Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 58



120 II 58

14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Januar 1994
i.S. H. K. gegen Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft
(Berufung) Regeste

    Regressanspruch der Versicherung nach Art. 72 VVG. Verhältnis zur
Leistungskürzung nach Art. 14 VVG.

    Ist nur einer von zwei Mithaltern eines Motorfahrzeuges
Versicherungsnehmer bei der Kaskoversicherung und verursacht der andere
Mithalter grobfahrlässig einen Unfall, so kann ein Schadenersatzanspruch
des Versicherungsnehmers gegenüber dem anderen Mithalter bestehen, der mit
Ausrichtung der Versicherungsleistung auf die Versicherung übergeht (E. 3).

    Der Regressanspruch der Versicherung besteht auch, wenn der den Unfall
grobfahrlässig herbeiführende Mithalter das Organ der Versicherungsnehmerin
(im vorliegenden Fall einer AG) war. Ist das Verhalten des grobfahrlässig
handelnden als Organhandlung der Versicherungsnehmerin zuzurechnen, so
kann die Versicherung entweder nach Art. 14 Abs. 3 VVG ihre Leistungen
kürzen oder zuerst den ganzen Schaden bezahlen und anschliessend gemäss
Art. 72 VVG auf das fehlbare Organ zurückgreifen (E. 4).

Sachverhalt

    A.- H. K. war Präsident des Verwaltungsrates der inzwischen in
Konkurs gefallenen H. AG. Diese hatte bei der Mercedes-Benz Credit AG
einen Personenwagen geleast. Die H. AG hatte für den Personenwagen bei
der Winterthur-Versicherung eine Kaskoversicherung abgeschlossen.

    Am 8. Juli 1990, etwa um 2 Uhr morgens, verunfallte H. K. mit dem
genannten Personenwagen. Dieser erlitt einen Totalschaden.

    Nachdem die H. AG ihre Ansprüche aus der Kaskoversicherung
der Mercedes-Benz Credit AG abgetreten hatte, vergütete die
Winterthur-Versicherung dieser den ganzen Kaskoschaden im Betrag von
Fr. 70'130.--.

    B.- Mit Klage vom 9. September 1991 verlangte die
Winterthur-Versicherung von H. K. regressweise einen Viertel des Schadens,
d.h. Fr. 17'532.50 samt Zins. Sowohl das Amtsgericht Luzern Land (mit
Urteil vom 2. Juli 1992) wie auch das Obergericht des Kantons Luzern (mit
Urteil vom 21. April 1993), an das H. K. die Sache weitergezogen hatte,
hiessen die Klage in vollem Umfang gut.

    C.- H. K. gelangt mit Berufung an das Bundesgericht und verlangt die
Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Abweisung der Klage.

    Während die Winterthur-Versicherung die Abweisung der Berufung
beantragt, hat das Obergericht des Kantons Luzern auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Aufgrund der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen
des Obergerichts ist unbestritten, dass der Beklagte den Unfall in
angetrunkenem Zustand wegen übersetzter Geschwindigkeit selber verursacht
hat. Dass der Beklagte den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt hat,
steht damit fest.

    Zu Recht messen weder die Vorinstanz noch der Beklagte dem Umstand
Bedeutung bei, dass die Klägerin den Schaden nicht der Gesellschaft,
deren Verwaltungsratspräsident der Beklagte ist, vergütet hat, sondern
der Leasinggeberin, weil der Anspruch dieser zediert worden ist. Es ist
davon auszugehen, dass nur der Vergütungsanspruch abgetreten, nicht aber
das ganze Vertragsverhältnis übertragen worden ist. Die Abtretung hat
somit keinen Einfluss auf die Regressansprüche.

    Umstritten ist jedoch, ob ein Regressanspruch der
Versicherungsgesellschaft besteht oder nicht.

Erwägung 3

    3.- Die kantonalen Instanzen haben den Regressanspruch aufgrund
von Art. 72 VVG (SR 221.229.1) geschützt. Der Beklagte hält in seiner
Berufungsschrift die Voraussetzungen dieser Bestimmung für nicht gegeben.

    a) Der Beklagte glaubt, die Versicherungsnehmerin habe ihm
gegenüber gar keinen Anspruch aus unerlaubter Handlung gehabt, der
auf die Versicherung hätte übergehen können. Er habe als Mithalter
des Unfallfahrzeuges keinen Ersatzanspruch gegenüber einem Dritten aus
unerlaubter Handlung begründen können. Dieser Ansicht kann indessen nicht
gefolgt werden.

