Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 11



120 II 11

4. Auszug aus dem Urteil der Ia. Zivilabteilung vom 26. Januar 1994 i.S. W.
gegen S. (Berufung) Regeste

    Zivilrechtsstreitigkeit; Stockwerkeigentum; Streit um die Art, den
Umfang, die Modalitäten und den zeitlichen Ablauf der als notwendig
bezeichneten baulichen Massnahmen (Art. 44 und 46 OG; Art. 712g,
Art. 647 Abs. 2 Ziff. 1, Art. 647c ZGB).

    Stehen einzig Art, Umfang, Modalitäten und zeitlicher Ablauf der als
notwendig bezeichneten baulichen Massnahmen gemäss Art. 647c ZGB sowie
die Bestellung eines Architekten als Kontrolleur im Streit, so liegt
keine Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne der Art. 44 und 46 OG vor (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Walter S. und Rudolf W. erwarben am 28. Januar/5. Februar 1976 39%
resp. 11% Miteigentumsanteile an einer an der Strasse X in Y gelegenen
Liegenschaft. Rudolf W. besass daran bereits zuvor 50% Miteigentum,
so dass sein Anteil nunmehr 61% betrug. Durch öffentliche Urkunde vom
19. Februar 1976 begründeten beide Miteigentümer an dieser Liegenschaft
Stockwerkeigentum, wobei Walter S. 39/100 Anteile, Rudolf W. hingegen
32/100 sowie 29/100 zugewiesen wurden. Der entsprechende Eintrag ins
Grundbuch erfolgte am 2. März 1976. Am 19. Februar 1976 hatten die Parteien
ein Reglement im Sinne von Art. 712g ZGB erstellt.

    Im Verlaufe der Jahre entstanden zwischen den beiden
Stockwerkeigentümern zunehmend Differenzen bezüglich der Ausführung
von Unterhaltsarbeiten, was schliesslich dazu führte, dass Walter S. am
27. Juni 1989 beim Appellationshof des Kantons Bern als einziger kantonaler
Instanz Klage einreichte.

    B.- Mit Urteil vom 25. Juni 1993 hob die 1. Zivilkammer des
Appellationshofs die Zirkularbeschlüsse Nr. 02, 02a und 03 der
Stockwerkeigentümergemeinschaft vom 30. März 1989 auf und ordnete die
Ausführung der im Gutachten K. vom 28. Januar 1993 zusammengefassten
Arbeiten sowie zusätzlicher Bauarbeiten an, soweit diese sich als
notwendig erweisen sollten. Ferner bestellte sie einen Vertreter der
Stockwerkeigentümer, den sie mit genau bestimmten Aufgaben betraute,
und regelte die übrigen Modalitäten der Arbeitsausführung.

    C.- Rudolf W. hat gegen dieses Urteil beim Bundesgericht sowohl
Berufung als auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit der
Berufung verlangt er die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Ferner
beantragt er, es seien als notwendige bauliche Massnahmen gemäss Art. 647c
ZGB diejenigen in Ziff. 6 des Expertenberichts K. vom 28. Januar 1993
aufgelisteten Arbeiten, welche nicht bereits erledigt sind, gerichtlich
festzustellen. Überdies ersucht er um Anordnung anderer vom kantonalen
Entscheid abweichender Massnahmen. Eventualiter schliesst er dahin, den
angefochtenen Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Walter S. beantragt, die Berufung abzuweisen und das angefochtene
Urteil zu bestätigen. Der Appellationshof hat auf Vernehmlassung
verzichtet. Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein, aus
folgender

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Fraglich ist, ob überhaupt eine berufungsfähige
Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44 und 46 OG vorliegt.

