Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 312



120 Ib 312

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 3. November 1994
i.S. F. gegen Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 16 Abs. 3 lit. a, Art. 32 Abs. 1 SVG; schwere Gefährdung des
Verkehrs, Nichtanpassen der Geschwindigkeit.

    Wer trotz starkem Regen auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit
von ca. 120 km/h fährt und infolge Aquaplanings ins Schleudern gerät,
gefährdet den Verkehr in schwerer Weise (E. 4c).

Sachverhalt

    A.- F. fuhr am 31. August 1992, um ca. 19.55 Uhr, mit seinem
Personenwagen der Marke VW Golf, auf der Autobahn N 1 von Wil in Richtung
Zürich. Obwohl es zu jenem Zeitpunkt stark regnete, fuhr er mit einer
Geschwindigkeit von etwa 120 km/h. In der Nähe von Bertschikon verlor
F. die Herrschaft über sein Fahrzeug und geriet wegen Aquaplanings ins
Schleudern. Er konnte seinen Wagen nicht mehr bremsen und kollidierte
mit dem Mittelseil, wobei sowohl an seinem Fahrzeug wie auch an der
Autobahneinrichtung erheblicher Sachschaden entstand.

    B.- Das Statthalteramt des Bezirks Winterthur sprach F. mit Verfügung
vom 12. Oktober 1992 der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln in
Anwendung von Art. 32 Abs. 1 und 90 Ziff. 1 SVG (SR 741.01) schuldig
und verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 350.--.

    C.- Mit Verfügung vom 2. Februar 1993 entzog das Strassenverkehrs-
und Schiffahrtsamt des Kantons St. Gallen F. wegen schwerer Gefährdung
des Verkehrs den Führerausweis für die Dauer von drei Monaten.

    Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen wies einen
gegen diese Verfügung geführten Rekurs mit Urteil vom 5. Juli 1994 ab.

    D.- Gegen diesen Entscheid erhebt F. Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die
Vorinstanz anzuweisen, einen Führerausweisentzug von höchstens einem Monat
anzuordnen. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zuzuerkennen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Vorinstanz nahm an, der Beschwerdeführer habe die Herrschaft
über sein Fahrzeug verloren und damit eine ernstliche Gefahr für die
Sicherheit aller nachfolgenden Fahrzeuge geschaffen. Seine Fahrweise sei
verantwortungslos und sein Verschulden schwer gewesen. Die allgemeine
Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge betrage auf Autobahnen nur unter
günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen 120 km/h. Zum
Unfallzeitpunkt habe es stark geregnet und stellenweise habe auch Wasser
auf der Fahrbahn gelegen. Der Beschwerdeführer habe daher nicht von
günstigen Strassenverhältnissen ausgehen können. Bei Regen und hoher
Geschwindigkeit sei die Gefahr von Aquaplaning latent vorhanden, so dass
die Vorsichtspflicht gebiete, die Geschwindigkeit zu reduzieren.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihr
Ermessen verletzt. Ob beim Nichtanpassen der Geschwindigkeit an die
gegebenen Verhältnisse der Verkehr in schwerer Weise gefährdet werde,
hänge von der Würdigung der gesamten Umstände ab. Er sei mit seinem
Fahrzeug auf einem völlig geraden, übersichtlichen, jedoch regennassen
Autobahnteilstück mit einer bloss geschätzten Geschwindigkeit von ca. 120
km/h unterwegs gewesen. Die Verkehrsdichte sei zum kritischen Zeitpunkt
bloss schwach gewesen. Geschätzte Geschwindigkeitsangaben seien bei der
Würdigung des Fehlverhaltens mit Vorsicht zu geniessen. Die Annahme der
Vorinstanz, er sei tatsächlich mit einem Tempo von 120 km/h gefahren,
sei daher willkürlich. Es liesse sich lediglich sagen, dass er im
Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse etwas zu schnell gefahren
sei. Ein grobes Verschulden liege darin jedoch nicht. Aquaplaning könne
je nachdem schon bei Geschwindigkeiten unter 80 km/h oder auch erst weit
über 100 km/h auftreten. Da vorliegend lediglich von einer nassen und
nicht von einer überfluteten Fahrbahn die Rede sei, sei die Annahme
eines schweren Verschuldens bzw. einer schweren Verkehrsgefährdung
durch die Vorinstanz willkürlich. Es könne auch nicht gesagt werden,
Aquaplaningfälle seien regelmässig zu den schweren Fällen im Sinne
von Art. 16 Abs. 3 SVG zu zählen. Die Vorinstanz sei zudem grundlos
von der Würdigung des Sachverhalts durch den Strafrichter abgewichen,
der den Vorfall als einfache Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90
Ziff. 1 SVG beurteilt habe. Selbst wenn man ein schweres Verschulden
und eine schwere Gefährdung annehmen wollte, sei die von der Vorinstanz
bestätigte dreimonatige Entzugsdauer des Führerausweises gleichwohl
eine willkürliche Massnahme. Er sei seit dem 30. August 1990 im Besitze
seines Führerausweises und weise einen bislang ungetrübten Leumund als
Fahrzeugführer auf. Dieser müsse bei der Bemessung der Massnahmedauer
berücksichtigt werden. Schliesslich sei er als Automechaniker in
einem Kleinbetrieb auf die Möglichkeit, Motorfahrzeuge zu führen,
angewiesen. Ein Führerausweisentzug von mehreren Monaten bewirke mit
grösster Wahrscheinlichkeit die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses und
verursache derartig beachtliche Kosten, dass die Massnahme im Verhältnis
zum finanziellen Verlust als offensichtlich unverhältnismässig erscheine.