    Versicherungsnehmer ist nicht der Beklagte, sondern
unbestrittenermassen dessen Arbeitgeberin. Sie hat ihr Schadensrisiko
abdecken wollen. Soweit ihr ein Anspruch aus unerlaubter Handlung zusteht,
kann dieser auch von ihr auf eine andere Person übertragen werden.

    Dass der Versicherungsnehmerin durch die Zerstörung des
Personenwagens ein Schaden entstanden ist, lässt sich nicht grundsätzlich
bestreiten. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beklagte
möglicherweise Mithalter des Wagens war. Er behauptet nicht, Eigentümer
gewesen zu sein. Es handelte sich somit um fremdes Eigentum. Ob dieses
bei der Versicherungsnehmerin oder bei der Leasinggeberin lag, ist dem
angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Das ist aber ohne Bedeutung. Es
ist jedenfalls unbestritten, dass nicht der Beklagte Eigentümer war
und auch nicht er, sondern die Versicherungsnehmerin das Auto geleast
hatte. Der Beklagte hat somit durch sein grobfahrlässiges Verhalten
fremdes Eigentum zerstört. Damit liegt eine unerlaubte Handlung im Sinne
von Art. 41 OR vor und der Versicherungsnehmerin stand als Geschädigter
ein Forderungsrecht zu.

    Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass der Beklagte Organ
der Geschädigten war. Zwischen dem Organ und der juristischen Person
besteht in der Regel ein Arbeits- oder ein Auftragsverhältnis. Beide
hindern aber nicht, dass eine Haftung aus unerlaubter Handlung gegeben
sein kann. Besteht zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten ein
Vertragsverhältnis, so stehen der Deliktsanspruch und der Vertragsanspruch
im Verhältnis der Klagekonkurrenz zueinander (BGE 113 II 247; 118 II 506
E. 3; ANTON K. SCHNYDER, in Honsell/Vogt/Wiegand, Kommentar OR, Basel 1992,
N. 1 zu Art. 41 OR). Soweit sich allerdings aus dem Vertragsverhältnis
eine Haftungsbeschränkung ergibt, muss sich diese auch auf den Anspruch
aus unerlaubter Handlung auswirken (VON TUHR/ESCHER, OR AT, Zürich 1974,
S. 108 f.). Der Beklagte legt aber mit keinem Wort dar, inwiefern das
Vertragsverhältnis zwischen ihm und der Geschädigten vorliegend seine
Haftung unter das eingeklagte Mass reduzieren könnte. Ein Reduktionsgrund
ist denn auch nicht zu sehen.

    Tritt aber neben den Anspruch aus Vertrag ein solcher aus unerlaubter
Handlung, kann der Beklagte aus Art. 51 Abs. 2 OR für sich nichts
ableiten. Nach dieser Bestimmung trägt die mit Verschulden aus unerlaubter
Handlung haftende Person den Schaden vor der bloss aus Vertrag haftenden
Person. Während die Versicherung nur in Erfüllung einer vertraglichen
Pflicht geleistet hat, haftet der Beklagte aus Delikt.

    Auch der in der Berufungsschrift zum SVG zitierten Literatur
kann nichts anderes entnommen werden. An den angegebenen
Orten (SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Grundriss des schweizerischen
Strassenverkehrsrechts, Bd. II, Bern 1988, Rz. 870 und 1611) wird nur
dargelegt, dass die Haftung nach Art. 58 ff. SVG [SR 741.01] und der
direkte Anspruch gegen die Versicherung (Art. 65 SVG) nicht auch zu
Gunsten eines Mithalters bestehen kann. Demgegenüber haftet ein solcher
als Fahrer dem Mithalter nach Art. 41 ff. OR aus Verschulden (vgl.
SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER, Rz. 1082 und 1369).

    b) Nach Auffassung des Beklagten konnte kein Anspruch der Geschädigten
auf die Klägerin übergehen, da durch die Zahlung der Versicherungsleistung
der Schaden ersetzt und damit der Ersatzanspruch untergegangen sei.

