Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 273



120 II 273

52. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. November 1994
i.S. V. und W. gegen Verlag Z. (Berufung) Regeste

    Art. 28h Abs. 2 und Art. 2 Abs. 2 ZGB; Verweigerung der
Gegendarstellung wegen offenbaren Rechtsmissbrauchs.

    Das Beharren auf einer gerichtlich angeordneten Gegendarstellung
kann als offenbar rechtsmissbräuchlich erscheinen, wenn das beklagte
Medienunternehmen dem unmittelbar Betroffenen die Gelegenheit eingeräumt
hat, zu sämtlichen beanstandeten Tatsachendarstellungen in einem
veröffentlichten Interview Stellung zu nehmen. Voraussetzungen im zu
beurteilenden Fall bejaht (E. 4).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Den Antrag des Klägers 2 auf gerichtliche Anordnung einer
Gegendarstellung hat das Obergericht abgewiesen, weil ihm jedes
Interesse daran fehle. Der Beklagte habe ihm nach der Publikation des
beanstandeten Artikels Raum für ein ausführliches Interview gewährt,
das in der Ausgabe vom 12. Januar 1994 abgedruckt worden sei. Dieses habe
gegenüber dem inkriminierten Artikel vom 23. Dezember 1993 mehr als den
doppelten Raum beansprucht. Der Kläger 2 habe dabei Gelegenheit erhalten,
seine Anliegen und Anstrengungen im Zusammenhang mit einer artgerechten
Tierhaltung eingehend darzustellen. Er sei vom Fragesteller nachdrücklich
aufgefordert worden, sich zu seinen Methoden bei der Verfolgung seiner
tierschützerischen Ziele zu äussern, die im beanstandeten Artikel
angeprangert worden seien und ihn zum Antrag auf gerichtliche Anordnung
einer Gegendarstellung veranlasst hätten. Er habe damit die Möglichkeit
gehabt, vor dem gleichen Publikum und über den gleichen Kanal seine eigene
Version der Tatsachen darzulegen, und behaupte selber nicht, dass seine
im Rahmen des Interviews gemachten Aussagen unrichtig oder unvollständig
wiedergegeben worden seien.

    a) In der Tat kann eine Gegendarstellung nicht nur dann verweigert
werden, wenn deren Inhalt im Sinne von Art. 28h Abs. 2 ZGB unzulässig
ist. Nach der bundesrätlichen Botschaft darf dies - obschon im Gesetz
nicht ausdrücklich festgehalten - auch bei offenbarer Missbräuchlichkeit
des Begehrens geschehen. Dies wäre beispielsweise dann der Fall,
wenn eine Person die Gegendarstellung zu reinen Werbezwecken brauchen
wollte oder in den Medien eine Auseinandersetzung fortführen möchte, die
andernorts hingehört (Botschaft über die Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches [Persönlichkeitsschutz: Art. 28 ZGB und 49 OR]
vom 5. Mai 1982, BBl 1982 II 676). In der herrschenden Lehre wird als
weiteres Beispiel angeführt, dass die Gegendarstellung zu verweigern sei,
wenn der Betroffene bereits Gelegenheit erhalten habe, seine Sicht der
Dinge darzulegen (TERCIER, Le nouveau droit de la personnalité, Zürich
1984, S. 194 N. 1449-1451; HOTZ, Kommentar zum Recht auf Gegendarstellung,
Bern 1987, S. 71; vgl. BUCHER, Personnes physiques et protection de la
personnalité, 2.A. Basel 1992, S. 191 N. 716; PEDRAZZINI/OBERHOLZER,
Grundriss des Personenrechts, 4.A. Bern 1993, S. 169/170).

    b) Diese aus dem Grundsatz, dass offenbarer Rechtsmissbrauch
keinen Schutz finden darf, sich gewissermassen von selbst ergebende
Folgerung der Lehre hat das Bundesgericht erst neulich in einem nicht
veröffentlichten Urteil wieder für richtig befunden. Die Gegendarstellung
hatte sich in jenem Fall auf einen Artikel bezogen, an dessen Ende deutlich
hervorgehoben, vom beanstandeten Text klar abgesetzt und unter Bezugnahme
auf die im Artikel "angegriffene" Person ein Interview im hinteren Teil der
gleichen Ausgabe angekündigt worden war. Das beklagte Medienunternehmen
hatte dem unmittelbar Betroffenen damit die Gelegenheit eingeräumt, zu
sämtlichen, im beanstandeten Artikel angeschnittenen Fragen Stellung zu
nehmen und der "scharfen" Kritik an seiner Geschäfts- bzw. Personalpolitik
zu entgegnen (i.S. D. AG c. R. AG vom 3. August 1994, E. 4).

