Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 73



120 IV 73

14. Urteil des Kassationshofes vom 20. April 1994 i.S. M. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 91 Abs. 3 SVG n.F.; Vereitelung einer Blutprobe.

    Die vorsätzliche pflichtwidrige Unterlassung der Meldung eines Unfalls
erfüllt auch nach dem neuen Recht dann den Tatbestand der Vereitelung einer
Blutprobe, wenn die Anordnung der Blutprobe nach den gesamten relevanten
Umständen sehr wahrscheinlich war und der Fahrzeuglenker diese die hohe
Wahrscheinlichkeit der Massnahme begründenden Umstände kannte. In diesem
Fall musste er im Sinne von Art. 91 Abs. 3 SVG n.F. mit einer Blutprobe
rechnen.

Sachverhalt

    A.- M. hielt sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Juli 1992,
zwischen ca. 23.00 und 02.30 Uhr, in einem Restaurant in Häuslenen auf.
Anschliessend fuhr er in seinem Personenwagen in Richtung Wiesendangen,
wo er wohnt. Auf der 6 m breiten Verbindungsstrasse zwischen Oberschneit
und Kappel kam er nach rechts von der Fahrbahn ab. Sein Wagen stiess mit
einiger Wucht gegen einen hölzernen Gartenzaun, der auf eine Länge von
ca. 5 m niedergedrückt und teilweise zerstört wurde; dabei wurden auch
einige Büsche in Mitleidenschaft gezogen. Das Fahrzeug wurde insbesondere
vorne rechts stark beschädigt.

    M. konnte den Wagen mit Hilfe eines andern Automobilisten aus der
Unfallendlage befreien. Er fuhr in der Folge nach Hause. Am Vormittag
des 11. Juli 1992 (Samstag) versuchte er erfolglos, einen Vertreter
der geschädigten Gemeinde zu erreichen; erst am Montagvormittag kam der
Kontakt zustande. M. unterliess es, die Polizei zu verständigen.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich sprach M. am 6. Juli 1993
in Bestätigung des Entscheides des Einzelrichters in Strafsachen
des Bezirksgerichts Winterthur vom 20. Januar 1993 der Verletzung von
Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 1 SVG [SR 741.01] in Verbindung mit Art. 3
Abs. 1 VRV [SR 741.11]), des Führens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeugs,
des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall (Art. 92 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 51 Abs. 3 SVG) sowie der Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3
SVG) schuldig und verurteilte ihn deswegen zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von 7 Tagen und zu einer Busse von Fr. 1'500.--.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, den Entscheid des Obergerichts bezüglich des Schuldspruchs
der Vereitelung einer Blutprobe aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 91 Abs. 3 SVG in der Fassung gemäss Bundesgesetz
vom 6. Oktober 1989, in Kraft seit 1. Februar 1991, wird bestraft,
wer sich vorsätzlich einer Blutprobe, die angeordnet wurde oder mit
deren Anordnung er rechnen musste, oder einer zusätzlichen ärztlichen
Untersuchung widersetzt oder entzieht oder den Zweck dieser Massnahmen
vereitelt. Mit dieser neuen Fassung des Gesetzes sollte der langjährigen
bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Tatbestand der Vereitelung einer
Blutprobe Rechnung getragen werden. Allerdings wird in der bundesrätlichen
Botschaft (BBl 1986 III 209 ff.) insoweit nur auf BGE 90 IV 95 verwiesen
(S. 228), nicht auch auf die Präzisierung der Rechtsprechung durch
BGE 109 IV 137 ff. Mit der in den älteren Bundesgerichtsentscheiden
(BGE 95 IV 144, 100 IV 262 E. 4, 106 IV 396) verwendeten Formel "mit
einer Blutprobe rechnen musste" sollte indessen unter anderem gerade
das objektive Erfordernis der hohen Wahrscheinlichkeit der Anordnung
einer Blutprobe zum Ausdruck gebracht werden (vgl. schon BGE 95 IV 148:
"reale Wahrscheinlichkeit").

