Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 417



120 II 417

76. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Dezember 1994 i.S.
B. gegen S. (Berufung) Regeste

    Herabsetzung (Art. 522 ff. ZGB).

    1. Geltendmachen des Herabsetzungsanspruchs mittels Einrede (Art. 533
Abs. 3 ZGB).

    Der Anspruch wird von einem Erben auch in dem von ihm selbst
eingeleiteten Erbteilungsprozess einredeweise geltend gemacht,
vorausgesetzt, er hat am Nachlassvermögen Mitbesitz (E. 2).

    2. Herabsetzung einer Verfügung unter Lebenden (Art. 527 ZGB).

    - Fall einer teilweise unentgeltlichen Abtretung einer Liegenschaft
(E. 3);

    - Bestimmung des für die Herabsetzung massgeblichen Werts der
unentgeltlichen Zuwendung (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die am 3. Oktober 1991 verstorbene L. hinterliess als gesetzliche
Erben die Tochter S. und den Sohn B. Mit einem am 4. August 1978 "auf
Rechnung künftiger Erbschaft" abgeschlossenen Abtretungsvertrag hatte die
Erblasserin das Eigentum an der Liegenschaft Grundbuchblatt Nr. ... in
Y. samt allen Nebenrechten ihrem Sohn übertragen, wobei sie sich die
lebenslängliche unentgeltliche Nutzniessung vorbehielt. Ferner wurde
bestimmt, dass der Anrechnungswert, welcher "dereinst im Nachlass der
Abtreterin zur Ausgleichung zu bringen" sein werde, auf Fr. 260'000.--
festgelegt werde. In einer letztwilligen Verfügung vom gleichen Tag
setzte L. ihre Tochter auf den Pflichtteil; die verfügungsfreie Quote
wandte sie dem Sohn zu.

    B.- Am 3. September 1993 reichte S. beim Appellationshof des Kantons
Bern gegen ihren Bruder B. Klage ein mit den Rechtsbegehren, die dem
Beklagten von der Erblasserin L. gemachten Zuwendungen seien auf das
erlaubte Mass herabzusetzen und der Nachlass sei nach gerichtlicher
Anordnung zu teilen.

    Der Beklagte schloss auf Abweisung des Herabsetzungsbegehrens und
erklärte im übrigen, dass er sich einer Teilung des Nachlasses nach
gerichtlicher Anordnung nicht widersetze.

    C.- Der Appellationshof (III. Zivilkammer) des Kantons Bern erkannte
am 8. Juni 1994 folgendes:

    "1. Die Herabsetzungsklage wird dahin gutgeheissen, dass der

    Anrechnungswert der Liegenschaft in Y. gemäss Inventar vom 25./27. März

    1992 mit Fr. 1'169'000.-- einzusetzen ist.

    2. Es ist ein Vorempfang des Beklagten von Fr. 5'000.-- für Mobiliar
   und Schmuck in das Inventar aufzunehmen.

    3. Soweit weitergehend wird die Klage abgewiesen.

    4. Der sich bei Notar X. befindende Schmuck (Ziff. 6 Abs. 3 des

    Inventarvorberichtes) ist dem Beklagten auszuhändigen.

    5. Notar X. wird angewiesen, nach Rechtskraft des Urteils, das Inventar
   gemäss den vorstehenden Ziffern 1 und 2 zu korrigieren, bei den Aktiven
   gemäss B III Ziff. 6 und 7 die gegenwärtigen Kurswerte einzusetzen
   und die

    Schlussabrechnung zu erstellen. Der Klägerin sind die restanzlichen
Aktiven
   zu übergeben. In Berücksichtigung der Erbteile der Klägerin von 3/8
   und des

    Beklagten von 5/8 ist die Herausschuld des Beklagten an die Klägerin zu
   berechnen.

    6. Die von beiden Parteien zu bezahlenden Gerichtskosten werden
bestimmt
   auf je Fr. 10'000.-- inkl. Auslagen.

    7. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu bezahlen:

    a) die Hälfte ihrer Verfahrenskosten, ausmachend Fr. 5'000.--.

    b) die Hälfte ihrer Parteikosten, auf spätere gerichtliche Bestimmung
   hin."

    D.- Gegen dieses Urteil hat der Beklagte beim Bundesgericht
Berufung erhoben mit den Anträgen, es seien die Dispositiv-Ziffern
1,5 und 7 aufzuheben, die Herabsetzungsklage bezüglich der Liegenschaft
Y. Gbbl. Nr. ... vollumfänglich abzuweisen und der Anrechnungswert dieser
Liegenschaft gemäss Inventar vom 25./27. März 1992 mit Fr. 260'000.--
einzusetzen und zur Ausgleichung zu bringen.

    Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung
des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beklagte rügt insofern eine Verletzung von Art. 533 Abs. 1
und 3 ZGB, als der Appellationshof zum Schluss gelangt ist, die Frage
der Verwirkung des Herabsetzungsanspruchs stelle sich hier gar nicht, da
ein derartiger Anspruch nach ständiger Rechtsprechung im Teilungsprozess
zwischen den Erben jederzeit einredeweise geltend gemacht werden könne.

