Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 III 131



120 III 131

44. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 25. Oktober
1994 i.S. D. (Rekurs) Regeste

    Verwertung von im Prozess liegenden Forderungen (Art. 122, 125,
132 SchKG und Art. 1 Abs. 2 ZGB).

    Im Prozess liegende Forderungen stellen keine Vermögenswerte "anderer
Art" im Sinne von Art. 132 SchKG dar. Sie sind deshalb grundsätzlich
öffentlich zu versteigern, wenn keine Forderungsüberweisung nach Art. 131
SchKG zustande kommt.

    Das SchKG enthält diesbezüglich auch mit Blick auf den möglicherweise
unbefriedigenden Versteigerungserlös solcher Forderungen keine Lücke,
die nach Art. 1 Abs. 2 ZGB vom Gericht gefüllt werden könnte.

Sachverhalt

    A.- In den Betreibungen Nr. 9138/8466 und 10301 des Betreibungsamtes
X. gegen Erich D. wurden Forderungen gegen Jean Z. und die B.-Holding
AG gepfändet. Es handelt sich dabei um bestrittene Forderungen, über die
vor der I. Zivilkammer des Appellationshofes des Kantons Bern ein Prozess
geführt wird.

    B.- Am 21. Juni stellte Erich D. den Antrag, analog Art. 132 SchKG
habe die Aufsichtsbehörde das Verfahren für die Verwertung der gepfändeten
Forderungen zu bestimmen. Die Verwertung sollte dadurch geschehen, dass
der Schuldner verpflichtet werde, den im Prozesses über die gepfändeten
Forderungen erstrittenen Erlös dem Betreibungsamt abzuliefern, soweit
dies zur Befriedigung der Gläubiger nötig sei, das Betreibungsamt über
den weiteren Gang des Prozesses zu unterrichten und ohne Zustimmung dieses
Amtes keinerlei Vergleiche abzuschliessen. Auf Antrag des Betreibungsamtes
X. wies der Gerichtspräsident von X. das Gesuch mit Entscheid vom 20. Juli
1994 ab.

    Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton
Bern wies einen Rekurs von Erich D. mit Entscheid vom 13. September 1994
ab und bestätigte das Urteil des Gerichtspräsidenten von X.

    C.- Erich D. gelangt mit Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts.

    Die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton
Bern hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Weitere Vernehmlassungen sind
keine eingeholt worden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das SchKG kennt als ordentliche Verwertungsart die öffentliche
Versteigerung der Vermögenswerte, weil diese in der Regel am meisten
Gewähr dafür bietet, dass ein objektiver Erlös erzielt werden kann. Diese
Verwertungsart ist im Gesetz ausdrücklich auch für Forderungen vorgesehen
(Art. 122 i.V.m. Art. 125 SchKG; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung
und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, Zürich 1984, § 30,
Rz. 22). Sofern eine Forderung allerdings fällig und unbestritten ist, hat
sie das Betreibungsamt ohne weiteres einzuziehen (Art. 100 SchKG; AMONN,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, Bern 1993, S. 223).

    Neben der öffentlichen Versteigerung sieht das Gesetz ausserordentliche
Verwertungsarten vor. Abgesehen vom Freihandverkauf (Art. 130 SchKG) lässt
das Gesetz, weil der Verkauf bestrittener Forderungen wenig verspricht
(FRITZSCHE/WALDER, § 30 Rz. 22), insbesondere die Forderungsüberweisung zu
(Art. 131 SchKG). Die Forderungsüberweisung kann allerdings nicht gegen
den Willen der Gläubiger erfolgen, auch wenn bei der Übernahme eines
gepfändeten Anspruchs zur Eintreibung (Art. 131 Abs. 2 SchKG) nicht immer
alle Gläubiger zustimmen müssen (BGE 43 III 62 f.; AMONN, S. 232; BBl 1991
III 96). Bei Vermögensbestandteilen anderer Art überlässt es zudem das
Gesetz der Aufsichtsbehörde, die geeignete Verwertungsart zu bestimmen
(Art. 132 SchKG).

    Wie bereits im kantonalen Verfahren verlangt der Rekurrent auch mit
seinem Rekurs an das Bundesgericht, dass die Aufsichtsbehörde eine andere
Verwertungsart als die öffentliche Versteigerung anordnet. Er befürchtet,
dass die im Prozess liegenden Forderungen nur einen im Verhältnis zu ihrem
angeblichen Nominalbetrag kleinen Erlös bringen. Seines Erachtens wäre
es sowohl in seinem eigenen Interesse wie auch in jenem der Gläubiger
angezeigt, ihn die Prozesse weiterführen und das Prozessergebnis dem
Betreibungsamt abliefern zu lassen, soweit es für die Befriedigung der
Gläubiger einschliesslich der Kosten nötig ist.

Erwägung 2

    2.- Wie schon die kantonalen Instanzen festgestellt haben, hätte das
vom Rekurrenten vorgeschlagene Vorgehen den Vorteil, dass die Forderungen
im Rahmen ihres tatsächlichen Bestandes und nicht nur eines allfälligen
Versteigerungserlöses zur Befriedigung der Gläubiger herangezogen
werden könnten und ein Überschuss überdies dem Rekurrenten verbliebe.
Andererseits wäre die Folge, dass die Gläubiger bis zum Abschluss des
Prozesses überhaupt nichts erhielten. Es fragt sich somit, ob ein solches
Vorgehen zulässig und - falls dies zu bejahen ist - mit Blick auf die
beteiligten Interessen nach Ermessen der Aufsichtsbehörde angezeigt ist
(Art. 132 Abs. 3 SchKG).