    Damit verkennt der Beklagte, dass aufgrund der ausdrücklichen
gesetzlichen Anordnung von Art. 72 Abs. 1 VVG der Ersatzanspruch mit
Leistung der Entschädigung nicht unter-, sondern auf die leistende
Versicherung übergeht. Die Versicherungsgesellschaft kann nur Regress
nehmen, soweit sie selber ihre Leistung erbracht hat. Ginge mit ihrer
Leistung die Ersatzforderung des Geschädigten unter, wäre ein Regress nie
möglich und Art. 72 VVG ohne Gegenstand. Etwas anderes ergibt sich auch
nicht aus dem in der Berufungsschrift zitierten Urteil des Bezirksgerichts
Zürich vom 25. November 1988. Dieses betraf einen grundsätzlich anderen
Sachverhalt. Dort war nämlich der den Unfall verursachende Fahrer
gleichzeitig auch Versicherungsnehmer (Entscheidungen schweizerischer
Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten 1988/89, Nr. 43,
S. 246). Ein Regress auf den Versicherungsnehmer ist aber im VVG nicht
vorgesehen. Vorliegend ist jedoch der Beklagte nicht Versicherungsnehmer.

    Dass der Regress nach Art. 72 Abs. 1 VVG auch möglich ist, wenn
der Schädiger zu den Personen gehört, für die der Anspruchsberechtigte
einzustehen hat, ergibt sich sodann aus Art. 72 Abs. 3 VVG. Diese Norm
schliesst den Regress auf solche Personen nur bei leichter Fahrlässigkeit
aus.

    c) Inwiefern das Quotenvorrecht des Geschädigten zu einer Verwirkung
des Regressanspruchs hätte führen sollen, wie dies der Beklagte behauptet,
ist nicht zu sehen.

    Das Quotenvorrecht bedeutet, dass die Versicherung nicht zum
Nachteil des Geschädigten Regress nehmen darf. Ersetzt sie nur einen
Teil des Schadens, so kann der Geschädigte den nicht gedeckten Teil vom
Haftpflichtigen einfordern, und der Versicherung steht ein Regressanspruch
nur im Rahmen des danach noch verbleibenden Haftungsanspruchs zu (BGE
117 II 627; MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, Bern 1986,
S. 398 f.).

    Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für die Anwendung des
Quotenvorrechts aber gar nicht gegeben, weil die Klägerin der Geschädigten
den ganzen Schaden ersetzt hat.

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte ist schliesslich der Meinung, der Regress sei
auch deshalb nicht zulässig, weil er die Unfallfahrt als Organ der
Versicherungsnehmerin durchgeführt habe. Die dem widersprechenden
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz seien in Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen. Eine Verletzung
der Beweisvorschriften kann indessen nur vorliegen, falls es überhaupt
auf die Frage ankommt, ob der Beklagte als Organ gehandelt hat oder
nicht. Es ist somit zu klären, ob der Anspruch der Klägerin entfiele,
wenn der Beklagte als Organ der Versicherungsnehmerin gehandelt hätte.

    a) Die Versicherung kann nach Art. 14 Abs. 3 VVG ihre Leistungen
kürzen, wenn das Ereignis absichtlich oder grobfahrlässig von einer Person
herbeigeführt worden ist, für deren Handlungen der Versicherungsnehmer
"einstehen muss", somit insbesondere seiner Organe. Es fragt sich, ob die
Versicherung nach Art. 72 VVG nur für Leistungen Regress nehmen kann,
die sie dem Versicherten (bzw. der anspruchsberechtigten Person) erbringen
musste, oder auch für Leistungen, die sie aus reiner Kulanz bezahlt hat.

    Das Forderungsrecht der Versicherungsgesellschaft aufgrund von
Art. 72 VVG erschwert die Stellung des Schädigers nicht. Wie bereits
ROELLI/JAEGER betonen, handelt es sich beim Forderungsrecht nach Art. 72
VVG nicht um ein eigenes, in der Person der Versicherungsgesellschaft
neu entstandenes Recht. Aus dem Gesetzestext geht vielmehr klar hervor,
dass mit Erbringen der Versicherungsleistung nur der Ersatzanspruch des
Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtigen im Rahmen des Geleisteten auf
die Versicherung übergeht (ROELLI/JAEGER, Kommentar zum Bundesgesetz über
den Versicherungsvertrag, Bern 1932, N. 8 zu Art. 72 VVG). Der Anspruch
des Geschädigten geht auf die Versicherung nur so über, wie er dem
Geschädigten gegenüber dem Schädiger zugestanden hat. Wie das Verhältnis
zwischen dem Versicherer und dem Geschädigten im einzelnen ausgestaltet
ist, bleibt für den Schädiger grundsätzlich ohne Bedeutung. Für letzteren
ist nur entscheidend, in welchem Umfang der Anspruch übergegangen ist. Er
kann dafür der Versicherung auch alle Einreden entgegenhalten, die er
gegenüber dem Geschädigten hätte erheben können. Namentlich kann er auch
eine haftungsbeschränkende vertragliche Vereinbarung mit dem Schädiger
einwenden, wie sie sich insbesondere aus dem Arbeitsvertragsrecht ergeben
kann. Der in Art. 72 VVG vorgesehene Rechtsübergang tritt somit auch
ein, wenn die Versicherung aus reiner Kulanz bezahlt hat (ROELLI/JAEGER,
N. 33 zu Art. 72 VVG). Von daher ist es aber auch ohne Bedeutung, ob die
Versicherung ihre Leistungen aufgrund von Art. 14 VVG hätte kürzen können
oder nicht.

