Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 48



120 Ib 48

8. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
22. April 1994 i.S. Bundesamt für Raumplanung gegen X., Regierungsrat
und Obergericht des Kantons Schaffhausen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 16, 24 und 33 RPG; Vorentscheid für ein ausschreibungspflichtiges
Bauvorhaben ausserhalb der Bauzone.

    Ein Vorentscheid über die grundsätzliche Bewilligungsfähigkeit
einer landwirtschaftlichen Siedlung in der Landwirtschaftszone, der ohne
Ausschreibung ergangen ist, verletzt Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG (E. 2).

Sachverhalt

    A.- X. führt in der Gemeinde Wilchingen einen Bauernbetrieb.
Die dazu gehörenden Gebäulichkeiten befinden sich in Unterneuhaus
zwischen der Bahnlinie der Deutschen Bahn und der Hauptstrasse
Schaffhausen-Waldshut. Das Grundstück weist eine schmale, langgezogene
Form auf. Nach dem geltenden Zonenplan gehört es der Landwirtschaftszone
an. Da X. den bisherigen Standort der Gebäude als ungünstig ansieht,
beabsichtigt er eine Verlegung des Betriebs auf eine ihm gehörende Parzelle
mit dem Flurnamen "Antlagen". Dieses ebenfalls der Landwirtschaftszone
angehörende Grundstück liegt im unbesiedelten Gebiet, etwa einen Kilometer
vom Ortsteil Unterneuhaus entfernt.

    Y., der Vater des heutigen Eigentümers X., ersuchte am 14. Juli 1989
um einen baurechtlichen Vorentscheid für die Errichtung eines Wohnhauses
mit Altenteil sowie eines Mastviehstalls und der erforderlichen Räume für
Maschinen und Futter auf der Parzelle "Antlagen". Das Baudepartement des
Kantons Schaffhausen wies das Gesuch am 19. Dezember 1989 ab. Auf ein
Wiedererwägungsgesuch trat es am 16. März 1990 nicht ein. Einen gegen
den ersten Entscheid erhobenen Rekurs wies der Regierungsrat des Kantons
Schaffhausen am 26. November 1991 ebenfalls ab. Y. focht diesen Entscheid
mit Beschwerde beim Obergericht des Kantons Schaffhausen an. Dieses hiess
sein Rechtsmittel nach Durchführung eines Augenscheins am 11. Juni 1993
gut, soweit es darauf eintrat, und es stellte fest, dass auf der Parzelle
"Antlagen" eine landwirtschaftliche Siedlung, bestehend aus den notwendigen
Ökonomiegebäuden und einem Wohnhaus, grundsätzlich erstellt werden dürfe.

    Das Bundesamt für Raumplanung hat gegen den Entscheid des Obergerichts
vom 11. Juni 1993 eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht
eingereicht. Es beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids
und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Nach Auffassung des
Bundesamtes verletzt der angefochtene Entscheid Art. 16, 22 und 24 des
Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700).

    X., der während des obergerichtlichen Verfahrens anstelle seines
Vaters in den Prozess eingetreten ist, stellt den Antrag auf Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Im angefochtenen Entscheid wird festgestellt, dass X.
grundsätzlich auf der Parzelle "Antlagen" in Wilchingen ausserhalb der
Bauzone eine landwirtschaftliche Siedlung mit Wohn- und Ökonomiegebäuden
erstellen dürfe.

    a) Nach Art. 34 Abs. 1 RPG kann gegen Entscheide letzter
kantonaler Instanzen über Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht ergriffen werden. Mit
diesem Rechtsmittel anfechtbar sind dabei nicht nur letztinstanzliche
kantonale Entscheide, mit denen eine Bewilligung nach Art. 24 RPG erteilt
wird, sondern auch Entscheide, mit denen eine solche Bewilligung verweigert
wird. Weiter unterliegen der Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch jene
Entscheide über Bauten und Anlagen, die einer Ausnahmebewilligung bedürften
und bei deren Beurteilung Art. 24 RPG zu Unrecht nicht angewendet wurde
(BGE 118 Ib 381 E. 2b/cc S. 392; 118 Ib 335 E. 1a S. 337 f.; 115 Ib 400
E. 2 S. 402; 114 Ib 131 E. 2 S. 132 f.).

    Das Obergericht hat vorliegend einen Vorentscheid über die
grundsätzliche Bewilligungsfähigkeit der vorgesehenen landwirtschaftlichen
Siedlung auf Parzelle "Antlagen" gestützt auf Art. 16 und 22 RPG
getroffen. Das Bundesamt für Raumplanung macht in seiner Beschwerde
geltend, das Obergericht habe dem Begriff der Zonenkonformität nach
Art. 16 RPG eine zu weit gehende Bedeutung beigemessen und zu Unrecht
Art. 24 RPG nicht angewendet. Nach der angeführten Rechtsprechung kann
diese Rüge mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben werden.

    b) Der Vorentscheid des Obergerichts über die grundsätzliche
Bewilligungsfähigkeit der geplanten landwirtschaftlichen Siedlung ist
ein kantonal letztinstanzlicher feststellender Teilentscheid, der mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden kann (vgl. BGE 107 Ib
341 E. 1 S. 343).

    c) Das Bundesamt für Raumplanung ist nach Art. 103 lit. b OG in
Verbindung mit Art. 27 Abs. 3 der Verordnung über die Raumplanung vom
2. Oktober 1989 (RPV; SR 700.1) befugt, gestützt auf Art. 34 Abs. 1 RPG
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht zu erheben (vgl. auch
BGE 118 Ib 335 E. 1b S. 338).

    d) Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt. Auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die vom Obergericht getroffene Feststellung, es könne auf der
Parzelle "Antlagen" grundsätzlich eine landwirtschaftliche Siedlung gebaut
werden, stellt eine auf das eidgenössische Raumplanungsgesetz gestützte
Verfügung dar.

    a) Nach Art. 33 Abs. 2 RPG muss das kantonale Recht mindestens
ein Rechtsmittel gegen Verfügungen und Nutzungspläne, welche sich
auf das Raumplanungsgesetz und seine kantonalen und eidgenössischen
Ausführungsbestimmungen stützen, vorsehen. Dabei muss die Legitimation
mindestens im gleichen Umfang wie für die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht und die volle Überprüfungsbefugnis durch eine
Beschwerdebehörde gewährleistet sein (Art. 33 Abs. 3 RPG; vgl. BGE 118
Ib 26 E. 4b S. 29 ff.).

    Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Erhebung einer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde befugt, wer durch die angefochtene
Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
oder Änderung hat. Dieses Interesse kann rechtlicher oder auch bloss
tatsächlicher Natur sein und braucht mit dem Interesse, das durch die
vom Beschwerdeführer als verletzt bezeichneten Normen geschützt wird,
nicht übereinzustimmen. Immerhin wird verlangt, dass der Beschwerdeführer
durch den angefochtenen Entscheid stärker als jedermann betroffen ist
und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache
steht. Ein schutzwürdiges Interesse liegt vor, wenn die tatsächliche oder
rechtliche Situation des Beschwerdeführers durch den Ausgang des Verfahrens
beeinflusst werden kann. Diese Anforderungen sollen die Popularbeschwerde
ausschliessen. Ihnen kommen deshalb dann eine ganz besondere Bedeutung
zu, wenn nicht der Verfügungsadressat im materiellen Sinn, sondern
ein Dritter den Entscheid anficht. Ist auch in einem solchen Fall ein
unmittelbares Berührtsein, eine spezifische Beziehungsnähe gegeben, so
hat der Beschwerdeführer ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse daran,
dass der angefochtene Entscheid aufgehoben oder geändert wird. Dieses
Interesse besteht im praktischen Nutzen, den die erfolgreiche Beschwerde
dem Beschwerdeführer eintragen würde, das heisst in der Abwendung eines
materiellen oder ideellen Nachteils, den der angefochtene Entscheid für
ihn zur Folge hätte (BGE 119 Ib 179 E. 1c S. 183 f.; 118 Ib 614 E. 1b
S. 615 f.; 116 Ib 321 E. 2a S. 323 f.).

    Neben dieser allgemeinen Regelung sind gestützt auf Art. 103 lit. c
OG in Verbindung mit Art. 2 und 12 des Bundesgesetzes über den Natur- und
Heimatschutz vom 1. Juli 1966 (NHG; SR 451) auch die gesamtschweizerischen
ideellen Vereinigungen des Natur- und Heimatschutzes legitimiert, mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine Verletzung von Art. 24 RPG geltend zu
machen (BGE 119 Ib 222 E. 1b und c S. 224; 118 Ib 301 E. 1b S. 303 f.;
117 Ib 270 E. 1a S. 274).

    b) Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG verlangt, dass das Beschwerderecht
Dritter (Nachbarn, Mieter, Pächter, Umweltschutzorganisationen)
gegenüber den in Anwendung des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes
erteilten Baubewilligungen tatsächlich gewährleistet ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die Beschwerdeberechtigten über ein Bauvorhaben, für
welches um Bewilligung nachgesucht wird, in Kenntnis gesetzt werden. Dies
geschieht im Kanton Schaffhausen wie in anderen Kantonen in der Regel
durch Ausschreibung des Bauvorhabens in einem amtlichen Publikationsorgan
und durch öffentliche Auflage der Pläne (Art. 65 Abs. 3 des Baugesetzes
vom 9. November 1964 [BauG]). Vorbehalten bleiben besondere Verfahren
für Bauvorhaben von untergeordneter Bedeutung (Art. 65 Abs. 4 BauG).

    Wird ein Vorentscheid für ein ausschreibungspflichtiges Bauvorhaben
ohne die erforderliche Ausschreibung getroffen, ist der nach Art. 33
Abs. 3 lit. a RPG vorgeschriebene Rechtsschutz nicht gewährleistet. Diese
Bestimmung verlangt, dass neben dem Baugesuchsteller auch legitimierte
Dritte von ihren Verfahrensrechten Gebrauch machen können. Die Erteilung
eines verbindlichen Vorentscheids setzt nicht anders als diejenige einer
Baubewilligung voraus, dass die Bewilligungsbehörde die allfälligen
Einwendungen der beschwerdeberechtigten Dritten kennt. Das gilt ganz
besonders bei der Erteilung von Ausnahmebewilligungen nach Art. 24 RPG,
welche eine umfassende Interessenabwägung erfordern, welche ohne Kenntnis
der Interessen betroffener Dritter bzw. der von den Umweltorganisationen
geltend gemachten öffentlichen Umweltanliegen nicht sachgerecht vorgenommen
werden kann. Ein baurechtlicher Vorentscheid ohne die vorgeschriebene
Ausschreibung widerspricht Art. 33 Abs. 3 lit. a RPG (Urteil des
Bundesgerichts vom 9. September 1992 in ZBl 95/1994 69 f. E. 2b;
nicht veröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 29. Juli 1992 i.S.
S. c. Gemeinde Schenkon, E. 2c, vom 18. Juli 1990 i.S. BRP c. Korporation
Galgenen, E. 2, sowie vom 20. Juni 1990 i.S. BRP c. S., E. 2a).

    c) Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass keine Ausschreibung des
vom Obergericht beurteilten Vorentscheidgesuchs stattgefunden hat. Der
angefochtene Entscheid verletzt daher Art. 33 Abs. 3 lit. a OG, weshalb
er in Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufzuheben ist.