Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 III 49



120 III 49

17. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 29.
April 1994 i.S. S. AG (Rekurs) Regeste

    Arrestvollzug. Rechtsmissbrauch, Art. 2 ZGB.

    Es ist rechtsmissbräuchlich, wenn an mehreren Orten für die gleiche
Forderung ein Arrest vollzogen wird und dadurch mehr Vermögenswerte
blockiert werden, als zur Erfüllung der Forderung nötig sind.

    Drittansprachen rechtfertigen es nicht, mehr Vermögen mit Arrest zu
belegen, sondern nur, allenfalls andere Vermögenswerte zu blockieren.

Sachverhalt

    A.- Am 17. Juni 1993 erwirkte die S. AG beim Obergericht des Kantons
Zürich einen Arrestbefehl gegen K. auf dessen Vermögenswerte bei einer
Bank in Zürich für eine Forderung von Fr. 108'391'537.-- nebst Zins.

    B.- Der Arrest wurde am folgenden Tag vom Betreibungsamt bei der
Bank unter Angabe einer Sperrlimite von Fr. 157'200'000.-- vollzogen. Am
21. Juni 1993 teilte die Bank dem Betreibungsamt mit, dass Vermögenswerte
in diesem Umfang vom Arrest erfasst worden seien.

    Eine vom K. gegen den Arrestvollzug gerichtete Beschwerde wurde vom
Bezirksgericht Zürich mit Entscheid vom 21. Dezember 1993 abgewiesen. Auf
Rekurs des K. hin hob das Obergericht des Kantons Zürich als obere
kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs mit Beschluss
vom 15. März 1994 den Arrestbefehl auf.

    C.- Die S. AG gelangt an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Bundesgerichts und verlangt die Aufhebung des obergerichtlichen
Beschlusses.

    Das K. beantragt, den Rekurs abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Obergericht des Kantons Zürich hat den Arrestvollzug als
rechtsmissbräuchlich aufgehoben. In Genf seien für die gleiche Forderung
bei zwei Banken Guthaben bis zum Betrag von je Fr. 223'470'408.--
verarrestiert worden. Damit würden aber die vom Arrest betroffenen
Vermögenswerte den Forderungsbetrag bei weitem übersteigen.

    Die Rekurrentin macht geltend, alle von den Arresten in Zürich und
Genf betroffenen Vermögenswerte seien von X. zu Eigentum angesprochen
worden, so dass es höchst ungewiss sei, ob überhaupt genügend verwertbare
Vermögensrechte des Schuldners vorhanden seien. Indem das Obergericht
diesen Drittansprüchen im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung
beigemessen habe, habe es Bundesrecht verletzt. Zudem seien die in
Genf betroffenen Vermögenswerte - wie schon vor der letzten kantonalen
Instanz geltend gemacht worden sei - nun auch für eine weitere Forderung
im Betrag von Fr. 185'500'000.-- nebst Zins verarrestiert worden, so dass
die Deckung als noch fraglicher erscheine.

    a) In seinem Entscheid vom 24. Februar 1994, in dem über die
Beschwerde von X. gegen den in Genf vollzogenen Arrest befunden worden
ist, hält das Bundesgericht fest, dass es zulässig ist, für die gleiche
Forderung an mehreren Orten Arrestbegehren zu stellen (BGE 88 III 66;
GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, Lausanne 1993,
S. 375). Ein Arrestbefehl ist allerdings nicht zu vollziehen, wenn sich
der Arrest als offensichtlich rechtsmissbräuchlich erweist, weil das
Verhalten des Gläubigers einen krassen Verstoss gegen Treu und Glauben
darstellt (BGE 105 III 19; 107 III 38 E. 4). Ein solcher Verstoss
liegt vor, wenn mit den an verschiedenen Orten erwirkten Arresten viel
mehr Vermögen blockiert wird, als für die Tilgung der geltend gemachten
Forderung nötig ist. Art. 97 Abs. 2 SchKG ist auch beim Arrest anwendbar
(Art. 275 SchKG). Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass der
Arrest kein Vorzugsrecht auf Befriedigung begründet (Art. 281 SchKG).

