Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 431



120 Ib 431

58. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 29. November
1994 i.S. S. gegen Schweizerische Bundesbahnen, Kreisdirektion II,
und Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Legitimation zur Einsprache gegen ein Eisenbahnprojekt.

    Die Pflicht zur Begründung der Einsprache erstreckt sich auch auf
die Frage der Legitimation.

    Eine genügend nahe Beziehung zur Streitsache kann auch dann angenommen
werden, wenn mit der projektierten Anlage ein besonderer Gefahrenherd
geschaffen wird und die Anwohner erhöhten Risiken ausgesetzt werden.
Voraussetzung für die Einsprachebefugnis ist in diesem Fall, dass das
Gefährdungspotential besonders gross und der Einsprecher speziell stark
exponiert ist.

Sachverhalt

    A.- Im kombinierten Plangenehmigungs- und Enteignungsverfahren für die
im Rahmen des Konzeptes "Bahn 2000" neu zu erstellende Eisenbahnstrecke
Mattstetten-Rothrist fand die öffentliche Auflage der Pläne vom 18. Januar
bis 8. März 1993 statt. Während der Auflagefrist gingen in den betroffenen
Gemeinden insgesamt zwischen 6000 und 7000 Einsprachen ein, die zur
Behandlung dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement
(EVED) überwiesen wurden.

    Mit Entscheid vom 6. Dezember 1993 trat das EVED auf die von S. in
der Gemeinde Langenthal gegen das Projekt erhobene Einsprache mangels
Legitimation nicht ein. Das EVED führte hiezu im wesentlichen aus,
S. gehöre zu den zahlreichen Einsprechern, die mit einer vorformulierten
oder ähnlich lautenden Einsprache die Umweltunverträglichkeit des
Bauvorhabens behaupteten. Zur Einsprache befugt seien jedoch nur jene
Personen, die eine besonders nahe, vor allem räumliche Beziehung zum
Streitgegenstand und ein unmittelbares, eigenes Interesse an der Aufhebung
der angefochtenen Verfügung hätten; zudem sei darzutun, inwiefern das
Auflageprojekt im Bereich eines konkreten Grundstücks gegen Bundesrecht
verstosse. Was S. anbelange, so wohne er zwar in der vom Projekt berührten
Gemeinde Langenthal, jedoch südlich der bestehenden Bahnlinie Olten-Bern
und damit in einer beträchtlichen Distanz zum geplanten Trassee. Es fehle
daher einerseits an der räumlichen Nähe, derer es zur Einsprachebefugnis
bedürfe, und sei andererseits ausgeschlossen, dass er von allfälligen
Immissionen aus dem Bau oder Betrieb der neuen Strecke stärker betroffen
werde als die Allgemeinheit. Eine besonders nahe Beziehung zum Projekt
könne auch nicht aus der geltend gemachten möglichen Beeinträchtigung des
Grundwassers bzw. der Trinkwasserversorgung hergeleitet werden. In der
Einsprache werde einzig darauf hingewiesen, dass eine Verunreinigung des
Grundwasservorkommens für die gesamte Region zu existentiellen Problemen
führen könnte. Selbst wenn der Einsprecher sein Trinkwasser aber aus dem
Grundwasservorkommen im Raum Bützberg/Roggwil beziehen sollte - was nicht
einmal behauptet werde -, wäre er deshalb noch nicht zur Einsprache befugt,
da die Erhaltung des Grundwassers bzw. der Wasserversorgung im öffentlichen
Interesse liege, welches von den mit dieser Aufgabe betrauten Behörden
oder Organisationen wahrgenommen werden müsse.

    S. hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des EVED
erhoben, dessen Aufhebung sowie die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz
zur materiellen Behandlung verlangt.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- In der Beschwerde wird zunächst geltend gemacht, das Departement
habe bei der Prüfung der Legitimationsfrage nicht untersucht, ob der
Beschwerdeführer allenfalls von den mit dem Bau der neuen Eisenbahnstrecke
verbundenen Immissionen betroffen werde, und dadurch den Sachverhalt
nur unvollständig festgestellt. Dieser Vorwurf ist jedoch offensichtlich
unbegründet:

    Zur Einsprache gegen ein Eisenbahnprojekt ist legitimiert, wer durch
die Projektpläne berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren
Aufhebung oder Änderung hat (Art. 48 VwVG; SR 172.021). Dieses Interesse
kann rechtlicher oder auch nur tatsächlicher Natur sein, doch muss der
Einsprecher durch das Projekt stärker als die Allgemeinheit betroffen sein
und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache
stehen (BGE 116 Ib E. 1b S. 450, 115 Ib 387 E. 2a S. 389). Diese
besondere Beziehung ist vom Einsprecher selbst darzulegen, da sich seine
Begründungspflicht auch auf die Frage der Legitimation erstreckt (BGE
119 Ib 458 nicht publ. E. 3b). Nun hat sich der Beschwerdeführer darauf
beschränkt, in seiner Einsprache zu erwähnen, dass er in Langenthal
Wohnsitz habe. Weitere Angaben über seine Beziehung zum Streitobjekt
enthielt seine Eingabe nicht. Dennoch hat das EVED im einzelnen untersucht,
ob er allenfalls durch Immissionen betroffen werden könnte, wobei entgegen
der Behauptung des Beschwerdeführers auch mögliche Einwirkungen während
der Bauphase in Betracht gezogen wurden. Eine solche Beeinträchtigung ist
jedoch angesichts der Distanz zwischen dem Wohnort des Beschwerdeführers
und dem geplanten Bahntrassee zu Recht ausgeschlossen worden. In der Tat
ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an seinem Wohnort
im Zentrum Langenthals, mehr als eineinhalb Kilometer vom geplanten
Bahntrassee entfernt, unter Baulärm, Staub, Erschütterungen oder anderen
Einwirkungen aus dem Bahnbau zu leiden haben wird.

