Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 182



120 II 182

34. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Mai 1994
i.S. Erben von X. gegen Kirchgemeinde S. (Berufung) Regeste

    Bedingung und Auflage beim Testament (Art. 482 ZGB).

    Grundsätze für die Auslegung eines Testamentes (E. 2a).

    Ob im Einzelfall eine Bedingung oder eine Auflage vorliegt, ist durch
Auslegung des Testamentes zu ermitteln; eine Vermutung im einen oder im
andern Sinn gibt es nicht (E. 2c).

    Die Verpflichtung, eine Liegenschaft in bestimmter Weise zu nutzen,
weist auf eine Auflage hin (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Der im Alter von 86 Jahren verstorbene X. hinterliess als
gesetzliche Erben seine Geschwister und, soweit diese vorverstorben sind,
deren Nachkommen. Im Nachlass von X. befindet sich auch die Liegenschaft GB
Nr. 596, die im Grundbuch auf den Namen der Erbengemeinschaft übertragen
wurde. Das seinerzeit eigenhändig verfasste Testament von X. enthält
unter anderm folgendes Vermächtnis:

    "Die reformierte Kirchgemeinde S. könnte die Liegenschaft zum Preis von

    Fr. 150'000.-- als Kindergarten beziehen. Ansonsten für meine

    Angehörigen."

    Die Kirchgemeinde S. und die Erben von X. kamen überein, die
Liegenschaft vorerst auf den Namen der Erbengemeinschaft zu belassen und
die Kirchgemeinde nachfolgende Beschlüsse fassen zu lassen:

    "- Entscheid zur Übernahme des zu leistenden Kaufpreises von Fr.

    150'000.--;

    - Zusage der Baubehörde S., dergemäss eine Umnutzung der

    Liegenschaft als Kindergarten möglich ist;

    - verbindliche Absichtserklärung zur dauernden Führung eines

    Kindergartens in der fraglichen Liegenschaft und zur Übernahme
der damit
   verbundenen Investitionen."

    Gestützt auf einen Beschluss der Kirchgemeindeversammlung, wonach
das Vermächtnis angenommen, die Zahlung von Fr. 150'000.-- geleistet
und ein Investitionskredit von Fr. 350'000.-- bewilligt werde, erklärte
die Kirchgemeinde S., sie verlangte die Übertragung des Eigentums
an der Liegenschaft GB Nr. 596 auf ihren Namen, gegen Leistung von
Fr. 150'000.--. Die Erben von X. lehnten die Herausgabe des Vermächtnisses
ab, da die Beschlüsse der Kirchgemeinde S. nicht vollständig seien und
sie zudem von einem unzutreffenden Kindergartenbegriff ausgehe.

    B.- Die Klage der Kirchgemeinde S. gegen die Erben von X. auf
Zusprechung des Eigentums an der Liegenschaft GB Nr. 596 sowie
auf Anweisung an den zuständigen Amtsschreiber, den entsprechenden
Grundbucheintrag vorzunehmen, wurde vom Amtsgericht abgewiesen; der
Kirchgemeinde S. wurde eine Frist von sechs Monaten angesetzt, den
(näher festgelegten) Nachweis für die Erfüllung der Bedingungen des
Vermächtnisses zu erbringen. Gegen dieses Urteil erklärten beide Parteien
die Appellation, worauf das Obergericht der Kirchgemeinde S. in Gutheissung
ihrer Klage das Eigentum an der Liegenschaft GB Nr. 596 zusprach und
die zuständige Amtsschreiberei anwies, diese, gegen Nachweis der Zahlung
von Fr. 150'000.-- an die Erben von X., als Eigentümerin des genannten
Grundstückes im Grundbuch einzutragen.