    Die neue Fassung von Art. 91 Abs. 3 SVG geht auf den Vorschlag
der ständerätlichen Kommission zurück (Amtl.Bull. StR 1988 S. 549 f.),
nachdem der Bundesrat sich mit dem Vorschlag auf Streichung der Worte
"amtlich angeordneten" begnügt hatte (BBl 1986 III 228, 236). Für die
Annahme, jemand habe eine Blutprobe vereiteln wollen, müssen gemäss
einem Votum im Ständerat (Cavelty) "objektive Anhaltspunkte vorhanden
sein", d.h. muss dem Fahrer nachgewiesen werden können, "dass und warum
er mit einer Blutprobe hätte rechnen müssen"; auch in diesem Bereich
sollen die üblichen Beweisregeln ohne besondere Schuldvermutungen gelten
(Amtl.Bull. StR 1988 S. 550).

    b) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 91 Abs. 3 aSVG
erfüllt die Unterlassung der Meldung eines Unfalls an die Polizei dann
den objektiven Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG, wenn der Fahrzeuglenker
gemäss Art. 51 SVG zur Meldung verpflichtet und die Benachrichtigung der
Polizei möglich war und wenn bei objektiver Betrachtung aller Umstände
die Polizei bei Meldung des Unfalls sehr wahrscheinlich eine Blutprobe
angeordnet hätte. Ob die Anordnung einer Blutprobe sehr wahrscheinlich war,
hängt von den Umständen des konkreten Falles ab. Dazu gehören einerseits
der Unfall als solcher (Art, Schwere, Hergang) und anderseits der Zustand
sowie das Verhalten des Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall bis zum
Zeitpunkt, an dem die Meldung spätestens hätte erfolgen müssen (BGE 109
IV 137 E. 2a, 114 IV 148 E. 2).

Erwägung 2

    2.- Der Fahrzeuglenker musste dann im Sinne von Art. 91 Abs.  3 SVG
n.F. mit einer Blutprobe rechnen, wenn diese sehr wahrscheinlich war und
er die die hohe Wahrscheinlichkeit begründenden Umstände kannte. Das
Erfordernis der hohen Wahrscheinlichkeit gilt mithin auch unter der
Herrschaft des neuen Rechts, durch das der Gesetzgeber der langjährigen
bundesgerichtlichen Rechtsprechung Rechnung getragen hat (siehe das
nicht publizierte Urteil des Kassationshofes vom 23. November 1993 i.S.
Generalprokurator des Kantons Bern c. Z.).

    a) Der Unfall ereignete sich nachts gegen 03.00 Uhr. Der
Beschwerdeführer hatte sich zuvor nach seinen eigenen Angaben während
rund dreieinhalb Stunden in einem Restaurant aufgehalten und dabei
zirka 2,5 dl gespritzten Weisswein getrunken. Er geriet gemäss den
Ausführungen im angefochtenen Urteil auf einem geraden und trotz des
Regens übersichtlichen, ihm wohlbekannten und mit einer zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h signalisierten Streckenabschnitt nach
rechts von der Fahrbahn ab. Sein Wagen legte zunächst einige Büsche um
und prallte dann in einen hölzernen Gartenzaun. Angesichts der Schäden
an der Unfallstelle sowie am Fahrzeug muss der Aufprall mit einiger
Wucht erfolgt sein. Der Beschwerdeführer meinte denn auch selber, er
habe nicht gebremst. Er erklärte das Abkommen von der Fahrbahn damit,
dass er am Autoradio hantiert, nämlich einen Sender eingestellt und die
Lautstärke etwas zurückgedreht habe.

    b) Aufgrund dieser Umstände durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von
Bundesrecht den Schluss ziehen, dass die Polizei sehr wahrscheinlich eine
Blutprobe angeordnet hätte. Auch wenn mit der Vorinstanz abweichend von
der ersten Instanz davon auszugehen ist, es dürfe mangels diesbezüglicher
Abklärungen nicht unterstellt werden, dass der Beschwerdeführer
Alkoholsymptome aufgewiesen habe, war die Anordnung einer Massnahme zur
Ermittlung der Blutalkoholkonzentration angesichts des Unfallgeschehens
sehr wahrscheinlich. Das Abkommen von der Fahrbahn konnte weder durch die
Strassen- oder Verkehrsverhältnisse noch durch einen Defekt am Fahrzeug
erklärt werden. Wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird,
ist das Hantieren am Autoradio, mit dem der Beschwerdeführer den Unfall
erklärte, eine gewöhnliche Tätigkeit, die vom Fahrzeuglenker während der
Fahrt (und insbesondere bei ruhigen Verkehrsverhältnissen auf gerader
Strecke) in der Regel problemlos vorgenommen werden kann. Hat diese
Tätigkeit auf einem gerade verlaufenden, dem Fahrzeuglenker wohlbekannten
Streckenabschnitt bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50
km/h ohne äussere Einwirkungen derart ungewöhnliche Folgen wie im
vorliegenden Fall, entsteht der dringende Verdacht, dass Alkohol im
Spiel und der Fahrzeuglenker aus diesem Grunde in seiner Konzentrations-
und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Zur Abklärung dieses
dringenden Verdachts hätte die Polizei sehr wahrscheinlich eine Massnahme
zur Ermittlung der Blutalkoholkonzentration angeordnet.

