Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 302



120 II 302

58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. August 1994 i.S. M.
gegen K. und L. (Berufung) Regeste

    Mietvertrag; Mietzinserhöhung (Art. 269 und 269a OR).

    Markt- und Kostenmiete - subjektive und objektive Berechnungselemente -
absolute und relative Berechnungsmethode (Präzisierung der Begriffe; E. 6).

    Das Auslaufen einer Festhypothek stellt für sich allein keinen
Mietzinserhöhungsgrund dar (E. 7).

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute K. (Erstbeklagte) sowie L. (Zweitbeklagter) waren
bzw. sind Mieter je einer 3 1/2-Zimmerwohnung in der Liegenschaft A. in
E. Im Sommer 1988 hatte M. (Kläger) diese Liegenschaft unter Übernahme
aller Mietverhältnisse gekauft. Nachdem er bereits mehrmals die Mietzinse
angehoben hatte, teilte er mit amtlichem Formular vom 15. Februar 1991
eine weitere Vertragsänderung mit. Danach sollte sich der Nettomietzins für
die Wohnung der Mieter K. per 1. Juli 1991 von Fr. 990.-- auf Fr. 1'090.--
sowie ab 1. Januar 1992 auf Fr. 1'195.-- bzw. für die Wohnung des Mieters
L. von Fr. 910.-- auf Fr. 1'000.-- und ab 1. Januar 1992 auf Fr. 1'095.--
erhöhen. Diese Mietvertragsänderungen wurden wie folgt begründet:

    "- Ablauf der Fest-Hypothek per 1. Juli 1991 und entsprechende

    Hypothekarzins-Erhöhung

    - Ausgleich der Teuerung per Ende Januar 1991,

    Kaufkraftsicherung des risikotragenden Kapitals

    - Erzielung einer kostendeckenden Bruttorendite."

    B.- Nach erfolgloser Einigungsverhandlung erhob M. im Juni 1991 Klage
beim Amtsgericht H. und beantragte, die angezeigten Mietzinserhöhungen
als nicht missbräuchlich zu erklären. Dieses befand mit Urteil vom
17. Juni 1992, die Erhöhungen des monatlichen Nettomietzinses für die
Wohnung der Erstbeklagten von bisher Fr. 990.-- auf Fr. 1'052.65 mit
Wirkung ab 1. Juli 1991 und für die Wohnung des Zweitbeklagten von
bisher Fr. 910.-- auf Fr. 963.05 mit Wirkung ab 1. Oktober 1991 seien
zulässig. Die weitergehenden Mietzinserhöhungen wurden als missbräuchlich
festgestellt. Das Obergericht des Kantons Luzern als Appellationsinstanz
bestätigte am 16. September 1993 das erstinstanzliche Urteil. Ebenso
wurde eine Kassationsbeschwerde des Klägers am 16. März 1994 abgewiesen.

    C.- Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers ab, soweit es
darauf eintritt, und bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Die Vorinstanz verwirft den angerufenen Erhöhungsgrund der
ausgelaufenen Festhypothek mit der Begründung, der Vermieter sei an die
einmal getroffene Wahl des Mietzinsbestimmungssystems gebunden und könne
nach dem Vertrauensgrundsatz nur insoweit "absolute Erhöhungsgründe"
anführen, als sich die entsprechenden Faktoren seit der letzten
unangefochtenen Mietzinsanpassung verändert hätten. Das Auslaufen der
Festhypothek rechtfertige dabei eine absolute Kostenberechnung nicht. Zum
einen habe der Kläger seit der Vereinbarung der Festhypothek über deren
Auslaufen gewusst, zum andern habe er nach dem Erwerb der Liegenschaft
das System der Marktmiete gewählt. Schliesslich habe er auf einen
entsprechenden Vorbehalt im Sinne von Art. 18 VMWG (SR 221.213.11)
verzichtet. Der Kläger beanstandet diese Argumentation und macht geltend,
die Berufung auf die Orts- und Quartierüblichkeit im Sinne von Art. 269a
lit. a OR schliesse Erhöhungsgründe nach Art. 269a lit. c OR nicht
aus. Von daher sei es zulässig, die durch das Auslaufen der Festhypothek
resultierende Hypothekarzinserhöhung an den Mieter weiterzugeben.

Erwägung 6

    6.- Mietzinse sind missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag
aus der Mietsache erzielt wird oder wenn sie auf einem offensichtlich
übersetzten Kaufpreis beruhen (Art. 269 OR). Demgegenüber führt Art. 269a
OR eine Reihe von Sondertatbeständen auf, welche im allgemeinen die Annahme
eines Zinsmissbrauchs ausschliessen und in der gesetzlichen Systematik als
"Ausnahmen" erscheinen.

    a) Das Gesetz misst den zulässigen Mietzins an markt- oder
kostenmässigen Kriterien. Die Marktmiete orientiert sich an
Vergleichspreisen (Art. 269a lit. a und f OR), die Kostenmiete am
individuellen Aufwand des Vermieters (Art. 269 und Art. 269a lit. b-e
OR). Einerseits sollen marktkonforme Preise gewährleistet, anderseits
übersetzte Renditen verhindert werden. Dass die beiden Betrachtungsweisen
im Einzelfall in einem Spannungsverhältnis stehen können, hat die
Rechtsprechung bereits wiederholt festgehalten (BGE 118 II 124 E. 4a und
130 E. 3a, 117 II 452 E. 4a und 458 E. 2a).

