Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 365



120 IV 365

61. Urteil der Anklagekammer vom 19. Dezember 1994 i.S. K. gegen
Eidgenössische Steuerverwaltung Regeste

    Art. 6, 12 Abs. 3 und Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR; Art. 58
StGB. Beschlagnahme von Vermögenswerten beim solidarisch haftenden Täter.

    Verhältnis Beschlagnahme - Einziehung (E. 1).

    Unrechtmässiger Vermögensvorteil bei Steuerhinterziehung (E. 1d).

    Die verwaltungsstrafrechtliche Beschlagnahme von Vermögenswerten
fällt unter den Vorbehalt von Art. 44 SchKG (E. 2).

    Einziehung eines unrechtmässigen Vermögensvorteils beim gemäss Art. 12
Abs. 3 VStrR für den hinterzogenen Steuerbetrag solidarisch Haftenden
(E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 20. August 1993 eröffnete die Eidg. Steuerverwaltung,
Hauptabteilung Warenumsatzsteuer, gegen die Firma P. AG, die Einzelfirma
K. und die Firma F. AG, alle in Bürogemeinschaft in Z./AG, ein
Verwaltungsstrafverfahren wegen bei Steuerkontrollen "festgestellten,
strafrechtlich relevanten Steuerdifferenzen". Gemäss Schlussprotokoll
vom 11. November 1994 wird K. gestützt auf Art. 6 Abs. 1 VStrR (SR 313.0)
u.a. sowohl als Inhaber seiner Einzelfirma als auch als verantwortlichem
Geschäftsführer der Firma P. AG vorsätzliche Steuerhinterziehung im Sinne
von Art. 36 des Bundesratsbeschlusses über die Warenumsatzsteuer (WUStB;
SR 641.20) zur Last gelegt.

    Gestützt auf einen Durchsuchungsbefehl des Direktors der Eidg.
Steuerverwaltung vom 11. November 1994 wurden bei der Bank in M. mit
Beschlagnahmeprotokoll vom 16. November 1994 zwecks Einziehung gemäss
Art. 58 Abs. 1 lit. a StGB die Guthaben von fünf verschiedenen auf den
Namen von K. lautenden Bankkonten im Gesamtbetrag von Fr. 33'677.35 sowie
"allenfalls noch eingehende Beträge auf diesen Konten" beschlagnahmt;
dies "zur Deckung der Schulden des Herrn K. und seiner Firmen gegenüber
der Eidg. Steuerverwaltung".

    B.- Mit Beschwerde vom 21. November 1994 beantragt K. der Anklagekammer
des Bundesgerichts, die Beschlagnahmeverfügung vom 16. November 1994
aufzuheben.

    Die Eidg. Steuerverwaltung beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die angefochtene Beschlagnahmeverfügung stützt sich gemäss
dem "Beiblatt zu Handen des Beschuldigten" auf Art. 46 Abs. 1 lit. b
VStrR. Nach dieser Bestimmung können im Verwaltungsstrafverfahren durch
den untersuchenden Beamten u.a. Vermögenswerte beschlagnahmt werden,
die voraussichtlich der Einziehung unterliegen.

    b) Der Einziehung gemäss Art. 58 Abs. 1 StGB unterliegen ohne Rücksicht
auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person u.a. Vermögenswerte, die
durch eine strafbare Handlung hervorgebracht oder erlangt worden sind,
soweit die Einziehung zur Beseitigung eines unrechtmässigen Vorteils oder
Zustandes als geboten erscheint (lit. a).

    c) Im Gegensatz zur endgültigen materiellrechtlichen Einziehung stellt
die Beschlagnahme lediglich eine von Bundesrechts wegen vorgeschriebene
provisorische "konservatorische" prozessuale Massnahme zur vorläufigen
Sicherstellung der allenfalls der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte
dar (TRECHSEL, StGB-Kurzkommentar, Art. 58 N. 1; SCHULTZ, Die Einziehung,
der Verfall von Geschenken und anderen Zuwendungen sowie die Verwendung
zugunsten des Geschädigten gemäss StrGB Rev. Art. 58 f., in ZStrR 114
[1978] 305 ff.; vgl. BGE 76 I 28 E. 2). Sie greift dem Entscheid über die
endgültige Einziehung nicht vor, zumal die Rechte anspruchsberechtigter
Dritter gemäss dem im Verwaltungsstrafrecht ebenfalls (Art. 2 VStrR)
anwendbaren Art. 58bis StGB ausdrücklich vorbehalten sind (vgl. BGE
120 IV 164 E. 1c); die zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse an den
Vermögenswerten bleiben durch die strafprozessuale Beschlagnahme unberührt
(BGE 119 Ia 453 E. 3d).

    d) Vermögenswerte, welche gemäss Art. 58 StGB allenfalls der Einziehung
unterliegen, sind alle wirtschaftlichen Vorteile, die sich rechnerisch
ermitteln lassen (STRATENWERTH, Allg. Teil II, S. 493 N. 49) und die
direkt oder indirekt durch die strafbare Handlung erlangt worden sind;
bei der Steuerhinterziehung besteht der sich aus dem Delikt ergebende
Vermögensvorteil im Gegenwert der hinterzogenen Steuern (vgl. STRATENWERTH,
aaO, S. 495 f. N. 54).

