Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 193



120 Ib 193

29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Juni 1994 i.S. G.
gegen EJPD (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Widerruf einer erleichterten Einbürgerung (Art. 41 BüG).

    Eine erleichterte Einbürgerung kann nur unter den in Art. 41 BüG
festgehaltenen Voraussetzungen widerrufen werden.

Sachverhalt

    A.- Am 16. März 1992 stellte Marc G. als Ehegatte einer Schweizerin ein
Gesuch um erleichterte Einbürgerung. Mit Verfügung vom 7. September 1993
entsprach das EJPD dem Gesuch.

    B.- Nachdem das EJPD am 14. September 1993 von der Gemeinde K. die
Mitteilung erhalten hatte, die Ehe von G. sei am 17. August 1993 geschieden
worden, widerrief es mit Verfügung vom 7. Dezember 1993 die Einbürgerung.

    C.- G. gelangt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht
und verlangt die Aufhebung der Verfügung des EJPD und die Feststellung,
dass er Schweizer Bürger sei. Das EJPD beantragt die Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Voraussetzungen für einen
Widerruf der Einbürgerungsverfügung seien vorliegend nicht gegeben.

    Die Rechtsprechung und die Lehre haben allgemeine Grundsätze
entwickelt, unter welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsakt von der
verfügenden Behörde widerrufen werden kann, beziehungsweise unter
welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsakt ungültig ist (statt vieler:
HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, Zürich 1993,
Rz. 760 ff.). Es ist aber anerkannt, dass diese allgemeinen Grundsätze
nur gelten, wenn das Gesetz die Widerrufbarkeit einer Verfügung nicht
selber regelt (HÄFELIN/MÜLLER, Rz. 814; WEBER-DÜRLER, Vertrauensschutz
im öffentlichen Recht, Basel 1983, S. 169 ff.).

Erwägung 3

    3.- Art. 41 BüG (SR 141.0) bestimmt, dass eine durch falsche Angaben
oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichene Einbürgerung für
nichtig erklärt werden kann. Zudem regelt das Gesetz auch den Verlust des
Bürgerrechts durch behördlichen Beschluss. Es fragt sich, ob damit der
Gesetzgeber den Widerruf einer Einbürgerung abschliessend regeln wollte
oder nicht.

    a) Entgegen den Ausführungen im Gutachten des Bundesamtes für Justiz,
welches das Departement seiner Vernehmlassung zur Beschwerde beigelegt
hat, kann aus der früheren Regelung der Bürgerrechtsehe nicht auf die
Geltung allgemeiner Widerrufsgrundsätze geschlossen werden.

    Bis zur Änderung von 1992 sah Art. 3 Abs. 1 BüG vor, dass die
Ausländerin durch die Heirat mit einem Schweizer das Schweizer Bürgerrecht
erwirbt. Es handelte sich somit nicht um einen Fall des Erwerbs durch
behördlichen Akt, sondern um einen Erwerb von Gesetzes wegen. Schon von
daher konnten die entsprechenden Regeln nicht die Frage des Widerrufs
einer Verfügung betreffen. Zudem war der Verlust des Bürgerrechts nach
Ungültigerklärung der Ehe ausdrücklich in Art. 3 Abs. 2 BüG geregelt,
was das ZGB in Art. 134 wiederholte. Auch hier wurde somit - entgegen
der vom Bundesamt für Justiz vertretenen Meinung - nicht auf allgemeine
Grundsätze zurückgegriffen, sondern der Verlust war durch eine besondere
Gesetzesbestimmung geregelt.

    b) Das Bundesgericht scheint sich bis jetzt noch nie zur Frage
geäussert zu haben, ob eine Einbürgerung auch aus anderen als den
in Art. 41 BüG angegebenen Gründen widerrufen werden kann. Beide vom
Bundesamt für Justiz in seinem Gutachten aufgeführten Entscheide betrafen
keine Einbürgerung, sondern die Feststellung, ob ein Bürgerrecht von
Gesetzes wegen erworben worden ist oder nicht (BGE 75 I 284 und 86 I
165), wobei der ältere Entscheid überdies vor Erlass des heute geltenden
Bürgerrechtsgesetzes ergangen ist. Im zweiten Entscheid wird das
Zurückkommen auf ein Feststellungsurteil von den engen Voraussetzungen
abhängig gemacht, die für die Revision gelten, und Art. 137 OG analog
angewendet (BGE 86 I 172 ff.; offener dann aber BGE 112 Ib 68 f.).

