Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 117



120 IV 117

21. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1994 i.S. F. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB, Art. 312 ff. OR; Veruntreuung, Verwendung
eines Darlehens entgegen dem vereinbarten Zweck.

    Eine unrechtmässige Verwendung anvertrauten Gutes kommt nur in
Betracht, wenn der Treuhänder verpflichtet ist, dem Treugeber den Wert
des Empfangenen ständig zu erhalten (E. 2e).

    Bei einem Darlehen, das für einen bestimmten Zweck gewährt wurde
(hier: Kauf einer Liegenschaft), kann sich die Werterhaltungspflicht des
Borgers aus der mit dem Darleiher getroffenen Vereinbarung ergeben (E. 2f).

Sachverhalt

    A.- Am 20. April 1993 bestrafte das Obergericht des Kantons Thurgau
F. in zweiter Instanz unter anderem wegen mehrfacher Veruntreuung mit 22
Monaten Gefängnis.

    Eine von F. dagegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
weist das Bundesgericht ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Nach der Anklageschrift hatte der Beschwerdeführer seit
Mitte 1986 Schulden in der Höhe von mehreren hunderttausend Franken
und kein nennenswertes regelmässiges Einkommen. Um seinen aufwendigen
Lebensunterhalt gleichwohl bestreiten zu können, habe er sich unter
anderem wie folgt Geld beschafft: Mit dem Vorwand, er könne eine bestimmte
Liegenschaft in H. kaufen und mit Gewinn weiterveräussern, sofern ihm
Fr. 30'000.-- zur Verfügung stünden, habe er von W. am 24. März 1987
diesen Betrag als Darlehen erhältlich gemacht. Der Beschwerdeführer habe
die Fr. 30'000.-- in der Folge nicht für den Liegenschaftskauf, sondern,
wie das seiner Absicht vor der Entgegennahme des Geldes entsprochen habe,
für eigene Bedürfnisse verwendet.

    Die erste Instanz verurteilte den Beschwerdeführer deshalb wegen
Betrugs. Die Vorinstanz geht - für das Bundesgericht verbindlich
(Art. 277bis Abs. 1 BStP) - demgegenüber davon aus, der Beschwerdeführer
habe tatsächlich beabsichtigt, die Liegenschaft zu kaufen. Sie verneint
daher mangels arglistiger Täuschung einen Betrug. Statt dessen nimmt sie
eine Veruntreuung an. W. habe dem Beschwerdeführer die Fr. 30'000.--
für den Kauf der Liegenschaft, also für einen ganz bestimmten Zweck,
übergeben. Das Geld sei dem Beschwerdeführer deshalb anvertraut gewesen.

    Der Beschwerdeführer wendet ein, die Verurteilung wegen Veruntreuung
in diesem Punkt verletze Bundesrecht.

    b) Gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB ist strafbar, wer anvertrautes
Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen
verwendet.

    Nach der Rechtsprechung ist anvertraut, was jemand mit der
Verpflichtung empfängt, es in bestimmter Weise im Interesse eines
andern zu verwenden, insbesondere es zu verwahren, zu verwalten oder
abzuliefern. Eine solche Verpflichtung kann auf ausdrücklicher oder
stillschweigender Abmachung beruhen (BGE 118 IV 239 E. 2b mit Hinweisen).

    c) Das Bundesgericht befasste sich bereits in BGE 86 IV 167 mit der
Frage, ob der Borger eine Veruntreuung begehe, wenn er das Darlehen nicht
zum vereinbarten Zweck verwende. Es legte dar, eine vertretbare Sache
sei nur dann im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB anvertraut, wenn
sie dem Täter nicht für sich selbst, d.h. in seinem eigenen Interesse,
übergeben worden sei, sondern im Interesse eines andern. Im allgemeinen
begehe daher der Borger, der das Geld nicht vereinbarungsgemäss verwende,
keine Veruntreuung, wenn das Darlehen ihm in seinem eigenen Interesse und
nicht im Interesse eines andern gewährt worden sei. Wenn das Darlehen im
Interesse eines andern gewährt worden sei, begehe der Borger hingegen
angesichts der wirtschaftlichen Bestimmung des Geldes, die es zu einer
anvertrauten Sache mache, eine Veruntreuung. Im beurteilten Fall verneinte
das Bundesgericht eine Veruntreuung. Eine Frau hatte ihrem Freund, gegen
den Strafantrag wegen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht gestellt
worden war, Fr. 1'000.-- gegeben, damit er seiner Unterhaltspflicht
nachkommen könne. Der Mann verwendete das Geld für eigene Bedürfnisse. Das
Bundesgericht erachtete es als entscheidend, dass die Frau ihrem Freund
das Geld in seinem eigenen Interesse übergeben hatte, um ihn vor einer
Verurteilung wegen Vernachlässigung der Unterhaltspflicht zu bewahren,
und nicht im Interesse eines andern.