    Art. 533 Abs. 3 ZGB bestimmt ausdrücklich, dass der
Herabsetzungsanspruch jederzeit mittels Einrede geltend gemacht werden
kann. Welche Parteirolle im Prozess der betreffende Erbe einnimmt,
ist unerheblich; entscheidend ist einzig, ob er am Nachlassvermögen
Mitbesitz hat (BGE 108 II 288 E. 2 S. 292 mit Hinweis), was auf die
Klägerin als pflichtteilsberechtigte Erbin ohne weiteres zutrifft. Die
Voraussetzungen zur einredeweisen Geltendmachung des Herabsetzungsanspruchs
waren hier mithin erfüllt, auch wenn die Klägerin auf Teilung und in
einem vorangestellten Begehren gar auf Herabsetzung geklagt hatte. Dass
das Herabsetzungsbegehren die lebzeitige Zuwendung einer Sache durch
die Erblasserin betraf, ist ebenfalls ohne Belang: Der strittige
Anspruch richtete sich gegen einen am Nachlass beteiligten Miterben,
den Beklagten, und dieser hatte nicht etwa eingewendet, der geltend
gemachte Herabsetzungsanspruch übersteige seinen Anteil am Nachlass
und er müsste deshalb zur Auffüllung des klägerischen Pflichtteils
auf sein eigenes Vermögen greifen (vgl. PICENONI, Die Verjährung der
Testamentsungültigkeits- und Herabsetzungsklage, in: SJZ 63/1967, S. 105
lit. g; WERNER MÜLLER-HELLBACH, Die Verjährung der erbrechtlichen Klagen,
Diss. Zürich 1975, S. 111).

Erwägung 3

    3.- Eine Verletzung von Art. 527 Ziff. 1 ZGB erblickt der Beklagte
darin, dass die Vorinstanz die Abtretung der Liegenschaft an ihn als
lebzeitige Zuwendung auf Anrechnung an den Erbteil behandelt hat.

    a) Der Herabsetzung bzw. Ausgleichung ist die lebzeitige Abtretung
eines Vermögenswertes dann unterworfen, wenn die Verfügung des nachmaligen
Erblassers ganz oder teilweise unentgeltlich war. Das trifft zu, wenn keine
oder eine Gegenleistung von merklich geringerem Wert erbracht worden ist,
so dass ein Missverhältnis besteht (BGE 116 II 667 E. 3/b/aa S. 674 mit
Hinweis), mit andern Worten, wenn das Vermögen des künftigen Erblassers
infolge der Zuwendung eine Einbusse erlitten hat, ihm kein ökonomisches
Äquivalent für die Zuwendung zugeflossen ist (vgl. BGE 98 II 352 E. 3a
S. 357; TUOR, N. 32 der Vorbemerkungen zu den Art. 522-533 und N. 1 zu
Art. 527 ZGB; TUOR/PICENONI, N. 17 und 20 zu Art. 626 ZGB; ESCHER, N. 12
der Einleitung zu den Art. 522-533 ZGB und N. 13 der Vorbemerkungen zur
Ausgleichung [vor Art. 626 ZGB]; PIOTET, Erbrecht, in: Schweizerisches
Privatrecht, Bd. IV/1, S. 304 lit. c; PIERRE WIDMER, Grundfragen der
erbrechtlichen Ausgleichung, Diss. Bern 1971, S. 31 ff.). Ob und inwieweit
eine Zuwendung als unentgeltlich zu qualifizieren ist, beurteilt sich
aufgrund der Verhältnisse im Zeitpunkt ihrer Vornahme (BGE 84 II 338
S. 344 und E. 5 S. 347; TUOR/PICENONI, N. 20 und 22 zu Art. 626 ZGB;
ESCHER, N. 25 zu Art. 626 ZGB; PIOTET, aaO, S. 305).

    b) In dem am 4. August 1978 "auf Rechnung künftiger Erbschaft"
abgeschlossenen Abtretungsvertrag hat sich die Erblasserin die
lebenslängliche und unentgeltliche Nutzniessung an der auf den Beklagten
übertragenen Liegenschaft vorbehalten (Ziff. 5). Insoweit ist ihr Vermögen
durch die genannte Verfügung nicht geschmälert worden (vgl. BGE 84 II
338 E. 4 S. 346). In Ziffer 4 des Vertrags wurde weiter vereinbart,
dass unter Berücksichtigung der Nutzniessung ein Anrechnungswert von
Fr. 260'000.-- festgelegt und dieser dereinst im Nachlass der Abtreterin
zur Ausgleichung zu bringen sein werde. Diese Bestimmung lässt klar
erkennen, dass im Umfang des genannten Anrechnungswertes dem Vermögen der
Erblasserin vor deren Tod keine Gegenleistung und auch kein Anspruch auf
eine solche zukommen sollte. Insofern war die Abtretung der Liegenschaft
an den Beklagten daher unentgeltlich, handelte es sich mit andern Worten
um eine der Herabsetzung unterliegende lebzeitige Zuwendung der Erblasserin
an den Beklagten.

