Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 293



120 II 293

56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Oktober 1994
i.S. V. gegen A. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Wirkungen des über den Nachlass eines italienischen Staatsangehörigen
mit letztem Wohnsitz in der Schweiz nach Art. 553 ZGB errichteten
Sicherungsinventars; Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und
Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien von 1868.

    Das Inventar nach Art. 553 ZGB bezweckt nur die Sicherung des
bei Eröffnung des Erbganges vorhandenen Vermögens. Es dient nicht der
Berechnung der Erb- und der Pflichtteile und kann deshalb auch nicht
Rechnungsgrundlage für die Erbteilung bilden.

    Dem Inventar kommt auch keine andere Aufgabe zu, wenn
Nachlassstreitigkeiten nach Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und
Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien von 1868 in Italien
nach italienischem Recht auszutragen sind.

Sachverhalt

    A.- Am 14. Juli 1989 starb an seinem Wohnsitz in St. Moritz der
italienische Staatsangehörige C. A. Er hinterliess den Sohn Riccardo
A. und die Ehefrau Francesca V.

    B.- Auf Begehren von Francesca V. ordnete das Kreisamt
Oberengadin im Sinne von Art. 553 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB die Aufnahme eines
Sicherungsinventars über den Nachlass des Verstorbenen an und beauftragte
damit Notar X. Der Kreispräsident Oberengadin stellte mit Verfügung vom
31. März 1993 fest, dass das Sicherungsinventar abgeschlossen sei und
setzte die Kosten einschliesslich des Honorars für Notar X. fest.

    Eine von Francesca V. gegen den Abschluss des Inventars  eingereichter
Rekurs wurde vom Kantonsgerichtspräsidium von Graubünden mit Entscheid
vom 4. Januar 1994 abgewiesen.

    C.- Francesca V. gelangt gegen diesen Entscheid mit staatsrechtlicher
Beschwerde an das Bundesgericht.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin macht schliesslich geltend, es sei nicht
möglich, in einem ordentlichen Verfahren in Italien weitere Abklärungen des
Nachlasses zu verlangen, weil für das Inventar die schweizerischen Behörden
zuständig seien und im materiellen Prozess zwischen den Erben in Italien
auf das Erbschaftsinventar abgestellt werde. Es sei deshalb willkürlich,
sie für die weiteren Abklärungen des Nachlasses und insbesondere die
gegebenenfalls der Herabsetzung oder der Ausgleichung unterliegenden
Vermögensverschiebungen auf den ordentlichen Erbschaftsprozess in Italien
zu verweisen.

    Gemäss Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages
zwischen der Schweiz und Italien von 1868 (SR 0.142.114.541) sind
für "Streitigkeiten, welche zwischen den Erben eines in der Schweiz
verstorbenen Italieners hinsichtlich seines Nachlasses entstehen
könnten", die Gerichte am letzten italienischen Wohnort des Erblassers
zuständig. Anwendbar ist dabei die lex fori (BGE 99 II 252; ANDREAS BUCHER,
Droit international privé suisse, Tome II: Personnes, Famille, Successions,
Basel 1992, Rz. 1013). Der Staatsvertrag regelt jedoch die Frage nicht,
welche Behörden für die Eröffnung einer entsprechenden Erbschaft im Sinne
der sogenannten formellen Nachlassbehandlung, d.h. für Massnahmen zur
Sicherung des Nachlasses und des Erbganges und zum Vollzug der Erbfolge
zuständig sind (BGE 99 II 252). Diesbezüglich sind die Art. 86 ff. IPRG
(SR 291) anwendbar. Die Eröffnung des Nachlasses erfolgt deshalb in der
Schweiz, wenn ein Italiener mit Wohnsitz in der Schweiz stirbt. Dabei ist
allerdings die Abgrenzung zwischen den materiellen Streitigkeiten und
der formellen Nachlassabwicklung in der Lehre wenig geklärt (vgl. HERBERT
CHENEVARD, Le régime civil des successions dans les rapports italo-suisses,
Diss., Lausanne 1985, S. 69 ff.). Das Bundesgericht hatte sich zu dieser
Unterscheidung nur punktuell zu äussern (vgl. BGE 58 I 319; 65 I 125;
91 III 25; 99 II 252). Unbestritten ist aber, dass die schweizerischen
Wohnsitzbehörden für die Aufnahme des Sicherungsinventars zuständig sind
und der Streit um die Frage, ob die Witwe Erbin ist oder nicht, vor den
italienischen Behörden ausgetragen werden muss.

    Entsprechend ist für die Inventaraufnahme ausschliesslich
das schweizerische Recht anwendbar. Es kann entgegen der von der
Beschwerdeführerin vertretenen Meinung nicht darauf ankommen, welche
Bedeutung das italienische Recht einem Inventar zumisst. In dem den
vorliegenden Fall betreffenden BGE 118 II 269 f. hielt das Bundesgericht
mit aller Deutlichkeit fest, dass das Inventar nach schweizerischem
Recht nur die Sicherung des bei Eröffnung des Erbganges vorhandenen
Vermögens bezweckt, indem verhindert werden soll, dass Vermögenswerte
unbemerkt verschwinden können. Das Sicherungsinventar dient insbesondere
nicht der Berechnung der Erbteile und der Pflichtteile und kann nicht
Rechnungsgrundlage für die Erbteilung bilden. Es ist ohne weiteres möglich,
dass im späteren Verlauf der erbrechtlichen Auseinandersetzung weitere
Vermögenswerte zum Vorschein kommen. Diesen Nachforschungen dient aber
nicht das Institut des Sicherungsinventars. Von einer willkürlichen
Anwendung des schweizerischen Rechts kann somit keine Rede sein und die
staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.