    d) Im Schrifttum gehen die Ansichten darüber, ob und unter
welchen Voraussetzungen in der Verwendung eines Darlehens entgegen dem
vereinbarten Zweck eine Veruntreuung liege, auseinander. REHBERG nimmt
an, eine Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB komme nur in
Betracht, wenn der Treuhänder verpflichtet sei, dem Treugeber den Wert des
Empfangenen ständig zu erhalten. An einer solchen Werterhaltungspflicht
fehle es beim Darlehen, und zwar ungeachtet dessen, ob es zu bestimmten
Zwecken gewährt und der Geldgeber am Gewinn beteiligt werde. Denn der
Borger sei lediglich dazu verpflichtet, zum vereinbarten Termin einen
gleichen Geldbetrag zurückzuerstatten (Aktuelle Rechtsfragen beim
Veruntreuungstatbestand gemäss StrGB Art. 140, ZStrR 98/1981, S. 366;
REHBERG, Zum objektiven Tatbestand der Veruntreuung nach StrGB Art. 140
Ziff. 1 Abs. 2, ZStrR 92/1976, S. 46; REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl., S.
97). SCHAUB (Die unrechtmässige Verwendung anvertrauten Gutes, Basel
1979, S. 92), der die Annahme einer Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1
Abs. 2 StGB ebenfalls an die Werterhaltungspflicht des Treuhänders knüpft,
führt aus, eine solche Pflicht, die dem Wesen des Darlehens grundsätzlich
widerspreche, könne höchstens dann entstehen, wenn der Borger eindeutig
verspreche, die erhaltene Summe für einen bestimmten Zweck zu verwenden
oder aber den Betrag unangetastet zu lassen und zurückzuerstatten,
wenn er den in Frage stehenden Zweck nicht mehr erreichen könne oder
wolle. VON RECHENBERG (Die rechtswidrige Verwendung übergebener Gelder
im Hinblick auf die Tatbestände des Betruges, der Veruntreuung und der
ungetreuen Geschäftsführung, Kriminalistik 1962, S. 533 f.) legt dar,
wieweit der Borger in seiner Verfügung beschränkt sei, ergebe sich aus dem
Darlehensvertrag. Wer Geld empfange, um es im Interesse des Darleihers oder
auch im gemeinsamen Interesse des Darleihers und des Borgers zu verwenden,
mache sich der Veruntreuung schuldig, wenn er entgegen der getroffenen
Abmachung über das Geld verfüge. In diesem Fall sei ihm das Geld eben nicht
zur freien Verwendung übergeben worden, sondern im Sinne von Art. 140 StGB
anvertraut. AMSLER (Zur Abgrenzung zwischen Diebstahl und Veruntreuung,
Diss. Bern 1972, S. 81/2) schliesslich ist der Auffassung, die Verwendung
eines Darlehens entgegen dem vereinbarten Zweck sei unrechtmässig im
Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB und stelle eine Veruntreuung dar.

    e) Bei der Gutsveruntreuung gemäss Abs. 2 von Art. 140 Ziff. 1 StGB
handelt es sich um einen subsidiären Tatbestand. Abs. 2 soll in Fällen,
in denen aus Gründen des Zivilrechts die Fremdheit nicht gegeben oder
zumindest zweifelhaft ist, dennoch Strafbarkeit nach Art. 140 StGB
ermöglichen. Vorausgesetzt ist aber, dass der Fall mit der eigentlichen
Veruntreuung gemäss Abs. 1 von Art. 140 Ziff. 1 StGB sonst vergleichbar
ist. Abs. 2 soll nur jenes Unrecht erfassen, das dem in Abs. 1 vertypten
strukturell gleichwertig ist (SCHUBARTH, Kommentar zum schweizerischen
Strafrecht, 2. Band, Art. 140 N. 24; JENNY, Aktuelle Fragen des Vermögens-
und Urkundenstrafrechts, ZBJV 124/1988, S. 402/3; REHBERG, ZStrR 98/1981,
S. 363).

