Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 67



120 IV 67

13. Urteil des Kassationshofes vom 28. Februar 1994 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen F. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 90 Ziff. 2 SVG, Art. 63 StGB; grobe Verletzung der Verkehrsregeln,
Wahl der Strafart; Strafzumessung.

    Für die Wahl der Strafart gelten die selben Kriterien wie für
die Strafzumessung, wobei Gesichtspunkte der Zweckmässigkeit einer
bestimmten Sanktion eine wichtige Rolle spielen und die Entscheidungen
sich gegenseitig beeinflussen.

    Die zivilrechtlichen Folgen der Tat dürfen bei der Strafzumessung
mitberücksichtigt werden.

Sachverhalt

    A.- F. fuhr am 22. August 1991, um 17.45 Uhr, mit seinem Personenwagen
der Marke Fiat Uno Turbo auf der Kasernenstrasse in Bülach, wo eine
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gilt, mit einer Geschwindigkeit von
mindestens 80 km/h. Dabei übersah er zunächst den aus der Gegenrichtung
herkommenden Personenwagen der Marke Fiat Panda des G., welcher nach links
auf einen Parkplatz auf dem Vorplatz des dort gelegenen "Radcenters Vögeli"
abbiegen wollte. Wegen seiner übersetzten Geschwindigkeit war F. sodann
nicht mehr in der Lage, rechtzeitig anzuhalten, so dass er heftig von
der Seite mit dem Fahrzeug des G. zusammenstiess. Dieser erlitt starke
Prellungen am rechten Oberschenkel, am rechten Arm und im Schulterbereich;
an den beiden Fahrzeugen entstand Totalschaden.

    B.- Aufgrund dieses Sachverhalts erklärte die Einzelrichterin in
Strafsachen des Bezirkes Bülach F. mit Urteil vom 21. Dezember 1992 der
groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn zu
einer Busse von Fr. 800.--, bedingt löschbar nach Ablauf einer Probezeit
von einem Jahr. Auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft hin bestätigte
das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 13. Mai 1993 den
erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie beantragt, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neuentscheidung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- F. beantragt in seiner Vernehmlassung Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde. Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf
Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art.  63 StGB,
weil die Vorinstanz den Beschwerdegegner nicht zu einer Gefängnisstrafe,
allenfalls kombiniert mit einer Busse, verurteilt hat. Sie führt zunächst
aus, die Vorinstanz habe nicht begründet, inwieweit sich der Umstand,
wonach es sich beim Beschwerdegegner nicht um einen erfahrenen und über
mehrjährige Fahrpraxis verfügenden Autolenker handle, strafmindernd
auswirke. Eine Überprüfung der Strafzumessungsüberlegungen sei insofern
nur bedingt möglich.

    Die Beschwerdeführerin bringt sodann vor, Art. 90 Ziff. 2
SVG (SR 741.01) sehe als Sanktion Gefängnis oder Busse vor. Die
Strafzumessungsgrundsätze von Art. 63 StGB müssten auch bei der Wahl
der Strafart zur Anwendung gelangen. Das Gesetz berücksichtige bei der
Bestimmung der Sanktion das Gewicht der Straftat. Dies bedeute für
den Richter, dass er bei der Entscheidung, ob eine Geld- oder eine
Freiheitsstrafe zu verhängen sei, von der Frage ausgehen müsse, ob
die Tat noch mit einer blossen Geldstrafe geahndet werden könne. Dabei
erlangten die Tatschwere und das Verschulden des Täters entscheidende
Bedeutung. Deshalb sei hier eine Freiheitsstrafe, gegebenenfalls verbunden
mit einer Busse auszusprechen. Die Vorinstanz habe eine unhaltbar milde
Strafe ausgesprochen und dadurch ihr Ermessen verletzt.

    b) Die Vorinstanz beurteilte die Geschwindigkeitsüberschreitung des
Beschwerdegegners zutreffend als grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne
von Art. 90 Ziff. 2 SVG. Für die Strafzumessung ging sie vom gesetzlichen
Strafrahmen aus, der Busse bis Fr. 40'000.-- oder Gefängnis bis zu drei
Jahren vorsieht. Der Umstand, dass es sich beim Beschwerdegegner nicht um
einen erfahrenen und über mehrjährige Fahrpraxis verfügenden Autolenker
handelt, berücksichtigte sie im Rahmen der persönlichen Verhältnisse
im Gegensatz zur ersten Instanz, die Art. 64 Abs. 6 StGB anwandte,
lediglich strafmindernd.