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Beschlagnahme als solche
sei unzulässig; der Steuerverwaltung stehe kraft zwingender gesetzlicher
Bestimmung für das Inkasso ihrer Guthaben einzig der Weg der Pfändung
mit anschliessender Pfandverwertung offen.

    b) Die Rüge ist unbegründet. Es trifft zwar zu, dass die
Zwangsvollstreckung u.a. für Steuern und Bussen auf dem Weg der
Pfändung oder Pfandverwertung erfolgen muss (Art. 43 SchKG). Art. 44
SchKG sieht indessen eine Einschränkung dieses Grundsatzes vor: Nach
ständiger Rechtsprechung wird durch Art. 44 SchKG nicht lediglich die
Verwertung sondern auch die eigentliche Beschlagnahme (Voraussetzungen,
Vollzug und Wirkungen) erfasst, für die in den aufgezählten Fällen das
SchKG nicht massgebend sein soll (BGE 115 III 1 E. 3 mit Hinweisen);
denn die strafprozessuale Beschlagnahme zur Durchsetzung des staatlichen
Strafanspruchs (wie Beweissicherung, Beschlagnahme im Sinne von Art. 58 ff.
StGB) hat gegenüber den Beschlagsrechten der Zwangsvollstreckung den
Vorrang (BGE 115 III 1 E. 4; vgl. auch FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung
und Konkurs, Zürich 1984, § 10 Rz. 34). Auch die Vollstreckungsbehörde
hat daher eine strafrechtliche Einziehung zu respektieren (TRECHSEL, aaO,
Art. 58 N. 9).

    Zu den in Art. 44 SchKG vorbehaltenen strafrechtlichen Gesetzen
ist seit dessen Inkrafttreten auch das Verwaltungsstrafrecht zu zählen,
welches die Beschlagnahme von Vermögenswerten in Art. 46 Abs. 1 lit. b
VStrR ausdrücklich vorsieht. Die Beschlagnahme von Vermögenswerten gestützt
auf Art. 46 Abs. 1 lit. b VStrR fällt somit auch unter den Vorbehalt
von Art. 44 SchKG, soweit aus den beschlagnahmten Vermögenswerten der dem
Staat durch die Steuerhinterziehung verursachte Ausfall ersetzt werden soll
(vgl. in bezug auf den Steuerbetrug: BGE 76 I 28 E. 3).

    Soweit diese Regelung tatsächlich eine mögliche Benachteiligung von
allfälligen Drittgläubigern des Beschwerdeführers zur Folge haben sollte,
wie dieser geltend macht, wäre daher auch darin keine Verletzung von
Bundesrecht zu erblicken.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, sämtliche Ausstände
gegenüber der Beschwerdegegnerin seien getilgt, soweit sie im Zusammenhang
mit dem gegen ihn eröffneten Verwaltungsstrafverfahren stünden. Er scheint
mit diesem Einwand geltend machen zu wollen, dass es im vorliegenden Fall
schon an einem unrechtmässigen Vermögensvorteil fehle.

    a) Entfällt der unrechtmässige Vermögensvorteil, so wird die Einziehung
überflüssig (BGE 117 IV 107 E. 2a). Eine im Hinblick auf die Einziehung
erfolgte Beschlagnahme ist in diesem Fall ohne weiteres aufzuheben.

    aa) Gemäss Schlussprotokoll hat der Beschwerdeführer die durch
seine Einzelfirma geschuldete Steuernachforderung von Fr. 152'174.--
im Betreibungsverfahren bezahlt. Im Verfahren gegen die Einzelfirma des
Beschwerdeführers seien Fr. 84'142.-- "strafrechtlich relevant". Die
Beschwerdegegnerin scheint indessen die Steuerdifferenzen der Einzelfirma
des Beschwerdeführers nicht mehr ins Strafverfahren einzubeziehen. Es
ist daher auf diese nicht weiter einzugehen.

    bb) Die Steuerausstände der Firma P. AG gegenüber der Gesuchsgegnerin
betragen zur Zeit Fr. 1'012'947.35, zuzüglich Verzugszins von
Fr. 100'041.--. Im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der Firma
P. AG ist gemäss Schlussprotokoll nach Weglassung der strafrechtlich
verjährten Steuerquartale noch ein Betrag von Fr. 102'137.-- strafrechtlich
relevant, für den der Beschwerdeführer als Geschäftsführer gemäss
Art. 12 Abs. 3 VStrR solidarisch haftet. Der ursprüngliche Betrag der
nicht rechtzeitig deklarierten und abgelieferten Warenumsatzsteuer
betrug Fr. 122'147.--. Die Beschwerdegegnerin räumt ein, dass sich
nach inzwischen erfolgter Betreibung der ursprüngliche strafrechtlich
relevante Warenumsatzsteuerausstand von Fr. 122'147.-- auf Fr. 75'085.70
reduziert habe.