    In den Fällen, in denen Abs. 2 zur Anwendung kommt, erwirbt der
Treuhänder an den erhaltenen Sachen Eigentum. Er erlangt also nicht nur,
wie beim Anvertrautsein nach Abs. 1, eine tatsächliche, sondern eine
rechtliche Verfügungsmacht. Die ins Eigentum des Treuhänders übergegangenen
Vermögenswerte sind jedoch dazu bestimmt, wieder an den Berechtigten
zurückzufliessen. Sie sind wirtschaftlich fremd. Der Treuhänder hat sie
deshalb unangetastet zu lassen: Er ist verpflichtet, dem Treugeber den Wert
des Empfangenen ständig zu erhalten. Nur wo diese Werterhaltungspflicht
besteht, befindet sich der Treuhänder in einer vergleichbaren Stellung
mit dem, der eine fremde bewegliche Sache erhalten und das Eigentum des
Treugebers daran zu wahren hat. Die Werterhaltungspflicht ist deshalb
Voraussetzung einer Verurteilung nach Abs. 2. Diese Auffassung hat sich
auch im Schrifttum durchgesetzt (REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl., S. 97;
REHBERG, ZStrR 98/1981, S. 365; SCHAUB, aaO, S. 80 ff.; JENNY, aaO, S. 403;
NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, S. 153; STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 4. Aufl., S. 259; TRECHSEL,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Art. 140 N. 14).

    f) Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit bei
einem Darlehen eine Veruntreuung in Betracht kommt, ist somit, ob der
Borger zur ständigen Werterhaltung verpflichtet ist.

    Bei einem Darlehen, bei dem kein bestimmter Verwendungszweck
verabredet ist, ist eine Pflicht des Borgers zur ständigen Werterhaltung
zu verneinen. Der Borger darf mit dem Darlehen nach seinem Belieben
wirtschaften. Er ist einzig verpflichtet, es zum vertraglichen oder
gesetzlichen Termin zurückzuerstatten (vgl. Art. 318 OR). Die Annahme
einer Veruntreuung fällt deshalb ausser Betracht.

    Anders kann es sich dagegen verhalten, wenn das Darlehen ausgerichtet
wurde für einen bestimmten Zweck. Hier ist im Einzelfall zu prüfen,
ob sich aus der vertraglichen Abmachung eine Werterhaltungspflicht des
Borgers ergibt.

    Im zu beurteilenden Fall richtete W. das Darlehen aus, damit es der
Beschwerdeführer für den Erwerb einer bestimmten Liegenschaft verwende
und nach dem in Aussicht gestellten gewinnbringenden Weiterverkauf
der Liegenschaft zurückzahle. Dabei handelte es sich um einen
wesentlichen Vertragsbestandteil. W. konnte davon ausgehen, dass der
Beschwerdeführer bei einer vertragsgemässen Verwendung des Geldes über
die Mittel zur Rückzahlung des Darlehens verfügen werde. Die Festlegung
des Verwendungszwecks war für W. somit entscheidend im Hinblick auf
die Begrenzung seines Verlustrisikos. Es ist offensichtlich, dass
er das Darlehen nicht gewährt hätte, wenn er gewusst hätte, dass der
stark überschuldete und über kein regelmässiges Einkommen verfügende
Beschwerdeführer das Geld zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verwenden
würde; diesfalls wäre der gänzliche Verlust der Fr. 30'000.-- absehbar
gewesen. War der Beschwerdeführer aufgrund der getroffenen Vereinbarung
gehalten, das Geld für den Kauf der Liegenschaft und für nichts anderes
zu verwenden, so war er aber auch verpflichtet, es bis zum Erwerb der
Liegenschaft treuhänderisch zu verwalten. Zum Darlehen trat insoweit
ein Auftrag hinzu. Aufgrund dieses Auftrags war der Beschwerdeführer
zur Werterhaltung verpflichtet. Indem er diese Pflicht missachtete und
das Geld abmachungswidrig für eigene Bedürfnisse ausgab, verwendete er
anvertrautes Gut unrechtmässig im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.

    Da auch der subjektive Tatbestand gegeben ist, verletzt die
Verurteilung wegen Veruntreuung in diesem Punkt Bundesrecht nicht.