    Die Vorinstanz wertete das Verschulden des Beschwerdegegners in
Übereinstimmung mit der Einzelrichterin als schwer. Wer im Innerortsverkehr
im Bereich von Fussgängerstreifen und Trottoirs die zulässige
Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h überschreite, handle grundsätzlich
verantwortungslos. Für das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des
Beschwerdegegners verwies sie auf die Darstellung im erstinstanzlichen
Urteil. Strafmilderungs- oder Strafschärfungsgründe schloss die Vorinstanz
aus. Sie berücksichtigte indes mit der Einzelrichterin strafmindernd, dass
der Beschwerdegegner nicht vorbestraft und sein automobilistischer Leumund
ungetrübt war. Insgesamt rechtfertige sich aufgrund der rücksichtslosen
Inkaufnahme und der tatsächlich eingetretenen Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer, aus generalpräventiven Gründen eine Freiheitsstrafe
auszufällen. Eine Strafe beruhe jedoch nicht bloss auf generalpräventiven
Überlegungen, vielmehr solle sie auch gezielt die mutwillige Fahrweise des
betreffenden Verkehrsteilnehmers bestrafen und sein künftiges Verhalten
im Strassenverkehr beeinflussen. Diesem Gesichtspunkt trage die von der
Einzelrichterin ausgefällte Busse von Fr. 800.-- in Berücksichtigung der
wirtschaftlichen und der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdegegners
am besten Rechnung. Zusammen mit den übrigen finanziellen Konsequenzen des
von ihm verursachten Unfalles treffe ihn diese Busse mit Sicherheit hart,
und diese Sanktion lasse mit gutem Grund erwarten, der Beschwerdeführer
werde inskünftig den Regeln des Strassenverkehrsgesetzes die notwendige
Beachtung schenken.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 63 StGB misst der Richter die Strafe nach
dem Verschulden des Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das
Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen. Dem Sachrichter
steht bei der Gewichtung der im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden
Komponenten ein erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Das Bundesgericht
greift in dieses auf Nichtigkeitsbeschwerde hin, mit der ausschliesslich
eine Verletzung von Bundesrecht geltend gemacht werden kann (Art. 269
BStP; SR 312.0), nur ein, wenn der kantonale Richter den gesetzlichen
Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn er von rechtlich nicht
massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen ist oder wenn er wesentliche
Gesichtspunkte ausser acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch
seines Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 118 IV 14 E. 2; 117 IV 112
E. 1 mit Hinweisen).

    Der Richter hat in seinem Urteil in der Regel den zur Anwendung
gelangenden Strafrahmen zu nennen und die wesentlichen schuldrelevanten
Tat- und Täterkomponenten so zu erörtern, dass festgestellt werden kann,
ob alle rechtlich massgebenden Gesichtspunkte Berücksichtigung fanden und
wie sie gewichtet wurden, d.h. ob und in welchem Grade sie strafmindernd
oder straferhöhend in die Waagschale fielen (BGE 117 IV 112 E. 1). Diese
Rechtsprechung bedeutet nicht, dass der Sachrichter etwa in absoluten
Zahlen oder in Prozenten angeben müsse, inwieweit er einem bestimmten
Faktor straferhöhend bzw. strafmindernd Rechnung trug. Er muss aber
die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe angestellt hat,
in den Grundzügen darstellen und die Strafzumessung so gut wie möglich
nachvollziehbar machen. Dabei müssen die einzelnen Strafzumessungsfaktoren
nicht in allen Einzelheiten ausgebreitet werden und über Umstände ohne oder
von ausgesprochen untergeordneter Bedeutung darf auch mit Stillschweigen
hinweggegangen werden. Je höher die ausgefällte Strafe ist, desto höher
sind auch die Anforderungen an ihre Begründung (BGE 118 IV 14 E. 2 und
337 E. 2a, 117 IV 112 E. 1).

