Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 97



120 II 97

21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Januar 1994
i.S. J. gegen X. AG (Berufung) Regeste

    Verletzung der Persönlichkeit durch Äusserungen der Presse, Genugtuung
(Art. 49 Abs. 1 OR).

    Voraussetzungen für die Zusprechung einer Genugtuung (E. 2a, 2c, 2d).

    Der Ansprecher hat die Umstände darzutun, aus welchen von der objektiv
schweren Verletzung auf seinen seelischen Schmerz geschlossen werden kann
(E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Das Kantonsgericht Zug stellte mit Urteil vom 22. Januar 1992 fest,
dass die X. AG durch zwei Berichte in ihrem Massenblatt über den Handel
mit Kriegsmaterial J. in seinen persönlichen Verhältnissen widerrechtlich
verletzt habe; es ordnete die Urteilspublikation an und wies im übrigen
das Begehren des J. um Zusprechung einer Genugtuung ab.

    Das Obergericht des Kantons Zug wies die von J. dagegen eingereichte
Berufung am 28. September 1993 ab.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ebenfalls ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 49 Abs. 1 OR steht demjenigen, der in seiner
Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, eine Geldsumme als
Genugtuung zu, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und
diese nicht anders wiedergutgemacht worden ist. Das Obergericht hat zwar
die Widerrechtlichkeit der vom Kläger durch die Presseberichte erlittenen
Persönlichkeitsverletzung festgestellt, die weitern Voraussetzungen für
die Zusprechung einer Genugtuung jedoch als nicht gegeben erachtet. Es
führt in seinem Urteil insbesondere aus, der Kläger habe nicht einmal
versucht, die von ihm erlittene Unbill zu beweisen.

    a) Was dem Kläger gemäss den tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz widerfahren ist, muss als objektiv schwere Verletzung bewertet
werden. Er wurde in einem Massenblatt zweimal als Verkäufer von 19 F5-Jets
an den Iran dargestellt, was ein völlig falsches Licht auf seine Rolle in
diesem Flugzeugverkauf warf. Die strittigen Presseberichte beschlagen den
Handel mit Kriegsmaterial, einen durch die Diskussion in der Öffentlichkeit
mittlerweile sehr sensibilisierten Themenbereich. Zudem wurde der Kläger im
Zusammenhang mit einer Persönlichkeit erwähnt, die im fraglichen Zeitraum
aufgrund ihrer Geschäftstätigkeit wiederholt ins Schussfeld der Medien
geraten war.

    b) Die objektiv schwere Verletzung muss vom Ansprecher zudem als
seelischer Schmerz empfunden werden, ansonsten ihm keine Genugtuung zusteht
(BREHM, Art. 49 OR N. 30). Es reagiert nicht jeder Mensch in gleicher
Weise auf eine Verletzung seiner psychischen Befindlichkeit; der Richter
muss daher bei deren Beurteilung auf einen Durchschnittsmassstab abstellen
(BREHM, Art. 49 OR N. 21, N. 22). Damit der Richter sich überhaupt ein
Bild von der Entstehung und Wirkung der Verletzung machen kann, hat
der Kläger ihm die Umstände darzutun, die auf sein subjektiv schweres
Empfinden schliessen lassen; dass der Gefühlsbereich dem Beweis mitunter
schwer zugänglich ist, entbindet ihn jedoch nicht davon, diesen anzutreten
(Art. 8 ZGB; BREHM, Art. 49 OR N. 7).

    Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Urteil hat der Kläger
im kantonalen Verfahren keinerlei Beweise für die von ihm erlittene
Unbill erbracht oder solche wenigstens angeboten. Offenbar ist er der
Ansicht, dass innere Tatsachen nicht Gegenstand des Beweises bilden
(vergleiche dazu: BGE 118 II 142 E. 3a S. 147; KUMMER, Art. 8 ZGB
N. 92; KRAMER, Art. 18 OR N. 75). Er hat gegen das von der Vorinstanz
festgehaltene Beweisergebnis keine staatsrechtliche Beschwerde wegen
Verletzung von Art. 4 BV eingereicht; in seiner Berufung scheint er
allerdings die Beweiswürdigung des Obergerichts in Frage zu stellen,
was nicht zulässig ist (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Der Kläger begründet
seinen Anspruch auf eine Genugtuung mit der Aussage, die widerrechtliche
Persönlichkeitsverletzung als solche sei geeignet, ihn psychisch erheblich
zu beeinträchtigen. Das Bundesgericht könnte diesen Darlegungen nur folgen,
wenn sie sich auf die allgemeine Lebenserfahrung abstützen liessen und
somit nicht Gegenstand der Beweisführung darstellten. Erfahrungssätze
erfüllen die Funktion von Normen, sie werden im Berufungsverfahren den
Rechtssätzen gleichgestellt und frei überprüft. Diese Regelfunktion
kommt einem Erfahrungssatz indessen bloss dann zu, wenn das in ihm
enthaltene hypothetische Urteil, welches aus den in andern Fällen gemachten
Erfahrungen gewonnen wird, in gleichgelagerten Fällen allgemeine Geltung
für die Zukunft beansprucht, wenn er einen solchen Abstraktionsgrad
erreicht, dass er normativen Charakter trägt (BGE 117 II 256 E. 2b
S. 258). Dies ist indessen vorliegend nicht der Fall.

    c) Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, soweit sie das Verschulden
der Beklagten als Anspruchsvoraussetzung für eine Genugtuung nach Art. 49
OR betrachtet (vergleiche dazu: BBl 1982 II 681; BGE 117 II 50 E. 3a S. 56;
BREHM, Art. 49 OR N. 6).

    d) Offen bleiben kann damit, inwieweit durch die angeordnete
Urteilspublikation die widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit
wiedergutgemacht wird und damit kein Raum mehr für die Zusprechung einer
Genugtuung bliebe.