Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 15



120 II 15

5. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. März 1994 i.S. X. AG
gegen E. und B. G. (Berufung) Regeste

    Art. 684 ZGB. Durch Dancingbesucher verursachter Lärm.

    Eine übermässige Einwirkung als Folge einer bestimmten Benutzung des
Ausgangsgrundstücks kann auch erst ausserhalb desselben entstehen. Die
Lärmverursacher sind nicht unbefugte Dritte, für die der Grundeigentümer
nicht einstehen muss.

Sachverhalt

    A.- E. und B. G. sind Eigentümer des Hotels A. an der Kantonsstrasse in
F. Der X. AG gehört die nördlich desselben, ebenfalls an der Kantonsstrasse
gelegene, durch ein Wohn- und Geschäftshaus sowie eine zum Postplatz
führende Querstrasse vom Hotel getrennte Liegenschaft, in welcher das
Dancing I. Club betrieben wird.

    B.- Das Bezirksgericht Imboden hiess die Klage der E. und des
B. G. am 2. Dezember 1992 teilweise gut, verbot der X. AG, den I. Club
länger als bis zu den ortsüblichen Schliessungszeiten des Gastgewerbes
geöffnet zu halten und drohte für den Fall der Widerhandlung gegen dieses
Verbot ihren Organen unter Hinweis auf Art. 292 StGB Haft oder Busse an.

    Das Kantonsgericht von Graubünden wies die von der X. AG gegen dieses
Urteil ergriffene Berufung am 13. Juli 1993 ab.

    C.- Die X. AG hat eidgenössische Berufung eingelegt mit dem Antrag,
die Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Imboden gutzuheissen
und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

    E. und B. G. schliessen auf Abweisung der Berufung, soweit auf diese
eingetreten werden könne. Das Kantonsgericht von Graubünden beantragt
ebenfalls, die Berufung abzuweisen. Das Bundesgericht weist die Berufung
ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Kantonsgericht stellt hinsichtlich Natur und Herkunft
der von den Klägern beanstandeten Einwirkungen auf ihr Grundstück in
tatsächlicher Hinsicht fest, die Gäste des Hotels A. seien während der
Saison zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens in ganz erheblichem
Masse Lärm ausgesetzt. Die Ruhestörung werde insbesondere durch den
Motorenlärm an- und wegfahrender Autos, Lärm vom Zuschlagen der Türen,
vom Betrieb der Radios und vom Quietschen der Reifen verursacht. Zudem
würden die Hotelgäste wie auch die Anwohner - fährt das Kantonsgericht
fort - von sich laut unterhaltenden, rufenden und schreienden, teilweise
betrunkenen Dancingbesuchern aus ihrem Schlafe aufgeweckt. Diese
Beeinträchtigungen seien zu einem wesentlichen Teil direkte Folge des
Betriebes des I. Clubs, der zeitweise von bis zu 150 Personen besucht
werde, welche die öffentlichen Abstellflächen um den Postplatz benützten,
da die Beklagte keine eigenen Parkplätze besitze. Die Vorinstanz rechnet
diese zwar von öffentlichem Grund ausgehenden - von ihr unwidersprochen als
übermässig bezeichneten - Immissionen dennoch der Beklagten zu, da zwischen
dem Betrieb des I. Clubs und diesen ein ursächlicher Zusammenhang bestehe.

    Die Beklagte bestreitet die Zurechenbarkeit im wesentlichen damit,
der Lärm entstehe nicht im unmittelbaren Ein- und Ausgangsbereich des
I. Clubs, sondern praktisch ausschliesslich auf entfernt liegendem, ihrer
Herrschafts- und Einflussmöglichkeit entzogenem öffentlichem Grund. Die
Ruhestörung stehe mit dem eigentlichen Betrieb des I. Clubs nicht in
Verbindung. Die adäquate Kausalkette werde dadurch, dass sich die Gäste
von ihrem Grundstück wegbegäben, unterbrochen. Die Beklagte wendet weiter
ein, bei den Besuchern handle es sich nicht um ihre Hilfspersonen, sondern
um unberechtigte Dritte, für deren Verhalten sie als Grundeigentümerin
nicht einzustehen habe.