    Dass der Firma P. AG im vorliegenden Fall ein unrechtmässiger
Vermögensvorteil im Betrag der hinterzogenen Steuern und damit
"strafrechtlich relevant" von Fr. 102'137.-- zugekommen ist, wird durch
den Beschwerdeführer nicht bestritten.

    b) Was der Beschwerdeführer in der Beschwerde vorbringt, ist nicht
geeignet, ohne weiteres Beweisverfahren darzulegen, dass der durch die in
Frage stehende Steuerhinterziehung erzielte unrechtmässige Vermögensvorteil
inzwischen auf einen Betrag reduziert worden wäre, der geringer als der
beschlagnahmte Betrag von Fr. 33'675.35 ist. Es ist aufgrund der Akten
vielmehr davon auszugehen, dass der unrechtmässige Vermögensvorteil bei der
abgabenpflichtigen Firma immer noch im Umfang von Fr. 75'085.70 besteht.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer wendet schliesslich ein, in bezug auf
die Guthaben auf den Mietzinskonti fehle es an der Kausalität; diese
Vermögenswerte seien nicht durch die strafbare Handlung hervorgebracht
oder erlangt worden.

    a) Es trifft zu, dass durch die Steuerhinterziehung des
Beschwerdeführers als Geschäftsführer in erster Linie die Firma P. AG -
als Steuerpflichtige - einen unrechtmässigen Vorteil erlangt hat.

    Art. 12 Abs. 3 VStrR sieht indessen neben der Leistungs- bzw.
Rückleistungspflicht des in den Genuss des unrechtmässigen Vorteils
gelangten Abgabepflichtigen (Art. 12 Abs. 2 VStrR) ausdrücklich eine
(unbeschränkte) solidarische Haftung des vorsätzlich handelnden Täters
für den nachzuentrichtenden bzw. zurückzuerstattenden Betrag vor.

    b) Die solidarische Mithaftung des Beschwerdeführers für die
vorsätzlich hinterzogenen Steuern in diesen Beträgen wird in der
Beschwerdeschrift nicht grundsätzlich in Frage gestellt, worauf die
Beschwerdegegnerin zu Recht verweist. Der Beschwerdeführer erachtet
lediglich die Beschlagnahme als unzulässiges Mittel, um diese
durchzusetzen.

    c) Die strafbare Handlung, die dem Beschwerdeführer im
Verwaltungsstrafverfahren zur Last gelegt wird, führt zu seiner
solidarischen Haftbarkeit für den hinterzogenen Steuerbetrag, weil Art. 12
Abs. 3 VStrR als Korrelat zu Art. 6 VStrR (vgl. Sten.Bull. SR 1971,
842 f.) davon ausgeht, die natürlichen Personen, die beim Besorgen der
Angelegenheiten einer juristischen Person usw. Abgaben nicht entrichten
oder Leistungen erschleichen, dadurch in der Regel selber und persönlich
erhebliche Vermögensvorteile erlangen. Es steht daher im Einklang mit dem
Sinn und Zweck der Einziehung eines unrechtmässigen Vermögensvorteils
nach Art. 58 StGB, auch beim gemäss Art. 12 Abs. 3 VStrR für den
hinterzogenen Steuerbetrag solidarisch haftenden Täter (Art. 6 VStrR)
vorhandene Vermögenswerte zur Deckung des "Schadens" einzuziehen, soweit
ein solcher und die Haftung noch bestehen. Denn auch für die gemäss Art. 6
VStrR strafbaren natürlichen Personen soll sich strafbares Verhalten
nicht lohnen (BGE 117 IV 107 E. 2a), was - letztlich wohl allein - auf
dem Wege der Beschlagnahme und Einziehung auch ihrer gesetzlich vermuteten
unrechtmässigen Vermögensvorteile erreicht werden kann.

    Danach ist eine Einziehung der beim Beschwerdeführer beschlagnahmten
Vermögenswerte gemäss Art. 58 StGB wahrscheinlich und die angefochtene
Beschlagnahme somit zu Recht erfolgt.