    Im weiteren lässt sich ein Beschwerderecht auch nicht aus der
vermuteten Gefährdung des Grundwassers bzw. der Trinkwasserversorgung
herleiten. Wohl kann eine genügend nahe Beziehung zur Streitsache
auch dann angenommen werden, wenn von der projektierten Anlage zwar im
Normalfall keine Immissionen ausgehen, mit dieser aber ein besonderer
Gefahrenherd geschaffen wird und sich die Anwohner einem erhöhten Risiko
ausgesetzt sehen. So hat der Bundesrat in seiner Rechtsprechung über
die Teilnahme am Bewilligungsverfahren für Kernkraftwerke ausgeführt,
legitimiert seien auch all jene, die den spezifischen Risiken von
atomaren Anlagen - Freisetzung von radioaktiven Stoffen bei kleineren
oder grösseren Betriebsunfällen oder gar den unmittelbaren Gefahren einer
eigentlichen Katastrophe im Werk - in höherem Masse preisgegeben seien als
die Allgemeinheit. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit sei auszugehen
vom Gefährdungspotential als dem Risiko, das theoretisch mit einer solchen
Anlage verbunden sei. Jedermann, der innerhalb eines Bereiches lebe, in
dem dieses Gefährdungspotential besonders hoch einzuschätzen sei, habe
ein schützenswertes Interesse daran, dass der Eigenart und der Grösse der
Gefahr angemessene und geeignete Schutzmassnahmen ergriffen würden, und
sei deshalb zur Teilnahme am Verfahren befugt. Dieses Recht finde indessen
eine Schranke an der Unzulässigkeit der Popularbeschwerde. Erstrecke
sich die Gefährdung auf einen so weiten Raum, dass ein grosser Teil der
Bevölkerung einer ganzen Landesgegend davon betroffen sei, so könne der
einzelne nur noch dann ein besonderes Interesse geltend machen, wenn er
stärker exponiert sei als die übrigen Einwohner. Es seien daher rund um
die Kraftwerke Zonen abzugrenzen, in denen von einer erkennbar stärkeren
Gefährdung der Bewohner und daher von deren Beschwerderecht auszugehen
sei, während ausserhalb dieser Zonen Wohnende ihre besondere Gefährdung
nachzuweisen hätten (VPB 42/1978 Nr. 96 S. 429 ff.; VPB 46/1982 Nr. 54,
44/1980 Nr. 89).

    Im vorliegenden Fall geht es weder um den Betrieb eines Atomkraftwerkes
noch einer anderen Baute mit einem vergleichbaren Gefahrenpotential,
sondern um eine Verkehrsanlage. Zudem weist der Beschwerdeführer zur
Begründung seiner Legitimation lediglich auf Risiken hin, die - vor
allem beim Bau des Eisenbahntrassees - für die Trinkwasserversorgung
entstünden. Nun ergeben sich beim Bau eines solchen Verkehrsstrangs
kaum grössere Gefahren für das Trinkwasser als bei der Erstellung
irgendeiner Baute oder Anlage in einem Gebiet mit Grundwasservorkommen:
Weder besteht beim Eisenbahnbau eine besonders ausgeprägte Tendenz
zur Verursachung von Gewässerverschmutzungen, noch zeitigen allfällige
Eingriffe in Wasservorkommen in der Regel quantitativ oder qualitativ
speziell schwere Folgen. Zwar kann bei Bau- wie auch bei Betriebsunfällen
selbst bei grösster Sorgfalt nie ganz ausgeschlossen werden, dass der
Grundwasserhaushalt gestört wird (vgl. BGE 118 Ib 206 E. 14 S. 228).
Eine ernst- und dauerhafte Beeinträchtigung der Wasserversorgung tritt
jedoch kaum je ein. Es dürfte deshalb hier schon an der Voraussetzung
eines besonders grossen Gefährdungspotentials fehlen. Im weiteren
würde eine Störung des Grundwasservorkommens in erster Linie die für
die Trinkwasserversorgung verantwortlichen Personen oder Behörden
treffen und weisen diese daher eine viel engere Beziehung zum Projekt
auf als die Trinkwasserbezüger. In diesem Sinne kann der Argumentation
des EVED zugestimmt werden, dass für blosse Trinkwasserbezüger die
für die Legitimation notwendige unmittelbare Berührtheit nicht gegeben
sei. Jedenfalls macht der Beschwerdeführer nicht geltend, dass er stärker
exponiert wäre als die übrigen Bezüger. Seine Beschwerde erweist sich
daher als unbegründet.

Erwägung 2

    2.- Da nach dem Gesagten hier das Bundesgesetz über die Enteignung
keine Anwendung finden kann, sind die Gerichtskosten dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend dem Beschwerdeführer zu überbinden.