    Werden vom Arrest betroffene Vermögenswerte von Dritten zu Eigentum
angesprochen, so besteht die Gefahr, dass sie in der nachfolgenden
Betreibung nicht für die Gläubiger verwertet werden können. Aus diesem
Grund sind solche Gegenstände nur in letzter Linie mit Arrest zu belegen
(Art. 95 Abs. 3 in Verb. mit Art. 275 SchKG). Daraus darf allerdings
nicht geschlossen werden, die Sperrlimite für den Arrest sei zu erhöhen,
wenn verarrestierte Vermögensrechte von Dritten angesprochen werden. Die
Drittansprachen mindern die einzelnen Vermögensrechte nämlich nicht
in ihrem Wert. Erweist sich der Drittanspruch als begründet, kann
der entsprechende Gegenstand nicht zur Befriedigung des Gläubigers
herangezogen werden; stellt er sich als unbegründet heraus, dient der
Gegenstand mit seinem ganzen Wert der Befriedigung des Gläubigers. Führen
die Drittansprachen nicht zu einer niedrigeren Bewertung der vom Arrest
beschlagenen Vermögensrechte, vermögen sie keine Verarrestierung
zusätzlicher Gegenstände zu rechtfertigen. Allerdings kann der
Gläubiger geltend machen, gewisse Drittansprachen seien zweifelhafter
als andere. Analog zu Art. 95 Abs. 3 SchKG sind Vermögenswerte, bei
denen die Drittansprachen weniger begründet erscheinen, vor denjenigen
zu blockieren, bei denen sie mit grösserer Wahrscheinlichkeit zum
Erfolg führen werden. Drittansprüche rechtfertigen es mithin nicht,
mehr Vermögen mit Arrest zu belegen, sondern nur, andere Vermögenswerte
zu blockieren. Die Vorinstanz gelangt aber zum Schluss, es bestehe
keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Eigentumsansprachen gegenüber dem
in Zürich blockierten Vermögen weniger stichhaltig seien als gegenüber
den Arrestgegenständen in Genf.

    Der Umstand, dass sowohl in Genf als auch in Zürich Drittansprüche
geltend gemacht worden sind, vermag somit die Aufrechterhaltung des
Arrestes in Zürich nicht zu rechtfertigen.

    b) Das Obergericht hält im angefochtenen Entscheid ausdrücklich fest,
dass eine Überdeckung auch dann bestehe, wenn die in Genf vom Arrest
betroffenen Vermögensrechte nicht nur für die erste, sondern auch für
die zweite Forderung blockiert worden seien. Es hatte für eine Forderung
von rund 108 Millionen Franken einen Arrest mit einer Sperrlimite von
etwa 157 Millionen bewilligt. Rechnet man die zweite Forderung im von
der Rekurrentin geltend gemachten Betrag von 185 Millionen dazu, so
ergibt sich ein gesamter Forderungsbetrag von 293 Millionen Franken. Dem
entspricht bei gleichbleibenden Proportionen eine Sperrlimite von ungefähr
426 Millionen. Die in den beiden Genfer Banken vom Arrest beschlagenen
Vermögensrechte weisen nach den für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen des Obergerichts einen Wert von rund 446 Millionen Franken
auf. Sie genügen damit für beide geltend gemachten Forderungen.

    Aus dem Umstand, dass nach der Genfer Praxis die Sperrlimite
wesentlich höher wäre, kann die Rekurrentin nichts ableiten. Sie müsste
vielmehr dartun, warum die nach der Zürcher Praxis berechnete Sperrlimite
ungenügend sei. Auch das zweite von der Rekurrentin vorgebrachte Argument
erweist sich somit als nicht zutreffend.