    c) Soweit sich die Lehre zur Frage äussert, ob neben Art. 41 BüG auch
ein Widerruf möglich ist, wird dies regelmässig abgelehnt (FRANZ-XAVER
BURGER, Die erleichterte Einbürgerung, Diss. Bern 1971, S. 147; URS
BENZ, Die ordentliche Einbürgerung von Ausländern in der Schweiz,
Diss. Zürich 1968, S. 121; demgegenüber äussern sich HÄFELIN/HALLER,
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1988, S. 171, Rz. 569, und HANS
RUDOLF GRENDELMEIER, Erleichterte Einbürgerung, Diss. Zürich 1969, S. 102,
nicht dazu). AUBERT erwähnt neben der Nichtigerklärung nach Art. 41 BüG
nur den Widerruf der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung (AUBERT,
Bundesstaatsrecht der Schweiz, Basel 1991, Rz. 986), die aber wohl nur
solange möglich bleibt, als die Einbürgerung noch nicht erfolgt ist
(vgl. AUBERT, Rz. 964).

    d) In der Botschaft zum Bürgerrechtsgesetz von 1952 äusserte sich
der Bundesrat nicht ausdrücklich zur Frage, ob Art. 41 BüG (Art. 39 des
Entwurfs) die Widerrufsmöglichkeiten abschliessend regle (BBl 1951 II 703).

    Es ist jedoch der Zusammenhang zu beachten, in dem die Neuregelung
damals stand. Das BüG von 1952 ersetzte das Bundesgesetz betreffend die
Erwerbung des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe vom
25. Juni 1903 (BS Bd. I, S. 101 ff.). Art. 12 dieses Gesetzes regelte
die Nichtigerklärung und lautete:

    "1 Der Bundesrat kann die einem Ausländer erteilte Bewilligung zur

    Erwerbung eines Gemeinde- und Kantonsbürgerrechts während fünf
Jahren seit
   der Kantonsbürgerrechtserwerbung für nichtig erklären, wenn es sich
   herausstellt, dass die im Gesetz für die Erteilung dieser Bewilligung
   aufgestellten Bedingungen nicht erfüllt waren.

    2 Die Nichtigerklärung der Bewilligung hat die Aufhebung des auf Grund
   derselben verliehenen Gemeinde- und Kantonsbürgerrechts zur Folge.

    3 Der Bundesrat kann die nach Art. 5 erteilte Einbürgerung jederzeit
   nichtig erklären, wenn sie auf betrügerische Weise erlangt worden ist.

    4 Das gleiche Recht bleibt den Kantonen vorbehalten."

    Nach dieser Bestimmung konnte somit eine Einbürgerung nicht nur nichtig
erklärt werden, wenn sie erschlichen worden war, sondern auch, wenn sich
der Entscheid im Nachhinein bloss als falsch erwies. Diese Bestimmung
kodifizierte - wie im Parlament betont wurde (Sten.Bull. 1902, S. 325) -
die damals herrschende Praxis, nachdem im 19. Jahrhundert der Bundesrat
ursprünglich den Widerruf der Einbürgerung als nicht zulässig, ab 1896
ihn aber aus allgemeinen Grundsätzen als zulässig ansah (OSKAR ETTER,
Der Verlust des Schweizerbürgerrechts, Diss. Zürich, Bern 1945, S. 114
f.). Dem Rechtssicherheitsbedürfnis wurde dadurch Rechnung getragen,
dass Art. 12 Abs. 1 eine Frist von fünf Jahren für die Nichtigerklärung
einer Bewilligung vorsah, während die unbefristete Nichtigerklärung der
von den Kantonen erleichterten Einbürgerung von in der Schweiz geborenen
Ausländern nur möglich war, wenn das Bürgerrecht auf betrügerische Weise
erlangt worden war. Diese Voraussetzung ist im Parlament von mehreren
Sprechern betont worden (Sten.Bull. 1902, S. 641).

