Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 54



120 Ib 54

9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 29. April
1994 i.S. S. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 17 SVG, Art. 68 StGB; analoge Anwendung von Art. 68 Ziff. 2 StGB
auf den Führerausweisentzug.

    Wurde wegen eines Verkehrsdelikts der Führerausweis rechtskräftig
entzogen, so darf die dafür ausgesprochene Entzugsdauer nicht mehr
geändert werden, wenn in analoger Anwendung von Art. 68 Ziff. 2 StGB für
ein vor dieser Verfügung begangenes Verkehrsdelikt eine Zusatzmassnahme
ausgesprochen werden muss; Grundsätze für die Bemessung der zusätzlichen
Dauer des Führerausweisentzuges.

Sachverhalt

    A.- Am 7. September 1991, um ca. 00.45 Uhr, verliess S. die Bar
des Hotels Tivoli in Schlieren, in welcher er alkoholische Getränke
konsumiert hatte. Er stieg in seinen auf dem Hotelparkplatz abgestellten
Personenwagen und lenkte diesen rückwärts, Richtung Bäckerstrasse. Dabei
kollidierte er mit einem dort parkierten Kleinbus; es entstand Sachschaden.
Nachdem S. ausgestiegen war, stellten Augenzeugen fest, dass er stark nach
Alkohol roch und Gehschwierigkeiten hatte. Obwohl er von den Augenzeugen
aufgefordert wurde, nicht weiterzufahren, begab er sich zu seinem Fahrzeug
und fuhr davon, ohne das Eintreffen der inzwischen verständigten Polizei
abzuwarten. S. stand zudem unter Einfluss des Schmerzmittels Ponstan,
was sich, insbesondere im Zusammenwirken mit dem genossenen Alkohol,
auf seine Fahrfähigkeit ausgewirkt hat.

    Die Polizeidirektion Zürich teilte S. mit Schreiben vom 2. Oktober 1991
mit, dass nach Vorliegen eines rechtskräftigen Strafentscheides geprüft
werde, ob bezüglich des Vorfalls vom 7. September 1991 die gesetzlichen
Voraussetzungen für das Anordnen einer Administrativmassnahme gegeben
seien.

    Am 18. November 1991, um 23.30 Uhr, lenkte S. seinen Personenwagen auf
der Wasserwerkstrasse in Zürich stadteinwärts. Unter der Kornhausbrücke
befand sich eine Verkehrskontrolle der Stadtpolizei. Als S. diese sah,
wendete er sein Fahrzeug und fuhr davon. Eine Polizeipatrouille nahm seine
Verfolgung auf und konnte ihn schliesslich auf der Höhe des Dammweges
anhalten. Eine angeordnete Blutprobe ergab einen Wert von mindestens
1,57 Gewichtspromille Alkohol im Blut. Zudem wurde festgestellt, dass am
Fahrzeug das vordere Kontrollschild fehlte.

    Wegen des zweiten Vorfalls entzog die Polizeidirektion S. mit
Verfügung vom 8. Januar 1992, die in der Folge in Rechtskraft erwuchs,
den Führerausweis für die Dauer von vier Monaten, wobei sie festhielt,
die administrative Erledigung des Vorfalls vom 7. September 1991 bleibe
vorbehalten.

    B.- Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
vom 12. Januar 1993 wurde S. wegen der Vorfälle vom 7. September und
18. November 1991 mit drei Monaten Gefängnis, bedingt aufgeschoben während
drei Jahren, und einer Busse von Fr. 1'500.-- bestraft.

    C.- Die Polizeidirektion Zürich verfügte am 15. April 1993 in
analoger Anwendung von Art. 68 StGB für den Vorfall vom 7. September
einen Führerausweisentzug von 14 Monaten, zusätzlich zu dem am 8. Januar
1992 für den Vorfall vom 18. November 1991 verhängten und vollzogenen
viermonatigen Entzug.

    Der Regierungsrat des Kantons Zürich wies den dagegen erhobenen Rekurs
von S. mit Entscheid vom 24. November 1993 ab.

    D.- Dagegen erhebt S. eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
mit der er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben, und
es sei auf die von der Polizeidirektion angeordnete Zusatzmassnahme zu
verzichten. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung
zu verleihen.

    Die Direktion der Justiz des Kantons Zürich beantragt in ihrer
Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesamt für Polizeiwesen beantragt, der angefochtene Entscheid
sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen, da kein Rückfall nach Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG vorliege
und die Entzugsdauer deshalb als unverhältnismässig erscheine.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Dauer des zusätzlich
ausgesprochenen Entzugs, da der Vorfall vom 7. September 1991, für den die
Zusatzmassnahme ausgesprochen wurde, als weniger schwer zu gewichten sei
als jener vom 18. November 1991, wofür ihm der Ausweis für vier Monate
entzogen worden sei. Es stelle eine Verletzung von Art. 30 Abs. 2 VZV
(SR 741.51) und einen Ermessensmissbrauch dar, dafür einen Entzug von
14 Monaten Dauer auszusprechen. Da er sich seit dem erfolgten Entzug
nichts mehr habe zuschulden kommen lassen, bleibe für eine nochmalige
administrative Massnahme im Sinne eines Warnungsentzugs kein Raum.