Erwägung 2

    2.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann beim Bundesgericht die
Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich der Überschreitung oder des
Missbrauchs des Ermessens, gerügt sowie eine unrichtige und unvollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts geltend gemacht werden
(Art. 104 lit. a und b OG). Nicht überprüfen kann das Bundesgericht
grundsätzlich die Angemessenheit des angefochtenen Entscheides (Art. 104
lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist das Bundesgericht an die
Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine richterliche Behörde als
Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig
oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt hat.

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden,
wenn der Fahrzeugführer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr
gefährdet oder andere belästigt hat. Der Ausweis muss entzogen werden, wenn
der Führer den Verkehr in schwerer Weise gefährdet hat (Art. 16 Abs. 3
lit. a SVG). Dies ist der Fall, wenn der Fahrzeugführer durch grobe
Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit
anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Art. 32 Abs. 2 VZV [SR 741.51];
BGE 120 Ib 286 E. 1 mit Hinweisen). Die Dauer des Entzugs ist nach den
Umständen festzusetzen; sie beträgt jedoch mindestens einen Monat (Art. 17
Abs. 1 lit. a SVG). Die Dauer des Warnungsentzugs richtet sich vor allem
nach der Schwere des Verschuldens, dem Leumund als Fahrzeugführer sowie
nach der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen (Art. 33
Abs. 2 VZV).

Erwägung 4

    4.- a) Die Vorinstanz nahm an, der Beschwerdeführer sei mit einer
Geschwindigkeit von "ca. 120 km/h" gefahren. Sie stützte sich hiefür
auf dessen Aussagen anlässlich der Aufnahme des Verkehrsunfalls durch
die Kantonspolizei Zürich, bei der er auch angegeben hatte, es sei ihm
bewusst gewesen, dass er in Anbetracht der herrschenden Wetterverhältnisse
zu schnell unterwegs gewesen sei. Aufgrund dieser Aussagen kam die
Vorinstanz zum Schluss, das Schleudern des Fahrzeugs sei auf die den
Strassen- und Witterungsverhältnissen nicht angepasste Geschwindigkeit
zurückzuführen. Dies wäre nach ihrer Auffassung selbst dann der Fall, wenn
man annehmen wollte, der Beschwerdeführer sei mit einer Geschwindigkeit
von bloss 90 - 120 km/h gefahren. Es trifft somit nicht zu, dass die
Vorinstanz angenommen hat, der Beschwerdeführer sei effektiv mit 120
km/h unterwegs gewesen. Eine offensichtlich unrichtige Feststellung
des Sachverhalts ist nicht ersichtlich, so dass das Bundesgericht daran
gebunden ist (Art. 105 Abs. 2 OG).

    b) Die Vorinstanz wich nicht von den tatsächlichen Feststellungen
in der Bussenverfügung des Statthalteramtes des Bezirkes Winterthur
ab. Hingegen würdigte sie das Verhalten des Beschwerdeführers - anders
als das Statthalteramt, das eine bloss einfache Verkehrsregelverletzung im
Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG angenommen hatte, - als schwere Gefährdung
des Verkehrs. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Verwaltungsbehörde ist
nur dann in bezug auf die Rechtsanwendung an die rechtliche Qualifikation
des Sachverhaltes durch das Strafurteil gebunden, wenn die rechtliche
Würdigung sehr stark von der Würdigung von Tatsachen abhängt, die der
Strafrichter besser kennt als die Verwaltungsbehörde (BGE 119 Ib 158 E. 3
c/bb). Dies ist hier nicht der Fall, da die Strafbehörde ebenfalls bloss
aufgrund der Akten entschieden und der Beschwerdeführer keine gerichtliche
Beurteilung verlangt hatte.

    c) Die Vorinstanz wertete das Verhalten des Beschwerdeführers als
schwere Gefährdung des Verkehrs. Der Beschwerdeführer habe, indem er die
Herrschaft über sein Fahrzeug verloren habe, eine erhebliche Gefahr für
die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geschaffen.

    Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist
der Beschwerdeführer auf der Autobahn bei starkem Regen und einer
Geschwindigkeit von ca. 120 km/h ins Schleudern geraten und gegen das
Mittelseil geprallt. Wie die Vorinstanz zu Recht ausführt, bedeutet ein
vom Lenker nicht mehr beherrschtes Fahrzeug insbesondere auf Autobahnen,
wo ausschliesslich mit relativ hohen Geschwindigkeiten gefahren wird, immer
eine ernstliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer. Für nachfolgende
Fahrzeuge besteht besonders die Gefahr von Auffahrunfällen mit erheblichen
Folgen für die Beteiligten. Das krasse Nichtanpassen der Geschwindigkeit
bei der Gefahr von Aquaplaning, d.h. einem Aufschwimmen der Reifen auf
einem Wasserkeil mit Verlust der Steuer- und Bremsmöglichkeit, bedeutet
daher im zu beurteilenden Fall eine schwere Gefährdung des Verkehrs. Ob
Aquaplaningfälle regelmässig zu den schweren Fällen im Sinne von Art. 16
Abs. 3 SVG zu zählen sind, braucht nicht entschieden zu werden (vgl. hiezu
BGE 103 IV 41 E. 2a).

    Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz das
Verschulden des Beschwerdeführers als schwer gewertet hat. Nach Art. 32
Abs. 1 SVG ist die Geschwindigkeit stets den Umständen, namentlich
den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen anzupassen. Wie die
Vorinstanz zu Recht erkannt hat, muss die Gefahr von Aquaplaning bei
starkem Regen als bekannt vorausgesetzt werden. Es wird denn auch
in diesem Zusammenhang empfohlen, bei starkem Regen 80 km/h nicht zu
überschreiten (BGE 103 IV 41 E. 2a). Dies war auch dem Beschwerdeführer
klar, der nach den Feststellungen der Vorinstanz gegenüber der Polizei
ausgesagt hatte, es sei ihm bewusst gewesen, dass er in Anbetracht der
herrschenden Wetterverhältnisse zu schnell gefahren sei (vgl. E. 4a). Das
Ausschöpfen der nur unter günstigen Verhältnissen auf Autobahnen zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h (Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV), das zu
einem Schleuderunfall führt, ist unter diesen Umständen grobfahrlässig
und wiegt verschuldensmässig schwer, da sich der Beschwerdeführer der
Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst sein musste und
es auch war.

    d) Die Vorinstanz erachtete den Entzug des Führerausweises für die
Dauer von drei Monaten als angemessen. Sie nahm an, das bisher klaglose
Verhalten des Beschwerdeführers im Strassenverkehr begründe keinen Anspruch
auf Herabsetzung der Entzugsdauer. Sie verneinte zudem die berufliche
Notwendigkeit für den Beschwerdeführer, ein Motorfahrzeug zu führen, da
das Autofahren nicht zu den primären Aufgaben eines Automechanikers gehöre.

    Der Behörde steht bei der Festsetzung der Dauer des
Führerausweisentzuges ein Ermessensspielraum zu. Dies bedeutet
indessen nicht, dass sie nach Belieben entscheiden könnte. Vielmehr
hat sie nach pflichtgemässem Ermessen zu urteilen und alle in der Sache
erheblichen Interessen zu berücksichtigen und sorgfältig gegeneinander
abzuwägen. Diesen Anforderungen ist die Vorinstanz nachgekommen. Sie hat
sich nicht von sachfremden Motiven leiten lassen und ihr Ermessen auch
nicht überschritten oder missbraucht. Dies gilt ebenfalls für die Frage
der Massnahmeempfindlichkeit. Die Vorinstanz hat zu Recht angenommen,
das Führen eines Motorfahrzeugs gehöre nicht zu den primären Aufgaben
eines Automechanikers und der Beschwerdeführer sei daher nicht im selben
Mass von der Massnahme betroffen wie etwa ein Chauffeur. Sie verneinte
daher zutreffend eine erhöhte Massnahmeempfindlichkeit. Dass sodann
der automobilistische Leumund bei der Festsetzung der Entzugsdauer
berücksichtigt werden muss, wie der Beschwerdeführer einwendet, trifft
zu. Dies hat die Vorinstanz indes getan. Sie hat lediglich den ungetrübten
Leumund als Fahrzeuglenker nicht zusätzlich als Herabsetzungsgrund
gewürdigt, was nicht zu beanstanden ist. Die Massnahme erweist sich daher
nicht als unverhältnismässig und die Vorinstanz hat somit ihr Ermessen
nicht überschritten.