegegners
sei auch als Begünstigung im Sinne von Art. 305 StGB zu qualifizieren.

    b) Gemäss Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP sind im Verfahren der
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde unter anderem "neue Einreden"
unzulässig. Den neuen Einreden werden neue Begehren, d.h. neue Anträge,
gleichgestellt (siehe SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in
Strafsachen, N. 470).

    Der Kassationshof überprüft nach seiner Praxis im Verfahren der
Nichtigkeitsbeschwerde alle Fragen des eidgenössischen Rechts, die
sich aufgrund des verbindlich festgestellten Sachverhalts im Rahmen der
Anträge des Beschwerdeführers stellen (Art. 277bis Abs. 1 und 2 BStP),
sofern es sich beim angefochtenen Entscheid um ein letztinstanzliches
Urteil im Sinne von Art. 268 BStP handelt. Als nicht letztinstanzlich
gilt ein Entscheid auch in bezug auf Rechtsfragen, die nach dem
kantonalen Prozessrecht von der letzten kantonalen Instanz mangels
Geltendmachung nicht zu prüfen waren und deshalb offengeblieben sind. In
solchen Fällen kann sich der Kassationshof mit der nicht behandelten
Rechtsfrage nicht mehr befassen. Durfte oder musste die letzte kantonale
Instanz nach dem kantonalen Prozessrecht aber auch Rechtsfragen prüfen,
die ihr nicht ausdrücklich unterbreitet worden waren, so können diese
Rechtsfragen mit der Nichtigkeitsbeschwerde neu vorgetragen werden,
auch wenn sie der Beschwerdeführer vor der letzten kantonalen Instanz
nicht aufgeworfen hat (BGE 104 IV 270 E. 3, 102 IV 103 E. 2a, 128
E. 2, 87 IV 101; SCHWERI, op.cit., N. 137 f., 473). Es ist allerdings
zweifelhaft, ob die Staatsanwaltschaft erstmals in der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde eine völlig neue Rechtsfrage aufwerfen kann (siehe
dazu CORBOZ, Le pourvoi en nullité à la Cour de cassation du Tribunal
fédéral, SJ 1991, p. 57 ss, 96 note 257), also etwa, wie vorliegend,
geltend machen darf, das inkriminierte Verhalten sei nicht nur als
kantonalrechtliche Editionsverweigerung, sondern auch als Begünstigung
im Sinne von Art. 305 StGB zu qualifizieren.

    Wie es sich damit im einzelnen verhält und ob auf die
Nichtigkeitsbeschwerde in bezug auf die Frage der Begünstigung eingetreten
werden kann, braucht indessen nicht abschliessend geklärt zu werden,
da die Beschwerde in diesem Punkt aus nachstehenden Gründen ohnehin
abzuweisen ist.

    c) Der Tatbestand der Begünstigung kann durch Unterlassen nur erfüllt
werden, wenn der Begünstigende eine Garantenpflicht hat. Dafür genügt
nicht jede, sondern nur eine qualifizierte Rechtspflicht, sei es eine
Obhutspflicht, sei es eine Überwachungspflicht (BGE 117 IV 471/472, 113
IV 68 E. 5, je mit Hinweisen). Eine Garantenpflicht hat etwa derjenige,
welcher kraft seiner besonderen Rechtsstellung ein bestimmtes Gut vor
den ihm drohenden Gefahren schützen muss oder der zuvor durch sein Tun
die Gefahr geschaffen hat (BGE 106 IV 278). Eine gesetzliche Pflicht zum
Handeln begründet nicht eo ipso eine Garantenpflicht. Massgebend ist
vielmehr, "welcher Art die Beziehung zwischen dem Verpflichteten und
dem bedrohten Rechtsgut oder der Gefahrenquelle ist, die dem Gesetz
zugrunde liegt" (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg.
Teil I, § 14 N. 12). So kann den Tatbestand der Begünstigung durch
Unterlassen etwa der Jagdaufseher erfüllen, der ein ihm zur Kenntnis
gelangtes Jagdvergehen pflichtwidrig nicht anzeigt (BGE 74 IV 164 ff.),
oder der Chef der Kriminalpolizei, der pflichtwidrig dafür sorgt, dass
eine Anzeige wegen Diebstahls bzw. Betrugs nicht weitergeleitet wird
(BGE 109 IV 46 ff.). Diese Personen haben kraft ihrer Funktion an der
Strafverfolgung mitzuwirken. Demgegenüber ist der Zeuge zwar für die
Strafverfolgung wichtig, doch ist er nicht schon in dieser Eigenschaft
für die Strafverfolgung mitverantwortlich. Die Zeugnispflicht ist
allgemeine Bürgerpflicht und kann jeden, zufällig, treffen. Wer Zeuge
einer Straftat ist, hat nicht allein schon in dieser Eigenschaft
eine besondere, qualifizierte Rechtspflicht, für die strafrechtliche
Verfolgung des Täters zu sorgen. Die Zeugnispflicht als solche begründet
daher insoweit keine Garantenpflicht (BGE 106 IV 278; STRATENWERTH,
Begünstigung durch Verweigerung der Zeugenaussage? recht 1984 S. 93 ff.;
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil II, 3. Aufl. 1984,
§ 56 N. 11; SCHULTZ, ZBJV 118/1982 S. 30; anderer Auffassung REHBERG,
Aktuelle Probleme der Begünstigung, ZBJV 117/1981 S. 357 ff., 373 f., 385
ff.; WALTER STUDER, Begünstigung im Sinne von Art. 305 StGB, Diss. Zürich
1984, S. 158 ff.; RÜDIGER BETTENHAUSEN, Begünstigung im schweizerischen
Strafrecht, Diss. Basel 1970, S. 63).

    Dies gilt in gleicher Weise für die Editionspflicht, insbesondere
auch für die vorliegend zur Diskussion stehende Pflicht zur
Herausgabe von Bildmaterial. Auch sie begründet als solche keine
Garantenpflicht. Ob jemand die Zeugenaussage über ein Geschehen,
das er wahrgenommen hat, verweigert, oder ob er das Bildmaterial, auf
dem das Geschehene festgehalten ist, nicht herausgibt, macht insoweit
rechtlich keinen Unterschied. Zwar mag eine Fotografie oder ein Film
genauer und zuverlässiger sein als eine Zeugenaussage; das Bestehen
einer Garantenpflicht kann aber nicht davon abhängen, welche Bedeutung
dem fraglichen Beweismittel im Strafverfahren im allgemeinen oder im
konkreten Fall zukommt.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher insoweit abzuweisen, soweit auf
sie eingetreten werden kann.