    b) Es fragt sich zudem, in welchem Verhältnis die Art. 14 und 72 VVG
zueinander stehen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist es nicht so,
dass Art. 14 VVG und Art. 72 VVG sich gegenseitig ausschliessen.

    Art. 72 Abs. 3 VVG zeigt auf, dass der Regress auch möglich ist,
wenn der Schädiger zu jenen Personen gehört, deren Verhalten sich der
Geschädigte nach Art. 14 VVG anrechnen lassen muss. Käme Art. 72 VVG
nur zur Anwendung, wenn sich der Anspruch gegen eine Person richtet,
für die der Geschädigte nicht einzustehen hat, so wäre Art. 72 Abs. 3
VVG überflüssig. Aus dem Umstand, dass nach Art. 55 Abs. 2 ZGB (SR
210) auch die nicht rechtsgeschäftlichen Handlungen des Organs der
juristischen Person zuzurechnen sind, darf nicht geschlossen werden,
dass sich die als Organ handelnde natürliche Person zu ihrer Entlastung
auf die Handlungen der juristischen Person berufen könne. Die Zurechnung
erfolgt nur einseitig. Das Organ kann sich nicht hinter die juristische
Person verschanzen (RIEMER, Berner Kommentar, 1993, N. 63 zu Art.
54/55 ZGB). Entsprechend ist das Organ für sein Verschulden persönlich
verantwortlich (Art. 55 Abs. 3 ZGB).

    Die Möglichkeit, trotz Verzichts auf eine Kürzung nach Art. 14 VVG
in den Anspruch des Geschädigten gemäss Art. 72 VVG einzutreten, besteht
uneingeschränkt auch bei der Kaskoversicherung. Diese bezweckt, den Schaden
an einem Wagen zu decken, namentlich wenn der Schadenersatz nicht von
einem Dritten erhältlich gemacht werden kann. Wohl kann eine juristische
Person ein Auto nicht selber steuern. Die Versicherung hat somit den
Sinn, den Schaden zu übernehmen, den eine natürliche Person verursacht
hat. Das kann aber durchaus auch eine Person sein, deren Verhalten
sich die Versicherungsnehmerin anrechnen lassen muss. Die Versicherung
kann nach Art. 14 VVG gegebenenfalls ihre Leistungen kürzen. Sie
muss aber nicht so vorgehen, sondern kann auch bezahlen und auf den
Schädiger zurückgreifen, wie das die Versicherungsnehmerin selber gekonnt
hätte. Mit dem Regressrecht auf das Organ wird die Kaskoversicherung nicht
denaturiert. Sie dient nicht dazu, auch grobfahrlässiges Verhalten des
Versicherten bzw. von Personen, dessen Verhalten dieser sich anrechnen
lassen muss, zu decken. Art. 72 Abs. 3 VVG koordiniert den Regress mit
der Leistungskürzung.

    c) Selbst wenn der Beklagte als Organ der Versicherungsnehmerin
gehandelt hat, ist vorliegend somit die Klage gutzuheissen, falls die
Versicherungsnehmerin gegen den Beklagten vor der Subrogation einen
Anspruch auf Vergütung aus unerlaubter Handlung hatte.

    Auf Grund der tatsächlichen und damit das Bundesgericht bindenden
Feststellungen und den Ausführungen vorn unter Erwägung 3a und b steht
aber fest, dass ein Anspruch aus Art. 41 OR bestanden hat.

    d) Ob der Beklagte als Organ der Versicherungsnehmerin gehandelt hat
oder nicht, ist für die Beurteilung der Klage damit ohne Bedeutung. Die vom
Beklagten geltend gemachte Verletzung von Art. 8 ZGB ist nicht gegeben,
weil das beantragte Beweismittel für den Ausgang des Verfahrens nicht
entscheidend ist.