Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 225



120 II 225

42. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. August 1994 i.S. D. c. W.
(Berufung) Regeste

    Art. 28 ZGB; Kunstfreiheit als Rechtfertigungsgrund für eine
Persönlichkeitsverletzung?

    Ist nicht bewiesen, dass eine persönlichkeitsverletzende Darstellung in
einem Buch der Wahrheit entspricht, so kann der Autor zur Rechtfertigung
der Persönlichkeitsverletzung nicht geltend machen, er habe die
Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln darstellen wollen.

    Die in einem Buch veröffentlichte fiktive Geschichte ist so zu
gestalten, dass der durchschnittliche Leser ehrverletzende Äusserungen
nicht auf eine tatsächlich lebende Person bezieht.

Sachverhalt

    A.- Anita D. veröffentlichte im Sommer 1990 ein Buch mit dem Titel
"Jubilierende soziale Hohlfahrt im Kanton X". Willi W. sah in den
Ausführungen auf den Seiten 130 und 131 dieses Buches eine widerrechtliche
Persönlichkeitsverletzung.

    B.- Auf Antrag von Willi W. verbot der Gerichtspräsident von B. am
16. April 1991 Anita D., das Buch weiter zu verbreiten oder verbreiten
zu lassen, ausser sie mache die betreffenden Stellen im Text unlesbar
oder entferne sie sonstwie.

    Auf nachfolgende Klage von Willi W. hin stellte das Bezirksgericht
B. mit Urteil vom 22. Oktober 1991 fest, dass Anita D. durch die
Bezeichnung von Willi W. als

    - "stinkender Wirsig"

    - "ekelhaftes Weisskohl-Borstenschwein von einem Beamten"

    - "Dummkopf"

    - "strohsackblöd"
   und die Behauptung, Willi W. habe

    - "eine Altersheiminsassin in die Küche gezerrt und ihr eine

    Pfändungsunterschrift abgerungen",

    - "dem Sohn einer Altersheiminsassin passiv geholfen, laufend die
AHV und

    Pension seiner Mutter zu kassieren",

    eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung gegenüber dem Kläger
begangen habe. Das Gericht gestattete Willi W., das Urteil in verschiedenen
Zeitungen auf Kosten der Beklagten veröffentlichen zu lassen. Zudem
wurde Anita D. verboten, ohne Entfernung der entsprechenden Stellen
das genannte Buch weiter zu verbreiten und die darin enthaltenen, Willi
W. betreffenden Aussagen zu wiederholen.

    Eine von Anita D. gegen dieses Urteil eingereichte Appellation wurde
vom Obergericht des Kantons X mit Entscheid vom 25. Juni 1992 abgewiesen.

    C.- Auf staatsrechtliche Beschwerde von Anita D. hin hob das
Bundesgericht mit Entscheid vom 17. Juni 1993 das obergerichtliche Urteil
auf. Am 17. Februar 1994 hat das Obergericht des Kantons X neu entschieden,
wobei es wiederum die Appellation abgewiesen hat.

    D.- Anita D. gelangt erneut mit staatsrechtlicher Beschwerde und
Berufung an das Bundesgericht.

    Während Willi W. die Abweisung der Berufung beantragt, hat das
Obergericht unter Hinweis auf das begründete Urteil auf Bemerkungen
verzichtet.

    E.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist am 12. August 1994 von der II.
Zivilabteilung abgewiesen worden, soweit darauf eingetreten wurde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte wirft dem Obergericht vor, es habe zu unrecht die
Persönlichkeitsverletzung als widerrechtlich angesehen. Sie beruft sich
auf überwiegende Interessen an der Veröffentlichung ihres Buches. Bei der
Interessenabwägung habe das Obergericht nicht berücksichtigt, dass die
Veröffentlichung Ausdruck ihrer Meinungsäusserungsfreiheit sei, welche sich
auch auf das Kunstschaffen erstrecke, und dass überdies ein öffentliches
Interesse an der Aufdeckung des Verhaltens des Klägers bestehe...