    b) Die Vorinstanz ging mit dem Strafrichter von einem nicht mehr
leichten Verschulden des Beschwerdeführers aus. Am 7. September 1991 habe
er sich vorsätzlich einer Blutprobe entzogen und auf seiner Heimfahrt
in nichtfahrfähigem Zustand ein Motorfahrzeug gelenkt. Trotz hängigen
Straf- und Administrativverfahrens habe er sich kurze Zeit später eines
gleichgelagerten Delikts schuldig gemacht und mit einem Blutalkoholgehalt
von 1,57 Gewichtspromille sich selber und die andern Verkehrsteilnehmer
erheblich gefährdet. Da zudem sein automobilistischer Leumund leicht
getrübt sei, sei auch unter Berücksichtigung der beruflichen Notwendigkeit
des Führerausweises für den Beschwerdeführer eine Gesamtentzugsdauer von
18 Monaten für die beiden Vorfälle angemessen.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 17 Abs. 1 lit. b SVG (SR 741.01) beträgt die Dauer
des Führerausweisentzugs mindestens zwei Monate, wenn der Führer in
angetrunkenem Zustand gefahren ist; im übrigen ist sie nach den Umständen
festzusetzen, wobei ihre Bestimmung Sache der kantonalen Behörde ist, die
in dieser Beziehung über einen weiten Spielraum des Ermessens verfügt. Bei
einem Warnungsentzug sind die Schwere des Verschuldens, der Leumund des
Motorfahrzeugführers sowie die berufliche Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug
zu führen, zu berücksichtigen (Art. 33 Abs. 2 VZV; BGE 105 Ib 205 E. 2a).

    Bei Verwirklichung mehrerer Entzugsgründe durch eine Handlung ist
nach der Rechtsprechung Art. 68 StGB sinngemäss anzuwenden; dasselbe
gilt für den Fall, wo durch mehrere Handlungen mehrere Entzugsgründe
gesetzt werden bzw. die zu beurteilenden Handlungen noch vor Erlass einer
früheren Entzugsverfügung begangen wurden (BGE 113 Ib 53 E. 3, 108 Ib 258
E. 2a). Hat die Behörde eine Handlung zu beurteilen, die vor Erlass einer
früheren Administrativmassnahme begangen wurde, so ist in Anwendung von
Art. 68 Ziff. 2 StGB eine Zusatzmassnahme dafür auszusprechen; der Täter
soll durch die Aufteilung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren nicht
benachteiligt und soweit als möglich auch nicht besser gestellt werden
(BGE 116 IV 14 E. 2a, 109 IV 90 E. 2b, 69 IV 54 E. 2).

    b) Gegen diese beim Führerausweisentzug zu Warnungszwecken analog
anwendbaren Grundsätze des Bundesrechts verstiess die Vorinstanz, indem
sie offenliess, "welche Massnahmedauer für jeden einzelnen Vorfall
festzusetzen wäre" und die Entzugsdauer für beide Vorfälle zusammen
festlegte, um dann die bereits verfügte Entzugsdauer davon in Abzug zu
bringen. Sie setzte so eine Gesamt- anstelle einer Zusatzmassnahme fest
(vgl. zu dieser Unterscheidung BGE 116 IV 14 E. 2a). Dadurch wurde der
zweite, bereits beurteilte Vorfall wieder aufgegriffen, was gegen die
Rechtskraft des ergangenen Urteils verstösst (BGE 80 IV 223 E. 1 S. 224;
TRECHSEL, Kurzkommentar Strafgesetzbuch, Zürich 1989, N. 25 zu Art. 68).

    In analoger Anwendung von Art. 68 Ziff. 2 StGB ist folgendermassen zu
verfahren: Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mit der Tat
vom 18. November 1991 eine Entzugsdauer von vier Monaten verwirkt hat,
an der wegen der Rechtskraft der entsprechenden Verfügung - soweit es
um die Betrachtung des Vorfalls vom 18. November 1991 für sich allein
geht - nichts geändert werden darf. Sodann ist für den ersten Vorfall
vom 7. September 1991 für sich allein festzulegen, welche Entzugsdauer
als angemessen zu betrachten ist. Erweist sich der bereits beurteilte
Vorfall, der zu einer Entzugsdauer von vier Monaten führte, als der
schwerste, ist gemäss Art. 68 Ziff. 1 StGB zu bestimmen, welche Erhöhung
der Entzugsdauer von vier Monaten dem Vorfall vom 7. September 1991
gerecht wird; das ergibt die angemessene Dauer der Zusatzmassnahme. Nur
so ist sichergestellt, dass der Beschwerdeführer in analoger Anwendung
der Vorschrift von Art. 68 Ziff. 2 StGB nicht strenger angefasst wird,
als wenn beide Vorfälle gleichzeitig beurteilt worden wären. Ist die
für den Vorfall vom 7. September 1991 in Betracht fallende Massnahme die
strengste, gilt das gleiche mutatis mutandis, d.h. es ist zu prüfen,
um wieviel kürzer die Entzugsdauer für das Delikt vom 18. November
1991 in Anwendung von Art. 68 Ziff. 1 StGB ausgefallen wäre, und diese
Differenz ist von der für den Vorfall vom 7. September 1991 für sich
allein in Betracht zu ziehenden Entzugsdauer in Abzug zu bringen, um die
zu verhängende Zusatzentzugsdauer zu erhalten.

    Dass der Beschwerdeführer "aus dem ersten Vorfall trotz hängigem
Straf- und Administrativverfahren keine Lehren gezogen, sondern sich
keine drei Monate später erneut eines gleichgelagerten Delikts schuldig
gemacht hat", war bei der Beurteilung des Vorfalls vom 18. November 1991
zu berücksichtigen und ist mit der Entzugsverfügung für die Dauer von
vier Monaten, an welche die Vorinstanz heute nach dem Gesagten gebunden
ist, als abgegolten anzusehen. Das gleiche gilt für den Umstand, dass
der Beschwerdeführer am 18. November 1991 mit seiner Fahrt bei einem
Blutalkoholgehalt von 1,57 Gewichtspromille sich selber und die andern
Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdet hat.