    Aufgrund des Vollmachtenbeschlusses hatte der Bundesrat 1941 die
Möglichkeiten zur Nichtigerklärung geändert (BS Bd. I, S. 107). Art. 2
dieses Erlasses lautete:

    "1 Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kann während zehn

    Jahren nach dem Erwerb des Schweizerbürgerrechts die Einbürgerung oder

    Wiedereinbürgerung nichtig erklären, wenn der Bewerber das Bürgerrecht
   durch bewusst falsche Angaben oder Verhehlen von erheblichen Tatsachen
   erschlichen hat oder wenn er sich als von offenkundig unschweizerischer

    Gesinnung erweist. Die Nichtigkeit erstreckt sich auf alle
Familienglieder,
   deren Bürgerrecht auf dem nichtig erklärten Bürgerrechtserwerb beruht,
   sofern nicht ausdrücklich anders verfügt wird.

    2 Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement kann innert fünf

    Jahren seit dem Eheschluss den durch diesen bewirkten Erwerb des

    Bürgerrechts nichtig erklären, wenn der Eheschluss offenkundig die
Umgehung
   der Einbürgerungsvorschriften bezweckte. Den Schweizer, der sich bewusst
   hiezu hergegeben hat, kann es innert der gleichen Frist für bis zu fünf

    Jahren im Aktivbürgerrecht einstellen.

    3 Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement ist bei

    Nichtigerklärung des Bürgerrechts befugt, zu verfügen, wie lange
und unter
   welchen Bedingungen den Betroffenen Toleranzbewilligung erteilt
   werden muss."

    Damit hatte die Möglichkeit zur Nichtigerklärung sowohl eine
Erweiterung als auch eine Einengung erfahren. Während das blosse Fehlen der
Voraussetzungen im Zeitpunkt der Einbürgerung offenbar nicht mehr genügte,
war auch eine nachfolgende "unschweizerische Gesinnung" Grund für einen
Entzug des Bürgerrechts. Zudem wurden die Folgen einer Bürgerrechtsehe
geregelt.

    Die Revision von 1952 knüpfte - abgesehen von der Frage der
Bürgerrechtsehe - am Gesetz von 1903 an und wollte die dort vorgesehenen
Möglichkeiten der Nichtigerklärung einschränken. Entsprechend führte der
Berichterstatter im Nationalrat aus: "D'autre part, la formulation des
conditions de l'annulation à l'article 12 de la loi de 1903 était trop
vague. L'annulation pouvait être prononcée lorsque les conditions requises
pour l'octroi de la naturalisation n'avaient pas été remplies. L'annulation
pouvait ainsi avoir lieu non seulement lorsqu'il y avait eu fraude
de l'intéressé, mais également en cas d'erreur de l'autorité, ce qui
allait certainement trop loin. L'article 39 n'admet plus désormais que
l'annulation de la naturalisation même et seulement dans les cas de fraude
de l'intéressé" (Sten.Bull. 1951 N 834).

    Wollte man mit der neuen Gesetzgebung aber die Nichtigerklärung gerade
einschränken und die vorher gegebene Möglichkeit ausschliessen, eine
Einbürgerung für nichtig zu erklären, bloss weil sich die Behörde über
das Vorliegen der Voraussetzungen geirrt hatte, so ist auch kein Platz
mehr für einen Widerruf der Einbürgerungsverfügung nach den allgemeinen
verwaltungsrechtlichen Grundsätzen.