    a) ... Weil der Vorwurf nicht der Wahrheit entspricht, kann sich die
Beklagte nicht auf ein öffentliches Interesse an der Aufdeckung eines
Fehlverhaltens eines Beamten berufen.

    b) Die Beklagte macht als überwiegendes Interesse überdies ihr
Recht geltend, sich künstlerisch zu betätigen. Ihr Buch sei mit einem
autobiographischen Werk vergleichbar, bei dem es unvermeidbar sei, auch
andere Personen darzustellen, die durch ihr Handeln in das Leben der
Autorin eingegriffen hätten.

    In einer rechtsstaatlichen Demokratie besteht in der Tat ein
erhebliches Interesse daran, dass ein künstlerisches Schaffen möglich
ist. Entsprechend hat auch das Bundesgericht die Kunstfreiheit als Teil
der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt (BGE 117 Ia 478). Daraus darf
allerdings nicht der Schluss gezogen werden, jede Persönlichkeitsverletzung
könne mit der Kunstfreiheit gerechtfertigt werden. Die künstlerische
Betätigung hat sich im Rahmen der Rechtsordnung zu halten. Auch der
Kunstschaffende hat die Persönlichkeitsrechte anderer zu respektieren. Es
ist somit das Interesse des Verletzten gegen das Interesse des Verletzers
an der künstlerischen Betätigung abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist,
welche Möglichkeiten dem Künstler offengestanden hätten, sein Werk ohne
die Persönlichkeitsverletzung zu schaffen.

    Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass es ihr im
vorliegenden Buch mit Bezug auf die eingeklagten Stellen darum gegangen
sei, die Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln darzustellen. Sie
konnte den Wahrheitsbeweis für die geschilderten Sachverhalte
nicht erbringen. Es geht somit nicht um die Darstellung einer realen
Begebenheit, sondern um Fiktion. Deshalb kann der Beklagten nicht gefolgt
werden, wenn sie ihr Buch mit einem autobiographischen Werk vergleicht.
Entsprechend stehen auch die von ihr zitierten Ausführungen von GEISER
(Die Persönlichkeitsverletzung insbesondere durch Kunstwerke, Basel 1990,
Rz. 9.73) in keinem Zusammenhang zum vorliegenden Fall. Geht es hier aber
um Fiktion und nicht um die Darstellung einer wahren Begebenheit, kann von
der Autorin verlangt werden, die fiktive Geschichte so auszugestalten, dass
der Leser nicht auf eine reale Person schliesst. Wenn es ihr darum ging,
eine fiktive Geschichte über ein verwerfliches Verhalten eines Beamten
künstlerisch zu erzählen, hätte sie die nötige Sorgfalt aufwenden müssen,
um jeden Bezug zu tatsächlich lebenden Personen auszuschliessen (GEISER,
Rz. 2.44, S. 65). Dass aus irgendwelchen, in der Konzeption des Werks
liegenden Gründen die Person so ausgestaltet und beschrieben sein musste,
wie die Beklagte es tatsächlich tat, so dass der durchschnittliche Leser
auf den Kläger schliesst, hat die Beklagte in keiner Weise dargetan.

    Nichts anderes gilt mit Bezug auf die Kraftausdrücke. Wohl können
solche Wortschöpfungen als Ausdruck der künstlerischen Freiheit den
Stil eines Buches prägen. Das bedeutet aber nicht, dass es die Kunst
auch gebietet, mit diesen Ausdrücken tatsächlich lebende Personen zu
verunglimpfen.

    Die Berufung auf die Kunstfreiheit vermag somit die vom Obergericht
vorgenommene Interessenabwägung nicht als bundesrechtswidrig erscheinen
zu lassen. Die Berufung erweist sich als unbegründet und das angefochtene
Urteil wird bestätigt.