Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 423



120 II 423

77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Dezember 1994 i.S.
I. c. M. (Berufung) Regeste

    Entschädigung des Notwegrechts (Art. 694 Abs. 1 ZGB).

    Führt der Notweg über eine bereits bestehende Zufahrt, darf die
Entschädigung in Abweichung von der globalen Ermittlung der Wertdifferenz
auch so berechnet werden, dass sich der Berechtigte am Verkehrswert der
vom Notweg konkret beanspruchten Fläche angemessen beteiligt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 7

    7.- a) ...

    Die Stellung des Notwegberechtigten ist derjenigen eines
Exproprianten ähnlich (BGE 85 II 392 E. 3 S. 402, 45 II 23 E. 2
S. 26). Diese Parallele ergibt sich einerseits aus dem Wortlaut von
Art. 694 Abs. 1 ZGB, wonach eine "volle Entschädigung" geschuldet ist
(so auch Art. 16 EntG; SR 711), andererseits auch aus dem Umstand, dass
für die Berechnung der Entschädigung ausschliesslich die Nachteile des
Notwegbelasteten massgeblich sind, die Vorteile des Notwegberechtigten
mithin unberücksichtigt bleiben (MEIER-HAYOZ, N. 78 zu Art. 694 ZGB). Aus
diesen Gründen wird zu Recht die Ansicht vertreten, für die Berechnung
seien die Grundsätze der Enteignung heranzuziehen mit der Folge, dass
der Notwegbelastete schadenersatzrechtlich im Ergebnis gleich gestellt
wird, wie wenn das Grundstück von keinem Notwegbegehren bedroht wäre
(CARONI-RUDOLF, Der Notweg, Diss. Bern 1969, S. 131 und 133 mit Fn. 7
f. und 9; HAAB, N. 22 zu Art. 694 - 696 ZGB; WALDIS, Das Nachbarrecht,
4. Aufl. 1953, S. 176 bei und mit Fn. 25). Demnach entspricht die
Entschädigung der Differenz zwischen dem Verkehrswert des unbelasteten
und demjenigen des mit dem Notweg belasteten Grundstücks (BGE 114 Ib
321 E. 3 S. 323 f. mit Hinweisen; HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des
Bundes, N. 173 zu Art. 19 EntG).

    Häufig, besonders wenn es sich beim belasteten Grundstück wie hier
um ein überbautes handelt, ist die klassische Differenzberechnung
auf der Basis der beiden Eckwerte mit Schwierigkeiten behaftet, die
der Schätzung aleatorische Züge verleihen, nicht anders als bei der
Schadenermittlung im Vertrags- und im zivilrechtlichen Deliktsrecht, die
im Grundsatz ebenfalls auf einer Differenzberechnung beruht (BGE 116 II
441 E. 3a S. 444, 104 II 198 E. a S. 199 mit Hinweisen). Die Schätzung
bleibt daher in solchen Fällen, gleich wie im Enteignungsverfahren, mit
Vorteil auf die Wertdifferenz des vom Notwegrecht konkret beanspruchten
Grundstückteils allein beschränkt. Folglich ist es bundesrechtskonform,
wenn der Notwegberechtigte sich am Verkehrswert der von ihm beanspruchten
Fläche durch Einkauf angemessen beteiligt (nicht veröffentlichtes Urteil
vom 28. April 1992 i.S. H., E. 3; vgl. auch das Urteil des Kantonsgerichts
Graubünden vom 4. Mai 1987, in: Praxis des Kantonsgerichts von Graubünden,
1987, S. 12 f., Nr. 1 E. 4).