Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 III 64



120 III 64

21. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 31.
August 1994 i.S. S. AG (Rekurs) Regeste

    Art. 77 SchKG. Art. 79 Abs. 1 OG. Art. 65 und Art. 66 Abs. 1 SchKG.

    Die Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung und Konkurs sind nicht
zuständig für die Bewilligung des nachträglichen Rechtsvorschlages (E. 1).

    Eine staatsrechtliche Beschwerde kann nicht ohne äusserliche und
inhaltlich klare Trennung in einer einzigen Eingabe mit einem Rekurs an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts verbunden werden
(E. 2).

    Die Zustellung von Betreibungsurkunden an den Domizilhalter einer
Gesellschaft, die am Ort ihres statutarischen Sitzes kein Geschäftsbüro
hat, ist rechtmässig (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die S. AG, gegen welche die Betreibung Nr. 94476 des
Betreibungsamtes X. eingeleitet worden ist, stellte mit Eingabe vom
15. Juli 1994 beim Kantonsgerichtspräsidium Zug das Begehren um Bewilligung
eines nachträglichen Rechtsvorschlages im Sinne von Art. 77 SchKG.

    Der Rechtsöffnungsrichter beim Kantonsgerichtspräsidium Zug teilte der
Gesuchstellerin mit Schreiben vom 20. Juli 1994 mit, dass er auf das Gesuch
wegen verspäteter Einreichung nicht eintreten könne. Da gleichzeitig
geltend gemacht werde, die Zustellung des Zahlungsbefehls sei auf
unzulässige Weise erfolgt, leite er aber die Akten an die Justizkommission
des Obergerichts als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs
weiter zur Prüfung der Frage, ob die Eingabe als Beschwerde im Sinne von
Art. 17 SchKG behandelt werden könne.

    Mit einer weiteren Eingabe vom 26. Juli 1994 beanstandete die S. AG
auch die Zustellung des Zahlungsbefehls in der Betreibung Nr. 94504 des
Betreibungsamtes X.

    B.- Die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug trat auf
die Beschwerden mit Beschluss vom 29. Juli 1994 nicht ein.

    Diesen Entscheid zog die S. AG mit Rekursschrift vom 16. August 1994 an
die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bun desgerichts weiter. Sie
schrieb: "Wir beantragen, dass der nachträgliche Rechtsvorschlag gemäss
Art. 77 SchKG bewilligt werde, und wir beantragen weiter, dass uns die
Kosten des Verfahrens nicht auferlegt werden."

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts wies den
Rekurs ab, soweit sie darauf eintrat.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Bewilligung für den nachträglichen Rechtsvorschlag wird vom
Richter erteilt (Art. 77 Abs. 2 und 3 SchKG; vgl. AMONN, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Auflage Bern 1993, § 18 N. 28
ff., insbesondere N. 33). Die Aufsichtsbehörden über Schuldbetreibung
und Konkurs, so auch die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts, sind hiefür nicht zuständig.

Erwägung 2

    2.- Ein gesetzwidriger Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs kann binnen zehn Tagen seit dessen
Mitteilung an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
weitergezogen werden (Art. 19 Abs. 1 SchKG; Art. 75 ff. OG). Insofern die
S. AG die Zustellung von Zahlungsbefehlen als unrechtmässig rügt und sie -
wenigstens implizite - die Aufhebung des Beschlusses der Justizkommission
des Obergerichts des Kantons Zug verlangt, ist daher der vorliegende
Rekurs grundsätzlich zulässig.

    Nicht stattzugeben ist indessen dem "weiteren Antrag" der S. AG,
dieselbe Eingabe "auch der für Rechtsverweigerung und Willkür zuständigen
Kammer des Bundesgerichtes zu übergeben", womit offenbar die Entgegennahmen
einer staatsrechtlichen Beschwerde angestrebt wird. Die staatsrechtliche
Beschwerde kann in einer einzigen Eingabe sowenig mit einem Rekurs als
mit einer Berufung verbunden werden, wenn dies - wie im vorliegenden
Fall - ohne äusserlich und inhaltlich klare Trennung geschieht (vgl. BGE
113 III 121 E. 1; 115 II 397 E. 2a; 116 II 93 E. 1; MESSMER/IMBODEN,
Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, Ziff. 24,
S. 30; SPÜHLER, Die Praxis der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1994,
N. 226, S. 82; N. 242a, S. 86).

Erwägung 3

    3.- Mit der Antwort auf die Frage, ob die Zustellung der
Zahlungsbefehle in den Betreibungen Nrn. 94476 und 94504 des
Betreibungsamtes X. rechtmässig erfolgt sei, beantwortet sich im
vorliegenden Fall auch die Frage nach der Rechtzeitigkeit der hiegegen
erhobenen Beschwerden im kantonalen Verfahren.

    a) Die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug ist im
angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass eine Gesellschaft, die am
Ort ihres statutarischen Sitzes kein Geschäftsbüro hat, im Handelsregister
eintragen lassen müsse, bei wem sich an diesem Ort das Domizil befindet
(Art. 43 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 1 lit. f HRegV). Mitteilungen aller Art
seien grundsätzlich an dieses Domizil zu richten (BGE 100 Ib 458 E. 4), da
es gleichsam die Empfangsstelle der juristischen Person sei. Demzufolge
sei eine Zustellung an einen Verwaltungsrat oder einen Prokuristen
der juristischen Person nicht mehr zulässig. Ein Domizilhalter nehme
also gleichsam die Stellung eines Bevollmächtigten ein, wie ihn der am
Betreibungsort nicht anwesende Schuldner bestimmen könne (Art. 66 Abs. 1
SchKG; BGE 69 III 35 f.). Übernehme eine Aktiengesellschaft das Domizil
einer Aktiengesellschaft, so sei eine Betreibungsurkunde einem nach
Art. 65 SchKG zur Entgegennahme berechtigten Vertreter der Domizilhalterin
auszuhändigen (BGE 119 III 57).

    b) In tatsächlicher Hinsicht hat die kantonale Aufsichtsbehörde
festgestellt, dass die Rekurrentin bei der B. AG ein Domizil begründet
hat. Bei der Person von Y., der den Zahlungsbefehl in der Betreibung
Nr. 94476 am 27. Juni 1994 für die S. AG entgegengenommen habe, handle
es sich unbestrittenermassen um ein Mitglied des Verwaltungsrates
der Domizilhalterin der Rekurrentin. In der Betreibung Nr. 94504 sei
der Zahlungsbefehl am 30. Juni 1994 Z., der ebenfalls Mitglied des
Verwaltungsrates der B. AG sei, zugestellt worden.

    Nach den Feststellungen der kantonalen Aufsichtsbehörde ist somit
erwiesen, dass die Zustellung des Zahlungsbefehls in den erwähnten beiden
Betreibungen gesetzeskonform erfolgte. Die Beschwerde vom 15. Juli 1994
gegen die Zustellung des Zahlungsbefehls in der Betreibung Nr. 94476 war
demzufolge ebenso verspätet wie die am 26. Juli 1994 erhobene Beschwerde
gegen die Zustellung des Zahlungsbefehls in der Betreibung Nr. 94504.