    Ihrem Wesen nach gründet die Marktmiete auf generellen, die Kostenmiete
auf individuellen Berechnungselementen. Allerdings befolgen Gesetz
und Rechtsprechung diesen Grundsatz nicht ausnahmslos. Im Interesse
der Rechtssicherheit, der einheitlichen Rechtsanwendung und der
Praktikabilität des Mietrechts werden einzelne Kostenelemente in der
Mehrzahl der Berechnungen nicht individuell, sondern verallgemeinert
erhoben. Im Regelfall wird beispielsweise auf ein standardisiertes
Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital (60% zu 40%; vgl. Art. 13 und 16
VMWG; BGE 120 II 100 E. 5) oder für den Kostenfaktor des Hypothekarzinses
auf einen kantonalen oder regionalen Leitzinssatz abgestellt (BGE 118
II 45 E. 2). Sodann werden individuelle Investitionen auf ihre sachliche
Angemessenheit überprüft (Art. 269 OR, Art. 10 und 15 Abs. 2 VMWG).

    b) Der zulässige Mietzins wird indessen nicht nur markt- oder
kostenmässig, sondern auch absolut oder relativ ermittelt. Die absolute
Berechnungsmethode bestimmt den für ein Objekt allgemein zulässigen
Mietzins, die relative die Zulässigkeit einer einseitig beanspruchten
Vertragsänderung. Beide Methoden gründen auf den für das Mietobjekt
massgebenden markt- oder kostenmässigen Kriterien, die relative
aber zusätzlich auf der vorangegangenen Preisgestaltung. Mit der
absoluten Methode wird ein Zins unabhängig von früheren vertraglichen
Gegebenheiten kontrolliert, mit der relativen dagegen die Zulässigkeit
einer Vertragsänderung im Lichte des Vertrauensgrundsatzes.

    Die relative Berechnungsmethode schützt das Vertrauen in das bisherige
rechtsgeschäftliche Verhalten des Vertragspartners. So darf namentlich
der Mieter davon ausgehen, der vertraglich vereinbarte oder nachträglich
angepasste Mietzins verschaffe dem Vermieter einen genügenden Ertrag,
es sei denn, dieser habe durch einen hinreichenden Vorbehalt dessen
Ungenügen zum Ausdruck gebracht (Art. 18 VMWG). Die relative Methode
erfasst bloss einseitige Änderungsbegehren im laufenden Mietverhältnis
(Art. 269d und Art. 270a OR). Ausserhalb eines ausdrücklichen Vorbehalts
lässt sie dabei Anpassungen nur soweit zu, als die Verhältnisse sich
seit der letzten Festsetzung verändert haben (BGE 118 II 130 E. 3a). In
ihrem Anwendungsbereich geht sie der absoluten Methode vor, sofern die
Rechtsprechung nicht eine Ausnahme zulässt (BGE 117 II 77 E. 2, 116 II 73
und 594 E. 6a, 114 II 361 E. 5). Demgegenüber werden vereinbarte Mietzinse
grundsätzlich nach der absoluten Methode kontrolliert (BGE 118 II 130
E. 3a). Im einen wie im andern Fall können dabei dieselben markt- oder
kostenmässigen Bemessungselemente Anwendung finden. Der Unterschied liegt
einzig im Ausmass, in welchem sie in die Berechnung einzubeziehen sind.

Erwägung 7

    7.- a) Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Berechnung einer
Mietzinserhöhung aufgrund einer Veränderung des Hypothekarzinssatzes im
Sinne von Art. 269a lit. b OR und Art. 13 VMWG auf einen standardisierten
Wert abzustellen. Massgebend ist in der Regel der Satz für erstrangige
Althypotheken der jeweiligen Kantonalbank, sofern diese einen bedeutsamen
Teil des Hypothekarkreditmarktes vertritt (BGE 118 II 45 E. 2a). Danach
vermag nur dessen Änderung eine einseitige Mietzinsanpassung zu
begründen. Durchwegs unbeachtlich sind daher die von Fall zu Fall
unterschiedlichen Finanzierungsverhältnisse (vgl. auch GMÜR/THANEI,
Rechtsprechung des Bundesgerichtes zur Mietzinserhöhung, Fachheft
Mietrecht Nr. 3, Zürich 1993, S. 22 mit Hinweisen). In diesem Sinn hat
die Rechtsprechung Elemente der Kostenmiete objektiviert.