    c) Was der Beklagte einwendet, ist unbehelflich. Unter Berufung auf
JAKOB ARNOLD MÜLLER (Das Verhältnis von Ausgleichung und Herabsetzung im
schweizerischen Erbrecht, Diss. Bern 1949, S. 31) will er im vertraglich
festgelegten Betrag von Fr. 260'000.-- ein Darlehen erblicken, das im
Zeitpunkt des Todes der Erblasserin zur Rückzahlung fällig geworden sei;
der entsprechende Anspruch sei gemäss Art. 614 ZGB mit seinem Erbanteil
zu verrechnen. Soweit diese Betrachtungsweise auf tatsächlichen Annahmen
beruht, die dem angefochtenen Urteil fremd sind, ist sie von vornherein
unbeachtlich (vgl. Art. 55 Abs. 1 lit. c letzter Satz OG). Wie aus dem
bereits Dargelegten erhellt, findet sie zudem im Abtretungsvertrag keine
Stütze. Es fehlt dort jegliche Darlehensabrede im Sinne von Art. 312 OR,
namentlich eine Verpflichtung des Beklagten, die nach seiner Ansicht
geborgte Geldsumme der Abtreterin (Erblasserin) zurückzuerstatten. Die
von ihm vorgetragene rechtliche Würdigung der Verhältnisse wird in der
herrschenden Lehre im übrigen nicht geteilt (dazu WIDMER, aaO, S. 53 ff.).

    Unbehelflich ist auch der Hinweis des Beklagten auf BGE 84 II
338 ff., wo aus der vertraglichen Bestimmung, der Kapitalbetrag des
Abtretungspreises sei nach dem Ableben der das Grundstück abtretenden
Mutter "in deren Nachlass zur Ausgleichung zu bringen", nicht auf eine
Anordnung der Ausgleichung gemäss Art. 626 ZGB, sondern auf eine Anweisung
zur Anrechnung bei der Erbteilung im Sinne von Art. 614 ZGB geschlossen
wurde (E. 7a S. 348 f.). Der Sachverhalt, der jenem Entscheid zugrunde
gelegen hatte, lässt sich mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichen. Dort
war es um die (verzinsliche) Preisforderung gegangen, die der Erblasserin
zu Lebzeiten aus dem Geschäft erwachsen und der Übernehmerin in einem
bestimmten Umfang gestundet worden war (vgl. S. 339).

Erwägung 4

    4.- a) Die Vorinstanz hat für die in Frage stehende Liegenschaft
einen Anrechnungswert von Fr. 1'169'000.--, d.h. den von der
Gültschatzungskommission ermittelten Verkehrswert am Tag des Todes der
Erblasserin, als für das Erbschaftsinventar massgeblich bezeichnet. Wie der
Beklagte zutreffend vorbringt, hat sie damit verkannt, dass er im Umfang
der von der Erblasserin vorbehaltenen lebenslänglichen und unentgeltlichen
Nutzniessung für die Übernahme der Liegenschaft ein Entgelt erbracht
hat. Im einschlägigen Sinne unentgeltlich war die Zuwendung nach dem
oben Dargelegten allerdings im vollen Umfange des im Abtretungsvertrag
unter Berücksichtigung der erwähnten Nutzniessung auf Fr. 260'000.--
festgesetzten Betrags. Diesen muss sich der Beklagte entgegenhalten lassen,
auch wenn gemäss der von beiden Prozessparteien anerkannten Schatzung der
Gültschatzungskommission bei einem Verkehrswert der Liegenschaft zur Zeit
der Abtretung von Fr. 403'000.-- und einem damaligen Wert der Nutzniessung
von Fr. 168'570.-- die Differenz bloss Fr. 234'430.-- betragen hatte.

    b) Der im Abtretungsvertrag festgelegte Anrechnungswert machte 64,52 %
des damaligen Verkehrswertes der Liegenschaft aus. Für den Zeitpunkt des
Erbfalls wurde der Verkehrswert auf Fr. 1'169'000.-- geschätzt, so dass
der nach der Quotenmethode (dazu BGE 116 II 667 S. 676) zu ermittelnde und
alsdann in das Erbschaftsinventar aufzunehmende Wert sich - aufgerundet -
auf Fr. 754'200.-- beläuft. Die Berufung ist in diesem Sinne teilweise
gutzuheissen und das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern. Die
Klägerin, die den Entscheid des Appellationshofes auch bezüglich des für
die Liegenschaft eingesetzten Betrags bestätigt wissen möchte, setzt sich
mit der angeführten Praxis in keiner Weise auseinander und macht denn auch
in keiner Weise geltend, sie verstosse gegen Bundesrecht. In Anbetracht
der für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Gegebenheiten ist
das von ihr in diesem Punkt Vorgebrachte daher unbehelflich.