    Diese Auffassung ergibt sich auch aus den Vorarbeiten zum Entwurf des
Bundesrates. Dort wurde immer wieder betont, dass die Nichtigerklärung
nur eine ultima ratio sein dürfe (so Bericht Dr. M. Ruth von 1947,
Protokoll der Expertenkommission für das Bürgerrechtsgesetz, 9. Sitzung
vom 23. November 1950, S. 9). Die Experten waren der Meinung, dass
schon der Bundesratsbeschluss von 1941 eine abschliessende Aufzählung
der Nichtigkeitsgründe enthalte (Protokoll der Expertenkommission, aaO,
S. 11). Eine Anregung von Professor Egger, die Bestimmung zu streichen,
weil es sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts
ergebe, dass ein durch Täuschung erwirkter Hoheitsakt annulliert werden
könne (Protokoll der Expertenkommission, aaO, S. 13), wurde nicht
aufgenommen. Die Bedeutung des Bürgerrechts verlange eine ausdrückliche
Regelung im Gesetz (Protokoll der Expertenkommission, aaO, S. 14).

    Mit Blick auf diese eindeutige Entstehungsgeschichte kann auch dem
Umstand keine Bedeutung zukommen, dass sowohl der französische wie auch
der italienische Gesetzestext als Randtitel den Ausdruck "annulation"
und "annullamento" verwenden und dadurch der Eindruck entstehen könnte,
daneben gäbe es noch eine Nichtigkeit. Der deutsche Gesetzestext gibt
den Sinn mit "Nichtigerklärung" genauer wieder.

    e) An diesem Ergebnis hat auch die Revision von 1990 nichts
geändert. Diese hat nur im Zuge der Gleichstellung von Mann und Frau
die erleichterte Einbürgerung von Ehegatten eines Schweizers oder einer
Schweizerin eingeführt. Art. 41 BüG ist aber in diesem Zusammenhang nicht
geändert worden (BBl 1987 III 293 ff.). Die erleichterte Einbürgerung ist
keine neue Einrichtung. Es gab sie schon vor der letzten Revision. Sie
betraf nur andere Tatbestände als die Einbürgerung von ausländischen
Ehegatten eines Schweizers oder einer Schweizerin. Insofern kann die
Vereinfachung des Verfahrens gegenüber der ordentlichen Einbürgerung kein
Grund dafür sein, im Bereich der Einbürgerungen neben der ausdrücklichen
gesetzlichen Regelung neu nun auch die von Lehre und Praxis entwickelten
allgemeinen Gründe für einen Widerruf zuzulassen.

Erwägung 4

    4.- Der Widerruf einer erleichterten Einbürgerung richtet sich
somit ausschliesslich nach Art. 41 BüG. Nach dieser Bestimmung kann
eine Einbürgerung innert fünf Jahren für nichtig erklärt werden, wenn
sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen
erschlichen worden ist. Das EJPD behauptet weder im angefochtenen
Entscheid noch in seiner Vernehmlassung, dass diese Voraussetzungen im
vorliegenden Fall gegeben seien. Auch den Akten ist nichts zu entnehmen,
was auf eine Erschleichung des Bürgerrechts hindeuten würde. Es ist
unbestritten geblieben, dass der Beschwerdeführer das Departement auf
das hängige Scheidungsverfahren telefonisch aufmerksam gemacht hat und
dass er im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung mit seiner Frau in ehelicher
Gemeinschaft gelebt hat. Aus den Akten geht zudem hervor, dass die Ehefrau
dem Beschwerdeführer Zwillinge geboren hat. Dass die Einbürgerung erfolgt
ist, obgleich im Zeitpunkt des Entscheides die Voraussetzungen nicht mehr
gegeben waren, ist teilweise auf das wenig sorgfältige Vorgehen der Behörde
zurückzuführen. Dauert ein Verfahren derart lange, wie im vorliegenden
Fall, wäre es angebracht, vor dem Entscheid bei den kantonalen Behörden
nachzufragen, ob die erteilte Auskunft (insbesondere bezüglich bestehender
ehelicher Gemeinschaft) noch immer zutrifft. Eine solche Nachfrage wäre
ganz besonders angebracht gewesen, nachdem der Beschwerdeführer dem
zuständigen Departement unbestrittenermassen telephonisch mitgeteilt hat,
dass eine Scheidungsklage hängig sei.

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich somit als begründet
und der angefochtene Entscheid ist aufzuheben.