    Beruft sich der Vermieter dagegen auf einen andern als den notorischen
Hypothekarzinssatz oder auf eine andere als die standardisierte
Überwälzungsmöglichkeit, macht er eine aus der subjektiven
Kostenstruktur seines Mietobjekts resultierende Mietzinsanpassung
geltend. Insbesondere ist dies der Fall, wenn er sich auf einen für ihn
vorher massgebend gewesenen, gegenüber dem notorischen Hypothekarzins
tieferen (z.B. Festhypothek) oder auf einen demgegenüber für ihn in
Zukunft entstehenden höheren Satz beruft. In der Literatur wird dazu
die Auffassung vertreten, der Vermieter sei diesfalls im Rahmen der
Kostenmiete auf den beschwerlichen Weg des Nachweises des sich aus
seiner Kostenstruktur ergebenden Nettoertrages, das heisst auf Art. 269
OR verwiesen (GUIDO RIEDER, Hypothekarzins und Vorbehalt, mp 1991, S. 1
ff., S. 2). Wird nämlich der zulässige Nettoertrag nach Art. 269 OR
berechnet, ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Tat auf
die individuelle Kostenstruktur abzustellen (BGE 117 II 77). Dabei ist
allerdings zu beachten, dass die absolute Berechnungsmethode im laufenden
Mietverhältnis nur in Ausnahmefällen zur Verfügung steht (vgl. hiezu BGE
117 II 77 E. 2 sowie 116 II 594). Zutreffend wird daher in der Literatur
mit Blick auf die relative Berechnungsmethode die Auffassung vertreten,
das Auslaufen von Festhypotheken berechtige den Vermieter im allgemeinen
zu einer Überwälzung der entsprechenden Kostensteigerung auf den Mietzins
nur, wenn im Mietvertrag ein entsprechender klarer Vorbehalt angebracht
worden sei (CHRISTINE HABERMACHER-DROZ, Die neuere Rechtsprechung zum
Thema Mietzins, mp 1992, S. 155 ff., S. 161). Dies deckt sich mit dem
vorne beschriebenen Grundsatz einer objektivierten Kostenstruktur.

    b) Entgegen der Auffassung des Klägers ist Gegenstand des vorliegenden
Streites nicht das Verhältnis zwischen Art. 269a lit. a und Art. 269a
lit. b-f OR, sondern vielmehr das Verhältnis zwischen Art. 269 und
Art. 269a OR, namentlich die Frage nach der Berücksichtigung individueller
oder standardisierter Kosten. Der Kläger beruft sich zur Begründung der
Mietzinserhöhung auf seine individuelle Kostenstruktur, welche infolge
des Auslaufens der Festhypothek eine Kostensteigerung erfahren habe. Er
versucht diese über den Weg der konkreten Hypothekarzinserhöhung
durchzusetzen. Nach dem Gesagten ist ein solches Vorgehen indessen
grundsätzlich unzulässig, da der Vermieter gestützt auf Art. 269a
lit. b OR nur die Erhöhung des Leitzinssatzes auf den Mieter überwälzen
kann. Von dieser Regel abzuweichen, besteht auch bei einer Finanzierung
durch Festhypotheken kein Anlass, da nach der Rechtsprechung weder
die individuelle Art der Finanzierung noch das konkrete Ausmass der
Fremdfinanzierung zu berücksichtigen sind. Dies gilt jedenfalls dort,
wo die Parteien sich nicht ausdrücklich auf die Berücksichtigung einer
individuellen Kostenstruktur geeinigt haben. Dass solches hier der Fall
sei, ist weder festgestellt noch geltend gemacht.

    Darüber hinaus hat sich der Kläger entgegenhalten zu lassen,
dass er zur Begründung vorangegangener Mietzinserhöhungen vereinzelt
bereits Änderungen des Leitzinssatzes angerufen hat (so etwa in der
Ankündigung vom 16. Mai 1989). Er macht denn zu Recht auch nicht geltend,
die Beklagten hätten bis anhin von einem tieferen Hypothekarzinssatz
profitiert, oder er habe die günstigeren Hypothekarkosten an die Mieter
weitergegeben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er mit der mehrmaligen
Anpassung der Mietzinsen an die orts- und quartierüblichen Verhältnisse
auch die jeweiligen Veränderungen des Leitzinssatzes mitberücksichtigt hat
(vgl. etwa LACHAT/STOLL, Das neue Mietrecht für die Praxis, 3. Aufl. 1992,
S. 249 Ziff. 4.5, welche Autoren die gleichzeitige Anrufung von Art. 269a
lit. a und der Gründe von Art. 269a lit. b-e OR verneinen, da lit. a
sämtliche kostenmässige Erhöhungsgründe einschliesse; auch PHILIPPE
RICHARD, Articles 269 CO et 269a CO; méthodes absolue et relative; rapport
entre les articles 269 CO et 269a CO; état de la question, Cahiers du
bail 1992, S. 65 ff., S. 75). Auch nach dem Verbot widersprüchlichen
Verhaltens wäre dem Kläger daher verwehrt, sich bald auf allgemeine,
bald auf individuelle Kostenelemente zu berufen.