    C.- Das Bundesgericht weist die von den Erben von X. dagegen erhobene
Berufung ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beklagten bringen vor, die in Frage stehende Liegenschaft
komme der Klägerin nur zu, falls darin ein Kindergarten eingerichtet
und zugleich der festgesetzte Betrag an die gesetzlichen Erben geleistet
werde. Der Erblasser hätte derart auf das Verhalten der mit dem Vermächtnis
Bedachten hinwirken wollen. Der Zusatz "ansonsten für meine Angehörigen"
enthalte eine Bedingung, nämlich die Verwendung der Liegenschaft als
Kindergarten, die seitens der Klägerin nicht eingehalten worden sei. Die
vom Obergericht vorgenommene Auslegung des Testamentes von X. sei daher
in Verletzung von Art. 482 und Art. 484 ZGB erfolgt.

    a) Für die Auslegung eines Testamentes ist von dessen Wortlaut
auszugehen. Ergibt er für sich selber betrachtet ein eindeutiges Ergebnis,
so hat es bei dieser Aussage zu bleiben. Sind dagegen die Anordnungen so
unklar, dass sie ebensogut im einen wie im andern Sinn verstanden werden
können, oder lassen sich mit guten Gründen mehrere Auslegungen vertreten,
so dürfen ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Beweismittel zur
Auslegung herangezogen werden. Massgebend bleibt immer der Wille des
Erblassers, wie er in seinem Testament zum Ausdruck kommt, und nicht,
wie er von einem Adressaten verstanden werden könnte. Nach ständiger
Rechtsprechung prüft das Bundesgericht die vorinstanzliche Auslegung
eines Testamentes frei. Es ist nur an die tatsächlichen Feststellungen
gebunden, aus denen sich der Wille des Erblassers ergibt (BGE 115 II 323
E. 1a S. 325; 117 II 142 E. 2a S. 144).

    b) Das Obergericht hat in der Verpflichtung der Vermächtnisnehmerin,
die Liegenschaft als Kindergarten zu nutzen, eine Zweckbestimmung erblickt,
die klar auf eine Auflage zu Gunsten Dritter hinweise; es liege daher
eine unselbständige Stiftung vor, deren Destinatäre die künftigen
Kindergartenschüler seien. Diese Auslegung erfolgte ausschliesslich
aufgrund des Wortlautes der in Frage stehenden Anordnung des Erblassers;
ausserhalb der Testamentsurkunde liegende Anhaltspunkte, die den letzten
Willen des Erblassers klären würden, gehen aus dem angefochtenen Urteil
keine hervor.

    c) Durch die Bedingung wird vom Erblasser der Vollzug einer
letztwilligen Verfügung von bestimmten Gegebenheiten abhängig
gemacht. Bei der Auflage fällt der eigene Anspruch des Beschwerten mit
der Nichterfüllung der Anordnung nicht dahin; hingegen steht jedem daran
Interessierten ein Vollzugsanspruch zu. Was im Einzelfall vorliegt,
ist durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln; eine
Vermutung im einen oder andern Sinn ist nicht gegeben (ESCHER/ESCHER,
Art. 482 ZGB N. 1, N. 4, N. 13; TUOR, Art. 482 ZGB N. 3, N. 6, N. 8, N. 9,
N. 12; PIOTET, Erbrecht, SPR IV/1, S. 98, S. 147 ff.; DRUEY, Grundriss des
Erbrechts, 3.A. Bern 1992, S. 132; UFFER/TOBLER, Die erbrechtliche Auflage,
Diss. Zürich 1982, S. 32 ff., S. 37 ff.; MÜLLER, Die erbrechtliche Auflage
beim Testament, Diss. Freiburg 1980, S. 142/143).

    d) Die Formulierung "als Kindergarten" weist durchaus auf eine der
Vermächtnisnehmerin auferlegte Verpflichtung, die Liegenschaft in einer
bestimmten Weise zu nutzen, und damit auf eine Auflage hin. Gegen den
Bedingungscharakter spricht zudem, dass eine Frist für die Erfüllung fehlt
(DRUEY, aaO, S. 132 N. 32). Die Klägerin hat sich über die Annahme des
Vermächtnisses zu äussern und den im Testament festgelegten Erwerbspreis
an die gesetzlichen Erben zu leisten. Ist sie dazu nicht bereit, verbleibt
die Liegenschaft - gemäss ausdrücklicher Anordnung des Erblassers - im
Nachlass, und die gesetzlichen Erben können darüber frei verfügen. Das
Obergericht hat den Nachsatz "ansonsten für meine Angehörigen" somit zu
Recht nicht als Bedingung verstanden. Die Klägerin hat sich bereits für
die Annahme des Vermächtnisses entschieden. Wie sie der Auflage, einen
Kindergarten in der Liegenschaft zu führen, im einzelnen nachzukommen hat,
darüber ist im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden.