Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 64



120 Ib 64

11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 4.
Februar 1994 i.S. X. gegen Gemeinde Küttigen und Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Informationsfreiheit; Art. 52 f. BG über Radio- und Fernsehen vom
21. Juni 1991 (RTVG; SR 784.40); Verbot von Dachantennen.

    Kommunales Baurecht genügt als gesetzliche Grundlage für die
Einschränkung der Informationsfreiheit. Verfassungskonforme Auslegung von §
66 der Bauordnung von Küttigen (E. 4).

    Voraussetzungen, unter denen ein Ortsbild als "bedeutend" im Sinne
von Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG gilt. Das Ortsbild der Dorfkernzone von
Küttigen erfüllt diese Anforderungen jedenfalls in dem Teil, in welchem
der Beschwerdeführer wohnt (E. 5).

    Mit dem Anschluss an ein Kabelnetz, das den Empfang von heute 21
Fernsehprogrammen gewährleistet, ist die von Art. 53 Abs. 1 lit. b
RTVG als unabdingbare Voraussetzung für ein Antennenverbot geforderte
Grundversorgung gewährleistet (E. 6).

Sachverhalt

    A.- X. ist Eigentümer eines Wohnhauses an der Alten Staffeleggstrasse
in Küttigen. Das Haus liegt nach dem Zonenplan vom 11. Dezember 1981
in der Dorfkernzone gemäss § 44 der Bauordnung vom 11. Dezember 1981
(genehmigt vom Grossen Rat am 26. Februar 1982; BO), der Garten in der
Dorfzone gemäss § 43 BO.

    Am 18. Dezember 1989 stellte der Gemeinderat von Küttigen auf dem
Dachfirst des Wohnhauses von X. eine nicht bewilligte Parabolantenne
fest. Nachdem er diesem Gelegenheit gegeben hatte, sich zur Sache zu
äussern, verfügte der Gemeinderat am 23. Januar 1990 den Abbruch der
Antenne und büsste X. mit 300 Franken.

    Dagegen erhob X. Beschwerde ans Baudepartement des Kantons Aargau,
welches am 27. September 1990 einen Augenschein durchführte. An diesem
wurde vereinbart, dass X. ein Baugesuch für eine Parabolantenne auf der
Südseite des Daches einreichen sollte. Das Verfahren wurde daraufhin
sistiert. Am 26. Februar 1991 wies der Gemeinderat das neu eingereichte
Baugesuch für eine solche in der Farbe des Daches braun lackierte Antenne,
welche den Dachfirst nicht übersteigen würde, ab. Zur Begründung führte
er an, das Wohnhaus befinde sich in der Dorfkernzone, in welcher nach §
66 BO Aussenantennen generell ausgeschlossen seien. Das Baudepartement nahm
in der Folge das Verfahren wieder auf. Es wies die Beschwerde am 13. Juni
1991 ab und verfügte den Abbruch der Parabolantenne innert 30 Tagen.

    Diesen Entscheid fochten X. und Y., dessen Firma Z. AG die in Frage
stehende Satellitenempfangsanlage hergestellt und montiert hatte, beim
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau an. Dieses wies die Beschwerde des
ersteren am 16. Juni 1992 ab und trat auf diejenige des letzteren mangels
Legitimation nicht ein.

    Dagegen gelangt X. mit Eingaben vom 28. Januar 1993 sowohl mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung verschiedener von EMRK,
Bundesverfassung und Kantonsverfassung garantierter Individualrechte als
auch mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 52 und
53 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen vom 21. Juni 1991 (RTVG;
SR 784.40) ans Bundesgericht.

    Baudepartement, Gemeinderat und das Verwaltungsgericht beantragen, die
Beschwerden abzuweisen. Das EVED äusserte sich am 10. Mai 1993 im Rahmen
des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens zur Auslegung von Art. 53
RTVG im allgemeinen, verzichtet jedoch mangels eigener örtlicher Kenntnisse
auf einen Antrag. Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche
Beschwerde nicht ein und weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Ein Eingriff in die verfassungsrechtlich als Bestandteil der
Informationsfreiheit geschützte Empfangsfreiheit ist zulässig, wenn er
auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen
Interesse liegt und verhältnismässig ist.

    b) Der angefochtene Entscheid wendet § 66 BO an, welcher wie folgt
lautet: "Aussenantennen sind nicht gestattet. Bestehende Anlagen dürfen
nicht erneuert werden." Diese Bestimmung widerspricht offensichtlich
Art. 53 RTVG, der das Verbot von Aussenantennen nur noch für bestimmte
Gebiete zulässt und ist insofern überholt. Der Gemeinderat ist sich
dessen bewusst und will § 66 BO nur noch auf Dachantennen innerhalb der
Dorfkernzone anwenden. Diese erstreckt sich auf einer Länge von rund 500
m entlang der Hauptstrasse und weist je eine Gebäudetiefe auf, ist somit
durchaus ein "bestimmtes" Gebiet im Sinne des Bundesrechts.

    Im Entwurf für eine neue Bauordnung der Gemeinde ist die Bestimmung
nicht mehr enthalten; es wird nur noch verlangt, dass sich Aussenantennen
einwandfrei in das Orts- und Landschaftsbild einzupassen haben (§ 64
Entwurf BO, Fassung Kant. Vorprüfung vom Februar 1993).

    Es ist nicht zu beanstanden, dass die kantonalen Behörden den mit
übergeordnetem Recht in Widerspruch geratenen § 66 BO bis zu dessen
Revision einschränkend und verfassungskonform (Art. 2 ÜbBest. BV)
auslegen. Zwar ist es unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit
nicht unproblematisch, das nach dem Wortlaut der Bestimmung für das ganze
Gemeindegebiet geltende Verbot von Aussenantennen nur noch auf Teile davon
(die Dorfkernzone) und dort nur noch auf Dachantennen anzuwenden. Das
muss jedoch zumindest für die Übergangszeit bis zur Revision der BO - sie
befindet sich bereits in der kantonalen Vorprüfung - hingenommen werden,
weil sonst die Gemeinde bis dahin keinerlei Handhabe mehr hätte, die
Errichtung von Aussenantennen zu ordnen und gegebenenfalls zu verhindern,
auch dort nicht, wo das zum Schutz eines bedeutenden Ortsbildes notwendig
wäre. § 66 BO bildet somit, im Lichte von Art. 53 RTVG ausgelegt, eine
genügende gesetzliche Grundlage für ein Antennenverbot.

Erwägung 5

    5.- a) Für die Interessenabwägung und die Prüfung der
Verhältnismässigkeit im Anwendungsfall hat der Bundesgesetzgeber
in Art. 53 RTVG bereits eine Wertung vorgenommen. Danach wird dem
Grundrecht auf möglichst unbehinderten Zugang zu allen frei verfügbaren
Informationsquellen hohe Priorität eingeräumt; die aus raumplanerischen
Gründen erwünschten Verbote von Aussenantennen - diese können das Orts-
und Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen - fallen nur noch unter
den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 53 RTVG in Betracht.

    Gemäss Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG sind Antennenverbote nur zum Schutz
bedeutender Ortsbilder zulässig. Aus den Materialien geht hervor, dass
der Gesetzgeber damit ausdrücklich an die Formulierung von Art. 17 Abs. 1
lit. c RPG anknüpfen wollte; der Versuch des Ständerates, "bedeutend"
zu streichen, wurde vom Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren
bewusst verhindert (Amtl.Bull. Nationalrat 1991 S. 344).

    b) Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers wurde Küttigen ins
Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz aufgenommen und als
Ortsbild von regionaler Bedeutung eingestuft (hrsg. vom EDI, Bern 1988,
Kanton Aargau Bd. 1 S. 20; ISOS). Richtig ist nur, dass Küttigen im
Bundesinventar nicht dokumentiert ist, weil sich diese Dokumentation
auf die Ortsbilder von nationaler Bedeutung beschränkt. Dementsprechend
ist Küttigen im Anhang zur Verordnung über das Bundesinventar der
schützenswerten Ortsbilder der Schweiz vom 9. September 1981 (SR 451.12)
ebenfalls nicht enthalten (Art. 5 des Bundesgesetzes über den Natur-
und Heimatschutz vom 1. Juli 1966, SR 451; NHG).

    Daraus folgt jedoch entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers noch
keineswegs, dass das Ortsbild von Küttigen nicht bedeutend ist im Sinne
von Art. 17 Abs. 1 lit. c RPG bzw. Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG. Der Natur-
und Heimatschutz ist in erster Linie Sache der Kantone (Art. 24sexies
Abs. 1 BV), und ihnen obliegt es gemäss Art. 17 RPG auch in erster Linie,
die für den Schutz bedeutender Ortsbilder erforderlichen Massnahmen zu
treffen. Nach § 16 des Dekretes über den Schutz von Kulturdenkmälern
vom 14. Oktober 1975 ist der Ortsbildschutz im Kanton Aargau Sache der
Gemeinden; es liegt somit zunächst an ihnen, ihr Ortsbild zu beurteilen
und die erforderlichen Schutzmassnahmen zu treffen.

    c) Nach § 44 Abs. 1 BO bildet die Dorfkernzone "das eigentliche
Dorf Küttigen und wird in ihrem Gesamtbild als schützenswürdiger
Ortsteil bezeichnet". Nach dem Grundplan (GP) des ISOS befindet
sich die Liegenschaft des Beschwerdeführers im südöstlichen Teil der
"Bebauung Trottegass", welche als Bebauung mit gewissen räumlichen
und architekturhistorischen Qualitäten von insgesamt besonderer
Bedeutung ausgeschieden ist, deren Substanz zu erhalten ist (Plan L:
Zone G.3). Dem Ortsbild attestiert das Inventar (Plan O) gewisse Lage-,
räumliche und architekturhistorische Qualitäten. Im Inventar werden
zudem die räumlichen Qualitäten besonders hervorgehoben: "Gewisse
räumliche Qualitäten durch den zusammenhängenden Strassenraum entlang
der Durchgangsstrasse mit differenzierter Begrenzung durch die leichte
Staffelung der Bauten. Ausgeprägte ländliche Raumbildungen in den
seitlichen Bebauungsästen durch das ausgewogene Zusammenwirken von locker
aufgereihten Altbauten und intakten Zwischenbereichen mit Ziergärten
und Vorplätzen."

    d) Die Fotodokumentation (ISOS Plan F, Nrn. 17, 28) bestätigt diese
räumliche Qualität, jedenfalls für den südöstlichen Teil der Bebauung
Trottegass in unmittelbarer Nähe von zwei als Einzelobjekten geschützten
Gebäuden an der Verzweigung der neuen Staffeleggstrasse (ehemaligen
Zollhaus, Nr. 27, und Gasthof "zum Kreuz", Nr. 30; Plan L: Objekte
E.1.0.3-4). Dieser Ortsteil verfügt zudem über architektonische Qualitäten,
sind doch im Zonenplan sowohl die Liegenschaft des Beschwerdeführers, als
auch die daran anstossenden übrigen Gebäude im Strassenknie Benkenstrasse
- Alte Staffeleggstrasse als schützenswerte Häuser bezeichnet. Der
Beschwerdeführer nennt keine Anhaltspunkte, welche die Einstufung dieses
Gebiets als Ortsbild von regionaler Bedeutung durch das ISOS in Frage
stellen würden. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass
Gemeinde und Vorinstanz diesen Teil des Ortsbilds als bedeutend im Sinn von
Art. 17 Abs. 1 lit. c RPG bzw. Art. 53 Abs. 1 lit. a RTVG betrachten. Ob
das für die gesamte Dorfkernzone gleichermassen gilt, braucht hier
nicht entschieden zu werden. Das ISOS stuft ihre Erhaltenswürdigkeit
südlich der Verzweigung Staffeleggstrasse-Trottengasse weniger hoch ein,
während andere Gebiete, etwa die Bebauung Vorstadt oder der Mühlebezirk,
als bedeutende Ortsbilder ebenfalls in Betracht kämen.

    Die Liegenschaft des Beschwerdeführers befindet sich demzufolge
innerhalb eines bedeutenden Ortsbildes, und es steht ausser Frage,
dass dieses gerade im aus verschiedenen Richtungen von den Höhen her
einsehbaren Küttigen durch Parabol-Dachantennen beeinträchtigt würde. Das
Antennenverbot liegt daher im öffentlichen Interesse (Art. 53 Abs. 1
lit. a RTVG).

Erwägung 6

    6.- Der Beschwerdeführer kann über das Kabelnetz von Küttigen heute 21
Programme empfangen. Die von Art. 53 Abs. 1 lit. b RTVG als unabdingbare
Voraussetzung für ein Antennenverbot statuierte Grundversorgung ist damit
gewährleistet (vgl. Art. 42 RTVG und die Botschaft dazu in BBl 1987 III
742 f.). Ein besonders qualifiziertes Interesse am Empfang zusätzlicher
Programme (Art. 53 Abs. 2 RTVG) vermag der Beschwerdeführer nicht
nachzuweisen. Selbst wenn er ein solches geltend machen würde, bliebe ihm
ohnehin die Möglichkeit, ein Baugesuch für eine Antennenanlage unterhalb
des Daches an der Fassade oder auf einem Balkon zu stellen, wo sie nach
den Ausführungen des Verwaltungsgerichts grundsätzlich bewilligungsfähig
wäre. Oder er könnte die Antenne in seinem Garten aufstellen, der in
der Dorfzone liegt, auf die § 66 BO nicht mehr angewendet wird. Das
Verwaltungsgericht hält dazu fest, dass das technisch ohne nennenswerte
Empfangseinbusse möglich ist. Diese Sachverhaltsfeststellung ist nicht
offensichtlich unrichtig und daher für das Bundesgericht verbindlich
(Art. 105 Abs. 2 OG).

    Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das angefochtene
Antennenverbot auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht und
von Art. 53 RTVG anerkannte öffentliche Interessen verfolgt, welche die
entgegenstehenden Privatinteressen des Beschwerdeführers überwiegen. Es
trifft ihn nicht unverhältnismässig, da er über das Kabel 21 Programme
empfangen kann und ihm nicht untersagt ist, an einem anderen (vielleicht
etwas weniger idealen) Standort eine Parabolantenne aufzustellen.