Erwägung 3

    3.- Auch die übrigen Voraussetzungen des objektiven Tatbestands
von Art. 91 Abs. 3 SVG sind vorliegend erfüllt. Der Beschwerdeführer
war gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG verpflichtet, sofort den Geschädigten
zu benachrichtigen und, wenn dies nicht möglich war, unverzüglich die
Polizei zu verständigen. Jedenfalls die sofortige Benachrichtigung der
Polizei wäre möglich gewesen.

    Durch eine Verurteilung allein gemäss Art. 51 Abs. 3 in Verbindung
mit Art. 92 Abs. 1 SVG würde das inkriminierte Verhalten entgegen den
Andeutungen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht vollumfänglich geahndet;
diesfalls bliebe nämlich unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer
sich durch sein pflichtwidriges Verhalten einer Blutprobe, die sehr
wahrscheinlich angeordnet worden wäre, entzogen hat (siehe dazu BGE 115
IV 51 E. 4b).

    Da der Beschwerdeführer durch sein Verhalten unstreitig die in
Art. 51 Abs. 3 SVG festgelegten Verhaltenspflichten verletzt hat,
kann dahingestellt bleiben, ob das Verlassen der Unfallstelle bei hoher
Wahrscheinlichkeit einer Blutprobe abweichend von der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung (siehe etwa BGE 114 IV 154 E. 2a) den Tatbestand von
Art. 91 Abs. 3 SVG auch dann erfüllen kann, wenn der Fahrzeuglenker bei
einem Selbstunfall mangels eines Fremdschadens keine Pflichten im Sinne
von Art. 51 Abs. 3 SVG zu erfüllen hatte (kritisch zum Erfordernis der
Verletzung einer Verhaltenspflicht als Voraussetzung für eine Verurteilung
wegen Vereitelung einer Blutprobe SCHULTZ, Zur Revision von Art. 91
Abs. 3 SVG, ZStrR 109/1992 S. 317 ff., 323 f.; SCHULTZ, Rechtsprechung
und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1983 bis 1987, S. 289
ff.; der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zustimmend dagegen SCHUBARTH,
Vereitelung der Blutprobe, in: Jörg Schuh [Hrsg.], Verkehrsdelinquenz,
Grüsch 1989, S. 301 ff., 309).

Erwägung 4

    4.- Der subjektive Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe ist nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erfüllt, wenn der Fahrzeuglenker
die die Meldepflicht sowie die die hohe Wahrscheinlichkeit einer Blutprobe
begründenden Tatsachen kannte und daher die Unterlassung der gesetzlich
vorgeschriebenen und ohne weiteres möglichen Meldung vernünftigerweise
nur als Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung gewertet werden kann
(BGE 109 IV 137 E. 2b, 114 IV 148 E. 2b). Diese Rechtsprechung hat
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keineswegs zur Folge,
dass die Verletzung der in Art. 51 Abs. 3 SVG festgelegten Pflichten
nach einem nächtlichen Unfall selbst durch einen völlig nüchternen
Fahrzeuglenker stets zu einer Verurteilung auch wegen Vereitelung einer
Blutprobe führt. Entscheidend ist, ob angesichts der konkreten Umstände
des Falles sehr wahrscheinlich eine Blutprobe angeordnet worden wäre. Das
ist vorliegend unter Berücksichtigung von Art und Hergang des Unfalls,
die dem Beschwerdeführer bekannt waren, zu bejahen, auch wenn nicht
unterstellt werden kann, dass der Beschwerdeführer (wahrnehmbare)
Alkoholsymptome aufwies.

    Der weitere Einwand des Beschwerdeführers, er habe nicht gewusst,
dass er gemäss Art. 51 Abs. 3 SVG verpflichtet gewesen sei, sofort den
Geschädigten und, wenn dies nicht möglich ist, unverzüglich die Polizei zu
benachrichtigen, steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz und ist ausserdem unerheblich; die angebliche Unkenntnis
des Gesetzes berührt den Vorsatz nicht. Die Zubilligung von Rechtsirrtum
(Art. 20 StGB) fällt mangels zureichender Gründe ausser Betracht. Im
übrigen hat es der Beschwerdeführer auch am Samstagvormittag, nachdem
er angeblich erfolglos Kontakt mit der Geschädigten aufzunehmen versucht
hatte, unterlassen, die Polizei zu benachrichtigen.