    Das Bundesgericht hat in jenem Urteil lediglich wiederholt, bestätigt
und verdeutlicht, was es im Rahmen einer Persönlichkeitsverletzung unter
vergleichendem Hinweis auf das Gegendarstellungsrecht nebenbei schon
einmal bemerkt hatte. Dass nämlich die Veröffentlichung einer einfachen
Stellungnahme auf der Leserbriefseite die gerichtliche Anordnung einer
Gegendarstellung nicht zu ersetzen vermöge, weil damit der gleiche
Personenkreis im Sinne von Art. 28k Abs. 1 ZGB nicht erreicht werde
(BGE 119 II 97 E. 2a S. 99/100).

    Dies gilt es zu berücksichtigen: So wenig eine Gegendarstellung derart
veröffentlicht werden darf, dass die vom Gesetzgeber mit ihr verfolgte
Absicht von vornherein vereitelt wird (z.B. unter der Überschrift
"Sachen zum Lachen": BGE 115 II 4), so wenig kann die Veröffentlichung
einer blossen Entgegnung - in der Form eines Interviews etwa - das
Beharren auf der gerichtlichen Anordnung einer Gegendarstellung als
offenbar rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, wenn sie nicht unter
Bedingungen geschehen ist, die den gesetzlichen Mindestanforderungen an
eine gerichtlich angeordnete Gegendarstellung vergleichbar sind. Soll
eine solche Entgegnung als dazu geeignet betrachtet werden dürfen,
muss sie deshalb - in Anlehnung an die erwähnten Bundesgerichtsurteile -
innert nützlicher Frist erfolgt und dergestalt in die Zeitung eingerückt
worden sein, dass sie mit grösster Wahrscheinlichkeit wiederum auch
den Leser des beanstandeten Artikels angesprochen hat. Überdies muss
sie in direkter Verbindung mit jenem Artikel gestanden oder diese durch
geeignete Mittel hergestellt haben. Dass ihr nicht erneut ein Kommentar
des Medienunternehmens gefolgt sein darf, der sie entwertet haben könnte,
versteht sich von selbst.

    c) Der Kläger 2 stellt heute nicht mehr in Abrede, dass auch der
Anspruch auf Gegendarstellung am allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot
seine Grenze finde. Was er in der Sache selbst vorträgt, vermag
die obergerichtlichen Ausführungen und Überlegungen nicht zu
erschüttern. Insbesondere die sich hier aufgrund des Zeitabstandes
stellende Frage, ob die Entgegnung innert nützlicher Frist erfolgt
sei, greift er nicht auf und hält gegenteils dafür, dass schon sein im
beanstandeten Artikel kritisiertes Flugblatt bzw. dessen Herausgeber
"in der Erinnerung eines jeden Lesers haften geblieben" sei, wenn man in
Betracht ziehe, "dass die mit diesem Flugblatt an Zuger Prominenz geübte
Kritik unüblicherweise an Klarheit und Eindeutigkeit nichts zu wünschen
übrig" gelassen habe.

    Aber auch die weiteren hiervor gezeigten Bedingungen sind als
klar erfüllt zu betrachten. Namentlich ist es dem Beklagten gelungen,
durch entsprechende Titelgebung und Fragestellung die Verbindung zu den
beanstandeten Ausführungen herzustellen. Zwar behauptet der Kläger 2,
in Beantwortung der unterbreiteten Fragen und mit Bezug auf den Umfang
des Interviews Einschränkungen unterworfen gewesen zu sein. Ohne damit
indes begründete Sachverhaltsrügen vorzutragen, erneuert er bloss, was
das Obergericht nicht nur nicht festgestellt, sondern klar verworfen hat
(Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 117 II 256 E. a S. 257 mit Hinweisen).

    Das Beharren auf einer gerichtlich angeordneten Gegendarstellung
bei dieser Sachlage als offenbar rechtsmissbräuchlich zu werten und die
entsprechenden Begehren demzufolge abzuweisen, verletzt Bundesrecht aus
den dargelegten Gründen nicht.