    Art. 132 Abs. 1 handelt von Vermögensbestandteilen "anderer Art". Diese
werden durch die anschliessenden Beispiele konkretisiert. Dabei handelt
es sich regelmässig um Vermögensrechte, die entweder gar nicht oder nur
in begrenztem Rahmen übertragbar sind. Nach herrschender Lehre gehören
Geldforderungen, auch wenn sie bestritten sind, nicht dazu (JAEGER,
Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, Zürich 1911, N. 1
zu Art. 132 SchKG). Dafür kann sich die Lehre auf die Gesetzessystematik
abstützen, weil die vorstehende Bestimmung (Art. 131 SchKG) in ihrem
ersten Absatz von Geldforderungen, welche keinen Markt- oder Börsenpreis
haben, und in ihrem zweiten Absatz allgemein von "Ansprüchen" handelt,
die zur Eintreibung übernommen werden können. Eine direkte Anwendung von
Art. 132 kommt damit nicht in Frage.

    Dies hat der Rekurrent nicht verkannt. Er macht aber geltend, es liege
eine Gesetzeslücke vor, die im Sinne von Art. 132 SchKG zu füllen sei.

Erwägung 3

    3.- a) Das Gesetz sieht für die Verwertung von Forderungen ein
Verfahren vor, dass unbestrittenermassen vorliegend auch grundsätzlich
möglich ist. Die vom Rekurrenten geltend gemachte Besonderheit des
vorliegenden Falles, dass nämlich über die gepfändete Forderung bereits
ein Prozess hängig sei, weicht nicht derart stark vom Normalfall ab, so
dass von einem im Gesetz nicht geregelten Sachverhalt ausgegangen werden
könnte (vgl. BGE 118 II 140). Als unbefriedigend erscheint, dass eine
Forderung bei der Versteigerung wesentlich weniger einbringt, als bei ihrer
Durchsetzung zu erwarten ist. Diese Gefahr besteht indessen nicht nur bei
im Prozess liegenden sondern bei allen bestrittenen Forderungen. Das Gesetz
sieht aber die Versteigerung gerade für bestrittene Forderungen vor. Auf
unbestrittene und fällige Forderungen findet nämlich nicht Art. 125 sondern
Art. 100 SchKG Anwendung. Zudem kennt das Gesetz selber die Möglichkeit,
die Forderung den Gläubigern zur Eintreibung oder an Zahlungsstatt
zuzuweisen (Art. 131 SchKG). Dadurch wird die Gefahr eines unzureichenden
Verwertungsergebnisses vermieden. Dieses Vorgehen setzt allerdings das
Einverständnis der Gläubiger voraus. Art. 131 SchKG zeigt aber, dass der
Gesetzgeber das Problem gesehen, jedoch eine andere Lösung als die vom
Rekurrenten verlangte verankert hat. Insofern liegt keine echte Lücke vor.

    b) Es fragt sich demgemäss nur, ob eine unechte Lücke gegeben
ist. Darunter wird eine Regelung im Gesetz angesehen, die zwar auf die sich
stellende Rechtsfrage eine Antwort gibt, welche aber derart unbefriedigend
ist, dass angenommen werden muss, es fehle eine Ausnahmebestimmung
(vgl. MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, 1962, N. 271 zu Art. 1 ZGB). Es fehlt
nicht eine Regelung, sondern die vom Gesetz vorgesehene soll korrigiert
werden. Damit wird aber der Rahmen von Art. 1 Abs. 2 ZGB gesprengt. Das
Gericht ist nicht Gesetzgeber. Es ist zur Lückenfüllung nur berechtigt,
wenn das Gesetz auf eine Frage schweigt, die sich tatsächlich stellt
(BGE 117 III 3 E. 2b). Entsprechend verbindet die Lehre den Begriff der
unechten Lücke mit Art. 2 Abs. 2 ZGB (DESCHENAUX, Der Einleitungstitel,
SPR Bd II, Basel und Stuttgart 1967, S. 100; MEIER-HAYOZ, N. 295 zu
Art. 1 ZGB; MERZ, Berner Kommentar, 1962, N. 25 zu Art. 2 ZGB). Nur wenn
die Anwendung der im Gesetz vorgesehenen Norm einen offensichtlichen
Rechtsmissbrauch darstellte, kann das Gericht von ihr abweichen. Eine
Lückenfüllung ausserhalb des von Art. 2 ZGB gesteckten Rahmens ist
grundsätzlich unzulässig (MEIER-HAYOZ, N. 302 ff. zu Art. 1 ZGB).

    c) Vorliegend sind die Voraussetzungen von Art. 2 ZGB indessen nicht
gegeben. Dass die Gläubiger kein Vorgehen nach Art. 131 SchKG beantragt
haben, ist ihr gutes Recht, müssten sie doch diesfalls ein erhebliches
Kostenrisiko eingehen. Überdies erhielten sie vorerst gar nichts, sondern
müssten den Prozessausgang abwarten. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte
dafür, dass ihr Entscheid in irgend einer Weise rechtsmissbräuchlich wäre.

    Die Vorinstanz hat es deshalb zu Recht abgelehnt, in analoger Anwendung
von Art. 132 SchKG besondere Anordnungen für die Verwertung zu treffen,
und der Rekurs ist abzuweisen.