    a) Nachbar im Sinne von Art. 684 ZGB ist nach allgemeiner Auffassung
nicht nur der unmittelbare Anstösser, sondern jeder, der als Eigentümer
eines Grundstücks von der Einwirkung betroffen wird (BGE 109 II 304
E. 2 S. 309 mit Hinweisen). Die Kläger haben deshalb in bezug auf
die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Immissionen als
Nachbarn der Beklagten zu gelten. Unter "Einwirkungen auf das Eigentum
der Nachbarn", die unter den in Art. 684 ZGB bestimmten Voraussetzungen
verboten werden können, ist alles zu verstehen, was sich als eine nach dem
gewöhnlichen Lauf der Dinge unwillkürliche Folge eines mit der Benutzung
eines andern Grundstücks adäquat kausal zusammenhängenden menschlichen
Verhaltens auf dem betroffenen Grundstück auswirkt (MEIER-HAYOZ, N. 67
zu Art. 684 ZGB; HAAB/SIMONIUS, N. 7 zu Art. 684 ZGB; BGE 61 II 323 E. 4
S. 329). Die Immission muss nicht unbedingt von einer Benutzungshandlung
ausgehen, die innerhalb der grundbuchlichen Grenzen des Ausgangsgrundstücks
stattfindet; es genügt, dass sie als Folge einer bestimmten Benutzung
oder Bewirtschaftung des Ausgangsgrundstücks erscheint, auch wenn
die Störungsquelle ausserhalb des Grundstücks liegt. Deshalb ist der
Lärm startender und landender Flugzeuge, auch soweit er nicht auf oder
über dem Flugplatz entsteht, als Einwirkung des Flugplatzes anzusehen
(MEIER-HAYOZ, N. 84 zu Art. 679 ZGB mit Hinweisen, N. 197 zu Art. 684
ZGB; STAUDINGER-ROTH, 12. Aufl., N. 102 zu § 906 BGB mit Hinweisen;
SOERGEL-BAUR, 11. Aufl., N. 23a zu § 906 BGB mit Hinweisen), und der
Grundeigentümer ist deshalb auch für die bei einem auf seinem Grundstück
zu errichtenden Neubau durch die von der Belegung und Abschrankung
des öffentlichen Strassenbodens hervorgerufene Verschlechterung des
Zugangsweges zum nachbarlichen Ladengeschäft haftbar (BGE 91 II 100 E. 2
S. 106). In entsprechender Weise geht der Lärm von Gaststättenbetrieben
auch dann vom Gaststättengrundstück aus, wenn die Geräusche nicht auf dem
Grundstück selbst oder dem dazugehörenden Parkplatz, sondern durch an-
und abfahrende Personenwagen sowie aus der Unterhaltung der Gäste auf
der öffentlichen Strasse in der Umgebung des Grundstücks erzeugt werden
(STAUDINGER-ROTH, l.c.). Im Wesen einer Verursachungshaftung liegt es
schliesslich, dass der Grundeigentümer nicht bloss für eigenes sowie
für das Handeln eigentlicher Hilfspersonen einzustehen hat, sondern
insbesondere auch für das Verhalten jener, die mit seiner Einwilligung das
Grundstück oder dessen Einrichtungen benützen und daher nicht unbefugte
Dritte sind (Keller, Haftpflicht im Privatrecht, Band I, 5. Aufl., S.
194; MEIER-HAYOZ, N. 63 zu Art. 679 ZGB; BGE 83 II 375 E. 2 S. 380).

    b) Das Kantonsgericht hat, indem es die durch das Verhalten der
Gäste des I. Clubs ausserhalb der Grenzen des eigenen Grundstücks der
Beklagten verursachten Immissionen auf die Liegenschaft der Kläger dem
Gaststättengrundstück zurechnete, Bundesrecht demgemäss nicht verletzt. Die
tatsächliche Feststellung der Vorinstanz, der übermässige Lärm sei zu
einem wesentlichen Teil direkte Folge des Betriebes des I. Clubs, wird
von der Beklagten in unzulässiger Weise kritisiert (Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG; BGE 119 II 84 mit Hinweis). Wenn nach der von der Beklagten nicht
als bundesrechtswidrig beanstandeten Erwägung des Kantonsgerichts es
der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass Besucher von zur Nachtzeit
geöffneten Gastwirtschaftsbetrieben durch lautes Sprechen, Singen,
Grölen und beim Wegfahren mit ihren Autos unnötigen Lärm erzeugen,
stellen die in Frage stehenden Lärmimmissionen auch adäquate Folge
des Betriebes des I. Clubs dar. Eine Unterbrechung des adäquaten
Kausalzusammenhanges wird nach dem Gesagten auch nicht dadurch bewirkt,
dass sich die Gäste, wenn sie die Nachtruhe stören, nicht mehr auf dem
Grundstück der Beklagten aufhalten, wenn nur - wie hier - ein Bezug zur
Benützung desselben eindeutig besteht. Ohne Belang ist mithin auch, ob
die Besucher, wenn sie Lärm machen, sich noch im Herrschaftsbereich der
Beklagten oder ausserhalb desselben befinden, und ob sie bereits auf der
Liegenschaft der Beklagten Hotelgäste auf diese Weise belästigt haben. Ihr
Tun ist offenkundig kein solches unberechtigter Dritter, das bloss in
einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Benützung der öffentlichen
Verkehrsflächen steht, jedoch mit der Ausübung des Grundeigentums durch
die Beklagte nicht verknüpft ist. Dass die Lärmimmissionen "bei Gebrauch
des Grundstückes" hervorgerufen werden müssen, ist nicht zwingend, und
dass sie "an dasselbe gebunden" sein müssen, trifft - wie dargelegt -
ebenfalls nicht zu. Was die Beklagte zulässigerweise vorbringt, erweist
sich insgesamt nicht als stichhaltig.