    b) Art. 90 Ziff. 2 SVG sieht als Strafrahmen Gefängnis oder Busse
bis Fr. 40'000.-- (Art. 48 Ziff. 1 StGB) vor. Ist im Gesetz wahlweise
Freiheitsstrafe oder Busse angedroht, so kann der Richter in jedem
Fall beide Strafen miteinander verbinden (Art. 50 Ziff. 2 StGB). Er
kann überdies statt auf Gefängnis auf Haft erkennen (Art. 39 Ziff. 1
Abs. 2 StGB). Das Gesetz bestimmt zwar nicht ausdrücklich, auf welche Art
und Weise die Wahl der angemessenen Strafart zu erfolgen hat. Es gelten
hiefür aber dieselben Kriterien, die Art. 63 StGB für die Strafzumessung
aufstellt, namentlich das Gewicht der Tat und das Verschulden des Täters
(vgl. den französischen Gesetzestext: "Le juge fixera la peine ...", was
nicht nur die Höhe, sondern auch die Art der Strafe zu umfassen scheint;
vgl. auch LOGOZ/SANDOZ, Commentaire du Code Pénal Suisse, Partie Générale,
Art. 63 no 8; TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar,
Art. 63 N. 1; für das deutsche Recht vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE,
Strafgesetzbuch, Kommentar, 24. Aufl., N. 60 zu § 48 dStGB). Dabei
spielen auch Gesichtspunkte der Zweckmässigkeit einer bestimmten Form
der Sanktion eine wichtige Rolle. Die Bestimmung des Strafmasses und die
Wahl der Strafart lassen sich im übrigen nicht ohne weiteres trennen,
sondern beeinflussen sich gegenseitig (so STRATENWERTH, Schweizerisches
Strafrecht, Allg. Teil II, § 7 N. 74/75). Auch für die Wahl der Strafart
steht dem Richter somit ein weiter Spielraum des Ermessens zu.

    Die Vorinstanz würdigte das Verschulden des Beschwerdegegners zu
Recht als schwer. Es kann hiefür auf das angefochtene Urteil und die
Ausführungen der ersten Instanz verwiesen werden. Dass die Vorinstanz in
diesem Zusammenhang das verantwortungs- und rücksichtslose Verhalten des
Beschwerdegegners berücksichtigte, bedeutet entgegen dessen Auffassung
keinen Verstoss gegen das Doppelverwertungsverbot, da der Richter dem
Ausmass eines qualifizierenden oder privilegierenden Tatumstandes bei der
Strafzumessung Rechnung tragen darf (BGE 118 IV 342 E. 2b). Der Einwand der
Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe nicht begründet, inwieweit sich
die mangelnde Fahrpraxis des Beschwerdegegners strafmindernd auswirke,
geht fehl. Die Vorinstanz wertete im Gegensatz zur ersten Instanz den
genannten Umstand nicht strafmildernd, sondern bloss strafmindernd. Da
sie indessen die Höhe der Strafe bestätigte, beurteilte sie den Umstand
im Ergebnis im selben Umfang. Dies ist nicht zu beanstanden.

    Nach Abwägung aller Umstände gelangte die Vorinstanz zum Schluss,
dass eine Geldstrafe zweckmässig sei. Sie liess sich für diese Wahl
der Strafart von spezialpräventiven Gesichtspunkten leiten. Sie nahm
an, die Busse werde den Beschwerdeführer zusammen mit den übrigen
finanziellen Konsequenzen des von ihm verursachten Verkehrsunfalles
mit Sicherheit hart treffen, so dass die Sanktion erwarten lasse,
er werde inskünftig den Regeln des Strassenverkehrsgesetzes die
notwendige Beachtung schenken. Damit ging die Vorinstanz von richtigen
Beurteilungskriterien aus und hielt sich auch im Rahmen ihres Ermessens.
Hinzuzufügen ist, dass in derartigen Fällen der Führerausweis in der Regel
entzogen werden muss (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG), was eine zusätzliche
einschneidende Sanktion darstellt. Schliesslich fällt ins Gewicht, dass
der Beschwerdeführer, da die Verkehrsregelverletzung zu einem Unfall mit
Totalschaden an beiden Fahrzeugen geführt hat, auch zivilrechtliche Folgen
zu tragen hat. Der präventive Effekt von zivilrechtlichen Sanktionen
(z.B. Regress der Haftpflichtversicherung, höhere Versicherungsprämie
aufgrund des Bonus-/Malussystems etc.) darf im Rahmen der Strafzumessung
mitberücksichtigt werden (vgl. zu den zivilrechtlichen Folgen PIERRE
TERCIER, Droit civil et prévention des accidents de la circulation
routière, in JÖRG SCHUH [Hrsg.], Verkehrsdelinquenz, 1989, S. 269 ff.). Die
Aussprechung einer Busse ist somit bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

    Dass die Busse zu niedrig angesetzt worden sei, macht die
Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich geltend. Dies ist auch nicht
ersichtlich. Die Vorinstanz hat sämtliche Gesichtspunkte der Strafzumessung
berücksichtigt und im Rahmen ihres Ermessens gewürdigt. Das angefochtene
Urteil verstösst auch in dieser Hinsicht nicht gegen Bundesrecht.