    a) Als Zivilrechtsstreitigkeit versteht die Rechtsprechung ein
kontradiktorisches Verfahren zwischen zwei oder mehreren natürlichen oder
juristischen Personen in ihrer Eigenschaft als Trägerinnen privater Rechte
oder zwischen solchen Personen und einer Behörde, die nach Bundesrecht die
Stellung einer Partei einnimmt. Das Verfahren spielt sich vor dem Richter
oder einer andern Spruchbehörde ab und bezweckt die endgültige, dauernde
Regelung zivilrechtlicher Verhältnisse (BGE 118 II 530 E. 2a mit Hinweisen;
117 II 164 E. 1a mit Hinweisen; BGE 112 II 147 E. 1 mit Hinweisen). Das
beurteilt sich unabhängig davon, welches Verfahren die kantonale Behörde
im konkreten Fall eingeschlagen hat, wenn nur die Parteien Ansprüche des
Bundeszivilrechts erhoben haben und ebensolche objektiv streitig sind
(BGE 112 II 34 E. 1a und 147 E. 1, je mit Hinweisen).

    b) Mit der Berufung wird ausser der Aufhebung des angefochtenen Urteils
verlangt, es seien als notwendige bauliche Massnahmen gemäss Art. 647c
ZGB diejenigen in Ziff. 6 des Expertenberichts K. vom 28. Januar 1993
aufgelisteten Arbeiten, welche nicht bereits erledigt sind, gerichtlich
festzustellen (Ziff. 2). Ferner seien der Umfang und die Modalitäten
der Durchführung der Renovationsarbeiten an der Liegenschaft Strasse
X in Y gemäss Vergleichsvorschlag des Beklagten vom 28. Februar 1990,
Ziff. 2, 3 (sinngemäss bezogen auf das Rechtsbegehren 2), 5, 6, 7, 8, 9,
10, 11 und 12 zum Urteil zu erheben. Als Bauleiter sei Beat H. und zum
Stellvertreter bei dessen Abwesenheit sein Bruder Thomas H. einzusetzen
(Ziff. 3). Schliesslich verlangt der Beklagte eventualiter, den Entscheid
des Appellationshofs aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an diese
Instanz zurückzuweisen. Nicht bzw. nicht rechtsgenüglich (Art. 55 Abs. 1
lit. c OG) angefochten wird hingegen die Aufhebung der drei Beschlüsse
der Stockwerkeigentümergemeinschaft (Nr. 02, Nr. 02a und Nr. 03) vom
30. März 1989 durch den Appellationshof. Es stehen somit lediglich die Art,
der Umfang, die Modalitäten und der zeitliche Ablauf der als notwendig
bezeichneten baulichen Massnahmen und die Bestellung eines Architekten
als Kontrolleur zur Diskussion.

    c) Gegenstand des vorliegenden Streites sind damit weder subjektive
Rechte der Parteien noch irgendwelche, unter ihnen bestehende
Rechtsverhältnisse; streitig ist ausschliesslich die Frage, ob und
gegebenenfalls welche als notwendige Verwaltungshandlungen im Sinne von
Art. 647c ZGB zu betrachtende, bauliche Massnahmen in welchem Zeitablauf
anzuordnen sind und wer mit der Überwachung des Ablaufs und mit der
Regelung der Finanzierung zu betrauen ist. Wohl war vorfrageweise auch
über die Aufhebung von drei Beschlüssen der Stockwerkeigentümergemeinschaft
zu befinden, wogegen - ähnlich wie bei Anfechtung von Vereinsbeschlüssen -
in aller Regel die Berufung ergriffen werden kann (vgl. Art. 712m Abs. 2
ZGB mit Verweis auf Art. 75 ZGB; dazu MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen
Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, S. 74; vgl. BGE 108 II 17/18
E. 1a; nicht publizierter Entscheid des Bundesgerichts i.S. F. vom
9. September 1991, E. 3a). Abgesehen davon, dass der Beklagte die Aufhebung
der beiden auf Vorschlägen des Klägers beruhenden Beschlüsse Nr. 02 und
02a überhaupt nicht und die Annullierung des auf ihn zurückgehenden
Zirkularbeschlusses Nr. 03 auf ungenügende Weise anficht, beinhalten
auch diese Entscheide nicht etwa Regelungen betreffend die subjektiven
Rechte der beiden Stockwerkeigentümer, sondern nur die je vom Kläger oder
vom Beklagten als akzeptierbar befundenen Vorschläge der als notwendig
betrachteten baulichen Massnahmen, welche gemäss Art. 18 des Reglements
von der Stockwerkeigentümergemeinschaft anzuordnen gewesen wären, jedoch
infolge der Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse und der zwischen
den beiden einzigen Stockwerkeigentümern bestehenden Differenzen nicht
durchgeführt werden konnten.

    Nach Art. 647 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB, auf den Art. 712g Abs. 1 ZGB
u.a. verweist (vgl. MEIER-HAYOZ, N. 19 zu Art. 647 ZGB), hat jeder
Stockwerkeigentümer einen unabdingbaren Anspruch darauf, dass die
notwendigen Verwaltungshandlungen durchgeführt und allenfalls durch
den Richter angeordnet werden (MEIER-HAYOZ, N. 72 zu Art. 647 ZGB;
N. 5 zu Art. 647c ZGB). Zu den notwendigen Verwaltungshandlungen
im Sinne von Art. 647 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB gehören alle Unterhalts-,
Wiederherstellungs- und Erneuerungsarbeiten, die für die Erhaltung des
Wertes und der Gebrauchsfähigkeit der Sache nötig sind (Art. 647c ZGB;
Meier-Hayoz, N. 14, 15 zu Art. 647 ZGB; vgl. LIVER, Das Miteigentum,
in Schweizerisches Privatrecht, V/1, Basel 1977, S. 67). Zwar ist der
Anspruch auf Erhaltung des Wertes sowie der Gebrauchsfähigkeit der Sache
für jeden einzelnen Miteigentümer unverzichtbar und gilt in der Lehre
teilweise gar als wohlerworbenes Recht (MEIER-HAYOZ, N. 54 und 56 zu
Art. 647 ZGB); dieses Recht ist aber als solches vorliegend gar nicht
umstritten; der Streit dreht sich vielmehr allein um die Art und den
Umfang der richterlich angeordneten Massnahmen sowie deren zeitliche
Dringlichkeit. Es geht mithin lediglich um Verwaltungstätigkeit, die im
Interesse der Stockwerkeigentümergemeinschaft gestützt auf praktische
Überlegungen und auf Zweckmässigkeit gründenden Anordnungen vom Richter
anstelle der zerstrittenen Mitglieder der Stockwerkeigentümergemeinschaft
hat ausgeübt werden müssen.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 104 II 165;
MEIER-HAYOZ, N. 70 zu Art. 647 ZGB) kann gegen einen Entscheid des
letztinstanzlichen Richters über solche Verwaltungsmassnahmen keine
Berufung erhoben werden, weil darin kein Streit um die Anerkennung oder
Feststellung eines bestrittenen Rechts liegt. Auf die Berufung kann daher
nicht eingetreten werden. Dass die Zuständigkeit des Appellationshofs im
Sinne des Art. 7 Abs. 2 ZPO/BE gerade mit Blick auf die Berufungsfähigkeit
und die Höhe des Streitwerts bejaht worden ist, vermag daran nichts
zu ändern, zumal das Bundesgericht die Eintretensvoraussetzungen
im eidgenössischen Rechtsmittelverfahren unabhängig von kantonalen
Zuständigkeitsvorschriften prüft (vgl. BGE 104 II 165 mit Hinweisen). Im
übrigen fällt auf, dass das angefochtene Urteil selbst - entgegen dem,
was gegenüber eidgenössischen ordentlichen Rechtsmitteln üblich ist -
keine Rechtsmittelbelehrung enthält.